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VfGH vom 10.03.2011, B1565/10 ua

VfGH vom 10.03.2011, B1565/10 ua

19357

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung eines gut integrierten armenischen Staatsangehörigen wegen verfassungswidriger Interessenabwägung; unsicherer Aufenthalt auf Grund des neunjährigen Asylverfahrens dem bei Einreise mit seinen Eltern minderjährigen Beschwerdeführer nicht in dem Maß zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 920,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsangehöriger, geboren am , reiste gemeinsam mit seinen Eltern (Vater: geboren am ; Mutter: geboren am ) am illegal nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß §§7 und 8 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Berufung (nunmehr: Beschwerde) gab der Asylgerichtshof mit Entscheidung vom keine Folge.

2. Mit Schreiben der Bundespolizeidirektion Linz vom wurde dem Beschwerdeführer und seinen Eltern mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, sie aus dem österreichischen Bundesgebiet auszuweisen. In der seitens des Beschwerdeführers und seinen Eltern dazu vorgebrachten Stellungnahme wies der Beschwerdeführer auf seinen mehr als 9-jährigen Aufenthalt, seine schulische Laufbahn in Österreich sowie seine Erfolge als Leistungssportler im Olympischen Boxen hin.

Der Beschwerdeführer lebt mit seinen Eltern in gemeinsamem Haushalt.

3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I 100, (im Folgenden: FPG) idF BGBl. 122/2009 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom keine Folge gegeben.

Darin führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich der Beschwerdeführer seit Abschluss seines Asylverfahrens am rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar seit dem Jahr 2000 mit seinen Eltern in Österreich und habe sich gesellschaftlich und sozial zweifelsohne integriert, jedoch sei sein Asylbegehren bereits am erstinstanzlich negativ entschieden worden; dies habe bereits ein eindeutiges "Indiz" dargestellt, dass der weitere Aufenthalt in Österreich begrenzt sein könnte. Das dem Beschwerdeführer vorwerfbare (Fehl )Verhalten (ca. 9-monatiger illegaler Aufenthalt) überwiege im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration.

4. In der auf Art 144a [richtig: 144] B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung Fremder untereinander sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Begründend wird wörtlich - unter anderem - wie folgt ausgeführt:

"Unsere Integration und unser in Österreich aufgebautes Privat- und Familienleben wurde von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich nicht korrekt bewertet. Das wesentlichste Kriterium mit dem die Sicherheitsdirektion Oberösterreich die Ausweisungsentscheidungen begründet, ist jenes des unsicheren Aufenthaltsstatus und unseres angeblichen Bewusstseinmüssens darüber. Natürlich ist es durchaus zutreffend, dass unser Aufenthaltsstatus während des Asylverfahrens nur ein 'vorläufiger' war. Es ist jedoch nicht zutreffend, dass wir schon bei unserer ersten negativen Entscheidung am , wogegen wir rechtzeitig Berufung erhoben, davon ausgehen mussten, dass unser Asylverfahren in Österreich letztendlich negativ sein wird. Es ist wohl nicht abzustreiten, dass es für einen Rechtsstaat völlig untragbar ist, dass ein Asylverfahren neun Jahre lang dauert ohne unser Verschulden und uns im Ausweisungsverfahren letztendlich vorgeworfen wird, dass wir ja schon immer damit rechnen hätten müssen, dass unser Aufenthalt nur vorläufig sein wird, egal wie lange dieser nun dauert. Es gibt gesetzliche Entscheidungsfristen in § 73 AVG im Verwaltungsverfahren und ist wohl noch zu billigen, dass diese in der Praxis oft überschritten wird, da einfach die nötigen Kapazitäten in den Verwaltungsbehörden und Gerichten nicht vorhanden sind. Wenn ein einfaches Asylverfahren jedoch 10 Jahre dauert, hat dies mit den in § 73 angedachten Erledigungsfristen nichts mehr zu tun. Es braucht wohl an dieser Stelle keine weitere Argumentation in die Richtung, dass neun Jahre dauernde Entscheidungen in einem Rechtsstaat ohne dass es im Grunde ein kompliziertes Verfahren gewesen wäre oder mehrere Anhörungen erfordert hätte, in keiner Weise für einen objektiven Betrachter zu verstehen und nachzuvollziehen sind. Wenn Menschen neun Jahre auf eine Berufungsentscheidung im Asylverfahren warten müssen, ist es schwer damit argumentierbar, dass sie immer damit rechnen müssten, dass ihr Aufenthalt ohnehin nur vorläufig sein würde und die Berufung nicht zum Erfolg führen könnte. Statistisch gesehen sind die Entscheidungen der Beschwerdeinstanz in Asylverfahren im Gegensatz zu den Entscheidungen des Bundesasylamtes durchaus anders in eine positive Richtung und besteht kein Anlass für den Glauben, gerade dann wenn man sehr lange Zeit wartet, dass nicht doch eine andere Entscheidung möglich wäre. Gerade wenn sich ein Verfahren jahrelang dahinzieht, gehen durchschnittliche Asylwerber davon aus, dass ihre Chancen nicht von vornherein schlecht sind, sondern der Fluchtgrund genaustens überprüft wird. Eine andere Annahme würde wohl der Lebenserfahrung eines Durchschnittsmenschen nicht entsprechen. Ein Zeitraum von 10 Jahren ist ein sehr relevanter Zeitabschnitt im Leben eines Menschen, insbesondere eines 18-jährigen jungen Mannes, welcher mehr als die Hälfte seines Lebens und seine gesamte Schullaufbahn und sportliche Karriere in Österreich absolviert hat. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus legitim und berechtigt, Integrationsmaßnahmen in jede Richtung zu setz[t]en, die dann bei richtiger Auslegung auch zu würdigen und zu berücksichtigen sind. Dies wurde von der Sicherheitsdirektion Oberösterreich jedoch in keiner Weise vorgenommen und erweckt die Berufungsentscheidung vielmehr den Eindruck, dass man sich überhaupt nicht in inhaltlicher Hinsicht mit unserer Integration auseinander setzt, sondern von vornherein nur das Kriterium des unsicheren Aufenthaltes in Anschlag bringt, wodurch nach Ansicht der Berufungsbehörde ohnehin jegliche Integration zunichte gemacht werden würde. Mit den ausgezeichneten sportlichen Leistungen des jungen Boxers S setzt sich die Berufungsbehörde in keiner Weise auseinander und ist dies nicht nachvollziehbar. Gerade einem Kind, das im Alter von 8 Jahren nach Österreich gekommen ist, kann man schon gar nicht zumuten, dass es sich irgendwelche Gedanken über seinen Aufenthalt machen hätte müssen und hätte gerade die ausgezeichnete Integration des Drittbeschwerdeführers zu einer positiven Berufungsentscheidung führen müssen. Es findet jedoch keine Auseinandersetzung damit statt, dass der Drittbeschwerdeführer seine Schulzeit in Österreich absolviert hat, dass er nun die Handelsschule für Leistungssport besucht und in Österreich ein anerkannter Eliteboxer im Olympischen Boxen ist. Insbesondere ist es nicht so, dass die Ausweisung in unser Familienleben nicht eingreifen würde, da die Ausweisung sämtliche Familienangehörige treffen würde. Unser gesamtes Familienleben und insbesondere das sportliche Leben unseres Sohnes spielt sich seit 10 Jahren ausschließlich in Österreich ab. Wir haben einen großen Freundes-und Bekanntenkreis und viele Kontakte in sportlicher Hinsicht.

Die Ausweisung würde uns, aber insbesondere den 18-jährigen Sohn S, aus dem sozialen Umfeld herausreißen und unmittelbar in unser Recht auf Privat- und Familienleben eingreifen.

Das Fremdenrechtspaket 2009 hat gesetzliche Bestimmungen eingeführt, um langjährig aufhältigen, gut integrier[ten] Familien einen Aufenthalt unter humanitären Aspekten zu ermöglichen und wird dabei auf die Bestimmung des § 44 Abs 4 NAG 2005 hingewiesen. Die derzeitige Entscheidungspraxis der Sicherheitsdirektion Oberösterreich ist jedoch nicht mit der Absicht des Gesetzgebers zu vereinbaren, gut integrierte Familien so zu behandeln, dass man ihnen auch weiter einen Aufenthalt zubilligt. Wir wurden ausgewiesen und verlangt man von uns nun die sofortige Ausreise unter sonstiger Drohung der Abschiebung bzw. Inschubhaftnahme. Die Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Verlassen [des] Landes und dem Interesse des Privat- und Familienlebens wurde in verfassungswidriger Weise vollzogen. Es wird von der Behörde zwar zugestanden, dass durch die Ausweisung erheblich in unser Privat- und Familienleben eingegriffen wird, jedoch wird nicht berücksichtigt, dass anders als in Fällen, wo die Integration etwa auf Folgeanträgen etc. beruht, im gegenständlichen Fall die Integration der Beschwerdeführer während eines einzigen Asylverfahrens welches 10 Jahre dauerte erfolgte. Dieses ist auf keinen Fall auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen und wurde dies von der belangten Behörde SID Oberösterreich auch nicht behauptet. Es liegt immer noch in der Verantwortung eines Staates, die Voraussetzungen selbst so zu schaffen, dass Verfahren effizient geführt werden können - außer es würden besonders schwierige Rechtsfragen etc. vorliegen - dass nicht Verfahrensdauern von 10 Jahren oder ähnliches entstehen. Dies ist für die betroffenen Menschen in keiner Weise mehr zumutbar und aus humanitären Gesichtspunkten völlig untragbar. Die lange Verfahrensdauer hätte vielmehr zu Gunsten der Beschwerdeführer ausgelegt werden müssen und die darin erfolgte Integration um so mehr gewichtet werden müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Es ist nicht offensichtlich, dass es sich beim gegenständlichen Verfahren um ein besonders schwieriges oder komplexes Verfahren gehandelt hätte, gab es etwa auch nicht mehrere Beschwerdeverhandlungen, sondern nur eine einzige Verhandlung am wonach unmittelbar vom Asylgerichtshof die letzte negative Entscheidung erging. Im Zeitraum zwischen und geschah jedoch kein einziger Verfahrensschritt. Es wurde wie schon erwähnt zu wenig gewichtet, dass S, der Drittbeschwerdeführer[,] 10 Jahre seines 18-jährigen jungen Lebens in Österreich verbracht hat und mitten in der Schulausbildung in der Handelsschule für Leistungssportler steckt. Zudem ist er ein großes Nachwuchstalent beim Österreichischen Boxsport und steckt er unmittelbar im aktiven Wettkampfleben, was auch die Teilnahme an den Österreichischen Boxmeisterschaften am nächsten Wochenende in Innsbruck beweist. Letztendlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Sicherheitsdirektion auf dem Faktum beharrt, dass der nunmehrige illegale Aufenthalt seit der Asylgerichtshofentscheidung im Jänner dieses Jahres von neun Monaten das öffentliche Interesse der Republik Österreich erheblich beeinträchtigen würde und die Ausweisung dringend nach sich ziehen würde. Die Beschwerdeführer mussten neun Jahre auf ihre Entscheidung im Asylverfahren warten und war wie Anfangs schon hingewiesen mit der Asylentscheidung keine Ausweisung aus dem Bundesgebiet verbunden, da noch nach der alten Rechtslage zu entscheiden war. In der Folge wurde mit Aufforderung zur Stellungnahme im Februar von der Bundespolizeidirektion Linz ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, der entsprechende Bescheid erging dann im Juli. Dazwischen liegt immerhin noch fast ein halbes Jahr und ist es nicht nachvollziehbar, dass den Beschwerdeführern vorgeworfen wird, sich in der Zeit ihres Verfahrens hinsichtlich der Ausweisung illegal im Bundesgebiet aufgehalten zu haben, da es ihnen zusteht, ein entsprechendes Berufungsverfahren abzuwarten. Wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der sofortigen Ausreise der Beschwerdeführer tatsächlich so groß gewesen ist, ist es auch nicht nachvollzie[h]bar, dass zwischen der Aufforderung zur [...] Stellungnahme und der Ausweisung in erster Instanz durch die Bundespolizeidirektion fast ein halbes Jahr vergeht. Auch dies kann den Beschwerdeführern nicht angelastet werden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung werden die Bescheide der SID Oberösterreich wegen Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf unser Privat- und Familienleben gemäß Artikel 8 EMRK in Österreich aufzuheben sein."

5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Rechtslage

1. §§53 Abs 1 und 66 FPG idF BGBl. 122/2009 lauten wie folgt:

"Ausweisung

Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel

§53. (1) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Gemeinsame Verfahrensbestimmungen

Schutz des Privat- und Familienlebens

§66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

(3) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§45 und 48 oder §§51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 18.223/2007 dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht.

2.2. Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene Abwägung iSd Art 8 EMRK als fehlerhaft.

Wie die belangte Behörde zunächst zutreffend festgestellt hat, hält sich der Beschwerdeführer rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung - unter Beachtung des § 66 Abs 1 FPG - auf § 53 Abs 1 FPG gestützt wurde.

Im Ergebnis ist die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass das dem Beschwerdeführer vorwerfbare (Fehl )Verhalten (ca. 9-monatiger illegaler Aufenthalt) im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration (Aufenthalt in Österreich seit 2000 im Familienverband; gesellschaftliche und soziale Integration) überwiege und "weder aus der Akte noch aus [der] Berufungsschrift besondere Umstände ersehen werden können, die eine Ermessensübung zu [seinen] Gunsten begründen würde[n]".

2.3. Die belangte Behörde hat zwar dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers - wenn auch formelhaft -gegenübergestellt, sie hat jedoch dabei die zu berücksichtigenden Umstände teils verkannt, teils unzureichend gewichtet.

2.4. Die belangte Behörde geht zwar zutreffend davon aus, dass sich der Beschwerdeführer - durch verschiedene Schreiben, Bestätigungen und Stellungnahmen belegt - gesellschaftlich integriert hat, erachtet jedoch das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgebend dadurch gemindert, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers "während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrages, welcher sich letztendlich als unberechtigt erwiesen hat, temporär berechtigt war". Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er ein "Privat- und Familienleben während dieses Zeitraumes geschaffen ha[t], indem [er] einen 'unsicheren' Aufenthaltsstatus [hatte]".

Die belangte Behörde berücksichtigt allerdings nicht, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB ) - im gegenständlichen Fall die Integration des Beschwerdeführers während seines einzigen Asylverfahren, welches neun Jahre dauerte (davon dauerte das Berufungsverfahren allein 8 Jahre lang), erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch ist es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich (vgl. ).

Wenn nun die belangte Behörde das Gewicht der Integration auf Grund des festgestellten stets unsicheren Aufenthaltes des Beschwerdeführers während der Dauer seines Asylverfahrens derart gemindert erachtet, dass sie eine Verletzung des Art 8 EMRK durch die Ausweisung ausschließt, übersieht sie, dass es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzung zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem nunmehrigen Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen.

2.5. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass die Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte und der Beschwerdeführer nie über eine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügte; jedoch ist ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten (vgl. ). Im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden (vgl. etwa EGMR , Fall Sarumi, Appl. 43.279/98: Der EGMR nahm für Kinder im Alter von 7 und 11 Jahren eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit an, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erschienen ließ), trifft diese Anpassungsfähigkeit nicht auf den Beschwerdeführer zu, welcher wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte.

Gänzlich außer Acht lässt die belangte Behörde in ihrer Abwägungsentscheidung, dass der Beschwerdeführer, welcher zwischenzeitlich seine Volljährigkeit erreicht hat, im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern nach Österreich eingereist ist und sohin den Großteil seines Lebens in Österreich verbracht und beinahe auch seine gesamte Schullaufbahn in Österreich absolviert hat. Zudem hätte die belangte Behörde als Zeichen der Integration auch den Umstand, dass der Beschwerdeführer herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportclub (ASKÖ BC Wels) als aktiver Sportler im Boxen erbringt, in die Abwägung einbeziehen müssen.

3. Es ist daher verfassungsrechtlich nicht vertretbar, wenn die belangte Behörde in ihrer Entscheidung zum Schluss kommt, dass bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers, das öffentliche Interesse an der Einhaltung der fremdenpolizeilichen Vorschriften gegenüber den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers überwiegt.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die belangte Behörde hat damit die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet nicht hinreichend berücksichtigt, wodurch dieser in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt wurde.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; im Gesamtbetrag der zu ersetzenden Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 460,- sowie ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 300,-

enthalten. Da der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinen Eltern (s. B1565-1567/10-13) eine Beschwerde erhoben hat, ist ihm ein Drittel der Kosten zuzusprechen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.