OGH vom 23.05.2018, 10Ob4/18p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch Mag. Manfred Pollitsch, Mag. Hannes Pichler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Univ.-Prof. Dr. M*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Dlaska, Rechtsanwalt in Graz, wegen 38.192,63 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 121/17g-14, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 13 Cg 10/17d-10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft Graz führte zu AZ 19 St ***** gegen den Beschuldigten F***** ein Ermittlungsverfahren. Mit Beschluss vom bestellte die Staatsanwaltschaft in diesem Ermittlungsverfahren den Beklagten zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und beauftragte ihn mit der Erstattung von Gutachten. Gegenstand dieser Gutachten war ua die Prüfung der Fragen, ob der Beschuldigte zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zurechnungsfähig war, welcher Art und Schwere die von S***** und A***** erlittenen Körperverletzungen waren und ob bei diesen Personen eine an sich schwere Gesundheitsschädigung und/oder eine Gesundheitsschädigung von mehr als 14tägiger bzw von mehr als 24tägiger Dauer eingetreten ist. Zudem wurde der Sachverständige ersucht, die Dauer der Schmerzperioden festzustellen.
Der Beklagte gelangte in seinen Gutachtenzum Ergebnis, dass – jeweils komprimiert auf den 24StundenTag – A***** mittelgradige Schmerzen in der Dauer von 285 Tagen und S***** solche für die Dauer von 190 Tagen erlitten hatten. Die Gutachten des Beklagten wurden in der Hauptverhandlung erörtert, wobei es allerdings nicht um mögliche Schmerzperioden der Opfer gegangen ist. S***** und A***** hatten sich mit Schriftsatz vom als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen. Es erfolgte allerdings kein Privatbeteiligtenzuspruch, die beiden Privatbeteiligten wurden mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Im Verfahren 11 Cg 25/15t des Erstgerichts (in weiterer Folge: Vorverfahren) verlangten A***** 57.000 EUR und S 38.000 EUR an Schmerzengeld vom Beklagten F*****. In diesem Zivilverfahren wurde Univ.Prof. Dr. P***** zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie bestellt. Ausgehend von dessen (jeweiligen) Gutachten gelangte das Erstgericht in seinem unbekämpft gebliebenen Urteil vom im Vorverfahren zum Ergebnis, dass für A***** ein Schmerzengeld von 4.300 EUR und für S***** ein solches von 5.500 EUR angemessen sei. Dem hier Beklagten verkündeten die Kläger im Vorverfahren den Streit, wobei „nicht festzustellen ist, welche Unterlagen der Beklagte diesbezüglich seitens des Gerichts erhalten hat; ein Beitritt erfolgte jedenfalls nicht und der Beklagte wurde auch von der Tagsatzung vom nicht verständigt“.
Die Klägerin begehrt den Zuspruch von 38.192,63 EUR an Schadenersatz vom Beklagten. Der Beklagte habe im Ermittlungsverfahren rechtswidrig und schuldhaft ein (jeweils) unvertretbar unrichtiges Gutachten erstattet und viel zu hohe Schmerzperioden für A***** und S***** ermittelt. Aufgrund dieser unrichtigen Gutachten hätten A***** und S***** im Vorverfahren viel zu hohe Schmerzengeldbeträge gegen den Schädiger geltend gemacht. A***** und S***** hätten daher 10.499,82 EUR an gegnerischen und 27.692,81 EUR an eigenen Kosten zu zahlen gehabt, sodass ihnen in diesem Umfang ein Schaden entstanden sei, für den der Beklagte gemäß §§ 1299, 1300 ABGB hafte. Der Beklagte habe damit zu rechnen gehabt, dass die Tatopfer auf Grundlage seiner Gutachten ihre Schmerzengeldansprüche gegenüber dem Beschuldigten im Strafverfahren als Schädiger geltend machen. Die Klägerin habe den Schaden als Rechtsschutzversicherer von A***** und S***** gezahlt, sodass der Schadenersatzanspruch gemäß § 67 Abs 1 VersVG auf sie übergegangen sei. Dem Beklagten sei im Vorverfahren wirksam der Streit verkündet worden, der Beklagte sei dem Verfahren jedoch nicht beigetreten. Er müsse daher insbesondere die Tatsachenfeststellungen des Vorverfahrens über die Schmerzperioden gegen sich gelten lassen.
Der Beklagte wandte dagegen ein, dass seine Gutachten im Ermittlungsverfahren lege artis erstellt worden seien. Es handle sich zumindest um eine jeweils vertretbare Meinung. Sein Auftraggeber sei die Staatsanwaltschaft gewesen, sodass eine Haftung nur dieser gegenüber bestehen könnte, nicht aber gegenüber Dritten, deren Interessen die Staatsanwaltschaft mit der Beauftragung des Beklagten nicht verfolgt habe. Es fehle auch am Adäquanzzusammenhang und damit an der Vergleichbarkeit der Gutachten des Beklagten mit jenen des im Zivilverfahren beigezogenen Sachverständigen, weil im Strafverfahren – anders als im Zivilverfahren – die akute posttraumatische Belastungsstörung zu berücksichtigen sei. Die Streitverkündigung im Vorverfahren des Erstgerichts (dort ON 29) sei dem Beklagten nicht zugekommen. Offensichtlich sei dem Beklagten die zur Verbesserung zurückgestellte Streitverkündigung ON 26 (des Vorverfahrens) – die kein Aktenbestandteil des Verfahrens mehr gewesen sei – zugekommen, dies allerdings ohne den betreffenden Verbesserungsauftrag.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für den Beklagten sei im Strafverfahren keineswegs erkennbar gewesen, dass über seine Gutachten auch Interessen eines möglichen Dritten mitverfolgt werden. Weder die Klägerin noch A***** oder S***** seien in den Schutzbereich einbezogen gewesen.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil infolge Berufung der Klägerin auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Der Beklagte sei von der Staatsanwaltschaft auch mit der Ermittlung der Schmerzperioden beauftragt worden. Er habe damit rechnen müssen, dass A***** und S***** auf seinem jeweiligen Gutachten beruhende Ansprüche entweder als Privatbeteiligte im Strafverfahren oder in einem späteren Zivilverfahren geltend machen, sodass seine Haftung diesen gegenüber grundsätzlich möglich sei.
Dem Beklagten sei im Vorverfahren wirksam der Streit verkündet worden. Ihm sei zumindest der vom Erstgericht im Vorverfahren zur Verbesserung zurückgestellte Streitverkündigungsschriftsatz ON 26 zugestellt worden. Dass dieser Schriftsatz von der verbesserten Streitverkündigung ON 29 im Vorverfahren abweiche, ergebe sich nicht aus dem Akteninhalt. Die in ON 26 fehlende Darstellung der Lage des Rechtsstreits diene dazu, dem Betroffenen eine zeitliche Orientierung über das Verfahren zu geben. Mit der Zustellung des Schriftsatzes ON 26 im Vorverfahren wäre esam Beklagten gelegen gewesen, sich – etwa durch Akteneinsicht – über den Stand des Verfahrens zu orientieren, wozu er auch genügend Zeit gehabt hätte.
Der Beklagte könne infolge der wirksamen Streitverkündigung im Vorverfahren daher keine Einreden und Einwände erheben, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung im Vorprozess im Widerspruch stehen. Er könne insbesondere nicht einwenden, dass das Gutachten des im Zivilverfahren bestellten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie unrichtig sei. Allerdings könne der Beklagte beweisen, dass seine im Ermittlungsverfahren abgegebenen Sachverständigengutachten aus damaliger Sicht vertretbar gewesen sei.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu mehreren Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung fehle, nämlich
– zur Haftung eines Sachverständigen, der im Ermittlungsverfahren über Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Gutachten (auch) zu den „Schmerzperioden“ der Geschädigten erstattet habe, für Vermögensschäden im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen auf der Grundlage des Gutachtens,
– zu den Vorausetzungen einer wirksamen Streitverkündigung und
– zum Umfang der Bindungswirkung im konkreten Fall.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der von der Klägerin beantwortete Rekurs des Beklagten, mit dem er die Abweisung des Klagebegehrens begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Die Klägerin hat die Kosten des Vorverfahrens an den Prozessgegner und die den Klägern des Vorprozesses entstandenen eigenen Kosten bezahlt. § 67 Abs 1 VersVG normiert, dass ein Schadenersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegenüber einem Dritten auf den Versicherer übergeht, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Durch den Forderungsübergang ändert sich die Rechtsnatur des Anspruchs nicht (2 Ob 7/10h mwN ua). Entscheidend für den Rechtsübergang ist die tatsächliche Leistung an den Versicherungsnehmer (RISJustiz RS0081396). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Mit der Behauptung, dass die Haftung der Klägerin als Rechtsschutzversicherung „weit überspitzt“ sei, zeigt der Beklagte keine Unrichtigkeit dieser rechtlichen Beurteilung auf.
2.1 Der Rekurswerber hält an der Auffassung fest, dass Auftraggeber des Gutachtens im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft gewesen sei, die keine Interessen Dritter verfolge. Solche ließen sich auch aus § 10 StPO nicht begründen.
2.2 Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haftet ein Sachverständiger, der im Prozess ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Parteien gegenüber persönlich nach § 1299 ABGB (RISJustiz RS0026316, RS0026319; Karner in KBB5§ 1299 Rz 10 mwH; für den im Strafverfahren bestellten Sachverständigen vgl 8 Ob 36/14y mwH; RISJustiz RS0026360 [T13]).
2.3 Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach §§ 1299 f ABGB ist grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten beschränkt (RISJustiz RS0026234 [T10]). Gegenüber Dritten wird eine Haftung des Sachverständigen nach ständiger Rechtsprechung generell dann anerkannt, wenn der Besteller des Gutachtens für den Sachverständigen erkennbar gerade auch die Interessen des Dritten mitverfolgt. In diesem Fall sind die objektivrechtlichen Sorgfaltspflichten auf den Dritten zu erstrecken. Das ist dann der Fall, wenn der Sachverständige damit rechnen muss, dass sein Gutachten Dritten zur Kenntnis gelangen und diesen als Grundlage für ihre Dispositionen dienen wird. Geschützt ist demnach der Dritte, wenn eine Aussage erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Wesentlich ist daher vor allem, zu welchem Zweck das Gutachten erstattet wurde (9 Ob 56/11t mwH; RISJustiz RS0106433 [T11, T 12]; für das Strafverfahren s RISJustiz RS0114126; zur Bejahung der Haftung eines in einem Strafverfahren bestellten Sachverständigen gegenüber einem Zeugen vgl 5 Ob 18/00h).
2.4 Es ergibt sich schon aus dem im Ermittlungsverfahren erteilten Gutachtensauftrag an den Sachverständigen, die Dauer der Schmerzperioden der Geschädigten S***** und A***** festzustellen, dass dadurch die Interessen dieser Dritten geschützt sind (vgl 6 Ob 141/16b). Denn die Dauer der Schmerzperioden ist Grundlage für jene Ansprüche, die die geschädigten Dritten im Strafverfahren als Privatbeteiligte oder in einem späteren Zivilverfahren geltend machen können. Zutreffend ist das Berufungsgericht daher davon ausgegangen, dass für den Beklagten erkennbar war, dass seine im Ermittlungsverfahren erstatteten Gutachten in diesem Umfang Grundlage für die Geltendmachung von Ansprüchen der Geschädigten auf Schmerzengeld auch im Fall der Verweisung auf den Zivilrechtsweg sein könne.
3.1 Der Rekurswerber führt aus, dass eine rechtswirksame Streitverkündigung im Vorverfahren nicht erfolgte. Ihm sei lediglich der „Schriftsatz“ ON 26 des Vorverfahrens zugestellt worden. Dabei handle es sich um eine Urkunde, weil die „Streitverkündigung“ ON 26 vom Erstgericht an die Kläger des Vorverfahrens zur Verbesserung zurückgestellt wurde. Es liege daher kein formell rechtsgültiger Streitverkündigungsschriftsatz vor. Dem kommt zumindest im Ergebnis Berechtigung zu:
3.2 Gemäß § 21 Abs 1 ZPO kann derjenige, der behufs Begründung zivilrechtlicher Wirkungen einen Dritten von einem Rechtsstreit zu benachrichtigen hat, dies durch Zustellung eines Schriftsatzes bewirken, in welchem auch der Grund der Benachrichtigung anzugeben und die Lage des Rechtsstreits, falls derselbe bereits begonnen hat, kurz zu bezeichnen ist. Mit einer solchen Benachrichtigung kann gemäß § 21 Abs 2 ZPO eine in den Vorschriften des bürgerlichen Rechts begründete Aufforderung zur Leistung der Vertretung im bereits anhängigen Rechtsstreit verbunden werden.
3.3 Die Streitverkündigung (Streitverkündung) ist die förmliche Benachrichtigung eines Dritten von einem bevorstehenden oder bereits anhängigen Rechtsstreit. Sie verfolgt nach der Rechtsprechung den Zweck, den als Schuldner eines Ersatzanspruchs in Betracht Kommenden darauf aufmerksam zu machen, dass die Partei beabsichtigt, das Verfahren auch im Interesse des Ersatzpflichtigen zu führen (RISJustiz RS0114659). Als Folge einer Streitverkündigung wird dem Verständigten, der dem Verfahren nicht als Nebenintervenient beitritt, die Möglichkeit genommen, Einwendungen zu erheben, die er schon im Vorprozess hätte erheben können und die dort für die Entscheidung wesentlich gewesen wären (RISJustiz RS0038096).
3.4 Neben dem Grund der Benachrichtigung ist in der Streitverkündigung gemäß § 21 Abs 1 ZPO auch die Lage des Prozesses bekanntzugeben, sofern dieser schon begonnen hat. Darunter fallen vor allem die Bekanntgabe der nächsten Tagsatzung und allfälliger Fristen (Kahl, Die Streitverkündung [1998] 57).
3.5 Die Streitverkündigung erfolgt durch die Zustellung des Streitverkündigungsschriftsatzes an den Dritten, ihre Wirkungen treten mit der Zustellung ein (5 Ob 197/64 = SZ 37/130). Die Streitverkündigung dient der Begründung zivilrechtlicher Wirkungen. Die Berechtigung oder Verpflichtung zur Streitverkündigung ist ebenfalls nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu beurteilen (Materialien zu den neuen österreichischen Civilprocessgesetzen I 204). Das Prozessgericht hat den Streitverkündigungsschriftsatz daher nur auf die Einhaltung der Formvorschriften zu prüfen (7 Ob 213/98v), hingegen erfolgt keine inhaltliche Überprüfung (Schneider in Fasching/Konecny³ § 21 ZPO Rz 10).
3.6 Prozessual hat die Streitverkündigung nach der Rechtsprechung seit der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d = SZ 70/60 gravierende Folgen: Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich nämlich so weit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündigung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Das gilt jedoch nicht auch für denjenigen, der sich am Vorprozess nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet worden war (1 Ob 2123/96d = SZ 70/60, verst Senat; RISJustiz RS0107338; RS0038096; krit zur Bindungswirkung – neben vielen anderen – Kahl, Die Streitverkündung [1998] 120 f; Schneider in Fasching/Konecny³ § 21 ZPO Rz 21 ff mwH, die von einem „faktischen Zwang“ zum Beitritt als Nebenintervenient im Fall der Streitverkündigung spricht [Rz 22]). Der Verfassungsgerichtshof bejahte die Verfassungskonformität der Bindungswirkung des Vorprozesses als Rechtsfolge der Streitverkündigung (G 331/2015).
3.7 Im vorliegenden Fall wurde dem Beklagten nach den im Rekursverfahren nicht strittigen Verfahrensergebnissen im Vorverfahren ein Streitverkündigungsschriftsatz zugestellt (ON 26 des Vorverfahrens), der vom Erstgericht im Vorverfahren den dort klagenden Parteien zur Verbesserung zurückgestellt wurde, weil die „vorgenommene ungeordnete Vorlage von Aktenbestandteilen“ (ON 27 des Vorverfahrens) nicht der von § 21 Abs 1 ZPO geforderten Voraussetzung einer kurzen Darstellung der Lage des Rechtsstreits erfülle. Die Kläger des Vorverfahrens folgten dem Verbesserungsauftrag und brachten den Streitverkündigungsschriftsatz ON 29 bei Gericht ein (der sich entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts schon deshalb inhaltlich vom Schriftsatz ON 26 unterscheidet, weil er eine Darstellung der Lage des Rechtsstreits enthält). Dieser (verbesserte) Schriftsatz wurde dem Beklagten allerdings nicht zugestellt.
3.8 Die aus der materiellen Rechtskraft abgeleitete Bindungswirkung hat ihren Geltungsgrund letztlich darin, dass Verfahrensbeteiligte vor der Entscheidung als Prozesspartei fanden und dadurch an der Stoffsammlung und Entscheidungsfindung mitwirkten oder durch die Streitverkündigung rechtliches Gehör zumindest finden konnten (vgl RISJustiz RS0107340 [T4]). Der Grund für die Anordnung des Gesetzgebers, dem Dritten gegenüber die Lage des Rechtsstreits zu bezeichnen (Schneider [in Fasching/Konecny³ § 21 ZPO Rz 8] zählt dazu neben der Bekanntgabe der nächsten Tagsatzung und allfälliger Fristen auch die Information darüber, welches Vorbringen bereits erstattet wurde und worüber bereits Beweis erhoben wurde), liegt darin, dass derjenige, dem der Streit verkündet wird, nur bei Vorhandensein dieser Informationen in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob er dem Verfahren als Nebenintervenient beitreten soll. Dazu benötigt er beispielsweise die Information, ob er überhaupt noch Vorbringen erstatten kann und durch die Streitverkündigung daher rechtliches Gehör finden kann (9 Ob 25/08d), oder ob ihm die Erstattung von Bestreitungsvorbringen abgeschnitten wird, weil die Hauptpartei dieses außer Streit gestellt hat (RISJustiz RS0107338 [T18]).
3.9 Eine Bindung an nachteilige Wirkungen eines Verfahrens verstößt gegen den in Art 6 Abs 1 Satz 1 EMRK enthaltenen verfahrensrechtlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn der davon Betroffene nicht in dieses Verfahren eingebunden war und die nachteiligen Wirkungen unabänderlich hinnehmen müsste (RISJustiz RS0074953).
Fehlen die von § 21 Abs 1 ZPO verlangten Informationen über die Lage des Verfahrens, so liegt (ungeachtet der Bezeichnung als „Streitverkündigung“) nicht mehr als eine bloße Information des Dritten über das Vorliegen eines anhängigen Rechtsstreits vor (nicht aber eine gerichtliche Streitverkündigung: Skedl, Das Österreichische Civilprozessrecht I [1900] 415 FN 43). Eine solche bloße Information genügt aber nicht zur Begründung der dargestellten Bindungswirkung der Streitverkündigung unter Wahrung des rechtlichen Gehörs (Schneider in Fasching/Konecny³ § 21 ZPO Rz 34). So wurde bereits ausgesprochen, dass die Zustellung einer Feststellungsklage, mit der ein Solidarschuldner einen weiteren Solidarschuldner regressweise in Anspruch nimmt, nicht die Wirkung einer Streitverkündigung in einem Vorprozess gemäß § 21 Abs 1 ZPO hat (1 Ob 232/99w). Mangels Zustellung einer wirksamen Streitverkündigung bestand im konkreten Fall auch keine gesetzliche Grundlage für die vom Berufungsgericht angenommene Pflicht des Beklagten, über den Stand des Verfahrens „nachzuforschen“.
4. Ausgehend davon, dass eine wirksame Streitverkündigung an den Beklagten im Vorverfahren nicht erfolgte, besteht nicht die vom Berufungsgericht (zumindest teilweise) angenommene Bindungswirkung, sodass sich die Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Ausführungen im Rekurs erübrigt.
5. Da die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht über die grundsätzlich mögliche Haftung des Beklagten nicht zu beanstanden ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RISJustiz RS0042179; RS0043414).
Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf §§ 50, 52 ZPO iVm § 2 ASGG.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00004.18P.0523.000 |
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