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OGH vom 20.12.2013, 15Os168/13i

OGH vom 20.12.2013, 15Os168/13i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas S***** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall und Abs 3 StGB, AZ 14 Hv 108/13f des Landesgerichts Klagenfurt, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom , AZ 10 Bs 343/13m (ON 76 der Hv Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Andreas S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Gegen Andreas S***** wurde von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt ein Ermittlungsverfahren geführt. Mit mittlerweile am beim Landesgericht Klagenfurt eingebrachter Anklageschrift (ON 74) legt ihm die Staatsanwaltschaft ein als Verbrechen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall und Abs 3 StGB beurteiltes Verhalten zur Last.

Der Beschwerde des Genannten gegen die mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom (ON 64) fortgesetzte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom , AZ 10 Bs 343/13m (ON 76), nicht Folge und setzte die Haft aus demselben Haftgrund fort.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete, die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr bekämpfende Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten ist im Recht.

Nach den Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts ist Andreas S***** dringend verdächtig, er habe im September 2009 in Villach und an anderen Orten des Bundesgebiets mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder Dritte unrechtmäßig zu bereichern, Verantwortliche der S***** AG durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Vorlage eines „notariell beglaubigten Vermögensverzeichnisses“, in dem Bestandteile seines Vermögens, nämlich drei Langwaffen im Gesamtwert von zwischen 19.500 Euro und 77.300 Euro, drei Original Gemälde von Egon Schiele, nämlich „Stehender Akt mit langen Haaren“ im Wert von 383.653,99 Euro (506.500 US Dollar), „Kauernder männlicher Akt“ im Wert von 283.669,14 Euro (374.500 US Dollar) sowie „Ein Hauptmann der K. u. K. Armee“ im Wert von zumindest 40.000 Euro und ein Gemälde von Albert Oehlen im Wert von mindestens 55.000 Euro, somit Vermögenswerte, deren Gesamtwert den Betrag von 20.000 Euro übersteigt, nicht enthalten waren, sohin einer Lugurkunde, damit eines falschen Beweismittels, zur Gewährung eines Forderungsnachlasses von etwa 2.500.000 Euro verleitet, die die S***** AG in diesem, jedenfalls aber in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte.

In rechtlicher Hinsicht bewertete das Oberlandesgericht die Andreas S***** zur Last liegende Tat als Verbrechen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall und Abs 3 StGB (BS 2 und 6), weil der Angeklagte im Rahmen einer Globalbereinigung aushaftender Forderungen seiner Hauptgläubigerin S***** AG in Höhe von insgesamt 6.280.250 Euro durch Abgabe eines „notariell beglaubigten Vermögensverzeichnisses“ am , in dem entgegen einer Vereinbarung vom Vermögenswerte im Gesamtwert von mehr als 20.000 Euro verschwiegen wurden, zur Gewährung eines Forderungsnachlasses von etwa 2.500.000 Euro verleitet hat.

Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar („willkürlich“) angesehen werden müsste (RIS Justiz RS0117806).

Tatbegehungsgefahr im Sinn des § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO setzt die Befürchtung voraus, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ( also künftig ) eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen (vgl Fabrizy , StPO 11 § 173 StPO Rz 12) begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm (hafttragend) angelastete strafbare Handlung, wenn er entweder wegen einer solchen Straftat (mit nicht bloß leichten Folgen) bereits verurteilt worden ist oder wenn ihm aktuell (hafttragend) wiederholte oder fortgesetzte Handlungen angelastet werden (vgl Kirchbacher/Rami in WK StPO § 173 Rz 47 ff).

Das Oberlandesgericht hegte die Befürchtung, der Angeklagte werde zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards weitere nicht näher bezeichnete „Vermögenswerte größeren Ausmaßes unter bewusster Schädigung seiner Gläubiger … liquidieren“ und dadurch (auch in Zukunft) strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen mit nicht bloß leichten Folgen - insbesondere solche nach § 156 StGB - begehen. Dazu führte es ins Treffen, dass der Angeklagte bereits einmal (im Jahr 2011) wegen - im Schadensumfang nicht näher präzisierter - gläubigerschädigender strafbarer Handlungen nach § 158 StGB und nach § 159 StGB verurteilt worden ist, er seit dem Jahr 2009 über kein nennenswertes regelmäßiges Einkommen verfügt, ungeachtet deren Beschäftigungslosigkeit von seiner Ehefrau hohe Unterstützungszahlungen ungeklärter Herkunft bezieht, er mit seiner Familie einen mit den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eheleute nicht in Einklang zu bringenden Lebensstandard pflegt, der Verbleib von noch im Jahr 2006 als sein Eigentum deklarierten Kunstwerken (ON 29) von beachtlichem Wert ungeklärt ist und er aktuell Verbindlichkeiten in nicht näher angeführtem Ausmaß gegenüber zumindest sechs namentlich genannten Gläubigern hat.

Im Ergebnis kritisiert der (mittlerweile) Angeklagte zu Recht unvertretbare Begründung der Gefahr der künftigen Begehung einer weiteren strafbaren Handlung gegen fremdes Vermögen mit nicht bloß leichten Folgen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts lässt nämlich nicht erkennen, ob sich die geäußerte Befürchtung der „Liquidierung“ nicht näher konkretisierter „beachtlicher Vermögenswerte“ durch den Angeklagten, dem im gegenständlichen Verfahren die Begehung einer einzigen (vollendeten) Betrugshandlung angelastet wird, auf erst in der Zukunft zu begehende strafbare Handlungen nach § 156 StGB durch Verringerung von der Kenntnis und dem Zugriff seiner Gläubiger aktuell noch gar nicht effektiv entzogenem Vermögen (vgl RIS-Justiz RS0094803, RS0094607, RS0115184) bezieht, auf die Verwertung von bereits in der Vergangenheit erfolgreich beiseitegeschafften (tatsächlich aber noch vorhandenen) Vermögenswerten, deren Verheimlichung im Sinn des § 156 StGB bereits vor Verhaftung des Angeklagten vollendet war, oder auf die Verwertung von bloß in seinem wirtschaftlichen Eigentum vermuteten (möglicherweise auch nicht mehr vorhandenen) Vermögenswerten, zumal der Angeklagte die in ON 29 angeführten Kunstgegenstände bis zum Jahr 2006 verkauft und deren Verkaufserlöse bereits verbraucht haben will (BS 3 f und 6; ON 29; ON 8 S 35 ff; ON 56 S 14, 18). Im zweiten Fall könnte die Untersuchungshaft nicht mehr die Gefahr künftiger strafbarer Handlungen ( Wiederholungsgefahr ) des Beschwerdeführers hintanhalten, im dritten Fall wäre die Annahme einer Gefahr der Begehung solcher Handlungen rein spekulativ. In den letztgenannten Fällen würde die Untersuchungshaft auf eine reine Beugehaft hinauslaufen, die bloß durch Herausgabe von bereits verheimlichten Gegenständen durch den Angeklagten abgewendet werden könnte, was diesem im Übrigen nur dann möglich wäre, wenn er tatsächlich noch (wirtschaftlich) über diese verfügt.

Da die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Fortsetzung der Untersuchungshaft solcherart mit einem Begründungsmangel behaftet ist, war in Stattgebung der Grundrechtsbeschwerde, jedoch ohne Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, auszusprechen, dass Andreas S***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Gemäß § 7 Abs 2 GRBG sind die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich einen der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Zustand herzustellen. Dem Vorsitzenden des Schöffengerichts ist damit aufgetragen, unverzüglich von Amts wegen neuerlich über die Haft zu entscheiden (RIS-Justiz RS0112914).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.

Bleibt in rechtlicher Hinsicht anzumerken, dass als falsches Beweismittel im Sinn des § 147 Abs 1 Z 1 (nunmehr) vierter Fall StGB eine echte, aber inhaltlich unrichtige Urkunde nur dann beurteilt werden kann, wenn ihr ein eigener, über das zur Täuschungshandlung verwendete mündliche oder schriftliche Sachverhaltsvorbringen des Täters hinausgehender Beweiswert zur Täuschung - wie insbesondere der (schriftlichen) Erklärung eines Dritten - zukommt. Beschränkt sich der unrichtige Inhalt einer Urkunde hingegen auf unwahre Sachverhaltsbehauptungen des Täuschenden selbst, ist dieses Erfordernis in der Regel nicht erfüllt (RIS-Justiz RS0103663 [T5-T9, T 13-T16]; Fabrizy , StGB 11 § 147 Rz 4; Kirchbacher in WK 2 § 147 Rz 36). Inwiefern dem bei Erschleichung eines Forderungsnachlasses der Hauptgläubigerin verwendeten - im Übrigen auch nicht im Zuge eines Exekutions- oder Insolvenzverfahrens vor Gericht oder vor einem Vollstreckungsorgan (vgl § 292a StGB; 12 Os 24/08h) abgelegten - Vermögensverzeichnis, mit dessen Unterzeichnung der (nunmehr angeklagte) Schuldner selbst schriftlich versichert hat, dass seine Angaben „richtig und vollständig“ seien und er von seinem Vermögen „wissentlich nichts verschwiegen“ habe (ON 2 S 23), und dessen notarielle Beglaubigung sich auf die Echtheit der Unterschrift des Angeklagten beschränkt (ON 2 S 41), tatsächlich qualifizierende Bedeutung im Sinne der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall StGB zukommen soll (vgl auch 12 Os 149/08s), ist (derzeit) nicht ersichtlich und wird im weiteren Verfahren zu klären sein.