OGH vom 21.12.2015, 9Ob35/15k

OGH vom 21.12.2015, 9Ob35/15k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI J*****, vertreten durch Rechtsanwälte Müller Schubert Partner OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Ferner Hornung Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei S***** e.U., *****, vertreten durch Dr. Hans Peter Bauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 116.915 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 43/15d 36, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, also jenen, der die Gefahr beherrscht. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (vgl 2 Ob 70/12a; RIS Justiz RS0022778, RS0023251, RS0023719). Der Bauunternehmer ist zu einer entsprechenden Absicherung seiner Baustelle verpflichtet; der geschützte Personenkreis ist nicht auf Arbeitnehmer beschränkt ( Harrer in Schwimann , ABGB VI³ § 1295 Rz 76). Die dem Unternehmer obliegende Absicherung seiner Baustelle gleichgültig, ob die Verpflichtung aus dem Ingerenzprinzip oder auf vertragliche Schutzpflichten gegründet werden kann dient der Abwehr naheliegender und voraussehbarer Gefahren (6 Ob 71/01m).

1.2 Die Beklagte hat nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Verfahrensergebnissen noch während ihrer tatsächlichen Tätigkeit auf der Baustelle in sorgfaltswidriger Weise eine technisch nicht ausreichend ausgeführte Absturzsicherung errichtet. Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Beklagte daher gegenüber dem Kläger als selbständigen Bauleiter eine Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten zu verantworten hat, ist vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage nicht zu beanstanden.

2. Nach Rechtsprechung und Lehre haften juristische Personen deliktisch nicht nur für das Verschulden ihrer Organe, sondern auch für das ihrer Repräsentanten. Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht des Täters ist dabei nicht entscheidend. Repräsentant ist jeder, der eine leitende Stellung mit selbständigem Wirkungsbereich innehat (6 Ob 249/00m mwH; Harrer aaO § 1315 Rz 19; Karner in KBB 4 § 1315 Rz 7 mzwN; RIS Justiz RS0107916). Die von den Umständen des Einzelfalls abhängige Auslegung des Prozessvorbringens durch die Vorinstanzen, dass der Kläger die Haftung der Beklagten auch infolge eines Verschuldens eines für sie bei der Anbringung der Absturzsicherung einschreitenden Repräsentanten geltend machte, ist im Einzelfall vertretbar (RIS Justiz RS0042828). Die in der Revision der Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

3.1 Ziel des Bauarbeitenkoordinationsgesetzes, BGBl I 1999/37 (BauKG), ist die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf Baustellen (§ 1 Abs 1 BauKG;2 Ob 240/12a). Diesem Ziel dient auch der Sicherheits und Gesundheitsschutzplan (SiGE Plan), für dessen Erstellung der Bauherr gemäß § 7 Abs 1 BauKG vor Eröffnung der Baustelle zu sorgen hat. Der SiGE Plan ist gemäß § 7 Abs 5 BauKG bei Fortschritt der Arbeiten oder eingetretenen Änderungen unverzüglich anzupassen, falls dies zum Schutz der Arbeitnehmer erforderlich ist. Damit sollen Gefährdungen der Arbeitnehmer vermieden werden; der SiGE Plan hat auch konkrete Maßnahmen zur Absturzsicherung zu enthalten (2 Ob 162/08z).

3.2 Die allgemeinen gesetzlichen Verkehrssicherungspflichten, die nicht nur dem Schutz von Arbeitnehmern dienen, können durch allenfalls bestehende Sondervorschriften allerdings immer nur ergänzt, aber nicht ersetzt werden. Daher kann etwa das Vorliegen einer entsprechenden baubehördlichen Genehmigung den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er aufgrund eigener Kenntnis um den Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder wissen muss, aber ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (RIS Justiz RS0023419). Das BauKG enthält derartige Sondervorschriften zur Vermeidung der Gefährdung von Arbeitnehmern. Auch diese Sondervorschriften können daher nach den dargestellten Grundsätzen die allgemeinen gesetzlichen Verkehrssicherungspflichten nur ergänzen, nicht aber ersetzen ( Weselik , Bauarbeitenkoordinationsrecht, 51).

3.3 Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass die Beklagte im Anlassfall auch noch wenige Tage nach der tatsächlichen Beendigung ihrer Baumeisterarbeiten auf der Baustelle für die von ihr errichtete und belassene Absturzsicherung Verkehrssicherungspflichten trafen, weil diese Absturzsicherung infolge nicht ordnungsgemäßer Ausführung eine Sicherheit vortäuschte, die tatsächlich nicht gegeben war. Eine Unvertretbarkeit dieser rechtlichen Beurteilung zeigen die Revisionswerber nicht auf. Auf die Verantwortlichkeit des Nebenintervenienten als Planungs und Baustellenkoordinator nach dem BauKG kommt es ebenso wenig an wie darauf, dass die von der Beklagten durchzuführenden Baumeisterarbeiten nach dem ursprünglich vom Nebenintervenienten erstellten und später nicht mehr aktualisierten SiGE Schutzplan zum Unfallszeitpunkt schon beendet sein sollten. Denn die allgemeinen gesetzlichen Verkehrssicherungspflichten der Beklagten können nach den dargestellten von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen durch die Sonderbestimmungen des BauKG nicht eingeschränkt werden.

4. Fragen des Mitverschuldens und der Verschuldensaufteilung begründen wegen ihrer Einzelfallbezogenheit in der Regel keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS Justiz RS0087606). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass den Kläger im Anlassfall bloß eine leichte Sorgfaltswidrigkeit treffe, die vor dem Hintergrund des schweren Sorgfaltsverstoßes der Beklagten bei der Errichtung der Absturzsicherung kein Mitverschulden an dem von ihm erlittenen Unfall begründe, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Nach den Feststellungen wäre ein ordnungsgemäß eingekeilter Holzsteher durchaus geeignet gewesen, den einwirkenden Kräften, welche eine ca 90 kg schwere Person auch bei Verwendung einer kurzen Leiter durch Anhalten oder Hochziehen auf ihn ausübt, standzuhalten. Gerade dies musste auch der Kläger als Fachmann wissen, sodass das Berufungsgericht vertretbar ausgeführt hat, dass sich der Kläger auf die Festigkeit der Absturzsicherung im konkreten Fall verlassen konnte.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO waren die Revisionen der Beklagten und des Nebenintervenienten daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00035.15K.1221.000