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OGH vom 25.01.2012, 15Os164/11y

OGH vom 25.01.2012, 15Os164/11y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Helmut S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 18 Hv 38/11t 36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Helmut S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „zu nicht näher bekannten Zeitpunkten vor dem in R***** in mehrfachen Angriffen mit der am geborenen Stefanie G*****, mithin einer unmündigen Person, den Beischlaf unternommen.“

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 4, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Diese verfehlt ihr Ziel.

Die unmündige Stefanie G***** erklärte anlässlich ihrer kontradiktorischen Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren lediglich, „keine Aussage treffen“ zu wollen (ON 12a). Demgemäß belehrte die Vorsitzende sie in der Hauptverhandlung am über ihre Wahrheits- und Aussagepflicht als Zeugin (§ 161 StPO) und darüber, dass ihr kein Aussageverweigerungsrecht zukomme. In der Folge gab die Zeugin zu ihrem Verhältnis zum Angeklagten befragt keine Antwort und schwieg. Auch auf die Frage des Verteidigers, ob sie ein sexuelles Verhältnis mit dem Angeklagten gehabt habe, antwortete sie nicht und verweigerte jegliche Antwort (ON 23 S 29 f).

Mit der Verfahrensrüge (Z 4) rügt der Beschwerdeführer unter Berufung auf das durch Art 6 Abs 3 lit d MRK gewährleistete Recht der Verteidigung, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen, dass das Schöffengericht keinerlei Beuge oder Zwangsmittel angedroht oder sonstige Maßnahmen gesetzt habe, um die Zeugin zu einer Aussage in der Hauptverhandlung zu veranlassen. Dadurch sei den Tatrichtern ein Entlastungsbeweis vorenthalten worden.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung auf den Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO scheitert aber schon daran, dass der Beschwerdeführer keinen diesbezüglichen Antrag in der Hauptverhandlung unabdingbare Voraussetzung einer erfolgversprechenden Rüge gestellt hat (RIS Justiz RS0098653; Ratz , WK StPO § 281 Rz 302). Darüber hinaus legt der Beschwerdeführer nicht dar, weshalb die Anwendung von Beugemitteln (§ 93 StPO) gegenüber der unmündigen Zeugin zulässig sein sollte (vgl 16 Os 21/90, RZ 1991/29; Kirchbacher , WK StPO § 154 Rz 2). Eine solche unterliegt nämlich dem für alle Zwangsmaßnahmen geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 5 StPO). Dabei sind neben der Bedeutung der Straftat sowie Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs auch die besonderen Umstände der betroffenen Person in den Blick zu nehmen (vgl § 160 StPO aF). Gerade gegen ein unmündiges Tatopfer ist daher der Einsatz solcher Beugemittel unverhältnismäßig ( Hinterhofer , Zeugenschutz und Zeugnisverweigerungsrechte im österreichischen Strafprozess 338; Schwaighofer , Zeugnisverweigerungsrechte und Beweisverwertungsverbote seit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, StPdG 24, 103; zur vergleichbaren Rechtslage in Deutschland: Ignor/Bertheau in Löwe Rosenberg StPO 26 § 70 Rn 8; Senge in Karlsruher Kommentar StPO 6 § 70 Rn 4; zur Unzulässigkeit von Ordnungsstrafen gegen unmündige Zeugen vgl Danek , WK StPO § 235 Rz 5). Schließlich ist es bei einer unberechtigten Verweigerung der Aussage für die Berechtigung zur Verlesung früherer gerichtlicher Aussagen nach § 252 Abs 1 Z 3 StPO ohne Belang, ob der Weigerung durch Anwendung von Beugemitteln abgeholfen werden kann (RIS Justiz RS0098311).

Soweit die Beschwerde dasselbe Argument auch im Rahmen der im Übrigen gegenüber der Verfahrensrüge subsidiären Aufklärungsrüge (Z 5a) vorbringt, macht sie ebenfalls nicht klar, weshalb der anwaltlich vertretene Angeklagte gehindert gewesen wäre, in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Antrag zu stellen (RIS Justiz RS0115823).

Indem die Tatsachenrüge weiters allgemein die Beweiswürdigung des Erstgerichts als „völlig lebensfremd“ kritisiert und eigene Erwägungen zum Beweiswert der Aussage der Freundin des Opfers, Bianca Sc*****, einer Zeugin vom Hörensagen anstellt, gelingt es ihr nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken. Die Angaben des Tatopfers vor der Polizei, die die Tatrichter, die von dem Mädchen in der Hauptverhandlung einen unmittelbaren Eindruck gewinnen konnten, als nicht glaubwürdig erachteten, wurden im Übrigen auf ausdrücklichen Wunsch des Verteidigers verlesen (ON 35 S 12).

Die Sanktionsrüge (Z 11) macht mit dem Vorbringen, das Erstgericht habe die Bedingungen für die Anwendung der §§ 43, 43a StGB außer Acht gelassen bzw keine Erwägungen dazu angestellt, keine Nichtigkeit iSd Z 11 dritter Fall, sondern nur einen Berufungsgrund geltend (RIS Justiz RS0117723; Ratz , WK StPO § 281 Rz 728).

Die Verurteilung wegen mehrerer Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB schließlich erfolgte rechtsrichtig, hat der Angeklagte nach den Urteilsannahmen doch mehrmals also realkonkurrierend den Beischlaf mit der unmündigen Stefanie G***** unternommen (US 1 und 3; Ratz in WK 2 Vor §§ 28 31 Rz 14 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.