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OGH vom 07.03.2013, 12Os158/12w

OGH vom 07.03.2013, 12Os158/12w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Übergabesache des Thomas R*****, AZ 27 HR 198/12b des Landesgerichts Feldkirch, über den Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO und seinen Antrag auf Aussetzung der Übergabe nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens und auf Aussetzung der Übergabe werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom , GZ 27 HR 198/12b 47, bewilligte das Landesgericht Feldkirch die Übergabe des Thomas R***** an die italienischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl des Ufficio del Giudice per le Indagini Preliminari vom angeführten strafbaren Handlungen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie des illegalen Handels mit Drogen und psychotropen Stoffen gemäß Art 73 Abs 1, 74, 80 Abs 2 D.P.R. Nr 309/90; Art 3 und 4 des Gesetzes Nr 146/2006.

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Thomas R***** gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom nicht Folge (AZ 7 Bs 559/12g).

Das Beschwerdegericht führt aus, dass nach dem gegenständlichen Europäischen Haftbefehl vom Thomas R***** der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und des illegalen Handels mit Drogen und psychotropen Stoffen nach Art 73 Abs 1, 74, 80 Abs 2 D.P.R. Nr 309/90; Art 3 und 4 des Gesetzes Nr 146/2006 mit einer Strafdrohung von bis zu 34 Jahren Freiheitsstrafe verdächtig ist.

Der Europäische Haftbefehl enthält folgende Sachverhaltsdarstellung: Thomas R***** sei zwischen Oktober 2009 und April 2010 in T*****, P***** und T***** (Provinz R*****) sowie in den Niederlanden „im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gemeinschaftlich mit anderen als Drogenkurier insbesondere aus den Niederlanden nach Italien sowie als Buchführer, als Hilfe für Kontakte zur Vereinbarung von Zeit und Ort der Abgabe sowie der Zahlungsweise, als ständige Hilfe zur Lieferung, Transport und Abgabe von Betäubungsmitteln im Auftrag und nach den Anweisungen der Anführer der Vereinigung tätig“ gewesen (ON 12 S 19).

Rechtliche Beurteilung

Gegen den genannten Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO, welcher sich als zulässig (RIS Justiz RS0122228), jedoch offenbar unbegründet (§ 363a Abs 2 Z 3 StPO) erweist.

Der Betroffene lässt, soweit er vermeint, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls wäre aufgrund einer von ihm erstatteten Selbstanzeige gemäß § 7 Abs 2 Z 1 EU JZG unzulässig, und darauf aufbauend argumentiert, § 7 Abs 3 EU JZG diskriminiere Unionsbürger ohne österreichische Staatsbürgerschaft gegenüber österreichischen Staatsbürgern, außer Acht, dass nach dem vom Oberlandesgericht angenommenen Sachverhalt gegen ihn ein Strafverfahren im Inland im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulässigkeit der Übergabe gar nicht anhängig war (BS 7). In Übereinstimmung mit dem Beschwerdegericht führt das Einlangen einer Selbstanzeige noch nicht zum Beginn eines Strafverfahrens (vgl Markel , WK StPO § 1 Rz 25 ff).

Nach Ansicht des Antragstellers würde durch eine Übergabe Art 3 MRK verletzt, weil er „vor einer 34 jährigen Strafdrohung in Italien steht“ und herzkrank sei.

Zwar kann eine Übergabe für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung im Empfangsstaat ausgesetzt sein könnte (RIS Justiz RS0123201). Da aber Fragen des geeigneten Strafmaßes grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs der Konvention liegen, ist auch der EGMR bei der Annahme einer (lediglich) aus der zu erwartenden Strafhöhe resultierenden Gefahr im Sinn des Art 3 MRK sehr zurückhaltend (EGMR , Vinter ua, Nr 66.069/09) und akzeptiert einen großen Beurteilungsspielraum unterschiedlicher Strafrechtsordnungen in dieser kriminalpolitischen Frage. Bisher entschiedene Fälle betrafen im Wesentlichen bloß drohende Todesstrafe oder lebenslange Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung (EGMR , Soering , Nr 14.038/88; , Harkins und Edwards , Nr 9.146/07 und 32.650/07; vgl insgesamt zu den Kriterien dieser Rechtsprechung: Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 20 Rz 30 f und 42 ff; Meyer Ladewig , EMRK 3 Art 3 Rz 57 und 62). Zudem hat der Antragsteller nicht bloß die Möglichkeit einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung, sondern die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss (RIS Justiz RS0123229). Diesen Anforderungen entspricht das Antragsvorbringen nicht, denn es beschränkt sich auf einen unter dem Blickwinkel des Art 3 MRK nicht entscheidenden Vergleich der abstrakten Höchststraf drohungen nach österreichischem und italienischem Recht.

Soweit der Antragsteller darauf hinweist, herzkrank zu sein, bringt er nicht ansatzweise vor, weshalb ihm in Italien nicht das aus Art 3 MRK ableitbare Recht auf ein Mindestmaß an medizinischer Betreuung zukommen sollte (vgl zur Judikatur des EGMR betreffend die Abschiebung Kranker Meyer Ladewig , EMRK 3 Art 3 Rz 73 mwN).

Indem der Betroffene vorbringt, ihm wäre keine volle Einsicht in den italienischen Akt gewährt worden, die italienischen Strafbehörden hätten es verabsäumt, „die Verteidigung mit allen Aktenunterlagen zu versorgen“, spricht er eine Verletzung des Art 6 MRK an.

Das Übergabeverfahren selbst fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK, doch können dessen Verfahrensgarantien für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Übergabe dann (ausnahmsweise) Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens („a flagrant denial of justice“) droht (RIS Justiz RS0123200; Meyer Ladewig , EMRK³ Art 6 Rz 167). Die Verfahrensgarantien des Art 6 MRK beziehen sich demnach, soweit es um die Übergabe geht, nur auf das gerichtliche Strafverfahren im Zielland, in dem über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entschieden wird (13 Os 150/07v = EvBl 2008/83, 416). Demnach geht das Begehren nach Übermittlung des gesamten italienischen Strafakts ins Leere.

Wenn der Beschwerdeführer vermeint, in Hinblick auf seine frühere Verurteilung in Italien liege ein Verstoß gegen den ne bis in idem Grundsatz (Art 4 des 7. ZPMRK) vor, vernachlässigt er die Begründung des Beschwerdegerichts, wonach dem Urteil des Tribunale di Bolzano von zu entnehmen ist, dass eine Verurteilung wegen einer Schmuggelfahrt zwischen dem Brenner und Rom in der Zeit von 4. bis in Bezug auf rund 51 kg Haschisch, von 39 kg Marihuana und ca 0,6 Gramm Kokain erfolgte, und dass eben dieses Faktum in dem dem Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegenden nationalen Haftbefehl ausdrücklich ausgenommen wurde (BS 10).

Der Erneuerungsantrag war daher im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Zum Antrag, die Übergabe aufzuschieben oder auszusetzen:

Mit Blick auf die Kompetenznorm des § 362 Abs 5 StPO nimmt der Oberste Gerichtshof zwar die Befugnis in Anspruch, den Vollzug mit Erneuerungsantrag bekämpfter Entscheidungen zu hemmen. Ein Antragsrecht betroffener Personen ist daraus noch nicht abzuleiten (RIS Justiz RS0125705). Das in diesem Sinn gestellte Begehren war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Fundstelle(n):
CAAAD-84756