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OGH vom 16.04.2013, 10Ob46/12f

OGH vom 16.04.2013, 10Ob46/12f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Ö*****, geboren am , vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 1, 4 bis 9, Amerlingstraße 11, 1060 Wien), über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 389/12t 23, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 2 PU 84/11v 18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Vater T*****, ein türkischer Staatsbürger, wurde erstmals mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom , 2 P 114/00f 34, zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 150 EUR an den Minderjährigen verpflichtet. Bei dieser Unterhaltsfestsetzung wurde von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 900 EUR monatlich ausgegangen, welche sich nach den Antragsbehauptungen aus der vom Vater in Österreich bezogener Notstandshilfe und einem Pensionsbezug aus der Türkei zusammensetzte. Nach der Aktenlage war der Vater zuvor als Hilfsarbeiter tätig. Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom , 2 P 114/00f U 6, wurde die Geldunterhaltsverpflichtung des Vaters ab auf 180 EUR monatlich erhöht, wobei dieser Entscheidung entsprechend dem Antragsvorbringen, wonach der Vater ein für den Unterhalt anrechenbares monatliches Einkommen von 900 EUR erziele bzw ein Einkommen in dieser Höhe bei Einsatz seiner Arbeitskraft erzielen könne ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von 900 EUR netto zugrundegelegt wurde.

Dem Minderjährigen wurden zuletzt mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom (ON 14) Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Titelhöhe von 180 EUR monatlich für den Zeitraum vom bis gewährt.

Am beantragte der durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG. Er brachte dazu vor, sein Vater verfüge über keine Meldeadresse in Österreich, sondern habe sich nach den Angaben seiner Mutter zuletzt in Istanbul aufgehalten. Seine Mutter habe aber keine Kenntnis über die genaue Wohnadresse, ein allfälliges Beschäftigungsverhältnis sowie über die Einkommens-verhältnisse des Unterhaltsschuldners. Auch über Anfrage des Jugendwohlfahrtsträgers an das österreichische Generalkonsulat in Istanbul sei es nicht möglich gewesen, Informationen über den genauen Aufenthaltsort und die Wohnadresse des Unterhaltsschuldners zu erhalten. Es sei jedenfalls nicht offenbar, dass der Unterhaltsschuldner zu keiner Unterhaltsleistung imstande sei. Eine über die Anspannung im Rahmen einer Wertevaluierung hinausgehende Unterhaltserhöhung sei aussichtslos, weil die Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners nicht bekannt seien und aus Gründen, welcher der Sphäre des Unterhaltsschuldners zuzuordnen seien, nicht eruierbar seien. Solange wegen des ungeklärten Aufenthalts die maßgeblichen Bemessungsumstände auf Seiten des Unterhaltsschuldners nicht geklärt werden könnten, könne die Stellung eines Erhöhungsantrags nicht gefordert werden, weil sich aus der Aktenlage nicht ergebe, dass eine Unterhaltserhöhung aussichtsreich gewesen wäre. Der Minderjährige sei aber nicht gehalten, einen aussichtslosen Antrag zu versuchen.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Unterhaltsbevorschussung gemäß § 4 Z 2 UVG im Wesentlichen mit der Begründung ab, dem Vater sei es aufgrund der Aktenlage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich, in der Türkei ein Einkommen von insgesamt 900 EUR monatlich ins Verdienen zu bringen. Der Vater sei weder mit dem bisher erzielten Einkommen in der Lage gewesen, einen Unterhalt in Höhe des Richtsatzes zu leisten, noch sei er derzeit in der Lage, einen höheren Unterhalt als in der zuletzt festgesetzten Höhe von 180 EUR monatlich zu leisten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen keine Folge. Es führte insbesondere aus, dass eine Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG dann nicht in Betracht komme, wenn der Unterhaltsschuldner nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung bzw einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande sei. Der Beweis für die offenbare Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners habe nach ständiger Rechtsprechung der Bund zu erbringen, wobei bloße Zweifel an der Leistungsfähigkeit die Unfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu einer Unterhaltsleistung nicht „offenbar“ machten, sondern vielmehr positive Beweise für die Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners erforderlich seien. Es komme daher zu einer entsprechenden Einschränkung der Richtsatzhöhe, wenn dem vorschusspflichtigen Bund der Nachweis gelinge, dass der Unterhaltsschuldner offenbar nicht zur Leistung des vollen, der Richtsatzhöhe entsprechenden Betrags imstande sei, etwa durch den Nachweis, dass sich unter Zugrundelegung der zuletzt bekannten Einkommens und Lebensverhältnisse des nunmehr unbekannten Aufenthalts befindlichen Unterhaltsschuldners nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge keine entsprechende Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage annehmen ließe.

Im vorliegenden Fall seien ungeachtet des Umstands, dass derartige Argumente von dem am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligten Bund im Rekursverfahren nicht vorgebracht worden seien, die nach der Aktenlage dokumentierten Tatsachen von Amts wegen zu berücksichtigen. Danach sei zu berücksichtigen, dass dem derzeit bereits im 59. Lebensjahr stehenden Unterhaltsschuldner während seines dokumentierten Aufenthalts in Österreich vom antragstellenden Minderjährigen stets nur eine finanzielle Leistungsfähigkeit im Umfang von 900 EUR monatlich zugeordnet worden sei, der Vater lediglich als Hilfsarbeiter tätig gewesen sei und er bereits während seines Aufenthalts in Österreich über einen Pensionsbezug aus der Türkei verfügt habe und keine Hinweise auf eine Rückkehr des Vaters nach Österreich oder auf eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vorliegen. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass der unterhaltspflichtige Vater aufgrund seines Aufenthalts in der Türkei, einem Land mit niedrigerem allgemeinen Lebensstandard als in Österreich, nach seinen Kräften offenbar nicht zur Leistung eines höheren Unterhalts in der Lage sei, als bereits anlässlich der letzten Titelschaffung im November 2007 an Unterhalt festgelegt worden sei. Da dem Minderjährigen bereits Titelvorschüsse in der vollen Höhe für den gesamten, unter Bedachtnahme auf sein Alter noch möglichen Gewährungszeitraum bewilligt worden seien, fehle es demnach an einer Grundlage für die Zuerkennung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob ungeachtet einer unterbliebenen Beweisführung des Bundes von Amts wegen aufgrund der Aktenlage und demnach eindeutig dokumentierten Fakten davon ausgegangen werden könne, dass der Unterhaltsschuldner nach seinen Kräften offenbar zur Leistung eines gegenüber dem bestehenden Titel höheren Unterhalts nicht in der Lage sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung seines Antrags auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG in Richtsatzhöhe.

Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Der Revisionsrekurswerber macht im Wesentlichen geltend, nach ständiger Rechtsprechung ermögliche jede auch noch so geringe Leistungsfähigkeit grundsätzlich eine Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG. Der Aufenthalt in Ländern mit geringerem Lohnniveau (hier: Türkei) mache trotz ungünstiger weiterer Voraussetzungen die Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners keineswegs offenbar. Die Unwahrscheinlichkeit eines Verdienstes in bestimmter Höhe bedeute nicht, dass der Unterhaltspflichtige dieses Einkommen nicht beziehen könne und der dem Bund obliegende Beweis erbracht worden wäre. Bei Zweifeln über das Ausmaß der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners habe die Unterhaltsvorschussgewährung in voller Richtsatzhöhe zu erfolgen.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesen Ausführungen wird keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt.

1. Die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage wird in den Rechtsmittelausführungen nicht angesprochen. Es wird insbesondere die Richtigkeit der Rechtsansicht des Rekursgerichts, im Rahmen der Antragsüberprüfung durch das Gericht nach § 11 Abs 2 UVG seien aktenkundige Tatsachen zu berücksichtigen, nicht in Zweifel gezogen. Diese Rechtsansicht des Rekursgerichts steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen (4 Ob 119/97x, 7 Ob 243/05v ua) sowie der weiteren ständigen Rechtsprechung, wonach für die Entscheidung die objektive Aktenlage maßgeblich ist, wie sie sich zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz darstellt (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 11 UVG Rz 14 mwN).

2. Die Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 zweiter Fall UVG setzt voraus, dass der Exekutionstitel iSd § 3 Z 1 UVG mehr als drei Jahre alt ist und eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrags aus vom Unterhaltsschuldner zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Überdies darf es nicht offenbar sein, dass der Unterhaltsschuldner zu einer Unterhaltsleistung bzw zu einer höheren Unterhaltsleistung außerstande ist. Nach der bereits vom Rekursgericht zutreffend zitierten ständigen Rechtsprechung hat der Bund den Beweis für die offenbare Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu erbringen. Zweifel an der Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu einer Unterhaltsleistung nicht „offenbar“, es sind vielmehr positive Beweise für die Leistungsunfähigkeit erforderlich ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 4 UVG Rz 44 f mwN; RIS Justiz RS0125664, RS0076273 ua). Ist erweislich oder evident, dass sich die materielle Unterhaltsschuld gegenüber den im (mehr als drei Jahre alten) Titel festgesetzten Beträgen nicht erhöht hat, kommt ein Unterhaltsvorschuss nach § 4 Z 2 UVG nicht in Betracht (vgl RIS Justiz RS0118524).

3. Die Auffassung des Rekursgerichts, im vorliegenden Fall sei aufgrund der dargelegten Umstände davon auszugehen, dass sich die Einkommens und Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners gegenüber den der letzten Unterhaltsfeststellung zugrundeliegenden Umständen offenbar nicht derart verbessert haben, dass seine materielle Unterhaltspflicht den Titel betragsmäßig übersteigen würde, stellt eine Einzelfallbeurteilung dar und steht im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall eine nur eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners schon einmal festgestellt wurde, weil er zum Zeitpunkt der Titelschaffung in Österreich lebte, arbeitslos war und als Hilfsarbeiter nur auf ein erzielbares Einkommen von 900 EUR monatlich angespannt werden konnte. Der nunmehrige Aufenthaltsort des Unterhaltsschuldners ist nicht bekannt. Hinweise auf eine Rückkehr nach Österreich oder auf eine Beschäftigung in einem anderem Mitgliedstaat der Europäischen Union liegen nicht vor. Wenn das Rekursgericht bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangte, dass der Unterhaltsschuldner zu einer höheren Unterhaltsleistung als der mit 180 EUR monatlich zuletzt titelmäßig festgesetzten Leistung nicht imstande sei, weshalb die Voraussetzung für die beantragte Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht gegeben seien, kann darin keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden (vgl auch 10 Ob 7/10t ua).

Der Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.