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OGH vom 14.09.2010, 10Ob43/10m

OGH vom 14.09.2010, 10Ob43/10m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Nicole T*****, geboren am , *****, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich (Magistrat der Stadt St. Pölten Jugendhilfe, 3100 St. Pölten, Heßstraße 6), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 133/10x-65, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 2 PU 61/10x 60, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Minderjährige lebt als Tochter von Edith T***** und Mohammed Abdul H***** in Obsorge ihrer Mutter in St. Pölten. Der in Graz wohnhafte Vater wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom , 2 P 167/06w U57 zu einem monatlichen Unterhalt von 290 EUR ab verpflichtet. Der Vater ließ diesen, ihm am zugestellten Beschluss unbekämpft; die Rechtskraft wurde am bestätigt.

Mit Eingabe vom beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter der Minderjährigen „unter Hinweis auf den in Kopie beiliegenden Exekutionsantrag“ die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG. Die angeschlossene Kopie des Antrags auf Fahrnisexekution vom gegen den Unterhaltsschuldner richtet sich an das Bezirksgericht Graz-West.

Mit Beschluss vom , 2 PU 61/10x-60 bewilligte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom bis . Zur Begründung führte es aus, dass der Unterhaltsschuldner den laut rechtskräftigem Beschluss vom (ON U57) zu zahlenden laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet habe; beim Bezirksgericht Graz West sei gegen den Unterhaltsschuldner am eine Fahrnisexekution eingebracht worden.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss vom Bund erhobenen Rekurs Folge, indem es den Unterhaltsvorschuss erst ab gewährte und das Begehren für den Monat Februar 2010 abwies. Es begründete seine Entscheidung damit, dass gemäß § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 Unterhaltsvorschüsse zu gewähren seien, wenn das Kind bescheinige, einen Exekutionsantrag eingebracht zu haben. Die Unterhaltsberechtigte räume dazu in ihrer Rekursbeantwortung selbst ein, den Exekutionsantrag erst gleichzeitig mit der Antragstellung beim Erstgericht an das Exekutionsgericht „abgesandt“ zu haben, wo er aufgrund des längeren Postwegs nicht mehr im Februar, sondern erst am eingelangt sei. Die „Einbringung“ des Exekutionsantrags, womit nicht die Postaufgabe, sondern das Einlangen bei Gericht gemeint sei, hätte jedoch spätestens gleichzeitig mit der Einbringung des Vorschussantrags erfolgen müssen; ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss bestehe nämlich erst, wenn der Exekutionsantrag beim zuständigen Gericht eingelangt sei.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil § 3 Z 2 UVG durch das FamRÄG 2009 neu gefasst worden sei und zur Auslegung dieser Bestimmung in der neuen Fassung noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin macht im Wesentlichen geltend, es gebühre ihr bereits ab Unterhaltsvorschuss, weil die Tauglichkeit des Exekutionsantrags nach der Zielsetzung der Novellierung des UVG nicht davon abhängen könne, ob er (aufgrund räumlicher Nähe) gleichzeitig mit dem Vorschussantrag beim Pflegschafts- und Exekutionsgericht überbracht werden könne, oder ob gleichzeitig mit dem überbrachten Vorschussantrag ein Exekutionsantrag zur Post gegeben werde. Die Erfolgsaussichten der „Einbringungsversuche“ hingen nicht wesentlich davon ab, ob sie am Sitz des Pflegschaftsgerichts oder bei einem anderen Gericht in Österreich „gemacht werden“.

Die Revisionsrekursbeantwortung hält dem entgegen, die Rechtsmittelwerberin gestehe selbst zu, dass es Voraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen sei, dass ein Exekutionsantrag gestellt wurde. Die Postaufgabe reiche dafür nicht aus.

Rechtliche Beurteilung

Die angesprochene Frage (vgl 10 Ob 47/10z [zu den Erfordernissen eines Exekutionsantrags iSd § 3 Z 2 UVG]) ist hier jedoch nicht abschließend zu beantworten, weil das Rekursgericht schon aus folgenden grundsätzlichen Überlegungen (die auch den Entscheidungen 10 Ob 38/10a, 10 Ob 39/10y, 10 Ob 40/10a, 10 Ob 52/10k und 10 Ob 53/10g zu entnehmen sind) im Ergebnis zutreffend entschieden hat:

Das UVG wurde durch das FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, novelliert. Die geänderte Fassung ist im Wesentlichen am in Kraft getreten (§ 37 UVG).

Unterhaltsvorschüsse sind zu gewähren, wenn

1. für einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (§ 3 Z 1 UVG) und

2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben (§ 3 Z 2 erster Halbsatz UVG idF FamRÄG 2009).

Nach dem unverändert gebliebenen § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint, besonders, weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten lässt, nicht bekannt ist.

Der erkennbare Zweck der Novellierung des § 3 Z 2 UVG lag darin, den Auszahlungszeitpunkt für die Vorschüsse vorzuverlagern (IA 673/A BlgNR 24. GP 1 und 39). Nach der früheren Rechtslage setzte ein Vorschussanspruch nach § 3 Z 2 UVG eine erfolglose Exekutionsführung in Form der Nichtdeckung des im 6 monatigen Beobachtungszeitraum (entsprechend den privatrechtlichen Grundsätzen) fällig gewordenen Unterhalts voraus. Eine Vorschussgewährung war möglich, sobald innerhalb des 6 monatigen Zeitraums ein fällig gewordener Unterhaltsbeitrag nicht durch freiwillige oder exekutive Zahlung voll gedeckt war; der gesamte 6 monatige Zeitraum musste also nicht abgewartet werden ( Neumayr in Schwimann I 3 § 3 UVG Rz 33). Das Erfordernis einer in diesem Sinn wegen Fehlens der Sechs Monats Deckung erfolglosen Exekution wurde mit dem Inkrafttreten des FamRÄG 2009 beseitigt. Geblieben ist die Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet.

Der im Außerstreitverfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungsbeschluss wird mangels einer Sonderregelung mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft vollstreckbar (§ 43 Abs 1 AußStrG). Formelle Rechtskraft (§ 42 AußStrG) bedeutet Unanfechtbarkeit der Entscheidung in dem Verfahren, in dem sie ergangen ist. Sie tritt ein mit

Zustellung der Entscheidung, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel (mehr) zulässig ist,

ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist,

Abgabe eines Rechtsmittelverzichts,

Zurücknahme eines eingebrachten Rechtsmittels (Fucik/Kloiber, AußStrG § 42 Rz 1). Die Rechtsmittelfrist beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung (§ 46 Abs 1 AußStrG [Rekurs], § 65 Abs 1 AußStrG [Revisionsrekurs]).

Im Anlassfall ist die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses am eingetreten, weil der Beschluss am dem Unterhaltsschuldner zugestellt wurde und die 14 tägige Rechtsmittelfrist ungenützt am abgelaufen ist.

§ 4 Z 1 UVG regelt den Titelvorschuss bei Aussichtslosigkeit der Exekution. Es handelt sich um einen Sonderfall zu dem in § 3 UVG geregelten Grundfall (2 Ob 5/07k = SZ 2007/111 mwN). Der Unterschied liegt nur darin, dass im Fall des § 4 Z 1 UVG die Einleitung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG entbehrlich ist, weil bereits aufgrund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (vgl 2 Ob 5/07k = SZ 2007/111). Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet ( Neumayr in Schwimann I 3 § 4 UVG Rz 1). Dies folgt daraus, dass § 4 Z 1 UVG sich auf die Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG bezieht, nach dieser Gesetzesstelle aber nur die Exekutionsführung auf nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordene laufende Unterhaltsbeiträge von Relevanz ist (vgl Neuhauser , Änderungen bei Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2009, 275, 276).

Die Vorschussgewährung nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG setzt somit voraus, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Diese Wortfolge ist so zu verstehen, dass der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgende Fälligkeitstermin erfolglos verstreichen muss, damit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entsteht. Wird vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil an diesen dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgenden Monatsersten der fällige Unterhaltsbeitrag nicht geleistet, steht der Unterhaltsvorschuss monatsbezogen ab diesem Monatsersten zu. Da die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels im vorliegenden Fall erst im Februar 2010 eingetreten ist, konnte ein Verzug mit der Zahlung des nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fälligen laufenden Unterhalts frühestens im März 2010 eintreten, weshalb auch ein Vorschussanspruch der Minderjährigen erst ab besteht.

Dem Revisionsrekurs musste daher schon aus diesem Grund ein Erfolg versagt bleiben.