OGH vom 17.01.1985, 7Ob701/84
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter A***, Arbeitnehmer, Steyr, Roseggerstraße 16, vertreten durch Dr. Friedrich Grohs, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte Partei S*** S***, vertreten durch Dr. Kurt Keiler, Rechtsanwalt in Steyr, wegen S 244.120,30 s. A. und Feststellung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom , GZ 2 R 150/84-23, womit das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom , Gz 3 b Cg 389/82-17, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Vom Wohnviertel Ennsleite in Steyr führt die sogenannte Hochhausstiege, die beiderseits durchgehend bewaldet ist, zum angrenzenden Villenviertel Neuschönau. Über die Hochhausstiege gelangt man auch zum Hauptgeschäftszentrum der Stadt. Am gegen 6 Uhr 45 kam der Kläger etwa 60 m nach Beginn der Hochhausstiege auf der ersten Stufe nach einem 7 m langen Flachstück zu Sturz, wodurch er schwer verletzt wurde. Der Kläger begehrt den Ersatz des Verdienstentganges von S 44.120,30, ein Schmerzengeld von S 200.000 je s.A. und die Feststellung der Ersatzpflicht der beklagten Partei für künftige Schäden. Die Hochhausstiege sei im Unfallszeitpunkt nicht von Schnee geräumt gewesen und habe einen festgetretenen Schneebelag aufgewiesen. Die beklagte Partei, die Halterin des Weges sei, habe entgegen der bisherigen Übung nur einen Bediensteten und noch dazu einen unerfahrenen zur Schneeräumung eingesetzt und die Schneeräumung nicht überwacht.
Die beklagte Partei bestreitet dies und behauptet, daß die Ungeschicklichkeit des Klägers Alleinursache seines Sturzes gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen hatte es vor dem Unfallstag zuletzt am Vormittag des geschneit. Im freien Gelände betrug die Schneehöhe ca. 30 cm. Die Lufttemperatur schwankte zwischen minus 10 und minus 5 Grad Celsius. In den Abendstunden kam es zu Nebel- und Reifbildung. Am lag die Lufttemperatur zwischen minus 21 und minus 8 Grad Celsius. Es herrschte wolkenloses, sonniges Wetter. Im Unfallszeitpunkt betrug die Lufttemperatur bei wolkenlosem Himmel minus 14 Grad Celsius. Die Hochhausstiege stößt an ihrem unteren Ende mit der gleichfalls von der Ennsleite herabführenden Märzenkellerstiege zusammen. Beide Stiegen werden in der Regel von den Bediensteten der beklagten Partei Friedrich P*** und Gerhard M*** betreut. Bei starkem Schneefall werden auch mehrere Leute zur Schneeräumung eingesetzt. Wenn kein Neuschnee gefallen ist, werden die Stiegen von Friedrich P*** und Gerhard M*** bei Arbeitsbeginn um 6 Uhr begangen und bestreut. Bei vorangegangenem starken Schneefall beginnt Friedrich P*** seine Arbeit bereits um 3 oder 4 Uhr. Beide werden täglich mindestens einmal, manchmal aber auch mehrere Male zu verschiedenen Zeiten kontrolliert. Bisher kam es hiebei noch zu keinen Beanstandungen. Bei stärkerem Schneefall wird zunächst der Schnee an die Stiegenränder geschert, um einen schneefreien Durchgang zu schaffen.Bereits festgetretener Schnee wird weggekratzt. In einem solchen Fall ist ein Arbeiter einen ganzen Tag mit der Säuberung der Stiege beschäftigt. Erfolgen keine weiteren Schneefälle, so dauert es ca. 2 Tage, bis der Schnee von der Stiege vollkommen entfernt ist. Nur bei leichten Schneefällen wird der Schnee sofort völlig entfernt. Eine Salzstreuung wird nur bei äußerst schlechten Witterungsverhältnissen vorgenommen. Im übrigen wird nach durchgeführter Schneeräumung täglich Rollsplitt gestreut. Friedrich P*** war vom 13.1. bis im Krankenstand. Ab war daher Gerhard M*** allein mit der Räumung und Bestreuung der beiden Stiegen betraut. Er war am Montag, dem 4 Stunden, am Dienstag, dem 12.1. und am Mittwoch, dem jeweils 2 Stunden mit der Räumung und Streuung der Hochhausstiege beschäftigt. Am begann er seine Arbeit um 6 Uhr. Er war ca. eine halbe Stunde mit der Streuung der Märzenkellerstiege beschäftigt. Anschließend begann er, die Hochhausstiege von oben zu bestreuen. Die Unfallstelle hatte er im Unfallszeitpunkt noch nicht bestreut. Im übrigen war jedoch die Hochhausstiege weitgehend von Schnee geräumt. Es waren nur vereinzelte Stellen mit festgetretenem Schnee vorhanden. Das Erstgericht beurteilte den festgestellten Sachverhalt nach den Bestimmungen des § 1319 a ABGB, die sich auch auf die Vernachlässigung der Wegewartungspflicht erstreckten und durch die frühere, denselben Gegenstand regelnde Vorschriften derogiert worden seien. Nach § 1319 a ABGB sei die Haftung des Wegehalters auf grobe Fahrlässigkeit eingeschränkt. Eine solche Schuldform könne aber der beklagten Partei und ihren Leuten nicht angelastet werden. Die Stiege sei im wesentlichen von Schnee gesäubert gewesen.Das Übersehen einzelner Stellen durch einen Bediensteten kann nicht als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden; desgleichen nicht der Umstand, daß Gerhard M***, nachdem sich die Wetterlage bereits beruhigt hatte, am Unfallstag mit der Betreuung von 2 Stiegen betraut und die Hochhausstiege im Unfallszeitpunkt noch nicht nachgestreut gewesen sei. Hiebei sei zu berücksichtigen, daß die Hochhausstiege vor allem zu einem Geschäftszentrum und nicht zu handwerklichen Betrieben führe. Das Geschäftsleben beginne aber erfahrungsgemäß est später.
Das Berufungsgericht war der Auffassung, daß die Bestimmungen des § 93 StVO, nach denen auch für leichte Fahrlässigkeit gehaftet werde, durch § 1319 a ABGB nicht derogiert worden seien. Die Säuberungs- und Streupflicht nach § 93 StVO treffe zwar grundsätzlich nur die Anrainer. Bei öffentlichen Verkehrsflächen sei es aber nicht auszuschließen, daß deren Eigentümer mit dem Eigentümer der unmittelbar angrenzenden Liegenschaften ident sei. Sei ein Anrainer nicht vorhanden, treffe überdies die Säuberungs- und Streupflicht den Träger der Straßenbaulast. Die beklagte Partei würde daher auch bei leichter Fahrlässigkeit für den Schaden des Klägers einzustehen haben, wenn sie Eigentümerin einer im Bereich der Unfallstelle unmittelbar an die Hochhausstiege angrenzenden Liegenschaft oder, bei Fehlen eines Anrainers, Eigentümerin der Stiege selbst oder Träger der Straßenbaulast sei. In diesem Falle würde die Haftung der beklagten Partei nach § 1319 a ABGB mit jener nach § 93 StVO konkurrieren, wobei sich der Kläger auf die für ihn günstigere Norm stützen könne. Der Kläger habe zwar primär die beklagte Partei als Wegehalter in Anspruch genommen, sich aber auch auf jeden anderen möglichen Rechtstitel berufen. Zur Beurteilung der Haftung der beklagten Partei nach § 93 StVO reiche aber der festgestellte Sachverhalt nicht aus.Neben der Frage der Anrainer- bzw. Eigentümerstellung der beklagten Partei und ihrer Eigenschaft als Trägerin der Straßenbaulast, sei auch zu klären, ob die Hochhausstiege ein Gehweg im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 11 StVO sei.Eine leichte Fahrlässigkeit der beklagten Partei könne nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden. Auch in dieser Richtung sei jedoch der festgestellte Sachverhalt noch ergänzungsbedürftig. Den Rechtskraftvorbehalt begründete das Berufungsgericht damit, daß eine Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der Rechtssatz, daß bei Fehlen eines Anrainers die Verpflichtung zur Bestreuung den Träger der Straßenbaulast treffe (ZVR 1977/128), nach Inkrafttreten des BG BGBl 416 aufrechterhalten werden könne. Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der beklagten Partei, dem Berechtigung zukommt. Nach § 1319 a ABGB, der dem ABGB durch das BG. vom BGBl.416 eingefügt wurde, haftet der Halter eines Weges für den Ersatz des Schadens, wenn durch den mangelhaften Zustand des Weges ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Die Haftung ist jedoch auf die Schuldform des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit eingeschränkt. Diese Bestimmung ist am in Kraft getreten. Bis dahin bestand eine entsprechende gleichfalls haftungsprivilegierte Regelung für Bundesstraßen nach § 5 des Bundesstraßengesetzes 1971 und nach einzelnen Landesgesetzen. Die Bestimmung des § 5 Bundesstraßengesetz 1971 wurde formell (Art. IV des BG BGBl.416), die entsprechenden landesgesetzlichen Bestimmungen materiellrechtlich derogiert (Blg.NR 13.GP 1678, 8; 8 Ob 184/82).Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß zur Betreuung eines Weges im Sinne des § 1319 a ABGB auch die Säuberung und Bestreuung des Weges gehört (SZ 54/92 und 21 mwN). Die Ersatzpflicht für Schäden infolge Vernachlässigung dieser Pflichten bei Eintritt des schädigenden Ereignisses nach dem richtet sich daher nach § 1319 a ABGB, insoweit der auf Schadenersatz in Anspruch Genommene für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist. Halter des Weges ist, wer die Kosten für die Errichtung und (oder) die Erhaltung des Weges trägt und die Verfügungsmacht darüber hat (SZ 52/27; SZ 51/129 u.a.). Zum Verhältnis des § 1319 a ABGB zu § 93 StVO hat der Oberste Gerichtshof den Standpunkt vertreten, daß die Streupflicht und die sonstigen Pflichten des Liegenschaftseigentümers nach § 93 StVO nicht unter die Haftungseinschränkung des § 1319 a ABGB fallen (ZVR 1982/261; SZ 54/92 und 21; vgl. auch Posch, die Folgen des § 1319 a ABGB in ZVR 1984, 257 f, insbesondere 262). Dem Geschädigten kann demnach sowohl ein unter das Haftungsprivileg des § 1319 a ABGB fallender Ersatzanspruch gegen den Halter des Weges als auch ein nicht auf die Schuldformen des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit eingeschränkter Ersatzanspruch gegen den Anrainer zustehen. Ist der Anrainer zugleich Wegehalter, kann der Geschädigte wählen, auf welche Bestimmungen er seinen Anspruch stützen will (Koziol Haftpflichtrecht 2 II 68 Anm.66). Fehlt es an einem Anrainer, so muß es bei der allgemeinen Regelung des § 1319 a ABGB bleiben (so schon ZVR 1977/128). Der Rechtssatz, daß in den Ausnahmefällen, in denen ein Anrainer nicht vorhanden ist, die Verpflichtung zur Säuberung und Bestreuung den Träger der Straßenbaulast trifft, ist daher mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, daß diese Rechtspflichten nunmehr den Wegehalter treffen, wobei aber für die Beurteilung der Haltereigenschaft der Frage nach dem Träger der Straßenbaulast entscheidende Bedeutung zukommt und die Haftung nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit eingeschränkt ist.
Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, daß die beklagte Partei Halterin der Hochhausstiege ist. Nur als solche wurde sie auch vom Kläger in Anspruch genommen. Der Kläger erklärte zwar, die Haftung der beklagten Partei auf alle "denkmöglichen Rechtstitel" zu stützen, ohne jedoch ein Sachvorbringen zu erstatten, das eine Prüfung der Ersatzpflicht der beklagten Partei unter einem anderen als dem angezogenen Haftungsgrund erforderte. Es wurde insbesondere nicht einmal behauptet, daß die beklagte Partei Eigentümerin einer an die Hochhausstiege angrenzenden Liegenschaft sei und ihr demnach die Stellung eines Anrainers im Sinne des § 93 StVO zukomme. Das Gericht hat sich auf den aus dem Parteienvorbringen sich ergebenden Streitgegenstand zu beschränken (RZ 1979/16). Es ist zwar an die vom Kläger vorgenommene rechtliche Qualifikation nicht gebunden, hat jedoch den erhobenen Anspruch nur insofern nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, als ein entsprechendes Sachvorbringen vorhanden ist(vgl. Fasching IV 323). Mangels entsprechender Behauptungen kommt daher im vorliegenden Fall eine Aufhebung zur Untersuchung eines anderen als des angezogenen Haftungsgrundes nicht in Betracht.
Rechtliche Beurteilung
Legt man die erstgerichtlichen Feststellungen der Beurteilung zugrunde, muß eine grobe Fahrlässigkeit der beklagten Partei und ihrer Leute im Sinne des § 1319 a ABGB in Übereinstimmung mit dem Erstgericht verneint werden. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war die Hochhausstiege an den Vortagen geräumt und bestreut worden. Vereinzelte, festgetretene Schneestellen fallen nicht ins Gewicht. In Anbetracht der unveränderten Witterungslage war daher am Tage des Unfalls nur eine Kontrolle und eine allfällige Nachstreuung erforderlich. Daß hiefür nur ein Bediensteter eingesetzt wurde und diese Betreuung im Unfallszeitpunkt noch nicht restlos abgeschlossen war, stellt keine außergewöhnliche und auffallende Sorgfaltsverletzung dar. Die erstgerichtlichen Feststellungen wurden jedoch vom Kläger bekämpft, und es wurde auch ein Verfahrensmangel geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat sich, ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsmeinung, mit diesen Berufungsgründen nicht befaßt, so daß die Streitsache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war (§§ 510 und 503 Abs. 1 Z 2 ZPO).
Demgemäß ist dem Rekurs Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
YAAAD-84915