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VfGH vom 11.03.2014, B1479/2010

VfGH vom 11.03.2014, B1479/2010

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Anlassfall; teils Zurückweisung der Beschwerde mangels Legitimation

Spruch

I. 1. Die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer sowie der Siebt- und der Acht beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines ver fassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

2. Hinsichtlich der übrigen Beschwerdeführer wird die Beschwerde zurück gewiesen.

II. Der Bund (Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, den Erst- bis Fünftbeschwerdeführern sowie dem Siebt- und dem Acht beschwerdeführer zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit insgesamt € 3.460,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Verfahren

1. Mit Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom wurde der ÖBB-Infrastruktur Bau AG die beantragte Ge nehmigung für den 3. Abschnitt des Projekts "Lainzer Tunnel" erteilt. Im Zuge der Umsetzung dieses Bescheides wurden bauliche Änderungen und bescheidmäßig vorgeschriebene, ergänzende Einreichungen erforderlich. Auch war für die Vollendung des Vorhabens eine sogenannte "Differenz ge nehmigung" gemäß § 133a (nunmehr: § 175) Abs 16 iVm § 31 Eisenbahngesetz 1957 (EisbG) nötig.

1.1. Aus diesem Grund wurde von der ÖBB-Infrastruktur AG als Rechtsnach folgerin der ÖBB-Infrastruktur Bau AG ein Antrag auf Erteilung der eisenbahn rechtlichen Baugenehmigung gemäß den §§31 ff. EisbG und auf Erteilung einer Differenzgenehmigung gestellt, der auf Änderungen und Ergänzungen des bereits rechtskräftig genehmigten Projektes Lainzer Tunnel, 3. Abschnitt – Verbindungstunnel, insbesondere auf Elemente der Streckenaus rüstung, des Oberbaus einschließlich eines Masse-Feder-Systems, der Sicherungstechnik, der Elektrotechnik und der Oberleitung gerichtet war.

Diesem Antrag war zudem – entsprechend der Anordnung des § 31a Abs 1 letzter Satz EisbG idF BGBl I 125/2006 – ein Gutachten über projektrelevante Fachgebiete (Eisenbahnbetrieb, Eisenbahnbautechnik – Teilfachgebiete Oberbau und Fahrweg sowie Hochbau und Teilfachgebiet konstruktiver Ingenieurbau, Elektrotechnik, Sicherungstechnik, Erschütterungs- und Sekundärschallschutz, baulicher Brandschutz und Tunnelsicherheit) zum Beweis dafür angeschlossen, dass das eisenbahnrechtliche Projekt gemäß § 31f EisbG dem Stand der Technik unter Berücksichtigung der Sicherheit und Ordnung des Betriebes der Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn und des Verkehrs auf der Eisenbahn entspricht.

1.2. Mit dem angefochtenen (erst- und gleichzeitig letztinstanzlichen) Bescheid vom gab die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie dem Antrag der ÖBB-Infrastruktur AG statt und erteilte dieser eine eisenbahnrechtliche Baugenehmigung gemäß den §§31 ff. EisbG. Begründend führte sie aus, dass sämtliche Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt seien und insbesondere das Bauvorhaben dem Stand der Technik unter Berücksichtigung der Sicherheit und Ordnung des Betriebes der Eisenbahn, von Schienenfahr zeugen auf der Eisenbahn und des Verkehrs auf der Eisenbahn entspreche.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B VG gestützte Beschwerde von insgesamt neun Beschwerdeführern, die – nach ihrem eigenen Vorbringen – allesamt Parteien des eisenbahnrechtlichen Genehmigungsver fahrens gewesen seien. Sie behaupten, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein faires Verfahren verletzt zu sein. Gleichzeitig er achten sich die Beschwerdeführer in ihren Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des letzten Satzes des § 31a Abs 1 EisbG idF BGBl I 125/2006, verletzt, wonach für das vom Antragsteller beizubringende Gutachten betreffend den Stand der Technik die widerlegbare Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit gilt.

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie dem Vor bringen in der Beschwerde entgegentritt und die kostenpflichtige Ab- bzw. Zurück weisung der Beschwerde beantragt. Die ÖBB-Infrastruktur AG als beteiligte Partei erstattete eine als "Gegenschrift" bezeichnete Äußerung, in der sie be antragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, in eventu abzulehnen, und der beteiligten Partei die Pauschalkosten des Verfahrens zuzusprechen.

4. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des letzten Satzes des § 31a Abs 1 EisbG idF BGBl I 125/2006 ein. Mit Erkenntnis vom , G118/2012, hob er die genannte Bestimmung als ver fassungswidrig auf.

4.1. Im Rahmen eines ergänzenden Vorverfahrens forderte der Verfassungsgerichts hof in weiterer Folge die belangte Behörde, die Beschwerdeführer sowie die ÖBB-Infrastruktur-AG als beteiligte Partei zu einer Stellungnahme zu der Frage auf, welche Auswirkung die Aufhebung des letzten Satzes des § 31a Abs 1 EisbG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes für das Bescheidbeschwerdeverfahren hat, insbesondere, ob die von den beschwerdeführenden Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen vor dem Hintergrund der nun mehr bereinigten Rechtslage eine Verfahrensergänzung erfordern.

4.2. Die belangte Behörde und die ÖBB-Infrastruktur AG erstatteten eine Stellung nahme, in der sie zusammengefasst darlegten, dass die Entscheidung der belangten Behörde auch dann gleichlautend ergangen wäre, wenn der letzte Satz des § 31a Abs 1 EisbG im Entscheidungszeitpunkt nicht in Geltung gestanden wäre. Sie beantragten zudem, hinsichtlich der sechst- und neuntbeschwerde führenden Partei die Beschwerde zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen bzw. abzulehnen und hinsichtlich der erst- bis fünft- und der siebent- und achtbeschwerdeführenden Partei die Beschwerde als unbegründet abzu weisen.

4.3. Die Beschwerdeführer führten demgegenüber aus, dass sich die belangte Behörde hinsichtlich maßgeblicher Fragen der Bewilligungsfähigkeit des Ein reichprojekts auf die Schlüssigkeit des Gutachtens gemäß § 31a EisbG zurückge zogen habe und der Bescheid auf Basis der bereinigten Rechtslage nicht aufrechtzuerhalten sei.

II. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

Die Beschwerden der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer sowie des Siebt- und Acht beschwerdeführers sind zulässig:

1.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom , G118/2012, ausgeführt hat, sind Parteien im eisenbahnrechtlichen Ver fahren gemäß § 8 AVG iVm § 31e EisbG der Bauwerber, die Eigentümer der betroffenen Liegenschaften, die an diesen dinglich Berechtigten, die Wasser berechtigten und die Bergwerksberechtigten. Betroffene Liegenschaften sind außer den durch den Bau selbst in Anspruch genommenen Liegenschaften auch die, die in den Bauverbotsbereich oder in den Feuerbereich zu liegen kommen, sowie die, die wegen ihrer Lage im Gefährdungsbereich Veränderungen oder Beschränkungen unterworfen werden müssen. Wie sich aus den Verwaltungs akten ergibt, sind – mit Ausnahme des Siebtbeschwerdeführers – alle Beschwerdeführer dinglich Berechtigte an den betroffenen Liegenschaften. Sie genießen damit Parteistellung iSd § 31e EisbG.

1.2. Dem angefochtenen Bescheid und den Verwaltungsakten kann weiters entnommen werden, dass es sich im Anlassfall um ein Großverfahren iSd §§44a ff. AVG gehandelt hat und die Anträge durch Edikt kundgemacht worden sind. Gemäß § 44b AVG sind deshalb jene Parteien präkludiert, die nicht inner halb der Auflagefrist bei der belangten Behörde schriftliche Einwendungen er hoben haben.

1.2.1. Wie die belangte Behörde im Verfahren selbst eingeräumt hat und durch die Verwaltungsakten bestätigt wird, haben die Erst- bis Fünft beschwerdeführer sowie der Achtbeschwerdeführer im Verwaltungsverfahren rechtzeitig Ein wendungen erhoben. Deren Beschwerden sind daher zulässig.

1.2.2. Aber auch die siebtbeschwerdeführende Partei ist im verfassungsgericht lichen Verfahren beschwerdelegitimiert: Wie die belangte Behörde in ihrer ergänzenden Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich deren Partei stellung aus dem Wasserrechtsgesetz 1959: Die siebtbeschwerdeführende Partei ist als Wasserberechtigte ebenfalls Partei iSd § 31e EisbG. Auch hat die siebt beschwerdeführende Partei rechtzeitig rechtserhebliche Einwendungen erhoben. Damit hat sie – gleich wie die anderen genannten beschwerde führenden Parteien – ihre Parteistellung im eisenbahnrechtlichen Genehmigungsverfahren gewahrt.

1.3. Hinsichtlich der Sechst- und Neuntbeschwerdeführer kann aus den vorge legten Verwaltungsakten nicht festgestellt werden, dass sie innerhalb der Auflagefrist schriftlich Einwendungen erhoben hätten. Da sie dadurch im Ver fahren vor der belangten Behörde ihre Parteistellung verloren haben, kommt diesen beschwerdeführenden Parteien auch keine Beschwerdelegitimation vor dem Verfassungsgerichtshof zu.

2. In der Sache:

Die Beschwerden der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer sowie der Siebt- und Acht beschwerdeführer sind auch begründet:

Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung an gewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war:

Wie die belangte Behörde und die ÖBB-Infrastruktur AG zutreffend vorgebracht haben, wurden dem Verfahren betreffend die Erteilung einer eisenbahnrecht lichen Genehmigung zwar ein Amtssachverständiger für elektromagnetische Felder und Elektrotechnik sowie ein nichtamtlicher Sachverständiger für Raum planung beigezogen. Mehrere Stellen des Genehmigungsbescheides bzw. der Verhandlungsschrift zeigen jedoch, dass sich die belangte Behörde in vielerlei Hinsicht auf die Vermutung der Richtigkeit des Gutachtens nach § 31a EisbG gestützt hat.

Die Beschwerdeführer wurden daher durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

III. Ergebnis

1. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben. Hingegen ist die Beschwerde der Sechst- und Neuntbeschwerdeführer mangels Legitimation zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 und § 19 Abs 3 Z 2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Um satzsteuer in der Höhe von € 540,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten. Da die Beschwerde, soweit sie von den Sechst- und Neuntbeschwerdeführern erhoben worden ist, zurückge wiesen wird, ist für eben diese Beschwerdeführer kein Streitge nossenzuschlag zuzu sprechen.

Fundstelle(n):
PAAAD-84367