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VfGH vom 29.11.1988, B1471/88

VfGH vom 29.11.1988, B1471/88

Sammlungsnummer

11904

Leitsatz

VersammlungsG; StVO 1960; Abstellen eines Lautsprecherwagens auf einem Gehsteig wegen unbestimmter Formulierung in der Versammlungsanzeige kein nach § 6 VStG gerechtfertigtes Verhalten iZm. einer Versammlung - keine Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt wurde.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Wiener Landesregierung erkannte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom den Bf. schuldig, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 8 Abs 4 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen zu haben, daß er am um 15,40 Uhr in Wien 1., Universitätsstraße 1 ein Kraftfahrzeug mit allen vier Rädern auf dem dort befindlichen Gehsteig abgestellt habe. Über ihn wurden gemäß § 99 Abs 3 lit. a StVO eine Geld- und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird. Der Bf. macht geltend, er habe das Kraftfahrzeug (einen Lautsprecherwagen) im Zusammenhang mit einer Wählerversammlung verwendet; ein solcher Lautsprecherwagen sei ein notwendiges "technisches Hilfsmittel" zur Durchführung der Versammlung gewesen.

3. Die Wiener Landesregierung als bel. Beh. legte die bezughabenden Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Unstrittig ist, daß der Bf. ein Kraftfahrzeug auf dem Gehsteig geparkt hatte, ohne eine Ausnahmebewilligung nach § 45 StVO zu besitzen.

Strittig ist, ob dieses Verhalten - wie der Bf. behauptet - straflos ist, weil es im Zusammenhang mit einer (Wähler-)Versammlung iS des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) geschah. Wäre dies der Fall, würde das bedeuten, daß der Bf. zu Unrecht bestraft und damit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden wäre (vgl. zB und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

2. Der Bf. behauptete im Verwaltungsstrafverfahren stets, es habe damals im Zuge des Wahlkampfes anläßlich der Wiener Gemeinderatswahl eine (Wähler-)Versammlung iS des VersG stattgefunden (zum Begriff der Versammlung siehe etwa und die dort zitierte weitere Vorjudikatur). Auch die Behörden beider Rechtsstufen gingen (als selbstverständlich) davon aus. Erst in diesem Verfahren vor dem VfGH trat die bel. Beh. der diesbezüglichen Beschwerdebehauptung entgegen und machte geltend, die Veranstaltung sei nicht als Versammlung iS des VersG zu qualifizieren gewesen.

Es kann hier jedoch dahingestellt bleiben, ob die eine oder die andere Annahme zutrifft. Denn selbst wenn die Ausgangsposition des Bf., es habe eine Versammlung

stattgefunden, richtig wäre, ist für ihn nichts gewonnen:

3.a) Gemäß § 8 Abs 4 StVO - auf diese Bestimmung stützt sich der angefochtene Bescheid in erster Linie - ist die Benützung von Gehsteigen mit Fahrzeugen aller Art verboten.

Dem § 99 Abs 3 lita StVO zufolge ist u.a. das Zuwiderhandeln gegen dieses Verbot als Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe bis zu 10.000 S und im Falle der Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen zu bestrafen.

b) Die StVO enthält zwar (ausgenommen im § 86) keine besonderen Bestimmungen für das Verhalten anläßlich von Versammlungen unter freiem Himmel. Im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit ist aber anzunehmen, daß ein Verhalten, das an sich dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, von der Rechtsordnung erlaubt und damit gemäß § 6 VStG 1950 dann gerechtfertigt sein kann, wenn es unbedingt notwendig ist, um die Versammlung in der beabsichtigten Weise durchzuführen (vgl. Stolzlechner, Demonstrationsfreiheit und Straßenpolizeirecht, ZfV 1987, 389, insbesondere 394). Das geht allerdings nur so weit, als das tatsächliche Verhalten der erstatteten Anzeige über die beabsichtigte Abhaltung der Versammlung - die von der Versammlungsbehörde nicht untersagt wurde - entspricht. Käme die Versammlungsbehörde zur Ansicht, daß die Versammlung mit allen aus der Anzeige und aus allfälligen ergänzenden Angaben des Veranstalters erkennbaren Modalitäten dem § 6 VersG widerspricht, hätte sie die Versammlung zu untersagen. Unterläßt sie die Untersagung, so ist die Abhaltung der Versammlung auf die in der Anzeige angegebene Weise vom Gesetz erlaubt.

Eine Versammlungsanzeige muß ausreichend präzisiert werden, um der Behörde einerseits die Beurteilung zu ermöglichen, ob ein Untersagungsgrund nach § 6 VersG vorliegt, und um andererseits zu gewährleisten, daß die Behörde die allenfalls für die reibungslose Durchführung der Versammlung erforderlichen Vorkehrungen (etwa Verkehrsumleitungen, Schutz vor Gegendemonstrationen) treffen kann. Sind die in einer Eingabe enthaltenen Angaben derart unbestimmt, daß ihnen solche Informationen schlechterdings nicht entnommen werden können, so ist die Eingabe nicht als eine bloß mangelhafte, sondern überhaupt nicht als Versammlungsanzeige zu qualifizieren (vgl. hiezu die neuere Judikatur des VfGH - z.B. VfSlg. 10443/1985; B106,373/86, B44/85, B91/85, B84/85 -, wonach das Unterlassen einer Versammlungsanzeige allein noch nicht die Auflösung der Versammlung rechtfertigt). Enthält die Eingabe aber (bloß) mangelhafte, die einzelnen Umstände der beabsichtigten Versammlung nicht ausreichend konkretisierende Angaben, so ist die Versammlungsanzeige zurückzuweisen oder allenfalls die Versammlung zu untersagen (vgl. VfSlg. 9103/1981).

Das Erfordernis der ausreichenden Konkretisierung gilt insbesondere dann, wenn bei einer Versammlung Vorgänge stattfinden sollen, die für sich genommen rechtswidrig und nur als unbedingt notwendige Begleiterscheinung einer Versammlung rechtmäßig sind (siehe zu all dem ).

c) Hier hatte "Die Grüne Alternative Landesorganisation Wien" der Bundespolizeidirektion Wien am unter Bezugnahme auf § 2 VersG und § 86 StVO die beabsichtigte Abhaltung folgender "politischer Kundgebungen" im Rahmen des Wahlkampfes anläßlich der Wiener Gemeinderatswahl angezeigt:

"Orte: Wien I Schottenpassage und Platz vor der Uni

(beim Aufgang Schottengasse)

Teiln. 5-10 Pers.

Zeiten: 9.10. - 7.11.***** 9-19 Uhr

Zweck: Werbung für die wahlwerbende Partei Die Grüne Alternative, sowie Information über Programm, Ziele und Aktivitäten dieser Partei.

Es ist beabsichtigt die Teilnehmer zu einem gemeinsamen Wirken zu bringen.

Tafeln, Plakate, Infotische, Transparente, Flugblätter, PKW mit Lautsprecheranlage sowie schriftliches Material werden verwendet.

Der Verkehr wird nicht behindert. Zugänge zu Geschäften bzw. Auslagen werden nicht verstellt."

Die Formulierung in der Anzeige, daß ein PKW mit Lautsprecheranlage verwendet werden würde, ist derart unbestimmt, daß die Behörde nicht davon ausgehen mußte, es werde ein Kraftfahrzeug auf eine der StVO widersprechende Weise abgestellt werden. In der Anzeige fehlt nämlich jeglicher Hinweis auf ein solches Vorgehen; sie enthält keine näheren Angaben darüber, wann, wo, welche und wieviele Fahrzeuge überhaupt eingesetzt und welche hievon auf einem Gehsteig abgestellt werden sollten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der Lautsprecherwagen gar nicht am angegebenen Versammlungsort (beim Aufgang von der Schottentorpassage zur Schottengasse), sondern anderswo (Universitätsstraße 1) geparkt wurde.

Die Unvollständigkeit der Versammlungsanzeige hat der Versammlungsveranstalter zu vertreten, weil - wie dargetan eindeutig feststehen muß, welches Verhalten als notwendige Begleiterscheinung einer Versammlung gemäß § 6 VStG gerechtfertigt werden soll (vgl. auch hiezu ).

d) Selbst wenn der Lautsprecherwagen im Zusammenhang mit einer Versammlung iS des VersG auf dem Gehsteig abgestellt worden sein sollte, war dieses Verhalten also nicht nach § 6 VStG gerechtfertigt.

Der Bf. wurde also durch den angefochtenen Strafbescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt.

4. Nach dem Gesagten scheidet auch aus, daß er wegen denkunmöglichen oder willkürlichen Gesetzesvollzuges im Eigentums- oder Gleichheitsrecht verletzt wurde. Das Verfahren hat auch weder eine andere Grundrechtsverletzung noch die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen Rechtsvorschrift ergeben.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und antragsgemäß nach Art 144 Abs 3 B-VG dem VwGH zur Entscheidung darüber abzutreten, ob der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in anderen - nicht das (verfassungsgesetzlich gewährleistete) Recht auf Versammlungsfreiheit berührenden - Rechten verletzt wurde.

5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.