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OGH vom 11.12.1986, 7Ob711/86

OGH vom 11.12.1986, 7Ob711/86

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr. Petrasch und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Franziska S***, Vertragsbedienstete, Guntramsdorf, Tannengasse 16, vertreten durch Dr. Friedrich Eckert, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte und widerklagende Partei Karl S***, Angestellter, Mödling, Brühlerstraße 102, vertreten durch Dr. Johann Werth, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 16 R 17/86-42, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom , GZ 1 Cg 950/83-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit 6.137,85 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 514,35 S Umsatzsteuer und 480 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Urteil vom , 1 C 950/83-34, hat das Erstgericht die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem Verschulden geschieden und hiebei ausgesprochen, daß das überwiegende Verschulden den Beklagten und Widerkläger (im folgenden kurz Beklagter) trifft. Dieses Urteil wurde beiden Parteienvertretern am zugestellt.

Am gab der Beklagte eine Berufung gegen das erwähnte Urteil zur Post, mit dem er das Ersturteil nur insoweit anfocht, als es sein überwiegendes und nicht das überwiegende Verschulden der klagenden und widerbeklagten Partei (im folgenden kurz Klägerin) festgestellt hat. Seitens der Klägerin wurde keine Berufung erhoben.

In der mündlichen Berufungsverhandlung vom vereinbarten die Parteien Ruhen des Verfahrens und gaben die Erklärung ab, daß sie für den Fall der Fortsetzung des Verfahrens auf eine neuerliche mündliche Berufungsverhandlung verzichten. Am beantragte die Klägerin unter Hinweis auf gescheiterte Vergleichsverhandlungen die Fortsetzung des ruhenden Verfahrens.

Mit dem am gefällten angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die erstgerichtliche Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen § 503 Z 1 ZPO (§§ 477, 471 Z 5 und Z 7 ZPO) erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die Revision wird ausschließlich darauf gestützt, daß die Ehe der Streitteile am gemäß § 55 a EheG vor dem Bezirksgericht Mödling geschieden worden sei. Es sei demnach eine Fortsetzung des Ehescheidungsverfahrens vor dem Berufungsgericht nicht mehr zulässig gewesen.

Wie sich aus dem Akt 1 Sch 61/86 des Bezirksgerichtes Mödling ergibt, haben die Parteien dort am einen Antrag auf Scheidung der Ehe nach § 55 a EheG gestellt. Tatsächlich erging am selben Tag ein Beschluß im Sinne dieses Antrages. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.

Den Ausführungen der Revision ist entgegenzuhalten, daß der Scheidungsausspruch des Kreisgerichtes Wiener Neustadt von den Parteien nicht bekämpft worden ist. Im Eheverfahren kann der Scheidungsausspruch in Rechtskraft erwachsen, ohne daß bereits rechtskräftig über das Verschulden entschieden ist. Bei einer Ehescheidung aus Verschulden ist allerdings die Annahme irgendeines Verschuldens des Beklagten präjudiziell für den Scheidungsausspruch (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 2365, 2 Ob 572,573/86, 1 Ob 514/86 ua.).

Beim Ehescheidungsurteil handelt es sich um ein Rechtsgestaltungsurteil (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 2331). Rechtsgestaltungsurteile ändern unmittelbar mit Eintritt der Rechtskraft die Rechtslage (Fasching III, 552). Demgemäß spricht § 46 EheG aus, daß die Ehe mit Rechtskraft der Entscheidung aufgelöst ist. Nach Rechtskraft eines Ehescheidungsurteiles besteht die geschiedene Ehe nicht mehr, sodaß eine neuerliche Rechtsgestaltung im Sinne einer Scheidung dieser Ehe ebenso undenkbar ist, wie die Scheidung einer nie bestandenen Ehe. Rechtsgestaltungsurteile entfalten neben der Rechtskraftwirkung auch eine Gestaltungswirkung (Fasching III, 743 f.). Wird die bereits rechtskräftig geschiedene Ehe durch eine weitere Entscheidung neuerlich "geschieden", so kann diese zweite Entscheidung zwar in Rechtskraft erwachsen, entfaltet jedoch nicht die ansonsten Rechtsgestaltungsentscheidungen innewohnende Gestaltungswirkung. Die Rechtsgestaltung ist bereits durch die erste Entscheidung erfolgt, weshalb die zweite Entscheidung trotz formeller Rechtskraft ins Leere geht. Die Wirksamkeit des abgeschlossenen Vergleiches wird durch das Fehlen der Gestaltungswirkung des Beschlusses nach § 55 a EheG wohl nicht berührt.

Wird eine Ehe nach § 49 EheG geschieden, so schreibt § 60 EheG zwingend einen Verschuldensausspruch vor, der, wie sich sinngemäß aus § 60 Abs 2 EheG ergibt, kein bloß teilweiser derart sein kann, daß jeden der beiden Ehegatten nur das geringere Verschulden trifft. Der Verschuldensausspruch ist keine Rechtsgestaltung, sondern eine durch § 60 EheG vorgeschriebene zusätzliche Feststellung (Fasching III, 553).

Wird eine Ehe gemäß § 49 EheG geschieden, so muß gemäß § 60 EheG auch über das gesamte Verschulden entschieden werden. Vor einer solchen Entscheidung ist das Verfahren nicht abgeschlossen. Das Berufungsgericht kann also eine nur gegen den Ausspruch überwiegenden Verschuldens gerichtete Berufung nicht zurückweisen, weil es hiefür an einer gesetzlichen Voraussetzung fehlt. Daran ändert die Rechtskraft eines nach der rechtskräftigen Ehescheidung irrrtümlich ergangenen Ehescheidungsbeschlusses nach § 55 a EheG nichts. Als Rücknahme der Ehescheidungsklage nach § 49 EheG kann dieser Beschluß nicht angesehen werden, weil auch nach dem nunmehr geltenden § 483 a Abs 1 ZPO eine Klagsrücknahme im Eheverfahren nur bis zur Rechtskraft des Urteils möglich ist (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 2337). Einer teilweisen Klagsrücknahme nur bezüglich des Verschuldens im Falle eines Scheidungsbegehrens nach § 49 EheG steht § 60 EheG entgegen. Auch eine teilweise Einschränkung auf ein Mitverschulden ist unzulässig, weil eine Klage nach § 49 EheG nur auf Scheidung aus Verschulden schlechthin zu richten ist und ein Mitverschulden nur auf Einwendung des Gegners berücksichtigt werden kann. Bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Klagsänderung ist aber auf Einwendungen nicht Bedacht zu nehmen. Eine Änderung der Rechtslage im Hinblick auf das noch aufrechte Verschuldensbegehren tritt durch einen solchen, der Gestaltungswirkung entbehrenden Beschluß nicht ein. § 55 a EheG sieht zwar die Aufnahme eines Verschuldensausspruches in die Entscheidung nicht vor, enthält aber auch keine Vorschrift, aus der entnommen werden könnte, daß die Entscheidung auch die negative Feststellung bezüglich eines Verschuldens beinhalte. Gestaltet ein solcher Beschluß die Rechtslage (Scheidung der Ehe), so wird über das Verschulden nicht entschieden. Fehlt es an einer Rechtsgestaltung, weil diese schon vorher durch eine andere Entscheidung erfolgt ist, so muß entsprechend der tatsächlichen Rechtsgestaltung vorgegangen, also im Falle einer Scheidung nach § 49 EheG abschließend über das Verschulden entschieden werden. Es ergibt sich sohin, daß das Berufungsgericht berechtigt und verpflichtet war, das vorliegende Verfahren durch eine Entscheidung über die Verschuldensteilung zu beenden. Seine Vorgangsweise begründet keine Nichtigkeit.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.