OGH vom 02.08.2019, 11Os104/19g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Schriftführers Kontr. Bodinger in der Strafsache gegen Herbert S***** wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach § 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall und 15 StGB, AZ 27 HR 91/19b des Landesgerichts Feldkirch, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom , AZ 6 Bs 130/19x (ON 16 der Ermittlungsakten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit Beschluss vom (ON 10) wies das Landesgericht Feldkirch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der Untersuchungshaft über den Beschuldigten ab. Der dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom (ON 16) Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und verhängte über den Beschuldigten die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b, lit c StPO.
In der Sache erachtete das Beschwerdegericht den Beschuldigten dringend verdächtig, er habe vom bis zum in G***** und andernorts in fünf Angriffen gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Dipl.-Ing. (FH) Robert W***** durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorgabe, ihm Baumaterial zu liefern, zur Auszahlung von zusammen 17.570 Euro, somit zu Handlungen teils verleitet, teils dies versucht, die den Genannten im angeführten, 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen teils schädigten, teils schädigen sollten.
In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Beschwerdegericht dieses Verhalten dem Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach § 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall und 15 StGB.
Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten, die (ausschließlich) Unverhältnismäßigkeit der Haftverhängung behauptet.
Soweit sie andere Grundrechte als jenes auf persönliche Freiheit als verletzt ansieht, verkennt sie den Prüfungsumfang des herangezogenen Rechtsbehelfs (§ 1 Abs 1 GRBG; vgl Kier in WK2 GRBG Vor § 1–13 Rz 8 und 14 sowie § 1 Rz 7 f).
Nach Art 1 Abs 3 PersFrG darf die persönliche Freiheit nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum notwendigen Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO konkretisiert dies für den Fall der Untersuchungshaft. Danach maßgeblich ist das Verhältnis deren Verhängung oder Aufrechterhaltung zur Bedeutung der Sache (ie der Straftat) oder der zu erwartenden Strafe (vgl RIS-Justiz RS0061378; 15 Os 117/04; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 6 ff; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 8 f); der (bei Annahme von Tatbegehungsgefahr in der Verhinderung von Straftaten gelegene – Kirchbacher/Rami, WK-StPO Vor § 170–189 Rz 7/1) Zweck der Untersuchungshaft ist nur für die Beurteilung der Frage relevant, ob er durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann (15 Os 32/95; 11 Os 29/08m).
Den Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über eine Grundrechtsbeschwerde bildet – anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS-Justiz RS0121605 [T3], RS0061004 [T5]). Davon ausgehend prüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, was die Verhältnismäßigkeit der Haft anlangt, ob angesichts der vom Oberlandesgericht in der Beschwerdeentscheidung angeführten bestimmten Tatsachen der von diesem gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe vertretbar war (RIS-Justiz RS0120790 – eine Verletzung des Beschleunigungsgebots, die ebenfalls unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit zu prüfen wäre, steht hier nicht in Rede).
Die Unvertretbarkeit jenes Schlusses (BS 9) wird mit dem (einzigen) Einwand, die Haftverhängung stehe „zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis“, weil „sowohl Vernehmungsfähigkeit und Verhandlungsfähigkeit und Hafttauglichkeit entschieden zu verneinen“ seien, nicht einmal behauptet.
Auf Basis der – maßgeblichen – Tatsachenannahmen des Oberlandesgerichts steht im Übrigen keineswegs „fest“, dass beim Beschuldigten (aktuell) „Verhandlungs- und Vernehmungsunfähigkeit vorliegen“; danach war – wenngleich zurückliegend ein anderes gegen ihn geführtes Strafverfahren aus diesem Grund „abgebrochen“ worden war (BS 8 f) – der über Jahre bereits bestehende Krankheitszustand des Beschuldigten, der sowohl von der Kriminalpolizei als auch vor Gericht im Pflichtverhör (tatsächlich) zur Sache vernommen werden konnte, immerhin kein Hindernis für die (von ihm zugestandene) nunmehrige Delinquenz (BS 7 und 9). Außerdem hätte – wovon das Oberlandesgericht zutreffend ausging (BS 9) – selbst ein Verhandlungs- (RIS-Justiz RS0098977) oder Vernehmungsunfähigkeit (vgl RIS-Justiz RS0119235 [T1]) begründender Zustand des Beschuldigten weder Einfluss auf die Bedeutung der Sache noch auf die Beurteilung, ob die Haft zu einer zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht.
Die (weiters behauptete) vollständige Vollzugsuntauglichkeit im Sinn des § 5 StVG könnte – wie der Beschwerdeführer ohnehin selbst einräumt – die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft ebenso wenig infrage stellen (15 Os 160/02; 12 Os 98/04; RIS-Justiz RS0113913).
Die den Anfechtungsrahmen verfehlende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00104.19G.0802.000 |
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