OGH vom 24.02.2022, 12Os147/21s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Kostersitz in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 113 Hv 44/21z-132, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* – soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – je eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A./) und der kriminellen Organisation nach § 278a (zu ergänzen: zweiter Fall) StGB (B./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er sich in W*
A./ als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB) „ISlslamic State“ (in der Folge: IS), bei der es sich um einen auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen handelt (US 10), der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar (US 11) insbesondere Morde (§ 75 StGB), absichtlich schwere Körperverletzungen (§ 87 StGB), erpresserische Entführungen (§ 102 StGB), schwere Nötigungen (§ 106 StGB) gefährliche Drohungen mit dem Tod (§ 107 Abs 2 StGB), schwere Sachbeschädigungen (§ 126 StGB), vorsätzliche Gefährdungen mit Sprengmitteln (§ 173 StGB) sowie Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten (§ 282a StGB), ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird, in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert, indem er
1./ vom bis zum wiederholt im Urteil angeführte Text- und Sprachnachrichten versendete, um für Hinterbliebene und inhaftierte Frauen von IS-Mitgliedern Spenden zu sammeln,
2./ vom bis zum in wiederholten Chat-Konversationen mit * K* den Genannten und * F* in ihrem Entschluss, über die Türkei nach Syrien auszureisen und auf Seiten des IS in den Krieg zu ziehen, wiederholt durch häufige Erkundigung nach der Umsetzung ihrer Ausreisepläne und Bestärkung mit Wortwendungen wie „Allah möge Ihnen helfen“ oder „Hoffen wir das Beste, mein Bruder“ motivierte,
B./ durch die unter A./ näher bezeichneten Handlungen an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich der international agierenden terroristischen Vereinigung IS als Mitglied in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), dass er dadurch die Vereinigung in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikal-islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels förderte, wobei diese Vereinigung, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, sowie schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, insbesondere dem tatsächlichen kriegerischen Einsatz erlangter Waffen, ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB die Zerstörung des syrischen und irakischen Staates betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet und vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutet, die durch all diese Straftaten eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 8, 9 lit a und lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Soweit die Mängelrüge (Z 5) zu A./2./ eine Begründung für die beweiswürdigende Erwägung, wonach sich nicht nur K*, sondern auch F* dem IS anschließen wollten und beide deshalb vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom zu AZ * wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB verurteilt wurden (US 20), vermisst (der Sache nach Z 5 vierter Fall), wendet sie sich nicht gegen eine entscheidende Tatsache (vgl zum Begriff Ratz, WKStPO § 281 Rz 398 f). Denn die strafbaren Handlungen der kriminellen Organisation (§ 278a StGB) und der terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) sind in der Variante der Beteiligung als deren Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) bereits mit der – mit entsprechendem Vorsatz erfolgten – Vornahme der Beteiligungshandlungen vollendet. Ob die Vereinigung die sonstige Förderungsaktivität erfolgreich nutzt, ist für die Subsumtion ohne Bedeutung (RIS-Justiz RS0132439 und RS0129800 [T2 und T4]).
[5] Gleiches gilt für die sich – mit weitwendigem Vorbringen – gegen die angeführte tatrichterliche Erwägung richtende Tatsachenrüge (Z 5a).
[6] Der Rüge nach Z 8 zuwider hat das Erstgericht zum Schuldspruch A./1./ die Anklage nicht überschritten. Wurde doch dem Angeklagten bereits in der Anklageschrift (ON 98) zur Last gelegt, sich durch die Versendung der urteilsgegenständlichen Text und Sprachnachrichten vom bis zum als Mitglied an der terroristischen Vereinigung IS im Wissen um die Förderung des IS und dessen strafbarer Handlungen beteiligt zu haben (ON 98 S 1 f iVm S 12 ff und S 20 [Anklagepunkt A./1./d./]). Die Urteilstaten sind daher in dem unter Anklage gestellten historischen Sachverhalt enthalten (vgl RISJustiz RS0113142; zur Tat im prozessualen Sinn vgl RISJustiz RS0098487). An die in der Anklageschrift dargestellten Modalitäten des Geschehens oder sonstige konkrete Tatumstände ist das Gericht nicht gebunden (vgl Lewisch, WKStPO § 262 Rz 28 mwN; erneut RISJustiz RS0098487).
[7] Soweit die Beschwerde unter dem Aspekt der Z 8 das Überraschungsverbot (Art 6 Abs 3 lit a und b MRK) anspricht, wird eine Abweichung in der rechtlichen Beurteilung des angeklagten Sachverhalts (zu Recht) nicht behauptet (vgl RIS-Justiz RS0121419 [T9 und T11]).
[8] Die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermissten Feststellungen „zum Wortlaut und Inhalt“ der urteilsgegenständlichen Text und Sprachnachrichten (A./1./) sowie Chat-Konversationen (A./2./) haben die Tatrichter durch die zulässigen Verweise auf Aktenteile getroffen (US 12, 13 und 14; RISJustiz RS0117228 [T9], RS0119301 [T4]).
[9] Soweit sich die Rüge gegen die „rechtliche Beurteilung“ dieser Nachrichten als Unterstützung des IS (A./1./) und Bestärkung des K* und des F* (A./2./) wendet, geht sie prozessordnungswidrig (RISJustiz RS0099810) nicht von deren festgestelltem Bedeutungsinhalt aus (US 13 und US 14, zur Beurteilung als Tatfrage siehe RISJustiz RS0092588).
[10] Die Kritik, der Angeklagte sei von den „Feststellungen“, wonach K* und F* vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom zu AZ * wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB verurteilt worden seien (US 20), entgegen dem Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und b MRK überrascht worden (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5a), versagt einmal mehr mangels Bekämpfung einer entscheidenden Tatsache (RISJustiz RS0125372).
[11] Dass für die rechtsrichtige Subsumtion nach § 278b Abs 2 StGB und nach § 278a zweiter Fall StGB auch Feststellungen zum Inhalt des genannten Urteils erforderlich wären, behauptet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ohne prozessordnungsgemäße Darlegung (RISJustiz RS0116565).
[12] Weshalb die Feststellungen zu den Spendenaufrufen (A./1./) die vom Erstgericht vorgenommene rechtliche Beurteilung – insbesondere als „Beteiligung“ (vgl dazu Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 46) – nicht tragen sollten, leitet die Rechtsrüge ebenso wenig methodengerecht aus dem Gesetz ab (erneut RISJustiz RS0116565).
[13] Gleiches gilt in Ansehung der Konstatierungen zu den Chats zur Bestärkung und Motivation des K* und des F* nach Syrien zu reisen, sich dort dem IS anzuschließen und für diesen zu kämpfen (A./2./, US 14).
[14] Die zu A./2./ eine Bestärkung des F* bestreitende Rüge übergeht zudem die Feststellungen, wonach diese – abgesehen von dem erfolglosen Anrufversuch – im Wege von K* erfolgte (US 14).
[15] Im Übrigen bilden von kontinuierlichem „Mitwirkungsvorsatz“ getragene gleich- oder verschiedenartige Beteiligungshandlungen (§ 278b Abs 2, § 278a zweiter Fall jeweils iVm § 278 Abs 3 StGB) des Täters an derselben terroristischen Vereinigung und/oder kriminellen Organisation eine tatbestandliche Handlungseinheit, die im Sinn einer Tatbestandsverwirklichung § 278b Abs 2 und/oder § 278a zweiter Fall StGB zu unterstellen ist (Plöchl in WK² StGB § 278b Rz 17, § 278a Rz 32, § 278 Rz 71; RISJustiz RS0124166). Mehrere im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene Angriffe stellen aber stets eine einzige Tat dar, weshalb der (hier angestrebte) Wegfall bloß einer einzelnen Ausführungshandlung die rechtliche Beurteilung nicht tangiert (vgl RISJustiz RS0127374).
[16] Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO wird nur nominell angesprochen.
[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[18] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00147.21S.0224.000 |
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