OGH vom 22.10.2013, 10Ob45/13k

OGH vom 22.10.2013, 10Ob45/13k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen L*****, geboren am , vertreten durch das Land Wien als Kinder und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirke 1, 4 9, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 43 R 222/13k 26, womit über Rekurs des Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 6 Pu 122/11m 18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom , GZ 6 Fam 41/11i 20, wurde M***** als Vater des minderjährigen L***** festgestellt.

Mit weiterem rechtskräftigen Beschluss des Erstgerichts vom (ON 8) wurden dem Minderjährigen antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG in Höhe von 160 EUR monatlich für die Zeit vom bis gewährt. In der Folge wurde der Vater mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom (ON 15) ab zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 160 EUR an den Minderjährigen verpflichtet.

Mit Eingabe vom (ON 17) teilte der Kinder und Jugendhilfeträger mit, dass der Unterhaltsschuldner seit seinen Präsenzdienst leiste.

Mit dem nunmehr verfahrensgegenständlichen Beschluss vom (ON 18) stellte das Erstgericht die dem Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 160 EUR monatlich mit Ablauf des Jänner 2013 ein, weil der Vater seit seinen Präsenzdienst absolviere und aus einer vom Kinder und Jugendhilfeträger vorgelegten Mitteilung des Heerespersonalamts vom hervorgehe, dass dieses ab dem Beginn des Grundwehrdienstes des Vaters () für die Dauer des Grundwehrdienstes den monatlichen Unterhalt in Höhe von 160 EUR für den Minderjährigen leiste. Die bisher gewährten Unterhaltsvorschüsse seien daher gemäß § 20 UVG einzustellen.

Das Rekursgericht hob in Stattgebung des Rekurses des Minderjährigen den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos auf. Es vertrat die Rechtsansicht, der Umstand, dass der dem Minderjährigen zustehende Unterhalt von 160 EUR monatlich zufolge des Grundwehrdienstes des unterhaltspflichtigen Vaters kraft öffentlich rechtlicher Vorschriften (HGG) von der öffentlichen Hand, nämlich über das Heerespersonalamt, an den Jugendwohlfahrtsträger geleistet werde, könne nicht anders beurteilt werden, als wenn vom Unterhaltsschuldner selbst ab einem gewissen Zeitpunkt die seiner materiellen Unterhaltspflicht entsprechenden Leistungen erbracht worden wären. Dadurch allein wäre nämlich keines der Tatbestandsmerkmale des § 20 UVG erfüllt. Die gegenständliche Sachlage könne nicht anders behandelt werden, als wenn sonst ein Drittschuldner direkt an einen Unterhaltsberechtigten zu leisten habe.

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. In der Folge änderte es aber über Zulassungsbeschwerde des Revisionsrekurswerbers seinen Ausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei, weil seine Entscheidung von der Entscheidung 1 Ob 419/97t des Obersten Gerichtshofs abweiche.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses.

Der Minderjährige, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger, erstattete eine Revisionsrekurs-beantwortung und beantragte sinngemäß, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Im Revisionsrekurs wird geltend gemacht, dass nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 419/97t) für den Fall, dass das Kind für die Dauer des Präsenz oder Zivildienstes des Vaters Familienunterhalt nach dem HGG erhält, während dieser Zeit die Unterhaltspflicht des Vaters ruht, sodass die deswegen gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 20 UVG einzustellen seien.

Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

1. Unterhaltsvorschüsse sind aus den in § 20 Abs 1 Z 1 bis 4 UVG genannten Gründen einzustellen. Diese Aufzählung ist grundsätzlich taxativ, eine Analogie für den Fall einer Gesetzeslücke ist aber nicht ausgeschlossen (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 20 UVG Rz 1 mwN).

2. Dem § 20 UVG liegt die Erwägung zugrunde, dass dem Gericht, auch wenn die Vorschüsse jeweils nur auf bestimmte Zeit gewährt werden, doch die Möglichkeit gegeben werden muss, die Vorschüsse auch vor Ablauf dieser Zeit aus bestimmten Gründen einzustellen. Das Gesetz (vgl § 20 Abs 2 UVG) stellt klar, dass die Einstellung nicht erst mit der gerichtlichen Beschlussfassung, sondern (rückwirkend) mit dem Eintritt des Einstellungsgrundes wirksam werden soll, das ist im Falle des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG der Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse (7 Ob 606/92 = RIS Justiz RS0076762).

3. Während der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 5 Ob 523/94 die Ansicht vertreten hat, die unmittelbare Überweisung von öffentlich rechtlichen Leistungen durch einen Dritten, etwa von „Familienunterhalt“ nach dem HGG für die Zeit des ordentlichen Präsenzdienstes, bilde zwar einen Grund für eine Vorschusseinstellung, es liege aber insoweit kein Grund für eine analoge Anwendung der in § 20 UVG geregelten (rückwirkenden) Einstellungsgründe vor, wird vom Obersten Gerichtshof demgegenüber in der neueren Rechtsprechung (vgl 1 Ob 419/97t) der Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG analog herangezogen, wenn das Kind während des Präsenz oder Zivildienstes des Unterhaltsschuldners direkt den Familienunterhalt nach dem HGG ausbezahlt erhält. Dieses Ergebnis wird damit begründet, dass eine Doppelalimentierung des Kindes (Unterhaltsvorschuss in Höhe des Familienunterhalts und Familienunterhalt) durch die öffentliche Hand jedenfalls nicht in Betracht kommt und dadurch ein „sinnloses Nullsummenspiel zwischen mehreren öffentlichen Kassen“ (Auszahlung der Vorschüsse und sofortige Rückzahlung im Hinblick auf den Familienunterhalt) vermieden wird. Dieser Einstellungsgrund wurde auch in dem vergleichbaren Fall des Ruhens der Unterhaltspflicht während einer Haft des Unterhaltsschuldners angenommen (1 Ob 419/97t mwN). Voraussetzung ist aber, dass die Leistung tatsächlich gewährt bzw ausbezahlt wird ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 20 UVG Rz 7).

4. Der erkennende Senat schließt sich dieser in der Entscheidung 1 Ob 419/97t vertretenen Rechtsansicht an. Aus der Sicht des unterhaltsberechtigten Kindes macht es keinen Unterschied, ob der ihm als Unterhalt zustehende Betrag von 160 EUR monatlich aus Unterhaltsvorschüssen nach dem UVG oder aus Familienunterhaltszahlungen nach dem HGG stammt. Berücksichtigungswürdige Interessen des Kindes werden daher durch die Einstellung der Vorschüsse für die Zeit der Gewährung von Familienunterhalt nach dem HGG nicht berührt (vgl 1 Ob 419/97t).

5. Soweit der Minderjährige dieser Ansicht in seiner Revisionsrekursbeantwortung unter Hinweis auf § 18 UVG entgegenhält, dass der Unterhaltspflichtige eine Vertrauensbasis für die Zukunft zu schaffen habe, dass er die laufenden Unterhaltsbeträge zur Gänze abdecken werde, und diese Vertrauensbasis für die Zeit nach Ableistung des Präsenzdienstes nicht gegeben sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass ein Fall einer Weitergewährung von Unterhalts-vorschüssen nach § 18 UVG nicht vorliegt und sich die Einstellung der Vorschüsse ohnedies nur auf die Zeit der Gewährung von Familienunterhalt nach dem HGG bezieht.

6. Im vorliegenden Fall erhält der Minderjährige Familienunterhalt nach den Regelungen des HGG 2001 idgF, wobei diese Regelungen im Wesentlichen der Rechtslage nach dem HGG 1992 entsprechen. Die rückwirkende Einstellung der Gewährung der Vorschüsse mit Ablauf des Jänner 2013 durch das Erstgericht erfolgte daher aufgrund der dargelegten Erwägungen zu Recht.

Es war somit in Stattgebung des Revisionsrekurses die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.