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VfGH vom 30.11.2007, B1418/06

VfGH vom 30.11.2007, B1418/06

Sammlungsnummer

18278

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere der Meinungsäußerungsfreiheit, durch Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen unzulässiger Werbung durch einen Zahnarzt; vertretbare Annahme des Vorliegens marktschreierischer und aufdringlicher Werbung durch Inserate für die Eröffnung eines centers, Versendung von Gutscheinen, Werbespots sowie Schaltung von Artikeln samt Fotos in der Kronen-Zeitung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Zahnarzt, der seine in der Stadt Salzburg gelegene Zahnarztpraxis im Jahr 2004 eröffnet hat. Daneben betreibt der Beschwerdeführer auch eine Praxis in Deutschland. Im Zuge der Praxiseröffnung in Salzburg hat der Beschwerdeführer diverse Werbemaßnahmen gesetzt, die Gegenstand einer disziplinären Behandlung wurden. Es handelte sich u.a. um die Verbreitung einer Einladung zur Eröffnung seines ersten "s."-Centers in Österreich unter Anschluss eines Gutscheines für einen 10%igen Rabatt auf eine Zahnreinigung inklusive Bleaching, die Sendung eines Werbespots und die Schaltung von Artikeln und Beiträgen samt Fotos in der Kronen-Zeitung.

2. Der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg, ging davon aus, dass der Beschwerdeführer durch den weit über seinen Patientenkreis hinaus verbreiteten Inhalt der Eröffnungsbroschüre zu seinem "s."-Center in Österreich samt Verbreitung von Rabatt-Gutscheinen und durch die Modalitäten der sein zahnärztliches Wirken betreffenden Publikationen in der Kronen-Zeitung Werbeinitiativen entfaltet habe, die "in gesamtheitlicher Betrachtung" auf eine Selbstanpreisung seiner Person und seiner Leistungen in Form einer aufdringlichen und marktschreierischen Darstellung, somit auf Verstöße gegen § 53 Abs 1 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 - ÄrzteG 1998), BGBl. I 169 idgF, iVm Art 3 litc und Art 5 lita der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" hinausliefen. Der Beschwerdeführer wurde eines Disziplinarvergehens gemäß § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 für schuldig erkannt und zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

3.1. Der dagegen an den Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (nunmehr Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend) gerichteten Berufung wurde nicht Folge gegeben.

3.2. Der Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer geht im angefochtenen Bescheid davon aus, dass der Beschwerdeführer mit den Werbeinitiativen unzweifelhaft klare Verstöße gegen die einschlägigen Vorgaben der standesrechtlichen Richtlinie gesetzt habe.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides betont die belangte Behörde, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, die von ihm zu vertretenden Werbeinitiativen beträfen gewerbliche Tätigkeiten, ins Leere ginge, da er "jedwede Trennung zwischen seinem individuellen Wirken als Zahnarzt und einem rein gewerberechtlichen Wirken unterlassen" habe. Auch sei es "keine Art 10 EMRK widerstreitende unverhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit, wenn sich das standesrechtlich repräsentative Selbstverständnis der Ärzteschaft von vordergründig-kommerziell orientierten Werbeeffekten distanziert, wie sie mit plump emotionalisierenden Begriffsplakaten wie 'Superzähne wie die Stars aus Hollywood ... Hollywood-Zähne für jedermann ... das schönste Lächeln als Weihnachtsgeschenk ...' etc. aktualisiert werden".

4. Gegen diesen Bescheid des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. § 53 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 - ÄrzteG 1998), BGBl. I 169 idgF, lautet auszugsweise:

"Werbebeschränkung und Provisionsverbot

§53. (1) Der Arzt hat sich jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.

(2) bis (3) ...

(4) Die Österreichische Ärztekammer kann nähere Vorschriften über die Art und Form der im Abs 1 genannten Informationen erlassen."

2. § 136 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 - ÄrzteG 1998), BGBl. I 169 idF BGBl. I 110/2001, lautete auszugsweise:

"2. Abschnitt

Disziplinarvergehen

§136. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder Ausland


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder


Tabelle in neuem Fenster öffnen
2.
die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae oder zum Doctor medicinae dentalis verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen Vorschriften verpflichtet sind.

(2) bis (8) ..."

3. Gemäß § 53 Abs 4 ÄrzteG 1998 hat die Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer am im Rahmen des

108. Österreichischen Ärztekammertages die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" beschlossen, kundgemacht in der Österreichischen Ärztezeitung Nr. 5/2004 vom , welche wie folgt lautet:

"Artikel 1

Dem Arzt ist jede unsachliche, unwahre oder das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information untersagt.

...

Artikel 3

Eine das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information liegt vor bei

a) herabsetzenden Äußerungen über ÄrztInnen, ihre Tätigkeit und ihre medizinischen Methoden;

b) Darstellen einer wahrheitswidrigen medizinischen Exklusivität;

c) Selbstanpreisung der eigenen Person oder Leistungen durch aufdringliche bzw. marktschreierische Darstellung;

d) Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber

Artikel 4

Im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes sind dem Arzt - unter Beachtung der Art 1 bis 3 - insbesondere gestattet:

a) die Information über die eigenen medizinischen Tätigkeitsgebiete, die der Arzt aufgrund seiner Aus- und Fortbildung beherrscht;

b) die Einladung eigener Patienten zu Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen, Impfungen und dergleichen (Recall-System);

c) die Information über die Ordinationsnachfolge;

d) die Einrichtung einer eigenen Homepage oder die Beteiligung an einer fremden Homepage.

Artikel 5

a) Der Arzt hat in zumutbarer Weise dafür zu sorgen, dass standeswidrige Information gemäß Artikel 1 durch Dritte, insbesondere durch Medien, unterbleibt.

b) Die Erwähnung des Namens des Arztes und der nach dem Ärztegesetz zulässigen Bezeichnungen ist erlaubt, hingegen bleibt die wiederholte betonte, auffällige und reklamehafte Nennung des Namens in Verbindung mit einem gleichzeitig geschalteten Inserat im selben Medium untersagt.

c) Auf Anfrage in Medien abgegebene individuelle Diagnosestellungen und Therapieanweisungen (Fernbehandlung) sind unzulässig.

d) Veröffentlichungen mit Namen und/oder Bildern von bzw. mit Patienten sind nur mit deren gegenüber dem Arzt erklärten Zustimmung zulässig."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige, im Ergebnis jedoch nicht begründete - Beschwerde erwogen:

1. In der Beschwerde werden nach Darstellung des Sachverhaltes und allgemeinen Ausführungen zu Art 10 EMRK die Bedenken des Beschwerdeführers ausgeführt:

"... Die vorliegende Verurteilung stellt nun einen Eingriff in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung dar, weil die getätigten Mitteilungen des Beschwerdeführers in der Einladung zur Eröffnung seiner Praxis, im Werbespot und in der Kronen-Zeitung nicht geeignet waren, die in Art 10 Abs 2 EMRK genannten berechtigten Zwecke zu gefährden. Der Schutz des Ansehens der Ärzteschaft kann im Lichte der Freiheit der Meinungsäußerung nur insofern von Relevanz sein, als eines der anerkannten Schutzgüter gefährdet ist.

Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum die getätigten Werbebotschaften den vom VfGH in bisherigen Entscheidungen ( ua.) angezogenen Schutz der Gesundheit zuwider laufen sollen. Patienten, die von den Botschaften des Beschwerdeführers angesprochen werden, werden von diesem - wie es seinen Standespflichten entspricht - bestmöglich medizinisch versorgt, sodass eine Beeinträchtigung dieses Schutzgutes ohnehin nicht in Betracht kommt.

Da der Standesbehörde eine denkunmögliche Gesetzesanwendung vorzuwerfen ist, wurde das Recht des Beschwerdeführers auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt."

2.1. Damit ist die Beschwerde nicht im Recht:

2.2. Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (zB EGMR , Fall Sunday Times, Appl. 6538/74, EuGRZ 1979, 390; , Fall Barthold, Appl. 8734/79, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. , V26/06 mwH). Bei Beschränkungen von Äußerungen im Bereich kommerzieller Werbung hat der Gesetzgeber einen größeren Beurteilungsspielraum im Hinblick darauf, dass es sich hierbei um einen komplexen und sich rasch ändernden Bereich handelt (EGMR , Fall markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann, Appl. 10.572/83, EuGRZ 1996, 305; , Fall Jacubowski, Appl. 15.088/89, EuGRZ 1996, 308).

2.3. Der Verfassungsgerichtshof vertritt die Auffassung, dass es im öffentlichen Interesse gerechtfertigt sein kann, dass Werbung von bestimmten Berufsgruppen zur Wahrung der Standesinteressen Beschränkungen unterworfen werden kann. So ist auch das Verbot unsachlicher oder marktschreierischer Werbung für ärztliche Leistungen als im öffentlichen Interesse gelegen beurteilt worden (vgl. VfSlg. 15.480/1999, 15.481/1999).

Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Vorschriften des Art 3 und Art 5 der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" sind beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden (vgl. zur diesbezüglichen Vorgängerbestimmung VfSlg. 17.382/2004 mwH).

3.1. Der angefochtene Bescheid ist auch sonst nicht mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Ein Eingriff in das durch Art 10 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre im gegebenen Zusammenhang nur dann verfassungswidrig, wenn der Bescheid ohne Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art 10 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte.

3.2. Dies ist jedoch der belangten Behörde nicht vorzuwerfen:

Der belangten Behörde ist nicht entgegenzutreten, wenn sie im angefochtenen Bescheid bei einer Zusammenschau der Werbeaktivitäten des Beschwerdeführers zum Ergebnis gelangte, dass dieser seine Berufspflichten dadurch verletzt habe, dass er seine individuellen ärztlichen Aktivitäten von seinen gewerblichen nicht getrennt, sondern seine Person als Arzt öffentlichkeitswirksam in den Vordergrund gerückt habe.

Eine Bestrafung der "s."-GmbH erfolgt durch den angefochtenen Bescheid ebenso wenig wie eine Bestrafung des Beschwerdeführers für Handlungen, die in keinem Zusammenhang mit seiner ärztlichen Tätigkeit stehen und daher außerhalb des Wirkungsbereiches des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer lägen (vgl. VfSlg. 16.359/2001).

3.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

5. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 16.795/2003).

6. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.