OGH vom 28.01.2016, 12Os163/15k

OGH vom 28.01.2016, 12Os163/15k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herbert B***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 SMG, AZ 29 U 11/15b des Bezirksgerichts Fünfhaus, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , AZ 132 Bl 98/15p (ON 46), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.

Text

Gründe:

Beim Bezirksgericht Fünfhaus ist zu AZ 29 U 11/15b gegen Herbert B***** ein Strafverfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 SMG anhängig (vgl Strafantrag ON 3 in ON 11; Tatzeit: ), welches mit Beschluss vom gemäß den §§ 37, 35 Abs 1 und Abs 2 erster Fall SMG für eine Probezeit von zwei Jahren mit Auflagen vorläufig eingestellt wurde (ON 1 S 9).

Aufgrund einer weiteren Anzeige gegen Herbert B***** beantragte die Staatsanwaltschaft Wien am beim Bezirksgericht Fünfhaus deren Einbeziehung zur gemeinsamen Führung gemäß § 37 StPO und brachte zu AZ 137 BAZ 1541/11g einen Strafantrag wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG ein (ON 1 S 13 II./ und III./, ON 43). Danach steht Herbert B***** in Verdacht, am in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich ein Stück Substitol (beinhaltend Morphinsulfat Pentanhydrat) für den persönlichen Gebrauch erworben und besessen zu haben, indem er die Substitol Tablette von dem abgesondert verfolgten Anton Bö***** um 20 Euro kaufte und anschließend sofort einnahm.

Mit Beschluss vom (ON 4 in ON 45) wies das Bezirksgericht Fünfhaus den Antrag auf Einbeziehung des Nachtragsberichts des Landeskriminalamtes Wien betreffend den Tatvorwurf nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG gemäß § 37 StPO zur gemeinsamen Führung ab (1./), erklärte sich zur Führung des Verfahrens betreffend den Nachtragsbericht anstatt bloß die Überweisung zu verfügen (vgl hiezu Fabrizy , StPO 12 § 450 Rz 3; Bauer , WK StPO § 450 Rz 9; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/2; § 38 Rz 8; Ratz , WK StPO § 468 Rz 7) für örtlich unzuständig (zur rechtsfehlerhaften Bezeichnung einer prozessleitenden Verfügung als Beschluss vgl Ratz , WK StPO Vor §§ 280 296a Rz 5; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 35 Rz 4; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/1), überwies das diesen Tatvorwurf betreffende Verfahren gemäß § 38 StPO an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien (2./) und setzte das Verfahren wegen § 30 Abs 1 SMG gemäß § 38 Abs 1 Z 1 SMG fort (3./). Um den Ausgang des abgetretenen Verfahrens abzuwarten, setzte das Bezirksgericht Fünfhaus einen Fristenvormerk (ON 1 S 16).

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, dem die Strafsache überwiesen wurde, trat, nachdem es am feststellte, dass das Verfahren AZ 29 U 11/15b beim Bezirksgericht Fünfhaus am „31. 3.“ gemäß § 38 Abs 1 (erg:) SMG fortgesetzt worden war, das Verfahren an dieses Bezirksgericht zur Einbeziehung in das dortige offene Verfahren ab (ON 1 S 2 in ON 45).

Der Richter des Bezirksgerichts Fünfhaus legte den Akt dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt gemäß § 38 StPO vor und wies „auf den rechtskräftigen Beschluss ON 44“ hin (ON 1 S 17).

Das Landesgericht für Strafsachen Wien erachtete mit Beschluss vom , AZ 132 Bl 98/15p (ON 46), das Bezirksgericht Fünfhaus zuständig für die Durchführung des Verfahrens betreffend den Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom , AZ 137 BAZ 1541/11g. Dies mit der Begründung, dass bei diesem Gericht bei Einbringung des Strafantrags nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG ein Verfahren gemäß § 30 Abs 1 SMG (bloß) vorläufig eingestellt gewesen sei und die Verfahren daher zwingend nach den Bestimmungen der §§ 37 Abs 1 und Abs 2 StPO zu verbinden seien. Da beim Bezirksgericht Fünfhaus das Verfahren wegen einer früheren Straftat anhängig gewesen sei, sei dieses zur Führung des Verfahrens zuständig.

Die Generalprokuratur führt in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aus:

Im Verfahren AZ 29 U 11/15b des Bezirksgerichts Fünfhaus verletzt der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , AZ 132 Bl 98/15p, das Gesetz:

Gemäß dem auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts und des Bezirksgerichts ( Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7, 7/2; Konrad Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher , StPO 1 § 37 Rz 7) geltenden § 37 StPO ist nach dessen ersten Absatz unter anderem im Falle gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Diese Bestimmung regelt nur den Fall, dass gleichzeitig (dh einmalig) Anklage erhoben wird; bei Vorliegen mehrerer Anklagen bzw Strafanträgen kommt Abs 3 des § 37 StPO zur Anwendung, wonach Verfahren zu verbinden sind, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird (oder ein Strafantrag eingebracht wird), ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist ( Fabrizy , StPO 12 § 37 Rz 1, 4; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 3, 7).

Gemäß der seit in Kraft stehenden (BGBl I 2014/71) Bestimmung des § 37 Abs 2 letzter Satz StPO ist im Fall eines vorläufigen Rücktritts von der Verfolgung § 37 Abs 1 StPO nicht anzuwenden ( Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/3). Diese Bestimmung soll verhindern, dass über eine neue Anklage bzw einen neuen Strafantrag vor genau jenem Gericht zu verhandeln ist, das auch über die (vorläufige) diversionelle Erledigung entschieden hat, ohne dass jedoch eine Fortsetzung des (vorläufig) diversionell erledigten Verfahrens in Betracht kommt (EBRV 181 BlgNR 25. GP, 4). Wenn eine (neue) Anklage rechtskräftig wird oder ein (neuer) Strafantrag bei Gericht eingebracht wird, scheidet eine Verbindung gemäß § 37 Abs 3 StPO mit einem im Zustand der vorläufigen Einstellung befindlichen Verfahren somit aus; auch eine spätere Verbindung bei aus welchem Grund auch immer erfolgter (vgl § 205 Abs 2 Z 1 bis 3 StPO und § 38 Abs 1 Z 1 bis 3 SMG) Fortsetzung des Verfahrens sieht das Gesetz nicht vor.

Das Gericht, dessen Verfahren im Rahmen einer diversionellen Erledigung vorläufig eingestellt war und gemäß § 38 Abs 1 Z 1 SMG oder § 205 Abs 2 Z 3 StPO fortgesetzt wurde, hat in weiterer Folge den (rechtskräftigen) Ausgang des Verfahrens wegen der neuen oder neu hervorgekommenen Straftat, hinsichtlich derer Strafantrag oder Anklage eingebracht wurde, abzuwarten; eine gemeinsame Entscheidung über die den Anklagen bzw Strafanträgen zugrunde liegenden Sachverhalte scheidet damit aus, sodass auch verfahrensökonomische Gründe nicht für eine Verbindung der Verfahren sprechen.

Fallgegenständlich war bei Einbringung des Strafantrags vom , AZ 137 BAZ 1541/11g der Staatsanwaltschaft Wien, das Verfahren AZ 29 U 11/15b des Bezirksgerichts Fünfhaus vorläufig eingestellt, sodass gemäß § 37 Abs 2 letzter Satz StPO die Verfahren auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht gemäß § 37 Abs 3 StPO zu verbinden sind. Entgegen der Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , AZ 132 Bl 98/15p, ist daher nicht das Bezirksgericht Fünfhaus, sondern das örtlich zuständige Bezirksgericht Innere Stadt Wien zur Verhandlung und Entscheidung über den Strafantrag vom zuständig.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Die Neufassung des § 37 Abs 2 StPO schränkt nach den Gesetzesintentionen nur die Zusammenführung jener Verfahren ein, in denen die Fortsetzung eines aufgrund einer Diversion vorläufig eingestellten Verfahrens wegen neuerlicher Delinquenz nicht möglich ist (also die Erledigungen nach § 201 StPO; vgl § 205 Abs 2 Z 3 StPO), weil in diesen Fällen der in § 37 StPO verankerte Grundsatz einer gemeinsamen Verfahrensführung bei mehreren Tatvorwürfen, über die zu urteilen ist, nicht schlagend wird (vgl EBRV StPRÄG 2014, 181 BlgNR 25. GP 3 f; Schroll , WK StPO § 204 Rz 12). Nur in diesen Strafverfahren, in denen eine Verfahrensfortsetzung wegen neuerlicher Delinquenz nicht möglich ist, sollte daher der Grundsatz einer Verbindung der Verfahren kraft Zusammenhangs durchbrochen werden (Vorblatt zum Entwurf eines StPRÄG 2014, 181 BlgNR 25. GP 7).

Desgleichen bestehen keine Hindernisse für eine gemeinsame Verfahrensführung nach § 37 Abs 2 StPO, wenn eine neue Anklage eingebracht wird und zeitgleich das vorläufig eingestellte Verfahren nach § 201 StPO wegen fehlender oder zu geringer Leistungen nach § 205 Abs 1 Z 1 StPO fortgesetzt wird.

In diesen Fällen vermag die Einschränkung des § 37 Abs 2 letzter Satz StPO schon vom Wortlaut her eine Zusammenführung der beiden Anklagevorwürfe nicht zu hindern, stellt doch diese Norm bloß auf den Zustand der (vorläufigen) Verfahrenseinstellung ab, in dem eben keine Zuständigkeit des Konnexes begründet werden kann. Sobald diese Sperrwirkung wegfällt, also die vorläufige Verfahrensbeendigung mittels Fortsetzungsbeschluss wiederum aufgehoben wurde, bestehen keine Hindernisse mehr für eine gemeinsame Verfahrensführung.

Eine generelle Durchbrechung des Grundsatzes der gemeinsamen Verfahrensführung bei Diversions-erledigungen kann in § 37 Abs 2 letzter Satz StPO im Übrigen schon deswegen nicht angesprochen sein, weil in den Fällen einer in Aussicht genommenen diversionellen Erledigung ohne vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 200 StPO und § 204 StPO (bei fehlender Beiziehung eines Konfliktreglers; vgl Schroll , WK StPO § 204 Rz 14 und Rz 18) die Einbringung einer neuen Anklage (welche idR wegen nunmehr vorliegender spezialpräventiver Hinderungsgründe die formlose Fortsetzung des Verfahrens nach sich zieht; vgl Schroll , WK StPO § 205 Rz 13/3 und Rz 19) jedenfalls die Einbeziehung des neu inkriminierten Sachverhalts in das formlos fortgesetzte Verfahren bedingt, weil dieses weitergeführte Verfahren in der Regel eine früher begangene Tat betrifft.

Wird somit wie im vorliegenden Verfahren ein mittels Diversion vorläufig eingestelltes Verfahren fortgesetzt, greifen die allgemeinen Regeln der gemeinsamen Verfahrensführung nach § 37 Abs 2 StPO. Im gegenständlichen Fall hat daher das Landesgericht für Strafsachen Wien den Kompetenzkonflikt zumindest inhaltlich zutreffend dahin entschieden, dass die Führung des Verfahrens betreffend den später erhobenen Tatvorwurf (bei gebotener gemeinsamer Erledigung der nunmehr zwei abzuhandelnden Vorwürfe) dem Bezirksgericht Fünfhaus zukommt.

Bleibt noch anzumerken, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien in der Begründung zu Unrecht weil die Neuregelung des § 37 Abs 2 letzter Satz StPO ignorierend eine gemeinsame Verfahrensführung schon dann für anwendbar erklärte, als das diversionell nach § 35 Abs 1 und Abs 2 (richtig: nur Abs 2) SMG iVm § 37 SMG vorläufig eingestellte Verfahren noch nicht fortgesetzt worden war. Da aber die Generalprokuratur nicht diese unrichtige Begründung, sondern das Ergebnis des Kompetenzkonflikt-verfahrens als rechtlich verfehlt bekämpft, war die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes insgesamt zu verwerfen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00163.15K.0128.000