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VfGH vom 27.09.2004, B1506/02

VfGH vom 27.09.2004, B1506/02

Sammlungsnummer

17274

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Teils eines Vergabeverfahrens betreffend den zweigleisigen Ausbau einer Bahnstrecke; keine Verletzung der Vorlagepflicht

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) führten ein Verhandlungsverfahren über die Vergabe eines Teilabschnittes des zweigleisigen Ausbaus der Strecke "Ennstal/Abschnitt Stainach - Wörschach/Strecke Bischofshofen - Selzthal" nach den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I 56/1997, (BVergG) durch.

Ein Bieter beantragte in der Folge beim Bundesvergabeamt (BVA) die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 113 Abs 2 BVergG sowie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung und relevierte dabei unter anderem, dass sich die Österreichischen Bundesbahnen rechtswidriger Weise des Verhandlungsverfahrens bedient hätten. Die beschwerdeführenden Bundesbahnen beantragten die Zurück- bzw. Abweisung des Nachprüfungsantrags.

Mit Spruchpunkt I. eines Bescheides vom wurde dem Nachprüfungsantrag insofern stattgegeben "als gemäß § 117 Abs 3 festgestellt" wurde, "dass die Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Auftraggebers, ein Verhandlungsverfahren durchzuführen, vorliegt".

2. Dagegen richtet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde der ÖBB an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides im Umfang jenes Spruchpunktes I. begehrt wird.

Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Das BVA hat seine Entscheidung, dem Nachprüfungsantrag mit

Spruchpunkt I. des Bescheides stattzugeben, wie folgt begründet:

"Aufgrund des bereits wirksam erteilten Zuschlages ist gemäß § 117 Abs 3 BVergG unter den Voraussetzungen des Abs 1 leg.cit. (Rechtswidrigkeit der Auftraggeberentscheidung und Wesentlichkeit der Entscheidung für den Ausgang des Verfahrens) bloß festzustellen, ob der behauptete Rechtsverstoß vorliegt oder nicht.

Die Bezugnahme des Auftraggebers auf den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom , GZ N-5/01-27, N-6/01-27, N-9/01-27, N-10/01-27, ist unbeachtlich, da in dessen Interessenabwägung lediglich die Rechtschutzinteressen der Antragstellerin als geringer bewertet wurden, nicht jedoch die Wahl des Verhandlungsverfahrens für rechtmäßig erklärt wurde.

Der Auftraggeber im hier maßgeblichen Bereich der Errichtung von Eisenbahninfrastruktur wäre gemäß § 19 BVergG grundsätzlich dazu verpflichtet gewesen, den gegenständlichen Bauauftrag im offenen Verfahren zu vergeben. Das Vorliegen von Gründen für die Wahl des Verhandlungsverfahrens gemäß § 76 BVergG wurde nicht behauptet und liegen solche auch nicht offenkundig vor. Daher war der Auftraggeber verpflichtet, ein offenes Verfahren durchzuführen und war die entgegenstehende Wahl des Verhandlungsverfahrens somit rechtswidrig.

Gemäß § 117 Abs 1 Z 2 BVergG kommt eine Stattgebung des Antrages nur in Betracht, wenn die angefochtene Auftraggeberentscheidung für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist. Nach den Materialien zu dieser Bestimmung (Rv 972 BlgNR 18. GP 69) ist eine Entscheidung der vergebenden Stelle dann von wesentlichem Einfluss für den Ausgang des Vergabeverfahrens, wenn sie - bei rechtmäßigem Vorgehen - zur Zuschlagserteilung an einen anderen Bieter bzw. Bewerber geführt hätte. Gemäß § 117 Abs 3 BVergG sind die Bestimmungen des Abs 1 der Bestimmung auch im Verfahren nach § 117 Abs 3 anzuwenden. Die Entscheidung, das Verhandlungsverfahren statt des offenen zu wählen, ist von grundlegender Bedeutung für ein Vergabeverfahren und dazu geeignet, potentielle Bieter von einer Bewerbung abzuhalten und somit im Endeffekt zur Folge zu haben, dass der Zuschlag an einen anderen Bieter erteilt wird als bei der Wahl des offenen Verfahrens.

Daher ist die Entscheidung, das gegenständliche Vergabeverfahren im Verhandlungsverfahren durchzuführen, im Widerspruch zu Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes und für den Ausgang des Verfahrensverfahrens [gemeint: Vergabeverfahrens] von wesentlichem Einfluss. Da bereits dieser Rechtsverstoß vorliegt, konnte die Frage weiterer Rechtswidrigkeiten dahinstehen."

2. Die Beschwerdeführerin releviert unter dem Vorwurf der Verletzung ihres verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz, dass das BVA im vorliegenden Vergabeverfahren in einem Bescheid, mit dem eine von Bietern begehrte einstweilige Verfügung nicht gewährt wurde, zum Ausdruck gebracht habe, dass der Wechsel vom Verhandlungsverfahren zum offenen Verfahren für die Beschwerdeführerin "mit erheblichen finanziellen Einbußen und beträchtlichen wirtschaftlichen Nachteilen" verbunden wäre. Von dieser Auffassung wäre das BVA im nun angefochtenen Bescheid "willkürlich" abgegangen und sei die Beschwerdeführerin dadurch in "Treu und Glauben" verletzt. Auch seien dem BVA gravierende Verletzungen von Verfahrensvorschriften vorzuwerfen, die den Bescheid mit Gleichheitswidrigkeit belasten würden.

In ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachtet sich die Beschwerdeführerin zunächst dadurch verletzt, dass das BVA einen antragsbedürftigen Bescheid ohne entsprechenden Antrag erlassen habe. Vielmehr habe die antragstellende Bieterin vor Zuschlagserteilung die Nichtigerklärung von Auftraggeberentscheidungen - nicht aber die Feststellung einer Rechtswidrigkeit - beantragt. Die Umdeutung eines vor Zuschlagserteilung gestellten Nichtigerklärungsantrags in einen Feststellungsantrag nach Zuschlagserteilung wäre unzulässig.

In ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wäre die Beschwerdeführerin aber auch dadurch verletzt, dass es das BVA entgegen Art 234 EG unterlassen habe, eine vorlagepflichtige Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung dem EuGH vorzulegen: Es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass der österreichische Gesetzgeber bei Umsetzung der Richtlinie 93/38/EWG des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (Sektoren-Richtlinie) eine strengere Regelung habe wählen wollen, als es das europarechtliche Regelungsregime vorsehe, zumal § 84 Abs 2 Z 3 BVergG die entsprechende Bestimmung "nahezu wortgleich" übernehme. Im Sinne einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung sei es daher entscheidungserheblich, ob das Gemeinschaftsrecht neben dem "Netzbetrieb" auch die "Netzbereitstellung" dem Regime jener Sektoren-Richtlinie unterstelle. Es stelle sich deshalb die Frage, ob die Auffassung des BVA, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Bereich der Netzbereitstellung dem klassischen Vergaberegime zuzuordnen sei, in Widerspruch mit dem Gemeinschaftsrecht stünde.

3. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z.B. VfSlg. 14.390/1995 u.a.) verletzt der Bescheid einer Verwaltungsbehörde u.a. dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, wenn die bescheiderlassende Behörde als Gericht im Sinne des Art 234 Abs 3 EG eingerichtet ist und es verabsäumt, eine entscheidungsrelevante Frage der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

b) Die Beschwerdeführerin ist mit ihrem Vorbringen nicht im Recht:

Zunächst ist dem BVA nicht entgegenzutreten, wenn es den (ursprünglich) auf die Nichtigerklärung von Auftraggeberentscheidungen abzielenden Antrag in Form eines Feststellungsbescheides gemäß § 117 Abs 3 BVergG erledigt hat. Wenn die Beschwerdeführerin meint, es läge kein diesbezüglicher Antrag vor, so übersieht sie, dass der unter der Rubrik "Nichtigerklärung der Entscheidung des Auftraggebers" stehende § 117 Abs 3 BVergG für den Fall einer während des Nachprüfungsverfahrens erfolgten Zuschlagserteilung anordnet, dass das BVA (auch ohne Zutun des Nachprüfungswerbers) nur mehr festzustellen hat, ob der behauptete Rechtsverstoß vorliegt oder nicht. (Vgl. demgegenüber § 175 Abs 1 BVergG 2002, der auf einen entsprechenden "Antrag" abstellt.)

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat aber auch nicht dadurch stattgefunden, dass es das BVA unterlassen hätte, beim EuGH eine Vorabentscheidung zu begehren: Die Frage, ob unter den Begriff des "Betreibens" von Netzen zur Versorgung der Öffentlichkeit im Bereich des Verkehrs per Schiene (vgl. Art 2 Abs 2 litc der Sektoren-Richtlinie) auch das Bereitstellen der Netzinfrastruktur zu subsumieren sei, stellt im vorliegenden Fall keine klärungsbedürftige Frage dar, da - selbst bei ihrer Bejahung durch den EuGH - es dem nationalen (österreichischen) Gesetzgeber unbenommen wäre, den von den gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien gelegten Mindeststandard im Sinne eines strengeren Vergaberegimes zu modifizieren. Ob die belangte Behörde § 84 Abs 2 Z 3 BVergG richtig interpretiert und angewandt hat, berührt sohin nur (Auslegungs-)Fragen des einfachen Gesetzes.

Auch dem übrigen Beschwerdevorbringen kann der Verfassungsgerichtshof nicht näher treten:

Wenn die Beschwerdeführerin meint, dass bereits eine im selben Verfahren ergangene Provisorialentscheidung des BVA einen verfassungsrechtlich schützenswerten Vertrauenstatbestand ("Treu und Glauben") schaffen könnte und dabei auf ihrer Ansicht nach einschlägige Judikatur des Verfassungsgerichtshofs rekurriert (u.a. VfSlg. 6.258/1970, 12.466/1990), verkennt sie bereits, dass einer Entscheidung über die Gewährung einer einstweiligen Verfügung schon ob ihres Charakters eine definitive Rechtsauffassung über das zugrunde liegende meritum nicht entnommen werden kann.

Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob die Entscheidung des BVA im Einzelnen rechtsrichtig ist. Auch mit dem in der Beschwerde erhobenen Vorwurf der "gravierenden" Verletzung von Verfahrensvorschriften wird kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler geltend gemacht. Eine verfassungswidrige Gesetzesanwendung kann dem BVA nicht vorgeworfen werden. Das BVA hat seine Entscheidung vielmehr vertretbar begründet und - wie auch die Verwaltungsakten erweisen - diese weder leichtfertig getroffen noch sonst Willkür geübt. Ob das Verfahren in jeder Hinsicht rechtmäßig geführt wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen; und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen einen Bescheid des BVA - einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG - richtet, der beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.565/1985, 10.569/1985, 12.697/1991).

4. Die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte haben sohin nicht stattgefunden. Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, dass die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden ist, war die Beschwerde abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.