VfGH vom 13.09.2013, B1458/2012
Leitsatz
Kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Milderung der über einen Arzt rechtskräftig verhängten Disziplinarstrafe in einem wiederaufgenommenen Verfahren
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist mit Bescheid des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit vom wegen der Weitergabe interner Dokumente an außenstehende Personen im Zeitraum von bis gemäß § 136 Abs 1 Z 1 und 2 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl I 169, idF BGBl I 156/2005 zu einer Geldstrafe von € 7.500,- und zur Veröffentlichung dieses Bescheides in der "Österreichischen Ärztezeitung" verurteilt worden.
2. Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit (im Folgenden: Disziplinarsenat) vom wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid insoweit Folge gegeben, als die über den Beschwerdeführer verhängte Geldstrafe auf € 3.500,- herabgesetzt wurde.
3. Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Disziplinarverfahrens.
4. Zudem brachte er beim Verfassungsgerichtshof eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde gegen den Bescheid des Disziplinarsenates vom ein. Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom abgewiesen (vgl. VfSlg 18.817/2009).
5. Die Disziplinarkommission der Österreichischen Ärztekammer ihrerseits hat mit Beschluss vom dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme seines (mittlerweile rechtskräftig abgeschlossenen) Disziplinarverfahrens stattgegeben.
6. Mit Bescheid vom entschied der Disziplinarsenat, die über den Beschwerdeführer verhängte Geldstrafe auf nunmehr € 2.000,- zu reduzieren und die Anordnung zur Veröffentlichung des Bescheides gänzlich entfallen zu lassen.
7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des Beschwerdeführers in seinem gemäß Art 83 Abs 2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt werden.
Begründend wird dazu Folgendes ausgeführt:
"Nach stRsp des Verfassungsgerichtshofes wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt, wenn die Behörde eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, die ihr wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr zukommt (s nur VfSlg 8900/1980, 16.550/2002 und 18.533/2008).
Genau das tat die belangte Behörde im vorliegenden Fall.
Aus dem Sachverhalt geht nämlich eindeutig hervor, dass alle Voraussetzungen für die Verfolgungsverjährung gem § 137 Ärztegesetz erfüllt waren.
In Betracht kommt die Vorschrift der Z 2. Diese Regelung sieht genau genommen zwei Alternativen vor: Entweder wurde innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung eines disziplinären Verhaltens kein Einleitungsbeschluss gefasst oder ein rechtskräftig beendetes Disziplinarverfahren ist nicht zu seinem Nachteil wiederaufgenommen worden.
Die vorliegende Konstellation entspricht exakt der zweiten Alternative.
Erstens gab es ein rechtskräftig beendetes Disziplinarverfahren. Es handelt sich um die Entscheidung vom , welche auch rechtskräftig geworden ist.
Zweitens ist der Fünfjahreszeitraum vor dem Datum der angefochtenen Entscheidung, dh vor dem , abgelaufen, ohne dass es eine Wiederaufnahme zum Nachteil des Disziplinarbeschuldigten, dh des Beschwerdeführers, gab.
In diesem Zeitraum gab [es] nur eine Wiederaufnahme zu Gunsten des Disziplinarbeschuldigten bzw des Beschwerdeführers. Eine solche schadet aber nicht, dh steht einer Verfolgungsverjährung nicht entgegen.
Daraus folgt, dass die Voraussetzungen einer Verfolgungsverjährung gem § 137 Abs 1 Z 2 zweite Alternative gegeben waren.
Dadurch, dass die belangte Behörde dennoch das angefochtene Erkenntnis erließ, hat sie eine Strafbefugnis in Anspruch genommen, die ihr nicht mehr zustand.
Daraus folgt, dass sie das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt hat." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
8. Die belangte Behörde wurde mit Schreiben vom aufgefordert, binnen acht Wochen die Verwaltungsakten vorzulegen; innerhalb derselben Frist stünde es ihr zudem frei, eine Gegenschrift zu erstatten. Auf die nach § 20 Abs 2 VfGG eintretenden Säumnisfolgen wurde hingewiesen. Nach Ablauf der achtwöchigen Frist wurde der belangten Behörde eine Fristerstreckung bis gewährt. Die belangte Behörde ist der Aufforderung jedoch bis zum heutigen Tag nicht nachgekommen.
II. Rechtslage
Die §§136 und 137 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl I 169, idF BGBl I 80/2012 (im Folgenden: ÄrzteG 1998) lauten – auszugsweise – wie folgt:
"Disziplinarvergehen
§136. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland
1. das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder
2. die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen Vorschriften verpflichtet sind.
(2) – (8) […]
§137. (1) Durch Verjährung wird die Verfolgung eines Arztes oder außerordentlichen Kammerangehörigen ausgeschlossen, wenn
1. innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Disziplinaranwaltes von dem einem Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalt oder von allfälligen Wiederaufnahmsgründen keine Verfolgungshandlung gesetzt oder
2. innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung eines disziplinären Verhaltens kein Einleitungsbeschluß gefaßt oder ein rechtskräftig beendetes Disziplinarverfahren nicht zu seinem Nachteil wiederaufgenommen worden ist.
(2) Der Lauf der im Abs 1 genannten Fristen wird gehemmt, wenn
1. wegen des dem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhaltes ein Verfahren nach der StPO oder ein Verwaltungsstrafverfahren oder ein Verfahren vor einem anderen Träger der Disziplinargewalt oder vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, für die Dauer dieses Verfahrens,
2. die Berechtigung eines Arztes zur ärztlichen Berufsausübung während des Laufes der Verjährungsfrist erlischt, bis zu seiner allfälligen Wiedereintragung in die Ärzteliste.
(3) Bildet ein Disziplinarvergehen zugleich eine gerichtlich strafbare Handlung und ist die strafrechtliche Verjährungsfrist länger als die im Abs 1 Z 2 angeführte Frist, so tritt an deren Stelle die strafrechtliche Verjährungsfrist.
(4) Begeht ein Arzt innerhalb der Verjährungsfrist erneut ein gleichartiges Disziplinarvergehen, so tritt Verjährung nach Abs 1 nicht ein, bevor auch für dieses Disziplinarvergehen die Verjährungsfrist abgelaufen ist."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.
1.1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden weder vom Beschwerdeführer geltend gemacht noch sind solche – aus Sicht des Beschwerdefalles – entstanden.
1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 8900/1980 und 16.550/2002 mwN) wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter etwa dann verletzt, wenn die Behörde eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, die ihr wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr zukommt (vgl. auch VfSlg 16.550/2002 zu § 2 Abs 1 Z 2 DSt 1990, der dem Gesetzgeber als Vorbild des § 137 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 diente [so RV 1386 BlgNR 20. GP, 111]).
1.3. Wenn der Beschwerdeführer den Eintritt der "Verfolgungsverjährung" behauptet, übersieht er, dass es um diese Frage – hier – nicht geht.
§137 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 verbietet bloß, dass ein – wie im vorliegenden Fall – bereits rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren zum Nachteil des Disziplinarverantwortlichen erneut aufgenommen wird.
Dass die Milderung einer bereits rechtskräftigen Strafe einen Nachteil bewirkt, kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, weshalb die Argumentation des Beschwerdeführers von vornherein ins Leere geht.
1.4. Die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat sohin nicht stattgefunden.
2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde – wie im vorliegenden Fall – gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.