VfGH vom 21.02.2013, B1506/12

VfGH vom 21.02.2013, B1506/12

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch ein - auf ein nicht rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil gestütztes - Aufenthaltsverbot; unschlüssige Feststellungen betreffend die Frage des Bestehens eines Familienlebens in Österreich; unzureichende Interessenabwägung

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK verletzt worden. Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, reiste zusammen mit ihrem am in Serbien geborenen Sohn im Oktober 2002 als Ehegattin eines österreichischen Staatsbürgers ins Bundesgebiet und hielt sich seither rechtmäßig in Österreich auf.

1.1. Mit Urteil vom verurteilte das Landesgericht Innsbruck (im Folgenden: LG Innsbruck) die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens des schweren Betrugs gemäß §§146, 147 Abs 1 Z 1 und 147 Abs 2 StGB zu einer – auf die Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen – Freiheitsstrafe von vier Monaten. Mit Urteil vom erkannte das LG Innsbruck die Beschwerdeführerin des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Betrugs nach §§15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2 StGB für schuldig. Eine Berufung beim Oberlandesgericht Innsbruck (im Folgenden: OLG Innsbruck) führte zur Herabsetzung der Freiheitsstrafe auf sieben Monate, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Die im Urteil vom ausgesprochene bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen. Mit Beschluss des LG Innsbruck vom wurde die Beschwerdeführerin aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit sowie Anordnung der Bewährungshilfe bedingt entlassen.

1.2. Der Bezirkshauptmann von Innsbruck verhängte daraufhin mit Bescheid vom über die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 63 FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 38/2011. Die Beschwerdeführerin erhob dagegen fristgerecht Berufung beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Tirol (im Folgenden: UVS Tirol).

1.3. Am verurteilte das LG Innsbruck die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß §§127, 130 1. Satz 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten und widerrief sowohl die bedingte Strafnachsicht als auch die bedingte Entlassung. Dem Urteil lag der Diebstahl von drei Parfums durch die Beschwerdeführerin zugrunde.

1.4. Der UVS Tirol gab mit Bescheid vom der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom insoweit Folge, als er das über sie verhängte Aufenthaltsverbot auf die Dauer von drei Jahren herabsetzte und ihr zugleich einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährte. Begründend führte der UVS Tirol zunächst aus, dass das Aufenthaltsverbot auf § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG gestützt hätte werden müssen, weil es sich bei der Beschwerdeführerin durch ihre aufrechte Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger um eine begünstigte Drittstaatsangehörige handelte. Im Jahr 2008 wäre sie wegen des Vergehens des schweren Betrugs, 2010 wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Betrugs und 2012 schließlich wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls verurteilt worden. Aus diesen drei Verurteilungen wäre ersichtlich, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet wäre. Der UVS Tirol weist dabei vor allem auf die im Urteil des LG Innsbruck vom enthaltenen Ausführungen hin. Im vorliegenden Fall läge ein "großer Einschnitt" in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin vor; ob im gegenständlichen Fall aber überhaupt ein Familienleben bestünde, könnte "selbst nach ausgiebigem Studium des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes und nach der durchgeführten mündlichen Verhandlung keinesfalls bejaht werden": Die Beschwerdeführerin hätte im Zuge ihres Aufenthaltes in Österreich häufig nicht denselben Wohnsitz wie ihr Ehemann gehabt; zudem wäre es mangels eines Vaterschaftstests unklar, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin tatsächlich der Vater ihres Sohnes wäre. Das Bestehen eines Familienlebens im Bundesgebiet könnte also nicht mit der nötigen Sicherheit angenommen werden. Ungeachtet dessen würden die strafgerichtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführerin die Beendigung ihres Aufenthalts jedenfalls rechtfertigen.

1.5. Mit (mündlich verkündetem) Urteil vom gab das OLG Innsbruck sowohl der Schuld- als auch Strafberufung der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des LG Innsbruck vom insoweit Folge, als sowohl die Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls als auch der Widerruf der bedingten Strafnachsicht sowie der bedingten Entlassung aufgehoben wurden. Beim Diebstahl der drei Parfums handelte es sich dem OLG Innsbruck zufolge um einen einfachen Diebstahl; unter Berücksichtigung mehrerer Strafmilderungsgründe reduzierte das OLG Innsbruck die verhängte unbedingte Freiheitsstrafe auf vier Monate und verlängerte die Probezeiten auf fünf Jahre, womit es einen längeren – als positiv erachteten – Einfluss der angeordneten Bewährungshilfe verband.

2. In der gegen den Bescheid des UVS Tirol vom gemäß Art 144 B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK geltend gemacht. Die Beschwerdeführerin begründet ihre Beschwerde damit, dass die Verurteilung wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung noch gar nicht rechtskräftig gewesen sei. Das OLG Innsbruck habe im Rahmen seines Berufungsurteils diverse Milderungsgründe (Schadensgutmachung, volles und reumütiges Geständnis, psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin, positive Beurteilung durch die Bewährungshelferin) umfassend berücksichtigt und die Beschwerdeführerin bloß wegen einfachen Diebstahls von drei Parfumfläschchen verurteilt. Der angefochtene Bescheid sei insoweit gravierend mangelhaft. Die Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK sei fälschlicherweise zu Ungunsten der Beschwerdeführerin ausgefallen: Sie lebe seit 10 Jahren in Österreich mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen zehnjährigen Sohn, spreche sehr gut Deutsch und sei in einem Reinigungsunternehmen beschäftigt.

3. Der UVS Tirol sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und übermittelte dem Verfassungsgerichtshof die Verwaltungsakten.

II. Rechtslage

Der UVS Tirol legte nachstehende Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl 100/2005 idF BGBl 50/2012 (im Folgenden: FPG), seiner Entscheidung zugrunde:

"Berufungen

§9. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Landespolizeidirektionen in letzter Instanz.

(1a) Über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern. Wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß §§52 iVm 53 Abs 2 Z 2, 4, 5, 7 bis 9 oder Abs 3 erlassen, hat der unabhängige Verwaltungssenat über die Berufung binnen drei Monaten zu entscheiden.

(2) Gegen die Versagung, die Bewilligung und den Widerruf eines Durchsetzungsaufschubes ist eine Berufung nicht zulässig. Gegen die Anordnung der Schubhaft ist weder eine Vorstellung noch eine Berufung zulässig. Gegen die Versagung der Ausstellung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung und einer Identitätskarte für Fremde sowie gegen den Entzug einer Karte für Geduldete und einer Identitätskarte für Fremde ist eine Berufung nicht zulässig.

(3) – (7) […]

[…]

Schutz des Privat- und Familienlebens

§61. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§45 und 48 oder §§51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung deren Unzulässigkeit gemäß Abs 3 festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung nach Abs 1 vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung rechtfertigen würde.

[…]

Aufenthaltsverbot

§67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) […]

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

(5) § 59 Abs 1 gilt sinngemäß."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein auch das Sach lichkeitsgebot einschließendes Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. ge währleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der hätte ihn das Gesetz dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Dis kriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg 11.436/1987, 11.840/1988, 17.716/2005, 18.091/2007, 19.283/2010).

2. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise ange wendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetz losigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

3. Im vorliegenden Fall hat der UVS Tirol aus nachstehenden Erwägungen sowohl gegen das unter Pkt. III.1. umschriebene Verbot der Willkür als auch gegen das Recht der Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens im Sinne von Art 8 EMRK verstoßen:

3.1. Die belangte Behörde geht zunächst davon aus, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet "nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde". Der UVS Tirol stützt sich dabei unter anderem auf die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch das LG Innsbruck vom , weil dieses die rasche kriminelle Rückfälligkeit der Beschwerdeführerin aufzeige. Das genannte Urteil war aber im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch gar nicht in Rechtskraft erwachsen; im Übrigen wurde das Urteil des LG Innsbruck durch das Urteil des OLG Innsbruck am – somit nach Bescheiderlassung – insoweit geändert, als das OLG Innsbruck sowohl die Verurteilung wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls als auch den Widerruf der bedingten Strafnachsicht und der bedingten Entlassung aufhob. Die Probezeiten wurden auf fünf Jahre verlängert und die verhängte unbedingte Freiheitsstrafe auf vier Monate reduziert. Das OLG Innsbruck berücksichtigte dabei die unrichtige rechtliche Beurteilung des LG Innsbruck, das volle und reumütige Geständnis der Beschwerdeführerin, die vollständige Schadensgutmachung sowie die Beurteilung der Bewährungshelferin.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Wortfolge "nachhaltig und maßgeblich" in § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG ein deutlich strengerer Maßstab für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots für bereits seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufhältige EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zu entnehmen, als dies für – noch nicht so lange in Österreich befindliche – Fremde im Sinne des § 67 Abs 1 erster Satz leg.cit. der Fall ist (vgl. ; , 2006/18/0333). Es ist jedoch weder in irgendeiner Weise ersichtlich noch wurde vom UVS Tirol ausgeführt, inwiefern aus einer noch gar nicht rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib der Beschwerdeführerin hervorgehen soll.

3.2. Weiters geht der UVS Tirol – in unschlüssiger Weise – einerseits davon aus, dass durch das Aufenthaltsverbot "ein großer Einschnitt in das Privat- und Familienleben" der Beschwerdeführerin erfolge, andererseits zieht er das Bestehen eines Familienlebens selbst in Zweifel (dieses könne "selbst nach ausgiebigem Studium des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes und nach der durchgeführten mündlichen Verhandlung keinesfalls bejaht werden"). In diesem Zusammenhang stellt der UVS Tirol in Frage, ob es sich beim Ehemann der Beschwerdeführerin um den Vater ihres minderjährigen Sohnes handelt, weil kein Vaterschaftstest durchgeführt worden sei. Außerdem sei die Beschwerdeführerin noch im Jahr 2009 an einer anderen Adresse als ihr Ehemann gemeldet gewesen.

Hinsichtlich der Frage des Bestehens eines Familienlebens in Österreich geht die belangte Behörde somit nur auf das Zusammenleben der Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann ein. Sie lässt jedoch völlig unberücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem minderjährigen Sohn jedenfalls ein Familienleben im Sinne des Art 8 Abs 1 EMRK im Bundesgebiet führt: Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. für viele EGMR , Fall Marckx , Serie ANr 31; EGMR , Fall Johnston , Serie ANr 112) besteht bereits ipso iure ein Familienleben zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern. Der UVS Tirol stellt aber nicht nur das Bestehen eines Familienlebens der Beschwerdeführerin zu ihrem Sohn nicht fest, sondern unterlässt in weiterer Folge auch eine – nach Art 8 Abs 2 EMRK gebotene – Interessenabwägung hinsichtlich des durch das Aufenthaltsverbot erfolgenden Eingriffs in dieses Familienleben.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführerin wurde somit in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf Achtung ihres Familien- und Privatlebens verletzt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.