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OGH vom 26.05.2010, 9Ob43/09b

OGH vom 26.05.2010, 9Ob43/09b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Tarmann Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. S***** B*****, vertreten durch Mag. Gerald Göllner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am ***** 1993 verstorbenen Dr. E***** B*****, zuletzt *****, vertreten durch Dr. Rudolf Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 235.400,60 EUR sA (Revisionsinteresse 34.314,86 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 15 R 186/08w 99, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 7 Cg 175/03m 91, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen insgesamt wie folgt zu lauten haben:

„1. Die Klageforderung besteht mit 78.703,85 EUR samt 4 % Zinsen seit zu Recht.

2. Die Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 78.703,85 EUR samt 4 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 156.696,75 EUR samt 4 % Zinsen seit zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.814,62 EUR (darin 802,44 EUR USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die mit 3.472,07 EUR (darin 328,25 EUR USt und 1.502,57 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.059,44 EUR (darin 315,24 EUR USt und 1.168 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Am ***** 1993 verstarb Dr. E***** B*****, die Mutter von Mag. E***** Be***** und der Klägerin. Erstere ist testamentarische Alleinerbin; die Klägerin, ihre Halbschwester, ist Pflichtteilsberechtigte. Im Revisionsverfahren geht es nur um die in erster Instanz zwischen den Beteiligten unstrittige Gegenverrechnung der Pflichtteilsforderung der Klägerin gegen die beklagte Verlassenschaft mit der titulierten Kostenersatzforderung der Halbschwester der Klägerin gegen die Klägerin in der Höhe von 34.314,86 EUR aus dem vorangegangenen Erbrechtsstreit. Der Oberste Gerichtshof kann in seiner Entscheidung die Wiedergabe des Parteivorbringens und der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen auf das beschränken, was zum Verständnis seiner Rechtsausführungen erforderlich ist (§ 510 Abs 3 Satz 1 ZPO).

Die Klägerin macht geltend, dass sie von dem ihr zustehenden Pflichtteil von 269.715,46 EUR bereits den Kostenersatzbetrag von 34.314,86 EUR, den sie ihrer Halbschwester schulde, durch außergerichtliche Aufrechnung in Abzug gebracht habe. Sie begehre daher mit der vorliegenden Klage von der beklagten Verlassenschaft nur mehr den restlichen Pflichtteil von 235.400,60 EUR sA.

Die beklagte Verlassenschaft, die in diesem Verfahren von der Halbschwester der Klägerin vertreten wird, der als Alleinerbin die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen wurde, sprach sich nicht gegen die Verrechnung mit dem Prozesskostenanspruch der Alleinerbin aus dem Vorprozess aus, sondern bekräftigte vielmehr ihrerseits, dass diese „Gegenforderung“ von dem von der Klägerin begehrten Pflichtteil in Abzug zu bringen sei. Sie bestritt jedoch die Höhe des nach der Verrechnung verbleibenden Pflichtteilsanspruchs, insbesondere den von der Klägerin zugrundegelegten Reinnachlass.

Das erstinstanzliche Verfahren konzentrierte sich auf die Berechnung des der Klägerin zustehenden Pflichtteils. Die unstrittige Prozesskostenforderung der Alleinerbin gegen die Klägerin, die nach dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten mit der Pflichtteilsforderung der Klägerin verrechnet werden sollte, tauchte erstmals als Problem im Ersturteil auf, und zwar aufgrund der Auslegung des Beklagtenvorbringens als aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung der Beklagten.

Das Erstgericht erkannte in seinem Urteil, dass 1. die Klageforderung mit 118.206,21 EUR zu Recht bestehe, 2. die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, 3. die Beklagte daher schuldig sei, der Klägerin 118.206,21 EUR samt 4 % Zinsen seit Klagezustellung, das ist der , binnen 14 Tagen zu bezahlen, und wies das Mehrbegehren der Klägerin über weitere 117.194,39 EUR samt Zinsenmehrbegehren ab. Die Kosten wurden gegeneinander aufgehoben.

Das Berufungsgericht gab der gegen das Ersturteil erhobenen Berufung der Beklagten (Berufungsinteresse 45.770,46 EUR) teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass die Klageforderung nur mit 113.018,71 EUR zu Recht bestehe und daher die Beklagte lediglich zur Zahlung dieses Betrags (statt 118.206,21 EUR) samt 4 % Zinsen erst ab (statt ) verurteilt werde. Der dreigliedrige Aufbau des Urteilsspruchs wurde beibehalten, auch die Feststellung des Nichtbestehens der Gegenforderung wurde bestätigt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

Nur gegen den Zuspruch des den Betrag von 78.703,85 EUR sA übersteigenden Klagebegehrens richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten (Revisionsinteresse 34.314,86 EUR) wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Klägerin lediglich 78.703,85 EUR sA zuerkannt werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der außerordentlichen Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Urteile der Vorinstanzen liegen innerhalb des durch das Klagebegehren abgesteckten Prozessrahmens; der Klägerin wurde von den Vorinstanzen auch nichts anderes als ihr Pflichtteil zuerkannt. Der Zuspruch eines Minus (gegenüber der begehrten Klageforderung) stellt keinen Verstoß gegen § 405 ZPO dar ( Rechberger in Rechberger , ZPO³ § 405 Rz 1; RIS-Justiz RS0033511, RS0037485, RS0117104 ua). Die Revisionswerberin rügt aber zurecht, dass die zwischen den Parteien und der Alleinerbin unstrittige Gegenverrechnung der Prozesskostenforderung der Alleinerbin gegen die Klägerin mit der Pflichtteilsforderung der Klägerin gegen die Verlassenschaft unberücksichtigt geblieben ist. Zutreffend wiesen die Vorinstanzen zwar darauf hin, dass die Aufrechnung grundsätzlich die Gegenseitigkeit von Forderung und Gegenforderung voraussetzt (§§ 1438, 1441 ABGB; RIS-Justiz RS0033791 ua). Im Rahmen des Möglichen und Erlaubten bleibt es aber den Beteiligten von Mehr-Personenverhältnissen aufgrund der Vertragsfreiheit unbenommen, mit Zustimmung aller Beteiligten von der Voraussetzung der Gegenseitigkeit abzugehen (vgl Dullinger in Rummel , ABGB³ § 1441 Rz 4; 6 Ob 21/83, SZ 56/128; 6 Ob 2320/96m; RIS-Justiz RS0033784 ua). Dies war hier der Fall und war auch jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz unstrittig.

Ob nun die Beklagte über die vereinbarte Gegenverrechnung hinaus die Kostenersatzforderung der Alleinerbin auch noch (hilfsweise) aufrechnungsweise eingewendet hat, betrifft eine Frage der Auslegung des Prozessvorbringens im Einzelfall, die im vorliegenden Revisionsverfahren nicht mehr von Bedeutung ist, nachdem die von der Beklagten insoweit in der Berufung gerügte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zufolge Verletzung der Anleitungspflicht vom Berufungsgericht verneint wurde. Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können in der Revision nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0044273 ua). In erster Linie konnte hier abgesehen von den Überlegungen der Vorinstanzen zur mangelnden Gegenseitigkeit die Prozesskostenforderung aus dem Vorprozess aber schon deshalb nicht mehr erfolgreich aufrechnungsweise eingewendet werden, weil diese Gegenforderung durch die Gegenverrechnung mit der Pflichtteilsforderung bereits konsumiert worden war und daher nicht nochmals für eine weitere Aufrechnung zur Verfügung stand.

Die noch in der Berufung der Beklagten aufgeworfene Frage der Berechnung des reinen Nachlasses und der darauf beruhenden Pflichtteilsforderung der Klägerin wird in der Revision nicht mehr thematisiert. Der Revisionswerberin geht es nur um die Berücksichtigung der von der Klägerin selbst initiierten, in erster Instanz unstrittigen Gegenverrechnung der Pflichtteilsforderung der Klägerin mit der Kostenersatzforderung der Alleinerbin. Dieses Thema wurde von der Beklagten auch in der Berufung angesprochen, ging dort aber in der Auseinandersetzung mit der Frage, ob von der beklagten Verlassenschaft im Prozess eine Gegenforderung aufrechnungsweise eingewendet werden kann, die eigentlich der die Verlassenschaft vertretenden Alleinerbin zusteht, unter.

Das Ergebnis des Berufungsverfahrens ist nun für den Obersten Gerichtshof insoweit bindend, als über die erfolgte Gegenverrechnung hinaus auch im Revisionsverfahren nicht von einer noch zusätzlich bestehenden Gegenforderung der Beklagten auszugehen ist. Zufolge eigener Berechnung der Klägerin in der Klage ist die von der Beklagten in der Revision nicht mehr bestrittene Pflichtteilsforderung von 113.018,71 EUR (als unbekämpftes Ergebnis der Berufungsentscheidung) in die von den Beteiligten in erster Instanz zugrundelegte Gegenverrechnung mit der Kostenersatzforderung der Alleinerbin einzubringen. Demnach ist die Pflichtteilsforderung der Klägerin von 113.018,71 EUR um die Kostenersatzforderung ihrer Halbschwester von 34.314,86 EUR zu vermindern, weshalb der Klägerin nur mehr 78.703,85 EUR gegen die beklagte Verlassenschaft zustehen. Das abzuweisende Mehrbegehren der Klägerin beträgt daher ausgehend von einem Klagebegehren von 235.400,60 EUR sA 156.696,75 EUR sA.

Die schon in der Klage von der Klägerin abgezogene Kostenschuld zusätzlich noch durch eine „entsprechende Zinsenverrechnung zu valorisieren“, kommt entgegen diesbezüglicher, über den Revisionsantrag hinausgehender Andeutungen der Revisionswerberin nicht in Betracht, wenn man wie von ihr zurecht gefordert den Konsens der Beteiligten zugrundelegt, wonach die Kosten von der Klägerin nicht an die Alleinerbin bezahlt, sondern mit der im Prozess gegen die Verlassenschaft zu klärenden Pflichtteilsforderung verrechnet werden.

Zusammenfassend ist somit der Revision der Beklagten Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 43, 50 ZPO. Die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen bedingt eine abweichende Kostenentscheidung für die vorinstanzlichen Verfahren. Im erstinstanzlichen Verfahren obsiegte die Beklagte mit rund zwei Drittel. Sie hat daher Anspruch auf ein Drittel ihrer Rechtsanwaltskosten abzüglich eines Drittels der Gerichts- und Sachverständigengebühren der Klägerin. Letztere beliefen sich entgegen der Verzeichnung der Klägerin nicht auf 3.700 EUR, sondern lediglich auf 3.358,12 EUR; die Differenz wurde vom Erstgericht an den Klagevertreter rücküberwiesen. Im Berufungsverfahren obsiegte die Beklagte mit rund sechs Siebentel, sie hat daher Anspruch auf sechs Siebentel ihrer für die Berufung aufgelaufenen Pauschalgebühr und auf fünf Siebentel ihrer auf das Berufungsverfahren entfallenden Rechtsanwaltskosten (vgl Fucik in Rechberger , ZPO³ § 43 Rz 6; 3 Ob 195/09m ua). Im Revisionsverfahren obsiegte die Beklagte zur Gänze. Die Pauschalgebühr für das Revisionsverfahren beträgt beim gegenständlichen Revisionsinteresse allerdings lediglich 1.168 EUR und nicht wie verzeichnet 2.337 EUR (TP 3 GGG). Die der Klägerin vorschwebende Kostenaufhebung gemäß § 43 Abs 2 ZPO wegen Ausmittlung durch Sachverständige kommt nach der Lage des Falls nicht in Betracht; ein bedeutender Teil der Überklagung beruhte auf der Zugrundelegung einer überhöhten Pflichtteilsquote.