TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 08.03.2002, B1519/01

VfGH vom 08.03.2002, B1519/01

Sammlungsnummer

16484

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Bestrafung eines Handelsunternehmens wegen Übertretung des Arbeitsruhegesetzes infolge Beschäftigung zweier Verkäuferinnen an einem Sonntag; keine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit; keine Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Erwerbsausübungsfreiheit

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom , GZ. MBA 1/8 - S 27974/97, wurde erkannt, daß die Beschwerdeführerin es als persönlich haftende Gesellschafterin eines - als Gesellschaft mbH & Co KG geführten - Handelsunternehmens zu verantworten habe, daß die genannte Gesellschaft als Arbeitgeberin zwei ihrer Angestellten entgegen § 3 Abs 1 Arbeitsruhegesetz am , einem Sonntag, mit Tätigkeiten, die dem Verkauf gedient haben (Kundenbetreuung, Beratung, Inkasso), beschäftigt habe; über die Beschwerdeführerin wurden zwei Geldstrafen in Höhe von je

S 2.000,-- sowie zwei Ersatzfreiheitsstrafen von je einem Tag verhängt.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen dieses Straferkenntnis Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, der dieses Rechtsmittel jedoch mit Berufungsbescheid vom als unbegründet abwies.

2. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art 144 Abs 1 B-VG, worin die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung - des § 3 Abs 1 Arbeitsruhegesetz - behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. § 3 des Bundesgesetzes vom über die wöchentliche Ruhezeit und die Arbeitsruhe an Feiertagen (Arbeitsruhegesetz - ARG), BGBl. Nr. 144/1983 idgF, lautet samt Überschrift wie folgt:

"Wochenendruhe

§3. (1) Der Arbeitnehmer hat in jeder Kalenderwoche Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden, in die der Sonntag zu fallen hat (Wochenendruhe). Während dieser Zeit darf der Arbeitnehmer nur beschäftigt werden, wenn dies auf Grund der §§2 Abs 2, 10 bis 18 zulässig ist.

(2) Die Wochenendruhe hat für alle Arbeitnehmer spätestens Samstag um 13 Uhr, für Arbeitnehmer, die mit unbedingt notwendigen Abschluß-, Reinigungs-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten beschäftigt sind, spätestens Samstag um 15 Uhr zu beginnen.

(3) In Betrieben mit einer werktags durchlaufenden mehrschichtigen Arbeitsweise hat die Wochenendruhe spätestens mit Ende der Nachtschicht zum Sonntag zu beginnen und darf frühestens mit Beginn der Nachtschicht zum Montag enden.

(4) Wird in Verbindung mit Feiertagen eingearbeitet und die ausfallende Arbeitszeit auf die Werktage der die Ausfallstage einschließenden Wochen verteilt (§4 Abs 2 und 3 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl. Nr. 461/1969), so kann der Beginn der Wochenendruhe im Einarbeitungszeitraum bis spätestens Samstag 18 Uhr aufgeschoben werden."

Die in § 3 Abs 1 ARG verwiesenen §§10 bis 18 normieren eine Reihe von Ausnahmen von der Wochenend- (und Feiertags-)Ruhe (so die Überschrift des 3. Abschnitts des ARG, der die §§10 ff ARG enthält) und enthalten überdies noch besondere Vorschriften für Märkte und Messen (4. Abschnitt des ARG, §§16 ff ARG). Aus dem in § 3 Abs 1 ARG ebenfalls verwiesenen § 2 Abs 2 ARG ergibt sich allerdings, daß auch in Fällen, in denen eine Ausnahme von der Wochenendruhe besteht, "nur die unumgänglich notwendige Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt werden" darf.

2. Die Beschwerdeführerin meint, gerade ihr Fall, "wo sich zwei Arbeitnehmerinnen völlig freiwillig und ungezwungen zu einer Sonntagsarbeit bereiterklärt haben", zeige, daß die genannte Vorschrift "weder zeitgemäß, noch dem Willen von Arbeitnehmern voll und ganz entsprech(e)", sondern im Gegenteil "wirtschaftlich und sozialpolitisch kontraproduktiv" sei; das starre Abstellen auf einen bestimmten Wochentag, nämlich den Sonntag, sei unsachlich.

Eine "Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria" im Jahre 2001 habe gezeigt, daß "bei einer Gesamterwerbstätigenzahl von 980.000 Personen" 572.000 Personen an Sonntagen regelmäßig Arbeit verrichteten. Das allgemeine Verbot der Sonntagsarbeit erweise sich angesichts dessen als realitätsfremd, weil von den Ausnahmen des ARG offenbar "massiv Gebrauch gemacht" werde.

Hinzu komme, daß inzwischen ca. 20-25 vH der Bevölkerung entweder religiös ungebunden seien oder einer nicht christlichen Kirche oder Religionsgesellschaft angehörten. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, "daß ein Mehrheitsbekenntnis, das den Sonntag zu seinem Wochenruhetag erklärt hat, generell das Recht ableiten darf, Wochenendruhen staatlich so gestaltet zu erhalten, daß jedenfalls dieser Tag in die 36-stündige ununterbrochene Ruhezeit zu fallen hat".

3. Die Beschwerde ist unbegründet.

3.1. Mit dem Gesetz vom 16.1.1895, betreffend die Regelung der Sonn- und Feiertagsruhe im Gewerbebetriebe, RGBl. Nr. 21 (künftig: SRG), wurde die allgemeine Regelung des § 75 GewO 1859 idF RGBl. Nr. 22/1885, wonach die gewerbliche Arbeit an Sonntagen (ausgenommen bestimmte Arbeiten) zu ruhen habe, aufgehoben und - unter Bedachtnahme auf die internationale Rechtsentwicklung (vgl. EB 978 BlgAbgH XI. Session (1894) 7 f) - eine umfassendere, dabei jedoch präziser gefaßte und weiter differenzierende Regelung der Sonntagsruhe getroffen (vgl. den Bericht des permanenten Gewerbeausschusses, 1023 BlgAbgH XI. Session (1894) 6 f). In dem soeben erwähnten Bericht des permanenten Gewerbeausschusses werden auch ausführlich jene vielfältigen gesundheits-, familien- und sozialpolitischen sowie religiösen Gründe dargelegt (aaO, S 2 ff), aus denen die Sonntagsruhe als notwendig erachtet werde.

Durch ArtII des Gesetzes StGBl. Nr. 282/1919 wurde das SRG dahin novelliert, daß die Ausnahmen von der Sonntagsruhe weiter eingeschränkt wurden.

Die vorliegende Regelung des § 3 Abs 1 ARG - die das SRG idF des Gesetzes StGBl. Nr. 282/1919 zu ersetzen bestimmt ist - räumt jedem Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine ununterbrochene Mindestruhezeit von 36 Stunden ein, die - womit die historische Rechtslage fortgeschrieben wurde - jedenfalls den Sonntag einzuschließen habe.

3.2.1. Die Beschwerdeführerin übersieht zunächst, daß der Verfassungsgerichtshof schon das Verbot des Offenhaltens an Samstag Nachmittagen angesichts der besonderen Funktion des Wochenendes für Freizeit, Erholung und soziale Integration als prinzipiell verfassungsmäßig erkannt hat (vgl. VfSlg. 15.305/1998 (S 369 mwN); s. auch VfSlg. 12.094/1989).

In dem soeben genannten Erkenntnis VfSlg. 15.305/1998 hat der Gerichtshof auch darauf aufmerksam gemacht, daß Vorschriften über die Begrenzung der Arbeitszeit und die Wochenendruhe ganz allgemein dem Schutz der Arbeitnehmer vor einer übermäßigen Beanspruchung durch den Arbeitgeber dienen, dessen wirtschaftlich begründetem Verlangen sie regelmäßig keinen hinreichenden Widerstand entgegensetzen können. Ein derartiger Schutz sei nur durch ein generelles Verbot möglich, und dieses Verbot werde jenen, die ein Interesse an der Arbeit an Samstag Nachmittagen hätten, aus Gründen der Solidarität zugemutet. Der Verfassungsgerichtshof hielt auch fest (aaO, S 369 f), daß es Aufgabe des Gesetzgebers, nicht des Gerichtshofs, sei, die widerstreitenden Interessen der Gewerbetreibenden und Arbeitnehmer (sowie Verbraucher) gegeneinander abzuwägen, wobei zu beachten sei, daß es dabei ohnehin nur um jenen Teil der Erwerbstätigkeit des Unternehmers gehe, der mit Hilfe anderer (dem Gesetzgeber eben schutzbedürftig erscheinender) Personen entfaltet werde.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs vermögen all diese Erwägungen - die den im damaligen Verfahren im Wege eines Antrags gem. Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG bekämpften § 22d ARG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 5/1997 betreffen - auch für das in § 3 Abs 1 ARG bestimmte allgemeine Arbeitsverbot an Sonntagen Gültigkeit zu beanspruchen.

3.2.2. Es ist auch nicht zu erkennen, inwieweit das in der Beschwerde mehrfach zitierte (Vereinigtes Königreich/Rat), Slg. 1996, I-5755 ff, Anlaß bieten könnte, von diesem Standpunkt abzugehen:

a) Diesem Urteil lag eine Nichtigkeitsklage gemäß dem (damaligen) Art 173 EGV (jetzt: Art 230 EG) des Vereinigten Königreichs gegen den Rat der EU zugrunde, mit der beantragt wurde, der EuGH möge die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. L 307, S 18 ff (künftig: Richtlinie), hilfsweise Teile davon, für nichtig erklären.

Auf Grund dieses Verfahrens wurde (lediglich) Art 5 Abs 2 Richtlinie vom EuGH aufgehoben, im übrigen wurde die Klage als unbegründet abgewiesen. Art 5 Abs 1 Richtlinie bestimmt, daß jedem Arbeitnehmer in einem Zeitraum von 7 Tagen eine ununterbrochene Mindestruhezeit von je 24 Stunden - zuzüglich der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden - zu gewähren sei. Art 5 Abs 2 hatte diese Vorschrift dahin präzisiert, daß die in Abs 1 normierte Mindestruhezeit "grundsätzlich" den Sonntag einzuschließen habe. Der EuGH erklärte diese zuletzt wiedergegebene Vorschrift für mit Art 118a Abs 2 EGV unvereinbar und daher nichtig, was wie folgt begründet wurde (Rz 37):

"Was Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie betrifft, so hängt zwar der Einschluß des Sonntags in die wöchentliche Mindestruhezeit letztlich in Anbetracht der Unterschiedlichkeit der kulturellen, ethnischen und religiösen Faktoren in den einzelnen Mitgliedstaaten von diesen ab (Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit der zehnten Begründungserwägung). Gleichwohl hat der Rat nicht dargetan, warum der Sonntag als wöchentlicher Ruhetag in engerem Zusammenhang mit der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer stehen solle als ein anderer Wochentag."

b) Die Beschwerdeführerin leitet aus diesem Urteil ab, daß eine Regelung, die den Sonntag in die Mindestruhezeit einbeziehe, keinem arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Ziel diene (und somit unsachlich sei).

Damit wird jedoch verkannt, daß der soeben wiedergegebene Ausspruch des EuGH aus dem Blickwinkel des einschlägigen (primären) Gemeinschaftsrechts zu würdigen ist, das der Europäischen Gemeinschaft bestimmte - eng begrenzte - Regelungsbefugnisse einräumt. Der EuGH hat lediglich ausgesprochen, daß sich der Rat bei Festlegung einer (prinzipiellen) Sonntagsruhe für die gesamte Gemeinschaft auf keine solche Einzelermächtigung, insbesondere nicht jene, die der Rat im Auge hatte, stützen konnte. Keineswegs ist damit jedoch ausgesagt, daß es auch den einzelnen Mitgliedstaaten verwehrt wäre, eine Regelung wie jene des § 3 ARG zu treffen, die - wie schon die oben dargestellte historische Entwicklung zeigt - nicht etwa nur gesundheitspolitische Ziele zu erreichen sucht.

3.2.3. Zum Vorwurf, die Regelung des § 3 ARG sei angesichts der tatsächlichen Verhältnisse "realitätsfremd" - womit die Beschwerde offenbar einen spezifischen Aspekt der Unsachlichkeit ansprechen möchte -, sei schließlich bemerkt, daß nach - dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden - Daten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger im Jahresdurchschnitt 2000 ca. 3,13 Mio. Menschen (Männer und Frauen) in Österreich unselbständig erwerbstätig waren (und nicht rd. 980.000, wie in der Beschwerde behauptet wird; der ihr beigefügten Arbeitskräfteerhebung kann denn auch bloß entnommen werden, daß ca. 980.000 Erwerbstätige regelmäßig Arbeit an Samstagen und weitere 572.000 Erwerbstätige regelmäßig Arbeit an Sonntagen verrichten). Das Vorbringen, "mehr als die Hälfte" aller Erwerbstätigen verrichte regelmäßig Arbeit an Sonntagen, entbehrt somit jeder sachlichen Grundlage bzw. dürfte auf einem Mißverständnis beruhen.

3.3. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die belangte Behörde Willkür geübt hätte - einen derartigen Vorwurf erhebt die Beschwerde auch gar nicht -, ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

3.4. Da die gesetzliche Grundlage des bekämpften Bescheides aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken erweckt und auch jedenfalls denkmöglich angewendet wurde, ist es auch ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübung (Art6 StGG) verletzt wurde.

4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Kosten an die belangte Behörde als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes waren nicht zuzusprechen, da dies im VfGG nicht vorgesehen ist und - wie der Verfassungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat (zB VfSlg. 10.003/1984) - die Bestimmung des § 48 Abs 2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht sinngemäß anzuwenden ist.

6. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).