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OGH vom 23.05.1991, 8Ob630/90

OGH vom 23.05.1991, 8Ob630/90

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin ÖSTERREICHISCHE BUNDESBAHNEN, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wider die Antragsgegnerin HAUPTSCHÜTZENGILDE F*****, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Feststellung und Enteignungsentschädigung, infolge Revisionsrekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom , GZ 1 b R 121/89-24, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom , GZ 1 Nc 4/89-17, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Beiden Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid des Landeshauptmannes ***** vom wurde für den Bau des zweiten Streckengleises zwischen Fe***** und Fr***** unter anderem die im Eigentum der Antragsgegnerin stehende Liegenschaft EZ 449 Grundbuch F***** bezüglich des Grundstückes Nr. 13/2 mit einer Teilfläche von 600 m2 und bezüglich des Grundstückes Nr. 13/4 mit einer Teilfläche von 330 m2 durch Einräumung der Dienstbarkeit der Errichtung, der dauernden Erhaltung und des dauernden Betriebes eines Eisenbahntunnels samt allen im Tunnel befindlichen, dem Eisenbahnbetrieb dienenden unterirdischen Nebenanlagen und Versorgungseinrichtungen im Enteignungsweg in Anspruch genommen.

Die Österreichischen Bundesbahnen stellten den Antrag auf Feststellung der zu leistenden Entschädigungsbeträge.

Das Erstgericht setzte die Entschädigungssumme mit S 2,135.436,-- fest und verpflichtete die Antragstellerin zum Kostenersatz in Höhe von S 152.998,80. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die aus den Grundstücken Nr. 13/2 (7.119 m2, landwirtschaftlich genutzt), Nr. 13/4 (45 m2 Baufläche und 1.807 m2 landwirtschaftlich genutzt) und Nr. 442 (1.148 m2 Baufläche) bestehende Liegenschaft befindet sich gemäß dem Flächenwidmungsplan im Freiflächen-Sonderflächen-Gebiet. Auf der Liegenschaft wurde ein Gebäude errichtet, in welchem sich zwei Privatwohnungen befinden und die Antragsgegnerin als gemeinnütziger Verein einen Schießstand und ein Gastlokal betreibt. Von der Gesamtfläche der Liegenschaft (10.119 m2) wird die nicht als Bauland gewidmete Restfläche von 8.406 m2 teils als Parkplatz und teils für den Schießbetrieb genutzt. Die Entfernung zum Stadtzentrum beträgt ca. 500 m; das ist für einen Schießstand im Hinblick auf die errichteten Lärmdämm- und -absorbieranlagen eine günstige Situation.

Im Jahre 1983 war die Bebauung der Liegenschaft mit einer Appartementhausanlage geplant. Eine teilweise Umwidmung der Freiland-Sonderfläche im Zuge des Umbaues wäre möglich.

Der Gesamtverkehrswert der Liegenschaft beträgt S 1,115.563,--.

Die Grundstücke Nr. 13/2 und 13/4 werden im westlichen, zum Teil überbauten Grundstücksbereich durch das Tunnelbauwerk "Schattenburgtunnel" unterfahren; dafür ist eine Dienstbarkeit im Ausmaß von "990 m2" erforderlich. Die Überdeckung des Tunnels beträgt, gemessen von der (oberen) Außenkante des Tunnelbauwerkes bis zur Unterkante des Fundamentes des Objektes der Antragsgegnerin, ca. 26 m. Das Gebäude der Antragsgegnerin wird im westlichen Gebäudeteil direkt unterfahren. Durch den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand zur Bahnanlage von 12 m - gemessen von der nächstgelegenen Gleisachse - fallen nahezu sämtliche Gebäudeteile in den künftigen Bauverbotsbereich der Bundesbahnanlagen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt wie folgt:

Mit der vorgegebenen Trassenführung sei eine bleibende Nutzungsbeschränkung verbunden, weil eine Bauverbotszone entstehe, in welcher nicht oder nur mit bestimmten Auflagen gebaut werden dürfe. Da die Nutzungsmöglichkeit des Grundstückes durch die Dienstbarkeit nur unwesentlich beeinträchtigt werde, betrage die Wertminderung 24 %. Mittelbare Schäden, also über den Rahmen der Auswirkung der Dienstbarkeit (= Bauverbot) hinausgehende allfällige Folgen, könnten nicht berücksichtigt werden. Eine Wertminderung wegen allfälliger Immissionen komme daher nicht in Betracht.

Das Gericht zweiter Instanz gab den Rekursen beider Teile Folge, hob den erstgerichtlichen Beschluß, der hinsichtlich der Festsetzung eines Entschädigungsbetrages von S 300.000,-- unbekämpft geblieben war, auf. Es trug dem Erstgericht die Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung auf und sprach folgende Rechtsansichten aus:

Unklarheiten im Sachverständigengutachten über die Berechnung der Wertminderung müßten aufgeklärt werden, um eine doppelte Berücksichtigung gleicher Umstände zu vermeiden. Gleiches gelte für die Ermittlung des Verkehrswertes durch den Sachverständigen, weil ein hiefür relevanter Teilbetrag (Punkt 3, 6 des Gutachtens ON 4) nicht nachvollziehbar sei. Die teleologische Interpretation des § 38 Abs. 1 EisbG führe zum Ergebnis, daß der Gesetzgeber nicht nur ein horizontales, sondern auch ein vertikales Bauverbot anordnen wollte, und zwar 12 m von der Mitte der äußersten Gleise in vertikaler und horizontaler Richtung in Form eines Quaders. Das Objekt der Antragsgegnerin befinde sich demnach außerhalb des gesetzlichen Bauverbotsbereiches, sodaß aus diesem Titel eine Wertminderung und als deren Folge eine Entschädigung nicht in Betracht komme.

Der Antragsgegnerin stehe aber eine Entschädigung für Immissionen zu. Wenn auch durch die Entschädigung nur diejenigen Nachteile zu berücksichtigen seien, die eine unmittelbare Folge der Enteignung darstellten, gehöre bei Einräumung einer Tunneldienstbarkeit die Zweckbestimmung des Tunnels zum Inhalt des enteignungsweise eingeräumten Rechtes und sei daher bei der Entschädigungsbemessung ausschlaggebend. Es sei demnach nicht bloß die Wertminderung durch den Tunnel selbst, sondern auch diejenige aus den durch den künftigen Betrieb des Tunnels zu erwartenden Immissionen durch Lärm und Gestank zu berücksichtigen. In welchem Ausmaß dies auch unter Berücksichtigung der Einwirkungen auf dem Schießbetrieb der Fall sei, müßte im fortzusetzenden Verfahren geklärt werden. Sollte es nicht möglich sein, den Umfang der Immissionen zu beurteilen, könnte nachträglich nach § 9 EisbEG Entschädigung verlangt werden.

Die Revisionsrekurse beider Parteien gegen diesen Beschluß zweiter Instanz sind im Ergebnis nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerin:

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Auslegung des § 38 Abs. 1 EisbG durch das Rekursgericht. Da sich der Gesetzgeber bei Erlassung dieser Vorschrift wohl darüber im klaren gewesen sei, daß auch Raum über und unter den Gleisanlagen bestehe, sei von einem unbeschränkten Bauverbot nach oben und unten auszugehen, wenn auch vielleicht nicht in "ewige Höhe oder Tiefe".

Mit dieser Frage beschäftigte sich der Oberste Gerichtshof schon in den gleichgelagerte Rechtssachen betreffenden Entscheidungen 2 Ob 595/89 vom und 8 Ob 582/89 vom . Er kam dort zu folgendem Ergebnis, das auch im vorliegenden Fall zutrifft:

Aus der absichtlichen Nichtregelung eines Bauverbots in vertikaler Richtung könnte an sich nur der Schluß auf das Nichtbestehen eines solchen Verbotes gezogen werden. Eine solche Auslegung verbietet sich aber schon aus technischen Gründen; ein Mindestbauverbot in vertikaler Richtung ergibt sich zwangsläufig aus dem Leitungsoberbau und dem Bahnbetrieb. Es besteht aber kein Anlaß, dieses in ein unbeschränktes vertikales Bauverbot auszuweiten. Der Zweck des Bauverbotes, nämlich die Sicherung des Bahnbetriebes und die Vermeidung von Gefahren für Dritte, wird auch durch ein beschränktes vertikales Bauverbot erreicht. Die diesem Zweck entsprechende Auslegung durch das Rekursgericht wird daher gebilligt.

Die Ausführungen der Antragsgegnerin zur Abgeltung von Immissionen werden zusammen mit der Erledigung des Rechtsmittels der Antragstellerin behandelt.

2. Zum Revisionsrekurs der Antragstellerin:

Zur Frage der Entschädigung im Rahmen des Enteignungsverfahrens für vom Eisenbahnbetrieb ausgehende Immissionen hat der Oberste Gerichtshof in der bereits genannten Entscheidung 2 Ob 595/89 vom wie folgt Stellung genommen:

Gemäß § 364 a ABGB kann ein Grundeigentümer die von einer behördlich genehmigten Anlage auf den Nachbargrund ausgehenden Beeinträchtigungen nicht verbieten, sondern nur insoweit Ersatz verlangen, als die Beeinträchtigung das ortsübliche Ausmaß überschreitet oder die ortsübliche Benützung des eigenen Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird. Dies gilt ganz allgemein auch für durch den Bahnbetrieb verursachte Immissionen (z.B. Gestank, Lärm, Erschütterung). Die Antragsgegnerin muß jedoch nicht zusätzliche Immissionen entschädigungslos hinnehmen, die nur dadurch entstehen, daß ihr Grundstück untertunnelt und nicht die Bahntrasse entlang der Grundstücksgrenze geführt wird (vgl. SZ 50/158; 51/175 ua zur Abgrenzung von mittelbaren und unmittelbaren Schäden). Hiebei handelt es sich um einen durch die Enteignung (die zwangsweise Einräumung einer Servitut ist ebenfalls entschädigungsfähig, vgl. 7 Ob 690/77 und 2 Ob 666/87) hervorgerufenen zusätzlichen unmittelbaren Nachteil, für den sie gemäß § 4 EisbEG Entschädigung begehren kann.

Von dieser Rechtsansicht abzugehen, besteht kein Anlaß.

Im fortzusetzenden Verfahren wird daher bei Feststellung des Ausmaßes der Entschädigungspflicht der Antragstellerin darauf Bedacht zu nehmen sein, daß nur die durch die Tunnelführung unter der servitutsbelasteten Liegenschaft der Antragsgegnerin allenfalls zusätzlich auftretenden Immissionen ersatzfähig im Sinn des § 4 EisbEG sind.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 44 EisbEG im Zusammenhang mit § 52 ZPO.