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VfGH vom 10.03.2011, B1565/10

VfGH vom 10.03.2011, B1565/10

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung eines gut integrierten armenischen Staatsangehörigen wegen verfassungswidriger Interessenabwägung; unsicherer Aufenthalt auf Grund des neunjährigen Asylverfahrens dem bei Einreise mit seinen Eltern minderjährigen Beschwerdeführer nicht in dem Maß zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 1.840,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom wurden die beiden Beschwerdeführer, ein Ehepaar mit armenischer Staatsangehörigkeit, das gemeinsam mit dem minderjährigen Sohn am illegal nach Österreich einreiste und jeweils einen Asylantrag stellte, gemäß § 53 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I 100, (im Folgenden: FPG) idF BGBl. 122/2009 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom keine Folge gegeben.

In der großteils gleichlautenden Begründung der Berufungsbescheide führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich die Beschwerdeführer seit Abschluss ihres Asylverfahrens am rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten würden. Die Beschwerdeführer würden sich zwar seit dem Jahr 2000 mit ihrem Sohn in Österreich befinden und hätten sich gesellschaftlich zweifelsohne integriert, jedoch sei ihr Asylbegehren bereits am erstinstanzlich negativ entschieden worden; dies habe bereits ein eindeutiges "Indiz" dargestellt, dass der weitere Aufenthalt in Österreich begrenzt sein könnte. Das den Beschwerdeführern vorwerfbare (Fehl-)Verhalten (ca. 9-monatiger illegaler Aufenthalt) überwiege im Verhältnis zu der von ihnen geltend gemachten Integration (Aufenthalt in Österreich seit 2000 im Familienverband, Erwerbstätigkeit, gesellschaftliche und soziale Integration).

2. In der auf Art 144a [richtig: 144] B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung Fremder untereinander sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn er auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:

Die in beiden Bescheiden vorgenommene Abwägung ist formelhaft und unterlässt jegliche Auseinandersetzung mit dem Berufungsvorbringen, weshalb die angefochtenen Bescheide schon deshalb aufzuheben waren.

3. Die Beschwerdeführer sind somit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander verletzt worden. Die angefochtenen Bescheide sind daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; im Gesamtbetrag der zu ersetzenden Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 460,- sowie ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 300,-

enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam mit ihrem Sohn (s. B1565-1567/10-12) eine Beschwerde erhoben haben, sind ihnen zwei Drittel der Kosten zuzusprechen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.