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OGH vom 29.09.2009, 10Ob49/09t

OGH vom 29.09.2009, 10Ob49/09t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Isabelle Nadira N*****, geboren am , und des minderjährigen Joseph Georg N*****, geboren am , beide vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau, Referat für Soziales, Jugend und Familie, 9800 Spittal an der Drau, Tiroler Straße 16), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 3 R 109/09b, 3 R 110/09z-U-46, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom , GZ 2 P 123/05f-U-30 und -31, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die mj Isabelle Nadira N***** und der mj Joseph Georg N***** sind eheliche Kinder der Christiane Maria O*****-N***** und des Joseph N*****. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom im Einvernehmen geschieden. In einem vor dem Erstgericht anlässlich der Ehescheidung abgeschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Vater ua zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge in Höhe von je 540 EUR für die beiden mj Isabelle und Joseph Georg, die nunmehr im Haushalt der obsorgeberechtigten Mutter betreut werden. Dieser Vergleich wurde pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Gestützt auf diesen Unterhaltstitel beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter der beiden Minderjährigen jeweils mit Eingabe vom die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von je 488,24 EUR monatlich.

Mit Beschluss vom wies das Erstgericht beide Anträge mit der Begründung ab, der unterhaltspflichtige Vater habe behauptet, der Mutter am einen Betrag von 600.000 USD für künftig zu leistende Unterhaltsbeiträge übergeben zu haben. Die Mutter habe demgegenüber behauptet, die erbrachte Geldleistung sei für andere Zwecke geleistet worden. Es könne somit im gegenständlichen Unterhaltsvorschussverfahren nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die vom Unterhaltsschuldner erbrachte Vorauszahlung tatsächlich (auch) für den Unterhalt der beiden antragstellenden Minderjährigen geleistet worden sei.

Das Rekursgericht hob über Rekurs der beiden Minderjährigen den Beschluss des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Im zweiten Rechtsgang brachte der Vertreter der beiden Minderjährigen ergänzend vor, dass bereits am beim Erstgericht ein Verfahren nach dem Auslandsunterhaltsgesetz eingeleitet worden sei, aber trotz des laufenden Verfahrens nicht anzunehmen sei, dass innerhalb eines Zeitraums von 3 bis 6 Monaten Unterhaltsbeiträge hereingebracht werden könnten. Der rechtsfreundlich vertretene Vater lebe in Kanada und habe bisher keine Rechtsschritte der Behörde unbekämpft gelassen und alle Verfahren hinausgezögert. Mit seinen Beschlüssen jeweils vom bewilligte das Erstgericht den beiden Minderjährigen für die Zeit vom bis Unterhaltsvorschüsse in Höhe von monatlich jeweils 488,24 EUR gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG. Die Gewährung erfolgte unter Zugrundelegung des bestehenden Titels (Vergleich vom ) und wurde im Wesentlichen damit begründet, dass ein Verfahren nach dem Auslandsunterhaltsgesetz eingeleitet worden, dieses aber bisher erfolglos geblieben sei. Eine Anfrage beim Bundesministerium für Justiz habe ergeben, dass seitens der kanadischen Behörde eine Antwort noch ausstehe.

Das Rekursgericht gab den dagegen vom Bund erhobenen Rekursen keine Folge. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass nunmehr klargestellt sei, dass die Vertretung der beiden Minderjährigen auch eine Exekutionsführung im Ausland bereits angestrebt, der bereits am nach dem Auslandsunterhaltsgesetz gestellte Antrag aber noch kein Ergebnis gebracht habe. Es müsse daher von einer Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung in Kanada iSd § 4 Z 1 UVG ausgegangen werden. Zum Vorbringen im Rekurs, das Erstgericht habe nicht geprüft, ob die vom Unterhaltsschuldner behauptete Unterhaltsvorauszahlung tatsächlich stattgefunden habe, vertrat das Rekursgericht die Ansicht, dass im Verfahren zur Bewilligung der Unterhaltsvorschüsse selbst umfangreiche Erhebungen zu weit führen würden und eine nicht erwiesene Situation zu Lasten des Bundes gehe. Es müsste daher der Unterhaltsschuldner im streitigen Verfahren und nach Führung einer Unterhaltsexekution etwa als Oppositionsgrund geltend machen, dass der für die beiden Minderjährigen geschuldete Unterhalt bereits bezahlt sei. Weiters führte das Rekursgericht aus, es sei zwar richtig, dass der Scheidungsvergleich vom keine Angaben darüber enthalte, von welchem Einkommen des Unterhaltsschuldners ausgegangen worden sei und dass angesichts der Höhe und der Gesamtsumme der jeweiligen Unterhaltsbeträge auch Bedenken iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG bestünden, ob die im Exekutionstitel festgesetzte gesetzliche Unterhaltspflicht nicht zu hoch bemessen sein könnte. Es dürfe aber die Vorschussgewährung nicht durch weitwendige Erhebungen hinausgeschoben werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob Unterhaltsvorschüsse auch dann zu gewähren seien, wenn die Widmung einer vom Unterhaltsschuldner an den anderen Elternteil geleisteten Zahlung in beträchtlicher Höhe noch unklar sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung der Anträge der beiden Minderjährigen auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Vertreter der beiden Minderjährigen beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt. Der Rechtsmittelwerber macht im Wesentlichen geltend, es sei unstrittig, dass die Mutter anlässlich der Scheidung eine Zahlung von 514.000 CAD erhalten habe. Es sei im erstgerichtlichen Verfahren ungeklärt geblieben, ob es sich dabei um eine Vorauszahlung für die seit fällig gewordenen Unterhaltsansprüche der Mutter und der (insgesamt 5) Kinder gehandelt habe. Träfe dies zu, käme es durch die Bewilligung der Unterhaltsvorschüsse zu einer Doppelalimentierung. Wenngleich Unterhaltsvorschüsse möglichst rasch und ohne weitwendige Erhebungen zu bewilligen seien, hätte das Erstgericht aufgrund des ungeklärten Sachverhalts und mit Rücksicht auf den für das Verfahren außer Streitsachen geltenden Untersuchungsgrundsatz prüfen müssen, ob es im Falle der Bewilligung der Vorschüsse zu einer Doppelalimentierung komme. Schließlich seien Unterhaltsvorschüsse gemäß § 1 UVG nur auf den gesetzlichen Unterhalt der Kinder zu gewähren. Dem Scheidungsvergleich vom sei nicht zu entnehmen, welches Einkommen des Unterhaltsschuldners der Unterhaltsvereinbarung zugrundegelegt worden sei. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterhaltsvereinbarung den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der beiden Minderjährigen übersteige. Bei einem Verdacht des Abschlusses eines überhöhten Unterhaltsvergleichs habe die Rechtsprechung das Bestehen begründeter Bedenken iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG bejaht.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Gemäß § 11 Abs 2 UVG hat der Antragsteller, soweit er die Voraussetzungen der Gewährung von Vorschüssen nicht aufgrund der Pflegschaftsakten, durch Urkunden oder sonst auf einfache Weise nachweisen kann, diese Voraussetzungen durch eine der Wahrheit entsprechende Erklärung des Vertreters glaubhaft zu machen. Diese Bescheinigung ist gerade bei negativen Anspruchsvoraussetzungen wie etwa der Erfolglosigkeit oder Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung naheliegend und im Allgemeinen auch ausreichend, zumal solche negativen Voraussetzungen schon ihrem Wesen nach schwer nachzuweisen sind. Eine Antragsüberprüfung durch das Gericht ist daher nur ausnahmsweise vorgesehen, nämlich dann, wenn eine unvollständige Erklärung nicht ausreicht oder die an sich schlüssige Erklärung aufgrund der Aktenlage Zweifel erweckt. Der Gefahr von Missbräuchen soll aber nicht durch umfangreiche, in Richtung Antragsprüfung gehende Erhebungen des Gerichts vor Bewilligung, sondern durch die vorgesehenen Haftungsbestimmungen und durch die Möglichkeit der Herabsetzung bzw Einstellung der Unterhaltsvorschüsse begegnet werden. Darüber hinaus besteht nach der Rechtsprechung die Verpflichtung, bereits im Antrag die bekannten Umstände mitzuteilen, die zu einer teilweisen oder gänzlichen Versagung der Vorschüsse führen können (Neumayr in Schwimann, ABGB³ I § 11 UVG Rz 4 und 9 ff mwN). Längere Zeit in Anspruch nehmende Erhebungen vor Bewilligung widersprächen daher dem Zweck des UVG, den Minderjährigen möglichst rasch zu ihrem Unterhalt zu verhelfen (6 Ob 262/00y mwN). Im Falle eines Titelvorschussantrags (§§ 3, 4 Z 1 UVG) sind die Vorschüsse nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG ausnahmsweise aber dann zu versagen, wenn begründete Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß bestehen. Die §§ 19 und 20 UVG ergänzen diese Vorschriften durch die Möglichkeit, bereits bewilligte Vorschüsse aufgrund geänderter Verhältnisse herabzusetzen oder einzustellen. Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll daher der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen und es soll der Staat vor der Gewährung zu hoher Unterhaltsvorschüsse geschützt werden, die offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen (zB bei überhöhten Unterhaltstiteln, die auf einem Konsensergebnis oder auf Versäumungswirkungen beruhen). Bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. Die Bedenken müssen insofern eine spezielle Qualität aufweisen, als eine hohe Wahrscheinlichkeit für die materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung besteht. Eine „non-liquet"-Situation in Bezug auf die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG geht zu Lasten des vorschussgewährenden Bundes (Neumayr aaO § 7 Rz 1 und 4 f mwN; RIS-Justiz RS0108443). Begründete Bedenken müssen offenkundig oder aus der Aktenlage bescheinigt sein. Weitwendige Erhebungen zur Klärung begründeter Bedenken sind nicht zu führen. Bloß „objektiv gerechtfertigte Zweifel" reichen für die gänzliche oder teilweise Versagung nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG nicht aus. Materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Unterhaltstitel sind nach Möglichkeit im Unterhaltsbemessungsverfahren zu erledigen (Neumayr aaO § 7 Rz 7 mwN).

Im vorliegenden Fall ist unbestritten davon auszugehen, dass die Mutter anlässlich der Scheidung ihrer Ehe von ihrem Ehegatten eine Zahlung in jedenfalls beträchtlicher Höhe (514.000 CAD oder 600.000 USD) erhalten hat. Strittig ist, ob es sich dabei um eine Vorauszahlung für die nach dem Scheidungsvergleich ab fällig gewordenen Unterhaltsansprüche der Mutter und der Kinder, wie dies vom Vater behauptet wird, oder um eine Zahlung aufgrund einer Auflösung eines Kontos der Mutter in Kanada, wie dies von der Mutter und den antragstellenden Minderjährigen geltend gemacht wird, gehandelt hat. Aufgrund der derzeit vorliegenden Verfahrensergebnisse kann jedenfalls nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass es sich bei dieser Zahlung um eine Vorauszahlung für Unterhaltsansprüche gehandelt hat und es durch die Bewilligung der Unterhaltsvorschüsse zu einer unzulässigen Doppelalimentierung der beiden Minderjährigen kommen würde. Die Ansicht des Rechtsmittelwerbers, durch die anlässlich der Scheidung erfolgte Zahlung müssten die Unterhaltsansprüche der Mutter und der beiden antragstellenden Minderjährigen bis einschließlich abgedeckt sein, ist daher keineswegs zwingend. Die Richtigkeit dieser Ansicht wäre nur durch aufwendige Erhebungen verifizierbar, weshalb in dieser Hinsicht keine den Anforderungen für eine Versagung der Unterhaltsvorschüsse nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG entsprechenden begründeten Bedenken vorliegen. Auch der vom Rechtsmittelwerber weiters geltend gemachte Umstand, dass der geschuldete Unterhalt hoch sei und aus dem Unterhaltsvergleich die Höhe des damaligen Einkommens des Vaters nicht hervorgehe, reicht, wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, zur Annahme begründeter Bedenken iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG nicht aus (9 Ob 157/02g). Ein Grund, die beantragten Unterhaltsvorschüsse gemäß § 7 Abs 1 UVG zu versagen, liegt daher nicht vor.

Abschließend sei aber noch darauf hingewiesen, dass nach herrschender Rechtsprechung für den Fall, dass das Gericht - aufgrund schon vorhandener Anhaltspunkte - unterhalb des Niveaus „begründeter Bedenken" Zweifel am Vorhandensein der Bewilligungsvoraussetzungen hegt oder Erhebungen - wie im vorliegenden Fall - nicht ohne größere Verzögerung durchgeführt werden können, die Vorschüsse zu bewilligen und auf Antrag oder von Amts wegen Ermittlungen in Richtung Herabsetzung bzw Einstellung nach den §§ 19 und 20 UVG einzuleiten sind. Für dieses Verfahren gilt der Stoffsammlungsgrundsatz (Untersuchungsgrundsatz) nach § 16 AußStrG unbeschränkt (Neumayr aaO § 7 UVG Rz 34 mwN). Es besteht daher kein Widerspruch darin, dass das Gericht trotz schlüssig begründbarer Zweifel am Vorhandensein der Bewilligungsvoraussetzungen die beantragten Vorschüsse bewilligt, gleichzeitig aber von Amts wegen oder auf Antrag im Bewilligungsverfahren nicht durchführbare Erhebungen mit dem Ziel einer Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse einleitet (vgl 2 Ob 555/94 mwN ua).

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.