OGH 17.05.2018, 9Ob44/17m
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Land *****, 2. Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft „L*****“, eingetragene Gen.m.b.H., *****, 3. E*****gesellschaft mbH, *****, 4. W***** Gesellschaft m.b.H., *****, 5. WS***** reg.Gen.m.b.H., *****, 6. N***** Gemeinnützige Wohnungs- und SiedlungsgesmbH, *****, 7. B***** eingetragene Gen.m.b.H., *****, 8. Gemeinnützige Wo*****genossenschaft *****, 9. V*****, Gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, *****, 10. *****S***** reg.Gen.m.b.H, *****, 11. I***** reg. Gen.m.b.H., *****, 12. ***** S***** GmbH, *****, 13. *****aktiengesellschaft, *****, 14. G*****gesellschaft mbH *****, und 15. GE***** Wohnungsgesellschaft m.b.H., *****, alle vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. O***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. S***** GmbH, 3. S***** GmbH, *****, beide vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, 4. K***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 5. T***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer LLP in Wien, wegen 9.066.814,45 EUR sA und Feststellung (Streitwert 30.001 EUR), über den Rekurs der beklagten Parteien (Rekursinteresse 2.089.065,21 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 193/16p-73, mit dem der Berufung der erstklagenden Partei gegen das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 40 Cg 65/10z-66, teilweise Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Art 85 EGV, Art 81 EG, bzw Art 101 AEUV dahin auszulegen, dass es zum Erhalt der vollen Wirksamkeit dieser Bestimmungen und der praktischen Wirksamkeit des sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Verbots erforderlich ist, dass auch jene Personen von Kartellanten den Ersatz von Schäden verlangen können, die nicht auf dem von einem Kartell betroffenen sachlich und räumlich relevanten Markt als Anbieter oder Nachfrager tätig sind, sondern die im Rahmen gesetzlicher Vorschriften als Fördergeber zu begünstigten Bedingungen Darlehen an Abnehmer der auf dem vom Kartell betroffenen Markt angebotenen Produkte gewähren, und deren Schaden darin liegt, dass die in einem Prozentsatz der Produktkosten gewährte Darlehenssumme höher war, als sie ohne die Kartellabsprache gewesen wäre, weshalb sie diese Beträge nicht gewinnbringend anlegen konnten.
2. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
1. Sachverhalt:
1.1. Am verhängte die Europäische Kommission gegen die Unternehmensgruppen der Erst- bis Viertbeklagten eine Geldbuße von insgesamt 992.000.000 EUR wegen Teilnahme an Kartellen beim Einbau und bei der Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen in Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden. Mit Entscheidung vom bestätigte der Oberste Gerichtshof den Beschluss des Kartellgerichts, mit dem über die Erst-, Zweit- und Viertbeklagte sowie zwei weitere Gesellschaften Geldbußen verhängt wurden. Die Fünftbeklagte war als Kronzeugin im Kartellverfahren nicht Antragsgegnerin.
1.2. Dem Kartellverfahren lag im Wesentlichen zugrunde, dass die beklagten Parteien seit zumindest den 1980er Jahren ein zwischen ihnen immer wieder bestätigtes Übereinkommen im großen Umfang, wenn auch nicht lückenlos, durchführten, wonach der Markt der Aufzugs- und Fahrtreppenindustrie aufgeteilt wurde. Im Zuge dessen wurden regelmäßig sensible Unternehmensdaten ausgetauscht. Das Verhalten war darauf gerichtet, dem jeweils bevorzugten Unternehmen einen höheren Preis zu sichern als er unter Wettbewerbsbedingungen erreichbar gewesen wäre.
1.3. Dadurch wurden der Wettbewerb und die unter Wettbewerbsbedingungen eintretende Entwicklung der Preise verfälscht. Die Kartellanten versuchten hinsichtlich erheblich mehr als der Hälfte des Marktvolumens in ganz Österreich für Neuanlagen eine Koordinierung zu erreichen. Hinsichtlich mehr als der Hälfte der angesprochenen Projekte erfolgte auch eine einvernehmliche Zuteilung an einen von ihnen, sodass zumindest ein Drittel des Marktvolumens konkret abgesprochen wurde. Ungefähr zwei Drittel der abgestimmten Projekte kamen wie geplant zustande. Bei einem Drittel der Fälle kamen entweder nicht am Kartell beteiligte Unternehmen (Kartellaußenseiter) zum Zug oder einer der Kartellanten, der sich nicht an die vereinbarte Zuteilung hielt und billiger anbot. Auch auf bilateraler Ebene wurden Projekte einvernehmlich zugeteilt. Das Verhalten der Kartellanten führte dazu, dass sich die Marktpreise auch in den letzten Jahren vor 2004 kaum änderten und ihre Marktanteile annähernd gleich blieben. Die Koordination wurde erst Ende 2005 endgültig eingestellt, vorher abgesprochene Projekte wurden noch durchgeführt.
2. Anträge und Vorbringen der Parteien:
Voranzustellen ist, dass im derzeitigen Verfahrensstadium zufolge eines Teilurteils des Erstgerichts vorerst nur Ansprüche der Erstklägerin zu beurteilen sind.
2.1. Die Erstklägerin, das Land *****, begehrt von den fünf Beklagten die Zahlung von 2.059.064,21 EUR samt Zinsen, Rechnungslegung und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche bereits entstandenen sowie zukünftig noch entstehenden Schäden und sonstige Vermögensnachteile aufgrund des kartellrechtswidrigen Verhaltens der Beklagten. Zu dem für das Vorlageverfahren relevanten, vom Obersten Gerichtshof zu beurteilenden Teilbetrag von 945.485,04 EUR samt Zinsen brachte die Erstklägerin vor, dass sie auf der Grundlage von gesetzlichen Wohnbauförderbestimmungen einer Vielzahl von Personen für die Durchführung von Bauprojekten Förderdarlehen im Ausmaß eines bestimmten Prozentsatzes der Gesamtbaukosten gewährt habe. Ein Förderdarlehen biete dem Förderwerber die Möglichkeit zur Aufnahme günstiger Fremdmittel durch die Verrechnung eines niedrigeren Prozentsatzes als dem marktüblichen.
2.2. Damit seien auch die von diesen Förderwerbern den Beklagten für den Einbau von Aufzügen bezahlten Kosten mit diesem Prozentsatz gefördert worden. Durch die aufgrund der Kartellabsprache überhöhten Preise der Beklagten sei auch die Förderung im selben Prozentsatz höher als ohne die Kartellabsprache gewesen. Hätte es das Kartell nicht gegeben, hätte die Erstklägerin geringere Darlehen ausbezahlt. Den Differenzbetrag hätte sie zum durchschnittlichen Zinssatz von Bundesanleihen anlegen können. Eine Veranlagung aus diesen Beträgen hätte bis inklusive einen Betrag in Höhe von 2.362.068,42 EUR erbracht. Aufgrund des bei Gewährung der Förderdarlehen vereinbarten niedrigeren Zinssatzes habe sie jedoch von den Förderwerbern nur 347.173,57 EUR erhalten. Die Differenz sei der Schaden, der der Erstklägerin aus der Kartellabsprache entstanden sei.
2.3. Die Beklagten wandten unter anderem ein, dass es für den begehrten Schadenersatz am Rechtswidrigkeitszusammenhang fehle. Schutzobjekt des Wettbewerbsrechts sei der Wettbewerb. Das Kartellverbot wolle nicht Förderstellen, die nichts mit dem Wettbewerb zu tun hätten, schützen. Die Erstklägerin sei darüber hinaus nur mittelbar betroffen. Der Schutzbereich des Kartellverbots erstrecke sich auf all jene Anbieter und Nachfrager, die auf dem vom Kartell betroffenen sachlich und räumlich relevanten Markt tätig seien. Die Ersatzpflicht von Schäden, wie sie von der Erstklägerin behauptet würden, würde zu einer uferlosen Haftungsausweitung führen.
3. Bisheriges Verfahren:
3.1. Das Erstgericht wies das Klagebegehren der Erstklägerin mit Teilurteil ab. Die Erstklägerin sei kein Marktteilnehmer am Markt der Aufzugs- und Fahrtreppenindustrie. Sie mache nur einen mittelbaren Schaden geltend, der als solcher nicht ersatzfähig sei.
3.2. Das Gericht zweiter Instanz als Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil nur insofern, als vom Erstgericht die Feststellung der Haftung für bereits eingetretene Schäden abgewiesen wurde. Im Übrigen hob es die Entscheidung des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht. Es ging davon aus, dass das Kartellverbot auch dem Schutz finanzieller Interessen derjenigen diene, die den zusätzlichen Aufwand, der durch die Verzerrung der Marktverhältnisse entstanden sei, zu tragen hätten. Dazu gehörten auch öffentlich-rechtliche Körperschaften wie die Erstklägerin, die durch das institutionalisierte Zurverfügungstellen von Fördermitteln die Durchführung von Bauvorhaben in einem wesentlichen Ausmaß überhaupt erst ermögliche. Sie schaffe damit einen nicht zu vernachlässigenden Teil jener Nachfrage, die den Absatzmarkt der Beklagten bestimme und auf dem diese ihre Leistungen zu kartellbedingt überhöhten Preisen verkaufen konnten. Auch die Erstklägerin sei daher vom Schutz der kartellrechtlichen Verbotsnormen umfasst. Da hier eine Schutzgesetzverletzung vorliege, sei der Schaden der Erstklägerin auch als bloß mittelbarer Schaden ersatzfähig.
Rechtliche Beurteilung
3.3. Gegen diese Entscheidung riefen die Beklagten mit Rekurs den Obersten Gerichtshof an.
4. Gemeinschaftsrecht:
4.1. Nach Art 101 AEUV, der im Wesentlichen mit den Vorgängerbestimmungen Art 85 EG-Vertrag bzw Art 81 EG übereinstimmt, sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, verboten.
4.2. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zu dieser Bestimmung und ihren Vorgängerbestimmungen bereits mehrfach Stellung genommen. Aus seinen Entscheidungen vom , C-453/99 (CourageLtd gegen Crehan), vom , C-295/04 bis C-298/04 (Manfredi gegen Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA) und vom , C-360/09 (Pfleiderer AG gegen Bundeskartellamt), ergibt sich, dass diese Bestimmungen in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugen und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen lassen, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben. Jedermann kann den Ersatz des Schadens verlangen, der durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten verursacht worden ist. Notwendig ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schaden und wettbewerbswidrigem Verhalten. In Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist es Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu wahren sind. Ebenso ist auch die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts einschließlich derjenigen für die Anwendung des Begriffs „ursächlicher Zusammenhang“ Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, wobei wieder der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind. Die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte darf das nationale Recht daher nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
4.3. In der Entscheidung vom , C-557/12 (Kone AG ua gegen ÖBB Infrastruktur AG) hat der Europäische Gerichtshof wiederholt, dass die nationalen Regelungen die volle Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts der Union sicherzustellen hätten. Sie müssten daher speziell das mit Art 101 AEUV verfolgte Ziel berücksichtigen, das darin bestehe, die Aufrechterhaltung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten und damit Preise, die unter den Bedingungen eines freien Wettbewerbs festgesetzt werden (Rn 32). Die volle Wirksamkeit von Art 101 AEUV wäre daher in Frage gestellt, wenn das jedem zustehende Recht, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen, nach dem nationalen Recht kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falls vom Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs abhängig gemacht würde und aufgrund der Tatsache ausgeschlossen wäre, dass der Betroffene vertragliche Beziehungen nicht zu einem Kartellbeteiligten, sondern zu einem Kartellaußenseiter hatte, auch wenn dessen Preispolitik eine Folge des Kartells sei, das zu einer Verfälschung der auf wettbewerbsorientierten Märkten beherrschenden Preisgestaltungsprozesse beigetragen habe (Rn 33).
4.4. Daher könne ein durch das „Umbrella pricing“ Geschädigter den Ersatz des ihm durch die Mitglieder eines Kartells entstandenen Schadens verlangen, obwohl er keine vertraglichen Beziehungen zu ihnen gehabt habe, wenn erwiesen sei, dass dieses Kartell nach den Umständen des konkreten Falls und insbesondere den Besonderheiten des betroffenen Marktes ein „Umbrella pricing“ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte und wenn diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten (Rn 34).
5. Nationales Recht:
5.1. Dem „Vermögen“ einer Person kommt nach österreichischem Recht und der dazu ergangenen Rechtsprechung kein absoluter Schutz zu (RIS-Justiz RS0022462). Reine (auch bloße) Vermögensschäden sind nachteilige Veränderungen im Vermögen des Geschädigten, die ohne Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts eintreten (vgl Karner in KBB5 § 1295 Rz 2). Außerhalb einer vertraglichen Beziehung genießen derartige Vermögensschäden keinen umfassenden Schutz. Anderes gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens aus der Rechtsordnung ableiten lässt, insbesondere bei Schutzgesetzverletzungen (vgl RIS-Justiz RS0023122 [T2]; RS0022813). „Schutzgesetze“ sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS-Justiz RS0027710). Bei Verstößen gegen ein Schutzgesetz ist Haftungsvoraussetzung, dass ein Schaden eintritt, den die übertretene Norm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern wollte. Es wird vom Schädiger nur für solche Schäden gehaftet, die sich als Verwirklichung jener Gefahr manifestieren, deretwegen ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt ist (RIS-Justiz RS0022584). Es kommt also darauf an, ob die Norm, die der Schädiger verletzt hat, gerade den Schutz der Interessen des Geschädigten bezweckt (RIS-Justiz RS0022638). Nicht ersetzbar (weil bloß mittelbar) ist ein Schaden dann, wenn er nicht in der Richtung des Angriffs, sondern infolge einer Seitenwirkung in einer Interessensphäre eintritt, die nicht durch das Verbot des Angriffs geschützt ist (RIS-Justiz RS0022584).
5.2. Wie ausgeführt, geht der Europäische Gerichtshof davon aus, dass Art 101 AEUV das Ziel verfolgt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten und damit Preise die unter Bedingungen eines freien Wettbewerbs festgesetzt werden.
5.3. Für das österreichische Recht wäre davon auszugehen, dass der persönliche Schutzbereich des Kartellverbots sich auf all jene Anbieter und Nachfrager erstreckt, die auf den von einem Kartell betroffenen sachlich und räumlich relevanten Märkten tätig sind (4 Ob 46/12m). Öffentlich-rechtliche Körperschaften, die durch finanzielle Förderungen bestimmten Gruppen von Abnehmern einen leichteren Erwerb des angebotenen Produkts ermöglichen, sind dagegen keine unmittelbaren Marktteilnehmer, auch wenn ein wesentlicher Teil des Marktgeschehens erst durch diese Förderungen ermöglicht wird. Ihre Rolle ist im Zusammenhang mit der Gewährung von Förderdarlehen mit einem Kreditgeber vergleichbar, wobei die Förderung nicht gewinnorientiert mit privaten Kapital erfolgt, sondern aus Steuereinnahmen zur Förderung von Bauprojekten aus politischen Erwägungen zu marktunüblich günstigen Bedingungen. Ihr Schaden resultiert damit auch nicht unmittelbar aus der rechtswidrigen Handlung der Kartellanten, sondern daraus, dass die von ihnen den Abnehmern zu – gegenüber privaten Kreditgebern – günstigeren Konditionen gewährte Kredite aufgrund der überhöhten Kartellpreise höher gewährt wurden, als dies ohne die Kartellabsprachen erfolgt wäre. Damit konnten sie den Differenzbetrag zwischen der Kredithöhe ohne Kartellabsprache und mit Kartellabsprache nicht anderweitig etwa durch Veranlagung gewinnbringend nutzen. Dieser Schaden stünde daher nach nationalem Recht in keinem ausreichenden Zusammenhang mehr mit dem Zweck des Verbots von Kartellabsprachen, der Erhaltung des Wettbewerbs auf dem vom Kartell betroffenen Markt. Nach österreichischem Recht wäre daher in diesem Fall der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu verneinen.
6. Begründung der Vorlage:
6.1. In den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-557/12 verweist sie darauf, dass sich dem Urteil Manfredi entnehmen lasse, dass sowohl der Kreis der Personen, die von den Kartellbeteiligten Schadenersatz wegen Verletzung des besagten Kartellverbots verlangen dürfen („jedermann“), als auch die Arten von Schäden, welche die Kartellbeteiligten gegebenenfalls zu ersetzen hätten, unionsrechtlich prädeterminiert seien (Rn 27). Die grundsätzliche Frage, ob die Kartellbeteiligten überhaupt für die (im dortigen Verfahren) geltend gemachte Art von Schäden zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten und ob sie von Personen verklagt werden dürften, die nicht ihre direkten und indirekten Abnehmer seien, könne nicht allein den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten überlassen werden (Rn 28). Zugleich verwies sie darauf, dass es legitim sei, bei der Kausalitätsprüfung Kriterien anzulegen, die sicherstellten, dass es zu keiner uferlosen Schadenersatzpflicht der Kartellbeteiligten für alle möglichen, noch so entfernten Schäden komme, für die ihr wettbewerbswidriges Verhalten die Ursache im Sinne einer „conditio sine qua non“ (auch äquivalente Kausalität oder But-for-Kausalität genannt) gewesen sein mag (Rn 33).
6.2. In der nachfolgenden Entscheidung Kone AG ua gegen ÖBB Infrastruktur AG, C-557/12, hat der Europäische Gerichtshof es – wie ausgeführt – als mit Art 101 AEUV unvereinbar angesehen, wenn das jedem zustehende Recht, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen, nach dem nationalen Recht kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falls vom Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs abhängig gemacht würde (Rn 33). Zugleich verwies er darauf, dass es in den Fällen des „Umbrella pricing“ für Ersatzansprüche auf die objektive und subjektive Vorhersehbarkeit solcher Schäden ankomme (vgl Rn 34).
6.3. Obwohl im vorliegenden Fall eine im Grundsätzlichen ähnliche Fragestellung zu beurteilen ist, kann dessen ungeachtet nicht von einer bereits geklärten Rechtslage ausgegangen werden. Der konkrete Sachverhalt unterscheidet sich von den bisher vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen dadurch, dass der Geschädigte nicht Marktteilnehmer, also Anbieter oder Abnehmer auf dem vom Kartell betroffenen Markt ist.
6.4. Auch in der Literatur wurde die Grenze des Schutzzwecks kartellrechtlicher Bestimmungen überwiegend im Zusammenhang mit Marktteilnehmern, die nicht unmittelbare Mitbewerber oder Vertragspartner der Kartellanten sind, diskutiert, so bezüglich mittelbarer Abnehmer, Fällen von „Umbrella pricing“ oder des Umfangs des Schutzes von Personen, die selbst am Kartell teilgenommen haben.
6.5. Dagegen wird etwa im deutschen Schrifttum (auch vor dem Hintergrund der nationalen deutschen Regelungen) eine Haftung für Schäden von Personen, die nicht als Marktteilnehmer anzusehen sind, überwiegend verneint. So verweist Emmerich (in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2/Teil 15 § 33 GWB Rz 14) darauf, dass bei der Regelung der Schadenersatzansprüche in Deutschland ein bewusst weit gefasster Begriff der Betroffenheit gewählt wurde, damit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH schlicht jedermann erfasst ist, sofern er nur „gerade in seiner Eigenschaft als Marktteilnehmer, das heißt als Akteur am Markt durch den Kartellverstoß betroffen ist – und nicht etwa als Gesellschafter oder Arbeitnehmer eines betroffenen Unternehmens oder als Angehöriger eines betroffenen Unternehmers; denn diese Personen sind keine Akteure, keine Teilnehmer am Markt“. Heinze (Schadenersatzrecht im Unionsprivatrecht 191 f) führt aus, dass nicht mehr anspruchsberechtigt demgegenüber die Investoren und Arbeitnehmer geschädigter Unternehmen sein dürften. Entscheidend sei hier erneut der Schutzzweck der Wettbewerbsvorschriften, der sich auf „die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher“ und auf „die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“ erstreckt. Nach Krohs (in Kölner Kommentar zum Kartellrecht § 33 GWB Rz 161) ist durch den Schutzzweckzusammenhang nicht die grundsätzliche Anspruchsberechtigung in Frage gestellt. Vielmehr werde das konkrete Begehren des anspruchsberechtigten „Betroffenen“ allein dahin korrigiert, dass er nur wegen Verletzung des von der verletzten Kartellrechtsnorm bzw kartellbehördlichen Verfügung geschützten Interesses einen Anspruch geltend machen könne. Logemann (Der kartellrechtliche Schadenersatz, 243) bezeichnet als mittelbar Geschädigte Personen, die einen wirtschaftlichen Verlust erleiden, weil ein anderer durch eine Wettbewerbsbeschränkung einen unmittelbaren Schaden erlitten hat. Auch er nennt als Beispiel Arbeitnehmer, Gesellschafter eines betroffenen Unternehmens, Familienangehörige oder aber Geschäftspartner. Rein mittelbar geschädigten Personen fehle es an der nötigen Anspruchsberechtigung, da sie nicht selbst am Wirtschaftsleben teilnehmen.
6.6. Öffentlich-rechtliche Körperschaften, die nach gesetzlichen Vorgaben Förderungen vergeben, sind nicht Mitbewerber, Anbieter oder Abnehmer hinsichtlich der geförderten Produkte. Andererseits wird durch sie als Fördergeber das Marktgeschehen nicht unwesentlich beeinflusst. Das ändert aber nichts daran, dass auch ihr Schaden letztlich nur Folge des Schadens eines unmittelbaren Marktteilnehmers ist, der aufgrund der überhöht zu zahlenden Kosten gezwungen ist, einen überhöhten (Förder-)Kredit aufzunehmen. Es stellt sich daher die Frage, ob der Grundsatz, dass jedermann von einem Kartellanten den Ersatz seines Schadens verlangen kann, auch auf Personen zutrifft, die, auch wenn sie für den Markt von wesentlicher Bedeutung sind, nicht selbst als Anbieter oder Abnehmer Marktteilnehmer sind und deren Schaden nur aus dem Schaden eines unmittelbar Betroffenen resultiert.
7. Der Oberste Gerichtshof, dessen Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann, ist gemäß Art 267 AEUV zur Vorlage der im Spruch formulierten Frage verpflichtet, weil die richtige Anwendung des Unionsrechts in diesem Umfang zweifelhaft ist.
7.1. Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Verfahren über den Rekurs zu unterbrechen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Land *****, 2. Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft „L*****“, eingetragene Gen.m.b.H., *****, 3. E*****gesellschaft mbH, *****, 4. W***** Gesellschaft m.b.H., *****, 5. WS***** reg.Gen.m.b.H., *****, 6. N***** Gemeinnützige Wohnungs- und SiedlungsgesmbH, *****, 7. B***** eingetragene Gen.m.b.H., *****, 8. Gemeinnützige Wo*****genossenschaft *****, 9. V*****, Gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, *****, 10. *****S***** reg.Gen.m.b.H, *****, 11. I***** reg. Gen.m.b.H., *****, 12. ***** S***** GmbH, *****, 13. *****aktiengesellschaft, *****, 14. G*****gesellschaft mbH *****, und 15. GE***** Wohnungsgesellschaft m.b.H., *****, alle vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. O***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. S***** GmbH, 3. S***** GmbH, *****, beide vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, 4. K***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 5. T***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer LLP in Wien, wegen 9.066.814,45 EUR sA und Feststellung (Streitwert 30.001 EUR), über den Rekurs der beklagten Parteien (Rekursinteresse 2.089.065,21 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 193/16p-73, mit dem der Berufung der erstklagenden Partei gegen das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 40 Cg 65/10z-66, teilweise Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs der beklagten Parteien wird im Umfang der Anfechtung eines Teilbegehrens von 1.088.951,54 EUR als absolut unzulässig zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Entscheidungsgegenständlich sind nur Ansprüche der Erstklägerin.
Die Erstklägerin begehrt die Zahlung von 2.059.064,21 EUR sA, in eventu Rechnungslegung, und die Feststellung der Haftung der Beklagten aus kartellrechtswidrigem Verhalten. Die Haftung der Beklagten gründe sich auf die Teilnahme bzw Mitwirkung am sogenannten „Aufzugskartell“ (16 Ok 5/08). Die Kartellverstöße hätten dazu geführt, dass die Beklagten ihren Auftraggebern in zahlreichen Fällen überhöhte Preise für gelieferte Aufzüge und Fahrtreppen verrechnet hätten.
Die Erstklägerin habe im Rahmen der Wohnbauförderung den Neubau und die Sanierung von Wohnanlagen gefördert. Diese Förderungen seien abhängig von der Höhe der Gesamtbaukosten errechnet worden. Damit sei aber auch bei der Förderung von Aufzugskosten die Förderung um den Betrag überhöht gewesen, um den die von den Beklagten verrechneten Entgelte über den marktüblichen Preisen gelegen seien. Auf Basis dieses Vorbringens begehrt sie von den Beklagten 2.014.894,85 EUR sA aufgegliedert nach den einzelnen Förderdarlehen. Weiters macht sie einen Schaden von 44.169,36 EUR aus acht Förderfällen, in denen sie Direktzuschüsse bzw Annuitätenzuschüsse gewährt hat, geltend. Auch hier sei die Förderung abhängig von der Höhe der Gesamtbaukosten errechnet worden und die Förderung um denselben Prozentsatz überhöht gewesen wie die verrechneten Entgelte. Die Förderung habe jeweils 50 % der Aufzugskosten bzw der Annuitäten umfasst.
Die Beklagten brachten unter anderem vor, das Klagebegehren sei unschlüssig. Darüber hinaus werde von der Erstklägerin ein bloßer Vermögensschaden geltend gemacht. Es fehle jedoch am Rechtswidrigkeitszusammenhang. Der Erstklägerin sei nur ein mittelbarer Schaden entstanden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren der Erstklägerin mit Teilurteil ab. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Erstklägerin teilweise Folge und hob das erstgerichtliche Urteil teilweise zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, da oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Einordnung von Ansprüchen wie im vorliegenden Fall fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs der Beklagten ist im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang absolut unzulässig.
Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen, also wenn die Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RIS-Justiz RS0053096). Der von § 55 Abs 1 Z 1 JN geforderte Zusammenhang wird verneint, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (vgl RIS-Justiz RS0042766; RS0037648 [T19]). Dies ist auch hier der Fall.
Die Erstklägerin stützt ihr Begehren auf eine Vielzahl von Förderverträgen die jeweils mit unterschiedlichen Abnehmern der Beklagten geschlossen wurden. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass auf Kartellvergehen gegründete Ansprüche nicht auf demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen, wenn sie nicht aus einem einzigen, sondern lediglich aus gleichartigen Verträgen abgeleitet werden, die jeweils für sich unterschiedlich beurteilt werden können (7 Ob 127/10t; 5 Ob 123/12t; 8 Ob 81/13i). Die Inanspruchnahme der Beklagten als Solidarschuldner reicht zur Begründung eines rechtlichen Zusammenhangs der Ansprüche nicht aus.
Der Rekurs der Beklagten, der sich gegen den zweitinstanzlichen Beschluss in seiner Gesamtheit richtet, ist daher bezüglich jener Ansprüche, die im Einzelnen den Betrag von 5.000 EUR nicht übersteigen, sohin bezüglich der Förderdarlehen im Umfang von 1.069.409,81 EUR und bezüglich der Direktförderungen im Umfang von 19.541,73 EUR gemäß § 502 Abs 2 iVm § 519 Abs 2 ZPO absolut unzulässig.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Aufzugs‑ und Fahrtreppenkartell X, |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2018:0090OB00044.17M.0517.001 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAD-85196