OGH vom 19.10.2010, 10Ob46/10b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen H*****, geboren am , vertreten durch das Land Oberösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Linz Land, 4020 Linz, Kärnterstraße 16), über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 142/10y 8, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, der Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom , GZ 27 PU 62/10w 2, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der am geborene Minderjährige ist das Kind von C***** und von D*****. Der Minderjährige und seine Eltern sind Staatsangehörige von Kamerun. Der Minderjährige lebt mit seiner Mutter in Oberösterreich. Ein Antrag des Minderjährigen und seiner Mutter auf Gewährung von Asyl wurde abgewiesen. Weiters wurde gemäß § 8 AsylG 2005 festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht zulässig ist. Dem Minderjährigen und seiner Mutter wurde weiters eine befristete Aufenthaltsberechtigung zunächst bis zum und in der Folge mit den beiden Bescheiden des Bundesasylamts jeweils vom bis zum erteilt.
Mit dem am beim Erstgericht eingebrachten Schriftsatz beantragte der Jugendwohlfahrtsträger für den Minderjährigen die Bewilligung von Unterhaltsvorschüssen nach den §§ 4 Z 2, 6 Abs 2 UVG und brachte dazu vor, dass im Hinblick auf Konventionsflüchtlinge die Anspruchsberechtigung für Unterhaltsvorschüsse bejaht werde. Beim Minderjährigen und seiner Mutter handle es sich um „Personen, deren Beziehungen zu ihrem Heimatland aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen seien“. Hinsichtlich solcher Personen ordne § 9 Abs 3 IPRG an, dass Personalstatut das Recht jenes Staats sei, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, also hier österreichisches Personalstatut. Der Vater lebe seit seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung in Kamerun. Über seine Lebens und Einkommensverhältnisse sei nichts bekannt. Als Bescheinigungsmittel wurden zwei Bescheide des Bundesasylamts jeweils vom sowie eine Niederschrift des Jugendwohlfahrtsträgers mit der Mutter vorgelegt.
Das Erstgericht bewilligte dem Kind mit Beschluss vom Unterhaltsvorschüsse in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG für den Zeitraum von bis mit der Begründung, dass mangels hinreichender Anhaltspunkte ein Unterhaltstitel nicht geschaffen werden könne. Der Unterhaltsschuldner sei unbekannten Aufenthalts. Aufgrund der Aktenlage bestünden keine Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, Folge. Es hob den erstgerichtlichen Beschluss auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Für die Rechtsstellung von „Konventionsflüchtlingen“ sei gemäß § 53 IPRG und Art 12 Z 1 der Flüchtlingskonvention das Sachrecht des Wohnsitzstaats bzw des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts maßgebend. Für die nicht der Flüchtlingskonvention unterliegenden Flüchtlinge gelte für die Beurteilung des Personalstatuts nach § 9 Abs 3 IPRG das IPR des Wohnsitz bzw Aufenthaltsstaats. Die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Eigenschaft als Flüchtling iSd Art 1 der Flüchtlingskonvention bzw des § 9 Abs 3 IPRG sei vom Gericht selbständig als Vorfrage zu beurteilen. Bei dieser Vorfragenprüfung komme zwar der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren stärkste Indizwirkung zu, jedoch könne das Gericht die Frage auch anders beurteilen, insbesondere wenn zwischen der Entscheidung im Verwaltungsverfahren und der gerichtlichen Entscheidung längere Zeit verstrichen sei und sich die Verhältnisse im Heimatstaat des Flüchtlings wesentlich geändert hätten. Zu all diesen Fragen habe das Erstgericht keine Erhebungen vorgenommen und auch keine Feststellungen getroffen, weshalb das Verfahren ergänzungsbedürftig sei.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil zur erheblichen Rechtsfrage der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen an subsidiär Schutzberechtigte noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des stattgebenden Beschlusses des Erstgerichts.
Die anderen Verfahrensparteien haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber wiederholt im Wesentlichen seinen bereits im Vorschussantrag vertretenen Rechtsstandpunkt, wonach ihm aufgrund des gemäß § 9 Abs 3 IPRG anzuwendenden österreichischen Personalstatuts ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse zustehe.
Der erkennende Senat hat dazu folgendes erwogen:
1. Nach § 2 Abs 1 UVG haben minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind, Anspruch auf Vorschüsse. Die Voraussetzung, dass der Unterhaltsberechtigte österreichischer Staatsbürger oder Staatenloser sei und seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben müsse, wird in den Gesetzesmaterialien (vgl RV 5 BlgNR XIV. GP 10) damit begründet, dass mit dem Gesetzesentwurf, auch international gesehen, weitgehend Neuland beschritten werde, durch die Vorschussleistungen dem Unterhaltsberechtigten vielfach nicht unbeträchtliche Beträge über einen längeren Zeitraum zugewendet würden und der Gesamtaufwand aufgrund des Gesetzesentwurfs nicht uferlos sein könne. Durch die Rechtsprechung des EuGH, wonach der Unterhaltsvorschuss nach dem UVG eine Familienleistung iSd Art 4 Abs 1 lit h der VO (EWG) 1408/71 darstelle, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 dieser Verordnung unterliege, wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten auf „EWR Bürger“ ausgedehnt ( Neumayr in Schwimann , ABGB³ I § 2 UVG Rz 10 mwN).
2. Auch die Anspruchsberechtigung von Flüchtlingen ergibt sich nicht unmittelbar aus dem UVG. Flüchtlinge sind zunächst nach der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl 1955/55) und dem Flüchtlingsprotokoll (BGBl 1974/78) Personen, die sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen“ (vgl Art 1 A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention). Gemäß Art 12 Abs 1 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) wird die personenrechtliche Stellung eines Flüchtlings vom Gesetz seines Wohnsitzlandes, wenn er keinen Wohnsitz hat, vom Gesetz seines Aufenthaltslandes bestimmt. Nach Art 23 GFK sollen die vertragschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich erlaubterweise auf ihrem Gebiet aufhalten, die gleiche Behandlung in der öffentlichen Unterstützung und Hilfeleistung gewähren, wie sie ihren eigenen Staatsbürgern zuteil wird. Nach Art 24 Z 1 lit b GFK werden die vertragschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich erlaubterweise in ihrem Gebiet aufhalten, auch im Bereich der Sozialversicherung (gesetzliche Bestimmungen über Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Alter, Todesfall, Arbeitslosigkeit, Familienverpflichtungen und sonstige Verpflichtungen, die nach den heimischen Gesetzen oder Verordnungen unter das Sozialversicherungswesen fallen) mit hier nicht vorliegenden Einschränkungen die gleiche Behandlung zuteil werden lassen, wie sie den eigenen Staatsangehörigen gewährt wird. Diese soeben zitierten Bestimmungen der GFK gebieten eine Gleichstellung der Konventionsflüchtlinge mit österreichischen Staatsangehörigen (vgl Christiane Wendehorst , Inzidentprüfung der Flüchtlingseigenschaft im Unterhaltsprozess Zur Bindung der Zivilgerichte an verwaltungsrechtliche Feststellungen, IPRax 1999, 276; im Ergebnis auch Neumayr aaO § 2 UVG Rz 15 f mwN).
3. Im vorliegenden Fall wird vom Antragsteller zwar nicht behauptet, dass ihm die Eigenschaft als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zukomme. Er macht aber geltend, dass ihm und seiner Mutter der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei und ihre Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen seien. Die Frage, ob auch subsidiär Schutzberechtigte bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen einen Vorschussanspruch iSd § 2 UVG haben, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es ist daher eine Frage der Auslegung, ob auch den subsidiär Schutzberechtigten ein Vorschussanspruch zusteht. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 wird Fremden zuerkannt, deren Asylantrag abgewiesen oder deren Asylstatus aberkannt wurde, die jedoch im Fall einer Rückkehr in ihr Herkunftsland einer realen Gefahr einer Menschenrechtsverletzung oder einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen von Konflikten ausgesetzt sind. Ihre tatsächliche Situation entspricht daher im Wesentlichen derjenigen von Asylberechtigten. Subsidiär Schutzberechtigte sind daher beispielsweise im Bereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes Asylberechtigten rechtlich gleichgestellt und dürfen ebenfalls sofort nach Zuerkennung dieses Status bewilligungsfrei eine Beschäftigung aufnehmen (vgl § 1 Abs 2 lit a AuslBG). Auch im Bereich der Familienleistungen sind subsidiär Schutzberechtigte den Konventionsflüchtlingen weitgehend gleichgestellt. So haben sie nach § 3 Abs 4 FamLAG bei Vorliegen der weiters normierten Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen haben subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 2 Abs 1 Z 5 lit c KBGG auch Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage und des Umstands, dass die tatsächliche Situation der subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen derjenigen von Konventionsflüchtlingen entspricht, sind daher subsidiär Schutzberechtigte auch im Bereich des UVG Konventionsflüchtlingen rechtlich gleichzustellen. Auch sie haben daher bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen einen Vorschussanspruch.
4. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist die Flüchtlingseigenschaft vom Gericht jeweils selbständig als Vorfrage zu prüfen. Die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft in einem Asylgewährungsbescheid bildet nur ein starkes Indiz (6 Ob 183/98z mwN = IPRax 1999, 260 krit Christiane Wendehorst 276; RIS Justiz RS0110397; RS0037183; Neumayr aaO § 2 UVG Rz 16 mwN; Verschraegen in Rummel , ABGB³ § 9 IPRG Rz 6 ua). Erfolgte eine solche Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Verwaltungsverfahren erst kurze Zeit vor der gerichtlichen Entscheidung, in der die Flüchtlingseigenschaft eine Vorfrage darstellt, wird das Gericht in der Regel von einer weiteren selbständigen Prüfung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte absehen können. Dies wird aber dann anders zu beurteilen sein, wenn seit der Feststellung ein geraumer Zeitraum verstrichen ist und sich die Verhältnisse im Heimatstaat des Flüchtlings wesentlich geändert haben (6 Ob 183/98z mwN = IPRax 1999, 260 krit Christiane Wendehorst 276).
4.1 In diesem Sinne trug das Rekursgericht dem Erstgericht im Hinblick darauf, dass die entsprechenden Bescheide des Bundesasylamts bereits vor ungefähr drei Jahren erlassen wurden, eine Ergänzung des Verfahrens zu der derzeit für den Minderjährigen und dessen Mutter aktuell bestehenden Situation auf. Erachtet aber das Gericht zweiter Instanz von einer richtigen Rechtsansicht ausgehend eine Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage als erforderlich, so kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten.
4.2 Das Erstgericht wird daher das Verfahren im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichts in dessen bekämpften Beschluss zu ergänzen haben. Dem Revisionsrekurs musste somit ein Erfolg versagt bleiben.