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OGH vom 17.02.2010, 15Os162/09a

OGH vom 17.02.2010, 15Os162/09a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Strohmayer als Schriftführer in der Strafsache gegen Mario S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom , GZ 407 Hv 3/08p 203, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruht, wurde Mario S***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am in Prag/Tschechien Volha S***** getötet, indem er ihr mit einem stumpfen Gegenstand mehrere Schläge gegen den Kopf und Bauchbereich versetzte, wodurch die Genannte einen offenen Splitterbruch des Nasenbeins und der angrenzenden Ausläufer der Kieferbeine, einen Bruch der Nasenscheidewand, einen Schädelbasisbruch, Risswunden und Quetschungen auf dem behaarten Kopfteil, subkutane Blutergüsse im Gesicht und Quetschungen des Dünndarmvorhangs erlitt, wobei es in der Folge zu inneren Blutungen und zum Einatmen des Bluts in die Lunge kam, woran die Genannte verstarb.

Die Geschworenen hatten die nach dem Verbrechen des Mordes gestellte Hauptfrage bejaht, wodurch eine Beantwortung der in Richtung § 87 Abs 2 zweiter Fall StGB und §§ 83 Abs 1, 86 StGB gestellten Eventualfragen entfiel.

Zuvor war die Strafsache im ersten Rechtsgang nach Aussetzung der Entscheidung gemäß § 334 Abs 1 StPO durch den Schwurgerichtshof vom Obersten Gerichtshof (15 Ns 7/09m) gemäß § 334 Abs 2 StPO vor ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen worden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den vorliegenden Schuldspruch richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 4, 5, 6, 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet, der Schwurgerichtshof und die Geschworenenbank seien im zweiten Rechtsgang deshalb nicht gehörig besetzt gewesen, weil die im ersten Rechtsgang erfolgte Aussetzung der Entscheidung durch den Schwurgerichtshof „mit Rechtswidrigkeit behaftet" gewesen sei.

Bezugspunkt des Adjektivs „gehörig" ist grundsätzlich der von der Anklage angerufene Gerichtskörper, im Fall einer vorangegangenen Aussetzung der Entscheidung nach § 334 Abs 1 StPO jener, an den die Sache vom Obersten Gerichtshof gemäß § 334 Abs 2 StPO verwiesen wird. Fragen der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit zu Verhandlung oder Entscheidung gehören nicht hierher ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 111), ebenso wenig aber auch Fragen, die die Rechtmäßigkeit von in einem früheren Rechtsgang gefällten Entscheidungen betreffen. Demnach ist Prüfungsgegenstand im Rahmen der Z 1 ausschließlich das vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom gesetzeskonform bestimmte „ andere Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien", sodass das der Sache nach gestellte Begehren, die bereits im ersten Rechtsgang tätigen Geschworenen wären (erneut) heranzuziehen gewesen, fehl schlägt.

Im Übrigen ist der Schwurgerichtshof - der Beschwerde zuwider - nach dem klaren Wortlaut des § 334 Abs 1 StPO in jedem Fall, in dem er einstimmig der Ansicht ist, dass sich die Geschworenen bei ihrem Ausspruch in der Hauptsache geirrt haben, also auch dann, wenn er aufgrund anderer Würdigung der in der Hauptverhandlung vorgeführten Beweise und der Aussage des Angeklagten zu diesem Ergebnis kommt, nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Entscheidung - zugunsten oder zum Nachteil des Angeklagten - auszusetzen. Eine besondere Evidenz des Irrtums der Geschworenen ist nicht erforderlich; die Ansicht, eine Aussetzung sei auf Fälle „krasser Unrichtigkeit" des Wahrspruchs beschränkt, findet im Gesetz keine Stütze. Dementsprechend kommt eine Aussetzung auch in „reinen Indizienprozessen" in Betracht, „in denen sich die für und gegen den Angeklagten sprechenden Beweise ungefähr die Waage halten" (vgl Burgstaller/Schima , Die Aussetzung der Entscheidung im Verfahren vor den Geschworenengerichten, 16 f). Für eine Aussetzung ist auch nicht das Vorliegen „erheblicher Bedenken" iSd § 345 Abs 1 Z 10a StPO erforderlich, vielmehr darf (und muss) der Schwurgerichtshof, der - selbstverständlich stets unter Beachtung des Grundsatzes „in dubio pro reo" (§ 14 StPO) selbständig beweiswürdigend - immer dann, wenn seine Mitglieder einstimmig zur Überzeugung gelangen, dass sich die Geschworenen bei ihrem Ausspruch in der Hauptsache geirrt haben, einen aus dieser Sicht verfehlten Schuld- ebenso wie einen als verfehlt angesehenen Freispruch aussetzen.

Ein Antrag des Obersten Gerichtshofs gemäß § 89 Abs 2 B VG hinsichtlich (von der Beschwerde behaupteter) verfassungsrechtlicher Bedenken gegen § 334 StPO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Bestimmungen dieser Gesetzesstelle im Rahmen der gegenständlichen Entscheidung nicht anzuwenden sind.

Mit Besetzungs (Z 1) und Verfahrensrüge nach Z 4 behauptet die Beschwerde, den Eltern des Angeklagten sei „zugetragen" worden, dass sich „während der Beratung bzw Abstimmung der Geschworenen die Vorsitzende und der Staatsanwalt in das Beratungszimmer der Geschworenen begaben und sinngemäß geäußert hätten, dass der Angeklagte verurteilt werden müsse." Damit sei gegen § 329 StPO verstoßen worden und lägen Gründe dafür vor, die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der Vorsitzenden in Zweifel zu ziehen.

Aufgrund der vom Obersten Gerichtshof durch Einholung von Stellungnahmen der Obfrau der Geschworenen, der Vorsitzenden und des Vertreters der Staatsanwaltschaft angeordneten Aufklärung gemäß § 285f StPO (ON 226 - 228) steht jedoch zweifelsfrei fest, dass Vorsitzende und/oder Staatsanwalt weder der Abstimmung der Geschworenen beigewohnt noch diese zu einer Verurteilung des Angeklagten aufgefordert haben, sodass sich das auf ein bloßes Gerücht gestützte Beschwerdevorbringen als völlig haltlos erweist. Zu einer weiteren Aufklärung bestand in diesem Zusammenhang der Beschwerde und der Äußerung gemäß § 24 StPO zuwider - in Hinblick auf die Anonymität der Quelle für die Vorwürfe, das Fehlen weiterer Indizien für das behauptete Fehlverhalten und die gegenteiligen Ergebnisse der durchgeführten Aufklärung kein Anlass (vgl 14 Os 46/09k).

Die Verfahrensrüge nach Z 5 kritisiert die Abweisung des eingangs der Hauptverhandlung vom vom Verteidiger mit der Begründung, dass die im ersten Rechtsgang erfolgte Aussetzung „nicht rechtmäßig" gewesen sei, gestellten Antrags auf „Abberaumung der Hauptverhandlung" (ON 188, S 5), scheitert aber am Fehlen jeglicher prozessgesetzlicher Basis für die begehrte prozessleitende Verfügung.

Die Fragenrüge (Z 6) reklamiert die Stellung einer Zusatzfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB, vernachlässigt aber mit der Darlegung von Verfahrensergebnissen, die aus ihrer Sicht dafür sprechen, dass die Tat „in einer heftigen Gemütsbewegung passiert sein musste", dass eine solche allein nach dem klaren Gesetzeswortlaut für die Privilegierung nach § 76 StGB nicht ausreicht. Auf allfällige Verfahrensergebnisse, die eine allgemeine Begreiflichkeit des behaupteten Gemütszustands indizieren würden, beruft sich die Beschwerde hingegen nicht.

Die Instruktionsrüge (Z 8) reklamiert, die „Bestimmungen des tschechischen Rechts" seien „nicht ausreichend erklärt" worden, auch fehlten „ausreichende Ausführungen zum anzustellenden Günstigkeitsvergleich", legt damit jedoch nicht prozessförmig dar, welche konkreten Gesetzesnormen aus welchen Gründen weiter aufzulösen gewesen wären (vgl Ratz , WK StPO § 345 Rz 65).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag mit umfangreichen Erörterungen zur DNA Spur unter den Fingernägeln des Opfers, zum SMS Verkehr zwischen Opfer und Angeklagtem kurz vor der Tat, zu einer aus Sicht der Beschwerde alternativ als Täter in Frage kommenden Person, zu vor der Tat getroffenen Vereinbarungen über Treffen mit anderen Personen, sowie mit der bloßen Behauptung, es sei „schlicht unmöglich", dass die Tat in der „kurzen Zeitspanne" zwischen 12:40 Uhr und 12:55 Uhr geschehen sei, keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 und 2, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.