zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 13.12.1995, B1445/95

VfGH vom 13.12.1995, B1445/95

Sammlungsnummer

******

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsbewilligungen mangels gesicherten Lebensunterhalts; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres wurde der Antrag der minderjährigen Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen Mazedoniens, auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke der Familienzusammenführung mit ihrem seit sechs Jahren in Österreich lebenden Vater unter Berufung auf § 5 Abs 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992, in der Fassung vor der Novelle BGBl. 351/1995, abgewiesen. Die Behörde begründet ihre Entscheidung mit folgenden Ausführungen:

"Sie haben am an die oben genannte Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt.

Die genannte Behörde hat diesen Antrag mit der Begründung abgewiesen, daß der vom Gesetz verlangte gesicherte Unterhalt nicht gegeben ist, weil die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel im Ausmaß von öS 12.250,-- für den dauernden Aufenthalt nicht ausreichen. Dabei hatte die Behörde den Sozialhilferichtsatz für das Bundesland Wien zu berücksichtigen und als Berechnungsgrundlage heranzuziehen gehabt.

Gegen diese Beurteilung haben Sie im wesentlichen eingewendet, daß Ihr Vater über ein monatliches Grundgehalt von ca. öS 12.250,-- netto (vierzehn Mal jährlich) verfüge. Zusätzlich erhalte er etwa öS 1.000,-- bis öS 1.500,-- netto monatlich an Überstundenentlohnung. Weiters erhalte er monatlich einen Betrag von öS 3.925,-- an Familienbeihilfe.

Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen. Ist der Unterhalt für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß § 5 Abs 1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden.

Diese Beurteilung zeigt in Ihrem Fall, daß die Mittel welche von Ihnen aufgebracht werden können, für eine vierköpfige Familie unter dem Sozialhilferichtsatz liegen. Daher kann eine Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden.

Für die Überstundenentlohnung von in etwa öS 1.000,-- bis öS 1.500,-- netto monatlich wurde kein Nachweis erbracht. Die Familienbeihilfe, die bezogen wird, stellt kein Einkommen dar.

Dem Art 8 Abs 2 MRK wurde vollinhaltlich Rechnung getragen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Der Bundesminister für Inneres als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. a) Der angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin, deren Vater sich seit mehreren Jahren rechtmäßig in Österreich aufhält, ein.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsgesetzlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis , mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in § 5 Abs 1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art 8 Abs 2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall, dem ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung einer Fremden zugrundelag, deren Vater sich bereits seit mehreren Jahren rechtmäßig in Österreich aufhält, die Versagung der Aufenthaltsbewilligung auf den in § 5 Abs 1 AufG normierten Versagungstatbestand des für die angestrebte Aufenthaltsdauer nicht gesicherten Lebensunterhaltes gestützt, ohne in nachvollziehbarer Weise zu begründen, warum das Einkommen des Vaters der Beschwerdeführerin nicht ausreiche, um für den Unterhalt seiner Ehegattin sowie seiner minderjährigen Kinder aufzukommen. Grundlegend verfehlt ist es insbesondere, wenn die Behörde annimmt, die Familienbeihilfe stelle im vorliegenden Zusammenhang kein Einkommen dar. Da im angefochtenen Bescheid nicht auf die konkreten familiären und privaten Verhältnisse der Beschwerdeführerin eingegangen und das Vorliegen des Versagungstatbestandes des § 5 Abs 1 AufG ausschließlich mit allgemeinen Ausführungen über die Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung der weiteren Zuwanderung von Fremden sowie einem - vollkommen unbegründet gebliebenen - Hinweis auf Art 8 Abs 2 EMRK begründet wurde, hat die belangte Behörde die von Verfassungs wegen gebotene (s. Pkt. II.1.c)) Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000 S enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.