VfGH vom 16.10.2004, B1490/03

VfGH vom 16.10.2004, B1490/03

Sammlungsnummer

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Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.158,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Gegenstand der vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden sind Bescheide des Bundesministers für Inneres, mit denen die jeweilige Berufung der nunmehrigen Beschwerdeführer gegen die Verständigung über die Erledigung der - gemäß § 5 der Verordnung der Bundesregierung vom über die Einbringung, Behandlung und Erledigung von Wünschen und Beschwerden der Zivildienstleistenden - durch die Zivildienstverwaltungs Ges.m.b.H. weitergeführten Beschwerden betreffend die Verpflegung durch den Rechtsträger zurückgewiesen wurde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom , G36/04 und V20/04, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass in § 54a des Zivildienstgesetzes 1986, BGBl. Nr. 679, in der Fassung des Bundesgesetzes, mit dem das Bundesgesetz über den Zivildienst geändert wird (ZDG-Novelle 2001), BGBl. I Nr. 133/2000, Absatz 1, Absatz 3 erster Satz und Absatz 4 als verfassungswidrig aufgehoben werden sowie dass die §§2 bis 4 der Verordnung über die Übertragung von Aufgaben der Zivildienstverwaltung (Übertragungs-Verordnung), BGBl. II Nr. 140/2002, als gesetzwidrig aufgehoben werden und dass § 1 der Verordnung über die Übertragung von Aufgaben der Zivildienstverwaltung (Übertragungs-Verordnung), BGBl. II Nr. 140/2002, gesetzwidrig war.

Es wurde sohin die Übertragung von - dem Bundesminister für Inneres obliegenden - Aufgaben der Zivildienstverwaltung an das Österreichische Rote Kreuz, Generalsekretariat, das seine Aufgaben unter Inanspruchnahme der Zivildienstverwaltungs Ges.m.b.H. wahrnimmt, für verfassungswidrig erklärt.

2. Gemäß Art 140 Abs 7 und Art 139 Abs 6 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes und einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen und die als gesetzwidrig erkannte Verordnung bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätten.

Dem in Art 140 Abs 7 und in Art 139 Abs 6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die mündliche Verhandlung in dem zu G36/04 und V20/04 geführten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren fand am statt. Die vorliegenden Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, waren also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon anhängig; die ihnen zugrunde liegenden Fälle sind somit einem Anlassfall (des genannten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahrens) gleichzuhalten.

3. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002). Der administrative Instanzenzug ist als Einheit aufzufassen; wird die sachliche Zuständigkeit auch nur in unterer Instanz gesetzwidrig in Anspruch genommen, so ist das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, und zwar auch dann, wenn in oberer Instanz die zuständige Behörde eingeschritten ist (zB VfSlg. 5700/1968, 9599/1983, 11.061/1986, 14.008/1995).

4. Die Bescheide erster Instanz wurden in den vorliegenden Fällen von der Zivildienstverwaltungs Ges.m.b.H. erlassen, die nach der bereinigten Rechtslage für die Erlassung von Bescheiden in Angelegenheiten der Zivildienstverwaltung offenkundig nicht zuständig ist.

Die Beschwerdeführer wurden somit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Die Bescheide sind daher aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 163,50 und Umsatzsteuer in der Höhe von € 359,70 enthalten. Der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- war wegen der bestehenden sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§72 ZDG) nicht zuzusprechen (vgl. auch VfSlg. 15.898/2000, 16.072/2001).

6. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.