OGH vom 22.06.2010, 10Ob36/10g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen I***** K*****, geboren am *****, und R***** K*****, geboren am *****, beide vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich (Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, Abteilung V, 3100 St. Pölten, Heßstraße 6), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 89/10a-89, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 3 PU 64/09v-82, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde der Vater der Minderjährigen verpflichtet, seinem älteren Kind 225 EUR, dem jüngeren 195 EUR monatlich Unterhalt zu zahlen. Dabei wurde von einem monatlichen Nettoeinkommen von 1.600 EUR als Bemessungsgrundlage ausgegangen.
Mit Beschlüssen des Erstgerichts vom wurden den Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe gewährt.
Am beantragte der Vater, die monatlichen Unterhaltszahlungen für beide Kinder auf je 130 EUR herabzusetzen. Nach längerer Zeit der Arbeitslosigkeit sei er seit wieder beschäftigt. Sein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen betrage 1.170,21 EUR. Seiner in der Türkei lebenden nunmehrigen Ehefrau leiste er keinen Unterhalt. Ein Scheidungsverfahren sei anhängig. Er legte eine Lohnbestätigung seines Dienstgebers vom vor.
Mit Beschluss vom ersuchte das Erstgericht, mit der Auszahlung der Vorschüsse bis auf monatlich 130 EUR je Kind mit Ablauf des innezuhalten. Laut Aktenlage ergebe sich aufgrund des verminderten Einkommens des Vaters unter Berücksichtigung seiner Sorgepflicht für seine einkommenslose Ehefrau eine geringere Unterhaltsverpflichtung. Es sei fraglich, ob die Vorschüsse unverändert weiter gebührten.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Minderjährigen nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisisonsrekurs zulässig sei. Es bestünden nach der im Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen Beschlusses gegebenen Aktenlage begründete Bedenken (§ 16 Abs 2 UVG) gegen das Weiterbestehen der Unterhaltsverpflichtung in der bisherigen Höhe. Der Vater gehe nach längerer Arbeitslosigkeit aufgrund einer Dienstgeberkündigung seit wieder einer Beschäftigung nach, verdiene aber nur noch 1.170 EUR im Monat. Eine allenfalls bestehende Sorgepflicht für die Ehefrau des Unterhaltspflichtigen sei auch zu berücksichtigen.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil „aufgrund der mit eingetretenen Gesetzesänderung zum Unterhaltsvorschussgesetz noch keine höchstgerichtliche Entscheidung zur Auslegung des § 7 UVG existiere“.
Rechtliche Beurteilung
Der unbeantwortet gebliebene Revisionsrekurs der Minderjährigen, die eine ersatzlose Behebung der Beschlüsse der Vorinstanzen anstreben, ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Das UVG wurde durch das FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, novelliert. Die geänderte Fassung ist im Wesentlichen am in Kraft getreten (§ 37 UVG).
Unverändert geblieben ist die Rechtslage insoweit, als die Innehaltung der Vorschussauszahlung (§ 16 Abs 2 iVm § 19 Abs 4 UVG) nach dem Zweck dieser Bestimmungen auch ohne Rekurs im Zug eines allenfalls auch von Amts wegen eingeleiteten Herabsetzungsverfahrens (§ 19 Abs 1 UVG) angeordnet werden darf. Allerdings gilt in diesem Fall der im § 16 Abs 2 letzter Satz UVG normierte Rechtsmittelausschluss gegen die Innehaltungsanordnung nur dann, wenn bereits über die Herabsetzung entschieden und gegen die Entscheidung Rekurs erhoben wurde. Die auf ein laufendes erstinstanzliches Herabsetzungs- oder Einstellungsverfahren gegründete Innehaltung ist anfechtbar (1 Ob 78/03g = SZ 2003/118 mwN). Dieser Fall ist hier gegeben.
Der novellierte § 16 Abs 2 UVG erhöht die Anforderungen an eine Innehaltung. Die mit der Novelle aus § 7 Abs 1 Z 1 UVG eliminierten Bedenken „begründeten Bedenken“ kehren in der Neufassung des § 16 Abs 2 UVG wieder. Es ist nunmehr für eine Anordnung der Innehaltung erforderlich, dass die im Rekurs gegen einen Gewährungsbeschluss (aber auch bei Herabsetzungs- und Enthebungsanträgen [ Neumayr , Unterhaltsvorschuss neu – Änderungen des UVG mit dem FamRÄG 2009, ÖJZ 2010, 164, 168]) vorgetragenen Einwendungen „begründete Bedenken“ an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung hervorrufen. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG (so auch IA 673/A BlgNR 24. GP 41) muss eine hohe Wahrscheinlichkeit der materiellen Unrichtigkeit der titelmäßigen Entscheidung bestehen. Es muss eine schon zur Zeit der Schaffung des Unterhaltstitels vorhandene oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlagen oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlagen inzwischen eingetretene Unangemessenheit mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein. Eine „non liquet“ Situation in Bezug auf diese Voraussetzungen geht zu Lasten des Vorschuss gewährenden Bundes (RIS-Justiz RS0108443). Begründete Bedenken im Sinn des § 16 Abs 2 UVG liegen - der bisherigen Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG entsprechend insbesondere dann nicht vor, wenn die Voraussetzungen für die Anspannung des Unterhaltsschuldners auf einen Unterhalt in Titelhöhe gegeben sind (RIS-Justiz RS0076377, RS0076391 [T4]).
Die Rechtsmittelwerberinnen machen geltend, aufgrund des Akteninhalts sei bestenfalls eine „non liquet“ Situation gegeben, ohne dies konkret auszuführen. Dem ist nicht zu folgen. Der Vater hat nach den Feststellungen des Erstgerichts eine erhebliche Verminderung seines zum Zeitpunkt der Titelschaffung erzielten Einkommens aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit bescheinigt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Herbabsetzung der Unterhaltstitel erwarten lassen. An die Feststellungen der Vorinstanzen ist der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, gebunden. Dass die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters auf einen Unterhalt in Titelhöhe gegeben sind, wurde von den Minderjährigen nicht behauptet. Davon abgesehen kann nach dem Akteninhalt nicht von ihrem Vorliegen ausgegangen werden. Der Vater weist ein schlechtes Arbeitskraftprofil (Sonderschulniveau, schlechter Berufsverlauf) auf und zählt zur Personengruppe der bei angespanntem allgemeinen Arbeitsmarkt schwer vermittelbaren Hilfsarbeiter (berufskundliches Sachverständigengutachten vom , ON 37, das die damaligen Verdienstmöglichkeiten des Vaters mit 900 EUR monatlich einschließlich anteiliger Sonderzahlungen angibt).
Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.