OGH 23.07.2019, 9Ob43/19t
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Familienrechtssache des Antragstellers ***** B*****, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, gegen den Antragsgegner ***** B*****, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhaltsherabsetzung, über den „außerordentlichen“ Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 91/19d-94, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Das Erstgericht wies das Begehren des Antragstellers (Vater des Antragsgegners) auf Unterhaltsenthebung insoweit ab, als es die bisher mit 450 EUR monatlich festgesetzte monatliche Unterhaltsleistung
1. für den Zeitraum bis mit 375 EUR festsetzte und
2. den Antragsteller von seiner Unterhaltspflicht nur für den Zeitraum bis enthob.
3. Weiters wies es das Mehrbegehren auf Unterhaltsenthebung
a) für den Zeitraum ab zur Gänze,
b) für den Zeitraum bis mit einem Betrag von 375 EUR ab.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge, dem Rekurs des Antragsgegners teilweise Folge, indem es das Enthebungsbegehren auch für den Zeitraum bis zur Gänze abwies. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für nicht zulässig erklärt.
Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der (außerordentliche) Revisionsrekurs des Vaters, in dem er auch den Antrag stellt (S 6), das Rekursgericht wolle den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof zulassen.
Der Antragsgegner erstattete eine „Rekursbeantwortung“.
Das Erstgericht legte das Rechtsmittel unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Aktenvorlage ist verfrüht.
1. Nach § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs – außer im Fall des § 63 Abs 3 AußStrG – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht den Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat (§ 59 Abs 1 Z 2 AußStrG). Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nur einen Antrag an das Rekursgericht (Zulassungsvorstellung gemäß § 63 Abs 1 und 2 AußStrG) stellen, den Zulässigkeitsausspruch dahin abzuändern, dass der Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde (§ 63 Abs 3 AußStrG). Mit dieser Zulassungsvorstellung ist der Revisionsrekurs zu verbinden.
2. Für die Berechnung des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts sind gesetzliche Unterhaltsansprüche gemäß § 58 Abs 1 JN mit dem 36-fachen Betrag jenes monatlichen Unterhaltsbeitrags zu bewerten, der zum Zeitpunkt der Entscheidung zweiter Instanz noch strittig war (RS0122735 [T8]). Wird die Herabsetzung eines Unterhaltsbetrags oder – wie hier – die Enthebung von der Unterhaltspflicht begehrt, so bildet den Streitwert der dreifache Jahresbetrag der begehrten Herabsetzung (RS0046543). Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall ein 30.000 EUR nicht übersteigender Wert des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts.
3. Wird gegen eine Entscheidung, die nur mit Zulassungsvorstellung angefochten werden kann, ein Revisionsrekurs erhoben, so hat das Erstgericht dieses Rechtsmittel – auch wenn es direkt an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist – dem Rekursgericht vorzulegen, weil derartige Rechtsmittel als Anträge iSd § 63 AußStrG zu werten sind (RS0109623 [T13]). Ob der dem Rekursgericht vorzulegende Schriftsatz den Erfordernissen des §
63 Abs 1 AußStrG entspricht oder ob er einer vorherigen Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T14]).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Familienrechtssache des Antragstellers *, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, gegen den Antragsgegner *, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhaltsherabsetzung, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 91/19d-94, mit dem gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 98 Fam 24/16y-83, gerichteten Rekurs des Antragstellers nicht Folge, dem Rekurs des Antragsgegners dagegen teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Das Erstgericht wies das Begehren des Antragstellers, Vater des am * 1996 geborenen Antragsgegners, auf Unterhaltsenthebung insoweit ab, als es die bisher mit 450 EUR monatlich festgesetzte monatliche Unterhaltsleistung für den Zeitraum bis mit 375 EUR festsetzte und den Antragsteller von seiner Unterhaltspflicht nur für den Zeitraum bis enthob. Das Mehrbegehren auf Unterhaltsenthebung wies es für den Zeitraum ab zur Gänze, für den Zeitraum bis mit einem Betrag von 375 EUR ab.
Es stellte fest, dass der Antragsgegner in einer eigenen Wohnung lebt, aber weiterhin durch die Mutter betreut wird. Nach Beendigung der Schule besuchte er diverse Praktika und versuchte, die Externisten-Matura zu absolvieren, brach diese aber immer wieder ab. Seit 2017 besucht er eine HTL, die er bislang zielstrebig absolviert. Es besteht bei ihm insbesondere ein Asperger-Autismus. Dass der Antragsgegner immer wieder seine Schulausbildung aufgab, war in der Vergangenheit daran gelegen, dass im Rahmen noch ausgeprägterer Zeichen des Asperger-Autismus vermehrte regressive Konfliktverarbeitungsmechanismen bestanden. Ihm war es nicht möglich, die Schulausbildung schon früher erfolgreich zu absolvieren, da die Symptome noch stärker ausgeprägt waren, zusätzlich Pubertätskonflikte bestanden und die regressiven Mechanismen im Rahmen der Pubertätsentwicklung noch deutlich verstärkt auftraten. Die Prognose der Absolvierung sieht günstig aus, weil es zwischenzeitlich zu einer Nachreifung der Persönlichkeit und Stabilisierung des Gesundheitszustands gekommen ist.
Zwischen September 2016 und Juni 2017 lag auch Arbeitsunfähigkeit vor. Im Juli und August 2017 hätte der Antragsgegner bis zum Schulbeginn aber eine vorübergehende Hilfsarbeitertätigkeit aufnehmen können.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Unterhaltspflicht des Vaters nach zweimonatiger Unterbrechung wieder auflebe, weil dem Antragsgegner die Absolvierung der Ausbildung nunmehr möglich sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge, dem Rekurs des Antragsgegners hingegen teilweise Folge, indem es das Enthebungsbegehren auch für den Zeitraum bis zur Gänze abwies. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nachträglich für zulässig erklärt.
In seinem gegen die Entscheidung des Rekursgerichts gerichteteten Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung des Beschlusses im Sinn einer gänzlichen Enthebung von seiner Unterhaltspflicht.
Der Antragsgegner beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).
1. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RS0030748; RS0042963 [T48, T61]). Dieser Grundsatz wäre nur dann unanwendbar, wenn das Rekursgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn das Rekursgericht einen primären Verfahrensmangel nach ausdrücklicher Prüfung verneint hat, unterläge doch andernfalls jede Entscheidung des Rekursgerichts über eine Mängelrüge der Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (vgl RS0042963 [T52, T55]).
Es trifft nicht zu, dass das Rekursgericht den vom Antragsteller gerügten Verfahrensmangel (keine Parteieneinvernahme bzw keine Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zur Parteieneinvernahme; Verletzung des Parteiengehörs) stillschweigend übergangen hätte. Das Rekursgericht hat sich vielmehr (S 19 ff des rekursgerichtlichen Beschlusses) mit dem behaupteten Verfahrensmangel auseinandergesetzt und ausführlich begründet, warum dieser nicht vorliegt. Unter anderem hat es darauf hingewiesen, dass das rechtliche Gehör gewahrt ist, wenn den Parteien Gelegenheit gegeben wurde, ihren Standpunkt darzulegen und sie sich zu allen Tatsachen- und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, (schriftlich) äußern können. Im außerstreitigen Verfahren herrsche ein Beweisaufnahmeermessen, eine mündliche Verhandlung sei – abgesehen von Ausnahmefällen – nach § 18 AußStrG nicht zwingend vorgeschrieben; das Erstgericht habe sich überdies einen persönlichen Eindruck verschaffen können. Ein Verfahrensmangel des Rekursgerichts liegt hier nicht vor.
2. Soweit der Antragsgegner erstgerichtliche Feststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung bekämpft und Ersatzfeststellungen begehrt, ist das im Revisionsrekursverfahren nicht zulässig (RS0108449; RS0007236).
3. Die Rechtsrüge ist nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn vom festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird (RS0043312 [T14]). Die Ausführungen, dass der Antragsgegner durchgehend arbeitsfähig gewesen sei und sich offensichtlich geweigert habe, eine Arbeit anzunehmen, entsprechen diesem Erfordernis nicht.
4. Soweit dem Revisionsrekurs auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts eine Rechtsrüge zu entnehmen ist, ist auf die schon vom Rekursgericht dargelegte Rechtsprechung zur (fiktiven) Selbsterhaltungsfähigkeit eines Unterhaltsberechtigten zu verweisen. Hervorzuheben ist, dass fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit dann vorliegt, wenn das unterhaltsberechtigte Kind nach Ende des Pflichtschulalters weder eine weitere zielstrebige Schulausbildung oder sonstige Berufsausbildung absolviert noch eine mögliche Erwerbstätigkeit ausübt, also arbeits- und ausbildungsunwillig ist, ohne dass ihm krankheits- oder entwicklungsbedingt die Fähigkeiten fehlten, für sich selbst aufzukommen (1 Ob 20/17y; vgl auch RS0114658; RS0128691). Voraussetzung der fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit ist, dass das Kind am Scheitern einer angemessenen Ausbildung oder Berufsausübung ein Verschulden trifft (RS0047605 [T11]). Ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RS0008857).
Das Vorbringen, dass es dem Antragsgegner über mehrere Jahre verschuldetermaßen nicht gelungen ist, eine Schulausbildung zu absolvieren, lässt nicht nur die Feststellungen zu den krankheits- und entwicklungsbedingten Gegebenheiten des Antragsgegners, sondern auch den Umstand außer Acht, dass es bei ihm zwischenzeitlich zu einer Nachreifung seiner Persönlichkeit, zur Stabilisierung seines Gesundheitszustands und zu einer günstigen Prognose der Absolvierung seiner seit 2017 zielstrebig verfolgten Schulausbildung gekommen ist. Nach der besonderen Fallkonstellation, die auch kein Verschulden des Antragsgegners erkennen lässt, liegt hier keine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts vor.
5. Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die erstinstanzliche Kostenentscheidung richtet, ist er jedenfalls unzulässig (§ 62 Abs 2 Z 1 AußStrG).
Der Revisionsrekurs ist danach zurückzuweisen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 Abs 1 AußStrG (vgl 6 Ob 141/19g mwN).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00043.19T.0723.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAD-85065