OGH vom 19.11.2019, 10Ob41/19f

OGH vom 19.11.2019, 10Ob41/19f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des (nunmehr volljährigen) A*****, geboren ***** 2001, *****, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 522/18t, 44 R 523/18i-221, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Meidling vom , GZ 21 Pu 188/10m-197, 198, teilweise abgeändert wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Anfechtung der Erhöhung des monatlichen Unterhaltsvorschusses für den Monat November 2017 dahin abgeändert, dass sie für die Zeit von bis (Punkt 3. des erstinstanzlichen Beschlusses) unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Teile zu lauten hat:

„3. Der dem Kind mit Beschluss des Bezirksgerichts Meidling, 21 PU 188/10m-165 vom für den Zeitraum von bis weitergewährte Unterhaltsvorschuss von 220 EUR wird

a) von bis auf monatlich 540 EUR erhöht;

b) von bis auf monatlich 260 EUR herabgesetzt;

c) von bis auf monatlich 260 EUR herabgesetzt;

d) von bis auf monatlich 540 EUR erhöht;

e) ab auf monatlich 280 EUR herabgesetzt;

Das Mehrbegehren, .“

Text

Begründung:

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Höhe des dem Antragsteller für den Monat November 2017 zustehenden Unterhaltsvorschusses (540 EUR laut Standpunkt des Antragstellers oder 178 EUR laut Standpunkt des Bundes).

Unstrittig ist, dass der Antragsteller am eine Lehrstelle im Lehrberuf Einzelhandelskaufmann angetreten und die Lehre mit wieder beendet hat.

Mit Beschluss vom (ON 190) erhöhte das Titelgericht den von der Mutter zu leistenden Geldunterhalt für den Zeitraum ab , und zwar
– soweit für das Revisionsrekursverfahren wesentlich – von bis auf monatlich 540 EUR, von bis auf 260 EUR und ab wiederum auf 540 EUR. Die Festsetzung des Unterhalts für Oktober 2017 mit 260 EUR wurde mit dem Eigeneinkommen des Antragstellers (Lehrlingsentschädigung) begründet.

Aufgrund dieses Titelbeschlusses erhöhte mit Beschluss vom (ON 198) – soweit hier noch relevant – den zuvor in Höhe von monatlich 220 EUR gewährten Unterhaltsvorschuss für den Zeitraum von bis auf monatlich 540 EUR, für den Zeitraum von bis auf 260 EUR und für den Zeitraum von bis wiederum auf monatlich 540 EUR.

Gegen diese Entscheidung erhob der Bund (vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien) in Bezug auf die Erhöhung für den Monat November 2017 Rekurs und beantragte, dass für diesen Monat nur ein Unterhaltsvorschuss in Höhe von 178 EUR gewährt werde. Im Rekurs wurde vorgebracht, das Erstgericht sei offenbar von einer letztmaligen Auszahlung der Lehrlingsentschädigung noch im Monat Oktober 2017 ausgegangen. Wann die tatsächliche Auszahlung erfolgt sei, sei aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Die vom Rekurswerber durchgeführte Anfrage beim Arbeitgeber habe aber ergeben, dass die letzte Lehrlingsentschädigung für Oktober 2017 (in Höhe von 600,40 EUR) an den Antragsteller erst am überwiesen worden sei (ON 200). Da im Unterhaltsrecht die tatsächliche Verfügbarkeit der Eigenmittel zur Deckung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten im Vordergrund stehe, habe der Antragsteller im November 2017 nicht bereits wieder einen vollen Unterhaltsbedarf gehabt.

Das gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Im vorliegenden Fall habe der Unterhaltsberechtigte einen Rechtsanspruch gehabt, die Lehrlingsentschädigung bereits Ende Oktober 2017 ausgezahlt zu bekommen. Die allein der Dienstgebersphäre zuzurechnende verspätete Auszahlung könne nicht dazu führen, dass dem Unterhaltsberechtigten erst ab dem auf die verspätete Auszahlung folgenden Monatsersten (somit erst ab ) ein Anspruch auf Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse zustehe. Die vom Rekurswerber ins Treffen geführte Rechtsansicht hätte nur eine zeitliche Verschiebung dergestalt zur Konsequenz, dass dem Unterhaltsberechtigten für Oktober 2017 die Unterhaltsvorschüsse zu erhöhen, für November 2017 herabzusetzen und für Dezember 2017 sodann wieder zu erhöhen gewesen wären.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs unter Hinweis auf das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der zu beurteilenden Rechtsfrage zu.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der des Bundes (vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien). Der Bund macht zusammengefasst geltend, der am eingegangene Betrag habe dem Unterhalt des Kindes für November 2017 gedient.

Der mittlerweile volljährige Unterhaltsberechtigte hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist teilweise auch berechtigt.

1. Voranzustellen ist, dass das Rekursvorbringen nicht dem Neuerungsverbot (§ 49 AußStrG) unterliegt. Dem Rekursvorbringen steht auch § 15 Abs 2 UVG nicht entgegen, weil es um die Beurteilung der Tatbestandsmerkmale nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG (iVm § 19 Abs 2 UVG) geht (RS0076562).

2.1 Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist (§ 231 Abs 3 ABGB). Auch die Lehrlingsentschädigung ist, sofern sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibt, Eigeneinkommen des Kindes (RS0047573 [T2]) und mindert den Unterhaltsanspruch.

2.2 Da Sinn und Zweck des Unterhalts und der in § 1418 ABGB verankerten Vorauszahlungspflicht von Unterhaltsleistungen ist, dass der Unterhaltsberechtigte „keinen Mangel leiden“ solle (10 Ob 30/15g), ist für den Zeitpunkt der Anrechnung maßgeblich, ab wann dem Unterhaltsberechtigten das Eigeneinkommen tatsächlich zur Deckung seiner Bedürfnisse zur Verfügung steht. Für die Reduzierung der Unterhaltspflicht bei Antritt einer Lehrstelle ist daher das Datum der erstmaligen Auszahlung der Lehrlingsentschädigung an den Unterhaltsberechtigten relevant, weil die Lehrlingsentschädigung erst ab diesem Zeitpunkt als anrechenbares Eigeneinkommen tatsächlich zur Verfügung steht (10 Ob 30/15g; RS0111944 [T2]). Tritt ein Unterhaltsberechtigter am Beginn eines Monats eine Lehrstelle an und erhält er die (erste) Lehrlingsentschädigung am Ende dieses Monats ausgezahlt, ist der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit erst mit Ablauf des Monats bzw am folgenden Monatsersten anzunehmen.

3. § 7 Abs 1 Z 1 UVG lässt die Prüfung zu, ob Anhaltspunkte gegen den aufrechten materiellen Bestand des Titels bestehen. Im Fall eines Eigeneinkommens des Kindes ist zu prüfen, ob – wenn ja in welcher Höhe – der im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens noch fortbesteht, weil die Eigeneinkünfte zu einer Verringerung des konkreten Bedarfs führen (RS0076370 [T2]). Auch Unterhaltsvorschüsse sind im Fall eines Eigeneinkommens des Kindes erst mit Ablauf desjenigen Monats herabzusetzen oder einzustellen, in dem die erste Lohnauszahlung zur Verfügung steht (10 Ob 23/14a; 10 Ob 38/17a; RS0129679).

4.1 Der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht, infolge der Auszahlung der Lehrlingsentschädigung für November 2017 (am ) seien im Sinn der Rechtsprechung (RS0129679) Anhaltspunkte iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG darin zu sehen, dass auch noch im November 2017 von einem verminderten Bedarf des Unterhaltsberechtigten auszugehen sei, ist zu folgen:

4.2 Bei einer Lehrzeit von zwei Monaten werden zwei Lehrlingsentschädigungen fällig, was auch zu einer Unterhaltsreduktion für zwei Monate führen muss. Im Sinn der Rechtsprechung (10 Ob 23/14a, 10 Ob 38/17m, RS0129679) ist der Unterhalt für Oktober und November zu reduzieren, weil die Lehrlingsentschädigung für September 2017 für den Unterhalt im Oktober 2017 zur Verfügung steht und die Lehrlingsentschädigung für Oktober 2017 für den Unterhalt im November 2017. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zahlung am (oder wohl im Hinblick auf den am 1. 11. gelegenen Feiertag) am eingegangen ist. Der Unterhaltsberechtigte hat aufgrund der Auszahlung der Lehrlingsentschädigung im November 2017 in diesem Monat über ausreichend Mittel zur Deckung seiner Bedürfnisse verfügt, sodass eine Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse auf 540 EUR bereits in diesem Monat nicht in Betracht kommt (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG iVm § 19 Abs 2 UVG).

5. Die Höhe des Unterhaltsvorschusses für November 2017 war aber nicht – wie im Revisionsrekurs beantragt – mit 178 EUR festzusetzen, sondern entsprechend der Höhe des Unterhaltstitels für Oktober mit 260 EUR:

Die Berechnungsmethode, die der Bund in seinem Rekurs sowie auch im Revisionsrekurs zur Errechnung des nach Erhalt der Lehrlingsentschädigung verbleibenden Unterhaltsanspruchs für November 2017 verwendet hat (siehe RS0047565), setzt einfache Lebensverhältnisse voraus. Derartige Lebensverhältnisse sind hier jedoch zu verneinen, weil der mit 540 EUR ermittelte monatliche Unterhaltsbetrag über dem Regelbedarf von 454 EUR für das Jahr 2017 liegt (RS0047565 [T2]). Weiters fehlen Feststellungen dazu, ob der damals noch minderjährige Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil Unterhaltsleistungen (etwa) in Form von Betreuungsleistungen erhalten hat. Im Rahmen der Prüfung des Versagens der Vorschüsse im Sinn des § 7 Abs 1 UVG ist aber kein hypothetisches Unterhaltsfestsetzungsverfahren abzuführen und keine vollständige Nachprüfung des Titels vorzunehmen, um die vom UVG beabsichtigte Soforthilfe nicht zu gefährden (IA 673/A 24. GP 40 f; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 7 UVG Rz 7). Die Höhe des Unterhaltsvorschusses für November 2017 war daher entsprechend der Höhe des Unterhaltstitels für Oktober 2017 mit 260 EUR zu bestimmen.

Dem Revisionsrekurs des Bundes war somit teilweise Folge zu geben. Das auf Festsetzung des Unterhaltsvorschusses für November mit (nur) 178 EUR gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00041.19F.1119.000

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