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OGH vom 30.11.1989, 7Ob707/89

OGH vom 30.11.1989, 7Ob707/89

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth Maria H***, Hausfrau, Gmunden, Altmühlweg 19, vertreten durch Dr.Alois Nußbaumer ua., Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wider die beklagte Partei B*** D*** Linz, Linz, Hafnerstraße 20,

vertreten durch Dr.Alfred Haslinger ua., Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert 20.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom , GZ R 688/88-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Gmunden vom , GZ 2 C 1703/87-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.966,40 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 494,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstückes 323/13 der EZ 854 KG Ort-Gmunden, an dessen Rand ein Weg verläuft, der auch zum Grundstück 244 der EZ 719 KG Ort-Gmunden führt. Eigentümerin des letztgenannten Grundstückes ist die Beklagte. Der erwähnte Weg ist die einzige Zufahrtsmöglichkeit von der öffentlichen Straße zum rückwärtigen Grundstück (Nr. 244).

Die beiden Grundstücke standen seinerzeit im Eigentum der T*** B***-S*** UND W*** AG. Der Vater der Klägerin, Johann G***, war leitender Angestellter dieses Unternehmens. Er bewohnte mit seiner Ehegattin Theresia das aufdem rückwärtigen Grundstück befindliche Haus Theresientalstraße Nr. 71, zu dem der erwähnte Weg führt. Johann und Theresia G*** haben das vordere Grundstück mit Kaufvertrag vom 12.9./ von der T*** B***-S*** UND W*** AG erworben und es

mit Übergabsvertrag vom ihrer Tochter, der Klägerin, übertragen. Sowohl den Eheleuten G*** als auch der Klägerin waren die tatsächlichen Benützungsverhältnisse bezüglich des Weges und des Hauses Theresientalstraße Nr. 71 jeweils zum Zeitpunkt des Erwerbes ihrer Liegenschaft bekannt.

Die Beklagte hat das rückwärtige Grundstück mit dem Haus Theresientalstraße Nr. 71 mit Kaufvertrag vom erworben. Grund für die Veräußerung der Grundstücke an die Eheleute G*** einerseits und an die Beklagte andererseits war die Auflösung der T*** B***-S*** UND W*** AG. Diese hatte im Haus Nr. 71 einen Betriebs-Kindergarten und eine Werksküche geführte sowie eine dort befindliche Kapelle für Gottesdienste verwendet. Bis zur Veräußerung wurden, dem damaligen Stand der Modernisierung entsprechend, die Kinder fast ausnahmslos zu Fuß in den Kindergarten gebracht und die Gottesdienstbesucher kamen meist ebenso zu Fuß, wie die Besucher der Werkskantine. Allerdings wurden damals schon Lieferungen mittels LKW durchgeführt. Vereinzelt gab es auch Zufahrten mit dem PKW.

Die Beklagte hat das Haus Theresientalstraße Nr. 71 als Gottesdienststätte, zur Weiterführung des Kindergartens und zur Führung eines Jugendheimes, und zwar zur Unterbringung von Ferienkindern und (vor allem an Wochenenden) von Seminarteilnehmern erworben. Die Gottesdienste fanden ursprünglich jeden Tag, dann nur mehr an Sonn- und Feiertagen und seit etwa 1982 überhaupt nicht mehr statt. Der Kindergarten wurde nunmehr als allgemein zugänglicher Kindergarten geführt. Zwecks Führung des Jugendheimes und des Seminarraumes war eine Adaptierung erforderlich, die 1968 begonnen und 1969 beendet wurde. Während der Umbauarbeiten erfolgte die Zufahrt mit Baufahrzeugen und dergleichen uneingeschränkt nach den Bedürfnissen der vorzunehmenden Baumaßnahmen.

Entsprechend der allgemeinen Ausweitung der Modernisierung hat sich der Anteil jener Kindergartenbesucher und früher auch Gottesdienstbesucher, die mit einem PKW zufahren, ständig erhöht. Auch die Seminarteilnehmer fuhren immer häufiger mit PKWs zu. Die Teilnehmer, die mit PKW anfahren, stellen derzeit den überwiegenden Teil dar, was bereits für einen länger zurückliegenden Zeitraum gilt. Die Klägerin fühlt sich insbesondere dadurch belästigt, daß die Seminarteilnehmer, wenn sie am Freitag Abend anreisen, öfter bei ihr Erkundigungen nach der Lage des Heimes einziehen und daß sie in den Abendstunden noch Gmunden besuchen und erst in der Nacht zurückkehren.

Im Jahre 1988 wurde der Fahrweg von etwa 50 Autos von Seminarteilnehmern zum Teil mehrfach (abendliche Ausflüge) benutzt. Teilweise reisen Gruppen auch mit der Bahn an, deren Gepäck durch Kleinbusse herangeschafft wird. Schließlich fahren auch die Versorgungsfahrzeuge der Hausverwalter und Heimbesucher sowie die ihre Kinder gelegentlich besuchenden Eltern zu. Die Beklagte hat seit einiger Zeit vor ihrem Haus auf der Fahrbahn zwei Schwellen angebracht, um passierende Fahrzeuge zum Langsamfahren zu verhalten. Bereits in den Sechzigerjahren brachte Johann G*** vor dem Weg eine Tafel an, derzufolge die Benützung des "Privatweges" bis auf Widerruf gestattet sei. Aus dieser Tafel hat jedoch bisher niemand Konsequenzen gezogen.

Unter bereits in Rechtskraft erwachsener Abweisung eines Hauptbegehrens hat das Erstgericht die Beklagte schuldig erkannt, für das Unterlassen des Begehens und Befahrens des Grundstückes der Klägerin durch Seminarteilnehmer und Gäste des Hauses Theresientalstraße Nr. 71 zu sorgen. Es erblickte in der nunmehrigen Benützungsart eine unzulässige Ausweitung einer entstandenen

Dienstbarkeit

Das Berufungsgericht hat auch das Eventualbegehren abgewiesen. Es hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht aber 300.00 S übersteigt und die Revision für zulässig erklärt. Ebenso wie das Erstgericht vertrat es die Rechtsansicht, falls ein Teil einer Liegenschaft, der bisher dem anderen Teil offenkundig gedient hat, veräußert werde, entstehe eine Dienstbarkeit in jenem Umfang, in dem der veräußerte Teil bisher dem anderen Teil gedient habe. Erkennbar habe der Weg dem Zugang zum rückwärtigen Teil gedient. Demnach sei bei der Veräußerung eine Wegservitut zugunsten des rückwärtigen Teiles entstanden. Der Umfang einer Wegservitut richte sich in der Regel nach der Kulturgattung und Bewirtschaftungsart des herrschenden Grundstückes im Zeitpunkt der Bestellung oder Ersitzung der Dienstbarkeit. Die Änderung der Wirtschaftsart des herrschenden Grundes könne nur dann eine Änderung des Inhaltes einer Wegservitut bewirken, wenn die Belastung des dienenden Gutes nicht wesentlich erschwert werde. Dies könne hier nicht gesagt werden. Da der Klägerin und ihren Rechtsvorgängern bekannt sein mußte, daß die Beklagte außer der Weiterführung des Kindergartens mit dem Erwerb des Hauses Theresientalstraße Nr. 71 eine Nutzung verfolgte, die zwangsläufig offenkundig ein unbeschränktes Befahren des Weges erfordere, könne sie sich gegen diese nunmehrige Benützung nicht wehren.

Entgegen den Ausführungen der Revisionsbeantwortung ist die Revision zulässig, weil zwar die Grundsätze über eine zulässige Erweiterung einer Dienstbarkeit in der Judikatur behandelt worden sind, es sich im vorliegenden Fall jedoch um einen Grenzfall handelt, dessen Beurteilung über ihn hinaus von größerer Bedeutung ist. Die Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO sind daher gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist jedoch nicht gerechtfertigt.

Bei Übereignung einer zweier Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, entsteht auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit (SZ 57/38 ua.). Dies gilt auch für die Veräußerung zweier Grundstücke desselben Eigentümers an verschiedene Erwerber. Voraussetzung ist die Offenkundigkeit des Dienens.

Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Eheleute G*** bei Erwerb des nunmehr klägerischen Grundstückes genau über die Benützungsart und das Ausmaß der Benützung des rückwärtigen Grundstückes informiert waren. Demnach war die damalige Benützung des Weges für das rückwärtige Grundstück für sie offenkundig. Auch der Klägerin war bei Erwerb der Liegenschaft von ihren Eltern das Ausmaß und die Art der Benützung des rückwärtigen Grundstückes und die Notwendigkeit des Weges für dieses Grundstück bekannt. Es ist daher richtig, daß in diesem Umfang eine Dienstbarkeit zugunsten der Beklagten, als Eigentümerin des rückwärtigen Grundstückes, entstanden ist. Ist aber eine solche Dienstbarkeit entstanden, so kann deren Inhalt durch das Aufstellen einer ihr widersprechenden Tafel nicht verändert werden.

Die Klägerin bestreitet in der Revision letztlich gar nicht mehr das Entstehen eines Geh- und Fahrrechtes über den Weg, weil sie die Abweisung ihres ursprünglichen Begehrens in Rechtskraft erwachsen ließ. Sie wendet sich ersichtlich nur mehr gegen die Benützung des Weges außerhalb des Kindergartenbetriebs. Ihr ganzes Bestreben ist auf die Anerkennung ihres Rechtsstandpunktes gerichtet, in der Benützung des Weges durch Seminarteilnehmer und sonstige Gäste sei eine unzulässige Ausweitung der Dienstbarkeit gelegen. Nach § 484 ABGB dürfen Servituten nicht erweitert, sie müssen vielmehr, insoweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestattet, eingeschränkt werden. Diese Bestimmung stellt die Art der Ausübung der Dienstbarkeit ins Belieben des Berechtigten, ordnet aber ihre Einschränkung auf Natur und Zweck der Bestellung an. Mangels einer Vereinbarung bestimmen die Natur und der Zweck zur Zeit ihrer Bestellung den Umfang der Servitut. Darunter ist nicht immer zu verstehen, was sich die Begründer der Dienstbarkeit seinerzeit vorgestellt haben. Bei "ungemessenen" Dienstbarkeiten, deren Inhalt durch den Titel nicht eindeutig bestimmt ist, sind in diesem Rahmen die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten maßgebend. Eine unbedeutende Änderung der Benützungsart muß der Belastete hinnehmen; zum Beispiel erlaubt das landwirtschaftliche Fahrrecht die Zubringung von Baumaterial zur Reparatur oder Erneuerung des Gebäudes bei gleichbleibender Widmung, allenfalls zum Ausbau. Bei gleicher Kulturgattung entscheiden oft die besonderen Umstände, die Verwendung moderner landwirtschaftlicher Geräte oder höheren Ladung der Wagen (vgl. Petrasch in Rummel, Rdz 1 und 2 zu § 484). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß das rückwärtige Grundstück bereits zum Zeitpunkt des Erwerbes des vorderen Grundstückes durch die Eltern der Klägerin der Führung eines Kindergartens und einer Werkskantine sowie der Abhaltung von Gottesdiensten gedient hat. Es handelte sich hiebei durchwegs um Benützungsarten, die in den Rahmen der Dienstleistung fallen. Sämtliche dieser Veranstaltungen erforderten die Möglichkeit des Zuganges eines unbestimmten Personenkreises. Ferner war schon damals zwecks Betreuung und Erhaltung der Räumlichkeiten und des Betriebes das Zufahren mit Kraftfahrzeugen erforderlich. Auch Besucher der erwähnten Veranstaltungen sind bereits damals fallweise mit PKWs zugefahren. Nach dem Erwerb des rückwärtigen Grundstückes durch die Klägerin hat sich im wesentlichen daran nichts geändert. Es werden nach wie vor Dienstleistungen angeboten, die den Zugang eines unbestimmten Personenkreises erforderlich machen. Auch Lieferungen und Reparaturen sind nach wie vor notwendig. Daß die abgehaltenen Veranstaltungen sich zeitlich nicht mit den früheren Veranstaltungen decken, spielt keine Rolle. Hiebei handelt es sich nicht um eine wesentliche Ausweitung der Dienstbarkeit. Dies ergibt sich schon aus der Überlegung, daß eine Ausweitung im Sinne des § 484 ABGB dann keinesfalls anzunehmen wäre, wenn die Beklagte die Kindergartenzeiten verlängert oder gar über das Wochenende ausgedehnt hätte. Die Abhaltung von Seminaren ist aber, was die Benützung des Weges anlangt, ihrem Wesen nach nichts anderes als die Führung eines Kindergartens. In beiden Fällen dient der Weg dem Zu- und Abgang von Personen, die die entsprechende Veranstaltung besuchen. Es bleibt also nur die Vermehrung des Anteiles jener Personen, die mit dem PKW zufahren. Diese Vermehrung ist aber auf die allgemeine Tendenz zur Ausweitung der Motorisierung zurückzuführen. Dieser Trend hat es mit sich gebracht, daß Wohngebiete schlechthin eine Vermehrung der Belastung durch Kraftfahrzeuge erfahren. Berücksichtigt man, daß heutzutage viele Menschen nicht mehr bereit sind, größere Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen, so entspricht es den Bedürfnissen der Beklagten bezüglich der Aufrechterhaltung der von ihr geführten Betriebe, daß die Zufahrt auch mit einem PKW ermöglicht wird. Eine solche Zufahrt hält sich demnach im Rahmen der jeweiligen Bedürfnisse der Beklagten. Die allgemeine Tendenz zur Motorisierung mag vielleicht bedauerlich sein, doch führt eine solche Einschätzung nicht dazu, daß die daraus resultierende Mehrbelastung im Einzelfall als eine unzulässige Ausweitung einer Dienstbarkeit im Sinne des § 484 ABGB anzusehen ist.

Das Berufungsgericht hat also richtig erkannt, daß die Beklagte bereits mit dem Ankauf der Liegenschaft die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes über den strittigen Weg erworben hat und daß die derzeitige Benützung dieses Weges durch Besucher der Veranstaltungen der Beklagten nur eine Anpassung im Rahmen der jeweiligen Bedürfnisse der Beklagten darstellt, weshalb sich die Klägerin dagegen nicht mit Erfolg zur Wehr setzen kann. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.