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VfGH vom 13.06.1989, B1453/88

VfGH vom 13.06.1989, B1453/88

Sammlungsnummer

12053

Leitsatz

"Nachschau" bewaffneter Sicherheitswachebeamter in der Wohnung des (abwesenden) Beschwerdeführers; Zustimmung der fremdsprachlichen Vertreterin des Beschwerdeführers nicht anzunehmen; Verletzung des Hausrechtes wegen fehlender gesetzlicher Grundlage für die als Hausdurchsuchung anzusehende Amtshandlung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen des Beschwerdevertreters, die mit 42.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer bringt in der auf Art 144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützten Beschwerde vor, er habe im Jahre 1988 während seines Aufenthaltes in Österreich eine Wohnung bewohnt. Es habe sich um eine ihm gehörende Eigentumswohnung gehandelt.

Am - damals habe er sich bereits seit einigen Monaten im Ausland befunden - seien gegen 05,45 Uhr Polizeibeamte in seiner Wohnung erschienen und hätten diese - ohne Angabe von Gründen - durchsucht. Einige Beamte seien uniformiert und mit Maschinenpistolen bewaffnet gewesen. Es sei also eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden, für die jegliche Rechtsgrundlage gefehlt habe; insbesondere sei kein richterlicher Hausdurchsuchungsbefehl vorgelegen.

Der Beschwerdeführer beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß er im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden sei.

2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Behörde erstattete eine Gegenschrift. Sie behauptet, die Polizeibeamten hätten in der Wohnung des Beschwerdeführers (gegen den ein Aufenthaltsverbot bestand) Erhebungen durchführen wollen. Den Beamten sei von der in der Wohnung anwesenden Schwiegermutter des Beschwerdeführers gestattet worden, die Wohnung zu betreten; eine Hausdurchsuchung habe nicht stattgefunden. Nachdem die Personalien der anwesenden Personen aufgenommen worden seien, hätten die Beamten ohne weiteres die Wohnung wieder verlassen.

Die Behörde begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig als unzulässig zurück-, in eventu als unbegründet abzuweisen.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof stellt aufgrund der (vom Referenten des Verfassungsgerichtshofes durchgeführten) Einvernahmen der damals einschreitenden Kriminalbeamten Major S, Gruppeninspektor A und Bezirksinspektor W sowie durch - unter Zuziehung eines Dolmetsches für die arabische Sprache erfolgten - Einvernahme der Schwiegermutter des Beschwerdeführers, A, als Zeugen, ferner durch Einsichtnahme in den Bericht der Behörde folgenden Sachverhalt fest:

Am kurz vor 06,00 Uhr erschienen drei Kriminalbeamte (Krb.) beim Haus. Der den unter Leitung von Mjr. W stehenden Beamten von ihrem Vorgesetzten erteilte (formelle) Auftrag war, in der Wohnung des Beschwerdeführers eine "fremdenpolizeiliche Nachschau" zu halten.

Die Beamten machten durch Klopfen und Läuten auf ihren Wunsch, die Wohnung zu betreten, aufmerksam.

Nach längerer Zeit öffnete die Hausangestellte R einen Spalt breit die Wohnungstür, worauf ein Beamter die Türe aufdrückte, sodaß die drei Krb. und zwei SWB das Vorzimmer betreten konnten. Die SWB waren mit (sichtbar getragenen) Sturmgewehren bewaffnet. Die Krb. verlangten die Reisepässe der in der Wohnung anwesenden Personen zu sehen. In der Wohnung hielten sich damals die Zeugin A, ferner R und drei Kinder des Beschwerdeführers im Alter von 3 Monaten sowie von 4 und 6 Jahren auf, nicht jedoch der Beschwerdeführer. Nach Kontrolle der Reisepässe forderten die Beamten, die (in zwei Ebenen liegenden) Räumlichkeiten der Wohnung besichtigen zu können. Eine sprachliche Verständigung war infolge fehlender Fremdsprachenkenntnisse ausgeschlossen; die Verständigung erfolgte lediglich durch Gesten.

Die Beamten betraten alle Räume der Wohnung und auch die Garage. Sie suchten nach Personen, nämlich Fremden, und nach allenfalls vorhandenen Waffen. Zu diesem Zweck blickten sie nicht bloß in allen Zimmern umher, sondern öffneten selbst die Türen eines Schrankes und die in einem Bett eingebauten Laden und hoben auch die Matratzen eines Bettes hoch. Durch Gesten verlangten sie von der Zeugin A, daß sie einen Koffer öffne; diesem Ansinnen kam sie nach. Die Nachschau verlief ergebnislos. Nach ihrem Abschluß - die Amtshandlung hatte eine halbe Stunde gedauert - verließen die Beamten das Haus.

2. Diese Feststellungen gründen sich auf die teilweise übereinstimmenden Zeugenaussagen. Die Angaben der Krb. weichen allerdings gerade in den hier wesentlichen Belangen von jenen der Zeugin A ab: Während die Beamten meinen, von der Zeugin zum Betreten der Wohnung und zur Nachschau eingeladen worden zu sein und keine Durchsuchung der Wohnung vorgenommen zu haben, bestreitet die Zeugin, das Betreten der Wohnung und die Nachschau freiwillig gestattet zu haben; sie schildert deutlich und konkret die erfolgten Durchsuchungsmaßnahmen.

Der Verfassungsgerichtshof folgt in dieser Hinsicht der Aussage der Zeugin A. Mögen auch die Beamten möglicherweise überzeugt gewesen sein, keine Befehls- und Zwangsgewalt in Form einer Hausdurchsuchung auszuüben, so fand eine solche - bei objektiver Betrachtung - doch statt. Allein schon die schwere Bewaffnung der SWB und die Uhrzeit (05,45 Uhr) machen die Freiwilligkeit völlig unwahrscheinlich. Dazu kommt, daß sich die Beamten und die Zeugin H infolge fehlender Fremdsprachenkenntnisse verbal überhaupt nicht verständigen konnten, sodaß ein ernstliches Einverständnis der Zeugin gar nicht hätte zustandekommen können. Hätten die Beamten bloß die Aufenthaltsberechtigungen kontrollieren wollen, so hätten sie sich nach Überprüfung der Reisepässe wieder entfernt. Die Nachschau in der Wohnung konnte also nur den Zweck haben festzustellen, ob Personen oder Sachen (etwa Waffen) in der Wohnung seien; dazu war aber eine (wenngleich zum Teil nur oberflächliche) Durchsuchung der Wohnung erforderlich.

3. Aufgrund der bereits erhobenen Beweise ist der maßgebende Sachverhalt ausreichend geklärt.

Die vom Beschwerdeführer beantragte Einvernahme des Zeugen Dr. K zum Thema, ob die Amtshandlung die eigenmächtige Aktion einer Abteilung war, konnte unterbleiben, da die Klärung dieser Frage und auch jener des tatsächlichen Einsatzzieles für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Amtshandlung unerheblich ist.

III. Der Verfassungsgerichtshof würdigt den festgestellten Sachverhalt rechtlich wie folgt:

1. Wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt, wurde - entgegen der in der Gegenschrift der belangten Behörde aufgestellten Behauptung - den Beamten weder vom Wohnungsinhaber (der gar nicht anwesend war) noch von einem Vertreter (etwa seiner Schwiegermutter) der Eintritt in die Wohnung und die Nachschau freiwillig gestattet; ein richterlicher Auftrag lag nicht vor. Das Betreten der Wohnung und deren Besichtigung war sohin ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, der nach Art 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar ist (vgl. zB VfSlg. 10523/1985 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.a) Die belangte Behörde bringt vor, die Vertreterin des Wohnungsinhabers habe der Nachschau zugestimmt; diese Behauptung trifft - wie in der vorstehenden Sachverhaltsdarstellung (s.o. II.) dargetan wurde - nicht zu. Sie macht weiters geltend, es habe keine Hausdurchsuchung stattgefunden. Auch dieses Vorbringen ist verfehlt:

Charakteristisch für das Wesen einer Hausdurchsuchung in der Bedeutung des (auf Verfassungsstufe stehenden) Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 88, zum Schutze des Hausrechtes (HausrechtsG) ist das Suchen nach einer Person oder einem Gegenstand, von denen es unbekannt ist, wo sie sich befinden. Durch den Schutz des Hausrechtes soll - wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt dargelegt hat (zB VfSlg. 10897/1986) - ein die persönliche Würde und Unabhängigkeit verletzender Eingriff in den Lebenskreis des Wohnungsinhabers, in Dinge, die man im allgemeinen berechtigt und gewohnt ist, dem Einblick Fremder zu entziehen, hintangehalten werden; bereits eine systematische Besichtigung wenigstens eines bestimmten Objektes (so etwa eines Kastens) genügt, um als Hausdurchsuchung gewertet zu werden.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung - von der abzurücken kein Anlaß besteht - ist es nicht weiter erläuterungsbedürftig, daß die stattgefundene, oben (II.) näher geschilderte Besichtigung der Wohnung des Beschwerdeführers als Hausdurchsuchung zu qualifizieren ist.

b) Die belangte Behörde nennt keine gesetzliche Bestimmung, die eine Hausdurchsuchung decken würde, weil sie auf dem - (wie dargetan) unrichtigen - Standpunkt steht, es habe überhaupt keine Hausdurchsuchung stattgefunden.

Tatsächlich fehlte für die Hausdurchsuchung eine gesetzliche Grundlage. So bietet das Fremdenpolizeigesetz hiefür keine Handhabe. Sollte der Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung vorgelegen sein - was die belangte Behörde andeutet - so wäre die Hausdurchsuchung dennoch nicht rechtmäßig: Nach § 2 des HausrechtsG und § 141 Abs 2 StPO kann zwar eine Hausdurchsuchung auch durch die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen jemanden ein Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen oder wenn jemand auf der Tat betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf als einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird, die auf die Beteiligung an einer solchen hinweisen. Eine solche Hausdurchsuchung ist gemäß § 5 HausrechtsG nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung (§§139 ff. StPO) durchzuführen. Bei Ermangelung dieser Voraussetzungen der StPO aber ist eine Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl verfassungswidrig (vgl. zB VfSlg. 10523/1985).

Es ist offenkundig, daß diese Voraussetzungen hier fehlten. Die Behörde wäre also verhalten gewesen, einen richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl einzuholen, wenn tatsächlich der konkrete Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung bestanden haben sollte.

Der Verfassungsgerichtshof hat im gegebenen Zusammenhang nicht zu beurteilen, ob es zweckmäßig wäre, unter bestimmten Voraussetzungen (etwa des präventiven Staatsschutzes) gesetzlich eine Hausdurchsuchung auch zur Verbrechensvorbeugung zuzulassen, sowie ob und inwieweit dies dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art 11 Abs 2 MRK und dem sich daraus ergebenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspräche.

c) Zusammenfassend ergibt sich, daß der Beschwerdeführer durch die bekämpfte Amtshandlung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden ist.

3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

4. Die Verpflichtung des Bundes, dem Beschwerdeführer die Prozeßkosten zu bezahlen, gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 7.000 S enthalten.