OGH vom 20.12.2017, 10Ob36/17t

OGH vom 20.12.2017, 10Ob36/17t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Schramm, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch Dr. Christof Pöchhacker, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 36.000 EUR), aus Anlass der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 154/16w-16, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 19 Cg 4/16h-11, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

A Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art 9 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Verordnung) dahin auszulegen, dass dem Zahlungsempfänger verboten wird, die Zahlung im SEPA-Lastschriftverfahren vom Wohnsitz des Zahlers in dem Mitgliedstaat abhängig zu machen, in dem auch der Zahlungsempfänger seinen (Wohn-)Sitz hat, wenn die Zahlung auch auf andere Art wie zum Beispiel mit Kreditkarte zugelassen wird?

B Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a GOG ausgesetzt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I Sachverhalt und Verfahrensgegenstand

Die beklagte D***** Aktiengesellschaft ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Sitz in Deutschland, das unter anderem auch österreichischen Kunden die Buchung von internationalen Bahnfahrten per Internet und mobile phone anbietet. Zu diesem Zweck schließt sie mit Verbrauchern Verträge auf Grundlage ihrer Beförderungsbedingungen ab und verwendet dabei folgende Klauseln:

9. Zahlarten:

9.1 Buchungen auf www.b***** können mit Kreditkarte, per PayPal, SEPALastschriftverfahren oder als SOFORT Überweisung bezahlt werden. Bei Buchungen über m*****.de oder die Buchungs-App ist die Zahlung per Kreditkarte, SOFORT Überweisung oder SEPA-Lastschriftverfahren möglich.

9.2 Der SEPA-Lastschrifteinzug ist für Bestellungen über www.b***** bzw. für per Post eingehende Bestellformulare, für Online- und Handytickets und online durchgeführte Sitzplatzreservierungen möglich. Voraussetzung für den SEPA-Lastschrifteinzug von Zahlungen ist ein Wohnsitz in Deutschland, das Einverständnis zur Abbuchung von einem bei einer Bank/Sparkasse mit Sitz im SEPA-Raum geführtem Konto, die Anweisung der Bank/Sparkasse, die SEPA-Lastschrift einzulösen (das SEPA-Mandat) sowie die Anmeldung auf www.b*****. Für die Freischaltung zum SEPA-Lastschriftverfahren ist die Einwilligung zu einer Bonitätsprüfung im Anmeldeablauf erforderlich ...

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Frage, ob Art 9 Absatz 2 der SEPA-Verordnung eine solche Klausel, wie sie Punkt 9.2 Satz 2 enthält, verbietet.

II Unionsrechtliche Grundlagen

Art 9 der SEPA-Verordnung lautet:

Zugänglichkeit von Zahlungen

(1) Ein Zahler, der eine Überweisung an einen Zahlungsempfänger vornimmt, der Inhaber eines Zahlungskontos innerhalb der Union ist, gibt nicht vor, in welchem Mitgliedstaat dieses Zahlungskonto zu führen ist, sofern das Zahlungskonto gemäß Art 3 erreichbar ist.

(2) Ein Zahlungsempfänger, der eine Überweisung annimmt oder eine Lastschrift verwendet, um Geldbeträge von einem Zahler einzuziehen, der Inhaber eines Zahlungskontos innerhalb der Union ist, gibt nicht vor, in welchem Mitgliedstaat dieses Zahlungskonto zu führen ist, sofern das Zahlungskonto gemäß Art 3 erreichbar ist.

Art 3 der SEPA-Verordnung lautet:

Erreichbarkeit

(1) Ein Zahlungsdienstleister eines Zahlungs-empfängers, der für eine Inlandsüberweisung gemäß einem Zahlverfahren erreichbar ist, muss in Einklang mit den Bestimmungen eines unionsweitem Zahlverfahrens auch für Überweisungen erreichbar sein, die von einem Zahler über einen in einem beliebigen Mitgliedstaat ansässigen Zahlungsdienstleister ausgelöst werden.

(2) Ein Zahlungsdienstleister eines Zahlers, der für eine Inlandslastschrift gemäß einem Zahlverfahren erreichbar ist, muss im Einklang mit den Bestimmungen eines unionsweiten Zahlverfahrens auch für Lastschriften erreichbar sein, die von einem Zahlungsempfänger über einen in einem beliebigen Mitgliedstaat ansässigen Zahlungsdienstleister veranlasst werden.

(3) Absatz 2 gilt nur für Lastschriften, die für die Verbraucher als Zahler nach dem Zahlverfahren verfügbar sind.

III Vorbringen und Anträge der Parteien

1. Der klagende Verein für Konsumenteninformation ist nach § 29 des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) berechtigt, die Klage auf Unterlassung nach § 28 KSchG einzubringen, die einem Unternehmer verbieten soll, seinen Verträgen mit Verbrauchern unzulässige Bedingungen zugrunde zu legen.

2. Der Kläger begehrt die Beklagte zu verpflichten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen – hilfsweise nur jenen Verträgen, die auf einer auf Österreich ausgerichteten Tätigkeit von ihr oder der von ihr hierfür verwendeten Personen beruhen – zugrunde gelegt, und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel „Voraussetzung für den SEPA-Lastschrifteinzug von Zahlungen ist ein Wohnsitz in Deutschland, das Einverständnis zur Abbuchung von einem bei einer Bank/Sparkasse mit Sitz im SEPARaum geführten Konto, die Anweisung der Bank/Sparkasse, die SEPALastschrift einzulösen (das SEPAMandat) sowie die Anmeldung auf www.b*****“, oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen sowie es zu unterlassen, sich auf diese oder sinngleiche Klauseln zu berufen sowie die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung.

3. Die Klausel verstößt seiner Meinung nach gegen Art 9 Abs 2 der SEPA-Verordnung. Ein Verbraucher unterhalte sein Zahlungskonto regelmäßig in seinem Wohnsitzstaat. Dem Verbraucher als Voraussetzung für die Zahlung mittels Lastschrift vorzuschreiben, er müsse einen Wohnsitz in Deutschland begründen, führe zu einer noch schwerwiegenderen Auflage als es die Eröffnung eines Zahlungskontos in Deutschland wäre. Sie stehe dem Zweck der SEPA-Verordnung entgegen, einen integrierten Markt für elektronische Zahlungen ohne Unterscheidung zwischen Inlands- und grenzüberschreitenden Zahlungen zu schaffen.

Im Vergleich zu anderen angebotenen Zahlungsmethoden biete das SEPA-Lastschriftverfahren Vorteile für Verbraucher (Schutz vor Fristversäumnissen, keine Gefahr von Mahngebühren wegen verspäteter Zahlung, Rückbuchungsrecht bei der Einzugsermächtigung innerhalb der sechswöchigen Widerspruchsfrist, keine Festlegung auf einen bestimmten Betrag und keine Bankgebühren für Lastschriftrückgaben).

4. Die Beklagte entgegnete, dass sich die SEPAVerordnung an Zahlungsdienstleister richte. Sie diene dem Schutz des Zahlungsverkehrs und nicht dem Schutz des Zahlers. Sie verpflichte Zahlungsempfänger nicht, sämtlichen potentiellen Zahlern das SEPALastschriftverfahren unterschiedslos und damit stets unionsweit anbieten zu müssen. Eine solche Verpflichtung würde gegen die unternehmerische Freiheit verstoßen, die gemäß Art 6 AEUV iVm Art 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union primärrechtlichen Schutz genieße. Die gegenteilige Auslegung werde auch durch den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über Maßnahmen gegen Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarktes widerlegt, den die Kommission als über die SEPAVerordnung hinausgehend beurteile. Den Kunden stünden immer noch andere Zahlungsmöglichkeiten (über Kreditkarte, PayPal und Sofortüberweisung) zur Verfügung. Die Vereinbarung eines inländischen Wohnsitzes sei sachlich gerechtfertigt. Anders als bei anderen Zahlungsverfahren erhalte der Zahlungsempfänger beim Lastschriftverfahren keine Zahlungsgarantie vom Zahlungsdienstleister. Nicht in allen Ländern des SEPARaums sei eine angemessene Bonitätsprüfung zu annähernd gleichen Konditionen möglich. Eine Bonitätsprüfung für Kunden mit Wohnsitz in Österreich sei um das 15fache teurer als für Kunden mit Wohnsitz in Deutschland. Der Zahlungsempfänger hätte einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufwand, wenn er die eigenen Verrechnungssysteme und Schnittstellen soweit anpassen müsste, um Bonitätsprüfungen im gesamten SEPARaum berücksichtigen zu können. Angesichts dieser Kosten wäre das Lastschriftverfahren häufig unwirtschaftlich und könnte nicht mehr angeboten werden. Das könnte der Europäische Gesetzgeber nicht gewollt haben.

5. Es ist nicht umstritten, dass die Beklagte in den Beförderungsverträgen deutsches Recht vereinbart und diese Rechtswahl zulässig ist.

IV Bisheriges Verfahren

1. Das Gericht erster Instanz (Handelsgericht Wien) gab dem Klagebegehren bezogen auf Verbraucher mit Wohnsitz in Österreich statt. Die Klausel verstoße gegen Art 9 Absatz 2 der SEPA-Verordnung.

Das Gericht zweiter Instanz (Oberlandesgericht Wien) wies das Klagebegehren ab. Es sei Ziel der SEPA-Verordnung, einen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des bargeldlosen Euro-Zahlungsbinnenmarkts durch die Schaffung unionsweiter Zahlungsdienste zu leisten, von denen sowohl Verbraucher als auch Unternehmen profitieren sollten. Art 9 stelle für Zahler und Zahlungsempfänger sicher, dass sie für inländische wie auch grenzüberschreitende Zahlungen mittels der SEPA-Zahlungsinstrumente nur mehr ein einziges Bankkonto benötigen. Die Verordnung enthalte keine weitergehende Vorgaben für Unternehmer, bestimmte SEPA-Zahlungsinstrumente im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in jedem Fall akzeptieren zu müssen.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof erhoben. Die Beklagte beantragt, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

V Begründung der Vorlagefragen

1. Der Kläger begründet die Unzulässigkeit der Klausel mit einem Verstoß gegen Art 9 Abs 2 der SEPA-Verordnung. Es ist umstritten, ob sich die SEPA-Verordnung vorwiegend an Zahlungsdienstleister richtet, den Zahlungsverkehr, nicht aber den Zahler schützen soll, und ein Zahlungsempfänger unionsweit allen Zahlern das SEPA-Lastschriftverfahren anbieten muss.

2. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts regelt die SEPA-Verordnung ungeachtet ihrer Bezeichnung als Verordnung „zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro“ auch das Verhältnis zwischen Zahlungsempfängern und Zahlern und schützt auch den Zahler.

3. Art 9 der SEPA-Verordnung verbietet Zahlern und Zahlungsempfängern die Vorgabe, in welchem Mitgliedstaat das Konto des Gegenparts zu führen ist, und richtet sich nicht an Zahlungsdienstleister. Geregelt wird insoweit das privatrechtliche (Zahlungs-)Verhältnis zwischen Zahlern und Zahlungsempfängern.

4. SEPA soll den Bürgern und Unternehmern der Union durch Einführung offener, gemeinsamer Zahlungsstandards, -regeln und -praktiken und durch eine integrierte Zahlungsverarbeitung sichere, nutzerfreundliche und zuverlässige Euro-Zahlungsdienste zu konkurrenzfähigen Preisen bieten. Dies soll unabhängig vom Standort in der Union für inländische und grenzüberschreitende SEPA-Zahlungen unter den gleichen grundlegenden Bedingungen, Rechten und Pflichten gelten (Erwägungsgrund 1 Satz 3 und 4).

5. Die Selbstregulierung des Europäischen Bankensektors im Rahmen der SEPA-Initiative hat sich als nicht ausreichend erwiesen, um sowohl auf der Angebots- als auch der Nachfrageseite eine konzertierte Umstellung auf unionsweite Verfahren für Überweisungen und Lastschriften voranzubringen. So wurden insbesondere Verbraucher- und sonstige Nutzerinteressen nicht ausreichend und transparent berücksichtigt. Alle relevanten Akteure sollten sich Gehör verschaffen können (Erwägungsgrund 5 Satz 1 bis 3).

6. Für das ordnungsgemäße Funktionieren des Zahlungsbinnenmarkts ist es von entscheidender Bedeutung, dass Zahler wie Verbraucher, Unternehmen oder Behörden Überweisungen an Zahlungskonten der Zahlungsempfänger von Zahlungsdienstleistern ausführen lassen können, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig und gemäß dieser Verordnung erreichbar sind (Erwägungsgrund 24).

7. Diese Erwägungen beziehen sich auch auf die Interessen von Unionsbürgern und Verbrauchern, denen ein unionsweites Zahlungssystem unabhängig von ihrem Standort zur Verfügung stehen soll.

8. Gegen das Verständnis zur Einbeziehung von Zahlern und Zahlungsempfängern in den Schutz der SEPA-Verordnung spricht, dass die Erwägungsgründe mehrfach die Bedeutung des gemeinsamen unionsweiten Zahlungsdienstes für das ordnungsgemäße Funktionieren des (Zahlungs-)Binnenmarkts hervorheben.

9. Art 9 Absatz 2 der SEPA-Verordnung verbietet nach dem Wortlaut nur das Abstellen auf den Ort des Zahlungskontos. Wenn die SEPA-Verordnung auch das Verhältnis zwischen Zahlern und Zahlungsempfängern regelt, kann die Forderung eines Zahlungsempfängers mit Sitz in einem Mitgliedstaat, das SEPA-Lastschriftverfahren nur für Zahler mit Wohnsitz im selben Mitgliedstaat zuzulassen, eine Umgehung des Art 9 Abs 2 der SEPA-Verordnung darstellen. Das Konto eines zahlenden Verbrauchers wird in der Regel in jenem Staat geführt, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.

VI Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00036.17T.1220.000

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