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VfGH vom 03.10.2003, B1408/02

VfGH vom 03.10.2003, B1408/02

Sammlungsnummer

16998

Leitsatz

Keine Verletzung der Religionsfreiheit und des Gleichheitsrechtes durch die Versagung der Eintragung des gemeinsamen Religionsbekenntnisses eines Ehepaares (Jehovas Zeugen) in eine Personenstandsurkunde (Heiratsurkunde); Eintragung nur der Zugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft; keine unsachliche Differenzierung; grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers in der Gestaltung der staatlichen Personenstandsbücher

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien wird ein Antrag des nunmehr beschwerdeführenden Ehepaares, ihr gemeinsames Religionsbekenntnis "Jehovas Zeugen" in die Heiratsurkunde einzutragen und diese neu auszustellen, abgewiesen, weil nur die Zugehörigkeit zu gesetzlich anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften in die Personenstandsbücher und -urkunden einzutragen sei (§24 Abs 2 Z 1 Personenstandsgesetz, BGBl. 60/1983 - PStG).

1. In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, freie Religionsausübung und Nichtdiskriminierung gemäß Art 14 EMRK sowie die Verletzung in sonstigen Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet:

Zur Zeit der Erlassung des PStG hätten neben der "historisch" anerkannten (katholischen) Kirche und den durch ein Reichs- oder Bundesgesetz anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften nur die aufgrund des Anerkennungsgesetzes durch Rechtsakte der Kultusbehörde anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften rechtlich existiert, sodaß die Zugehörigkeit zu diesen Religionsgemeinschaften leicht durch Urkunden nachgewiesen werden konnte, während die Eintragung anderer Bekenntnisse mangels Überprüfungsmöglichkeit schwierig gewesen wäre. Mit dem Bekenntisgemeinschaftengesetz sei im Jahre 1998 aber die Möglichkeit einer Anerkennung bisher nicht anerkennungsfähiger Religionsgemeinschaften durch Rechtsakte der Kultusbehörde geschaffen worden. Als Zeugen Jehovas gehörten sie einer solchen Bekenntnisgemeinschaft an. Deren Existenz und rechtliche Handlungsfähigkeit sei dem öffentlichen Register zu entnehmen und durch öffentliche Urkunden der Kultusbehörde (gemeint offenbar: den Feststellungsbescheid nach § 2 Abs 3 des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften, BGBl. I 19/1998 - BekGG) nachgewiesen. Es sei nunmehr kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb das religiöse Bekenntnis Angehöriger oft sehr kleiner anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften in die Personenstandsbücher bzw. Urkunden eingetragen werden könne, nicht jedoch das religiöse Bekenntnis Angehöriger bisweilen erheblich größerer eingetragener Bekenntnisgemeinschaften. Die den Bescheid tragende Differenzierung im PStG könne nach Schaffung der Kategorie der Bekenntisgemeinschaften sachlich nicht mehr aufrechterhalten werden (Hinweis auf Kalb/Potz/Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht, 27; Potz, Zur öffentlich-rechtlichen Stellung der Kirchen und Religionsgesellschaften in: Potz/Kohlhofer,

Die "Anerkennung" von Religionsgemeinschaften, 36; Noll, Jehovas Zeugen als Bekenntnisgemeinschaft, 232 ff., insb. 236 zum Personenstandsrecht unter Hinweis auf Kalb/Potz/Schinkele, öakr 1998, 58, 94).

Die Beschwerdeführer regen an, in näher bezeichneten Bestimmungen des PStG jeweils hinsichtlich der Worte "gesetzlich anerkannten" vor der Wortfolge "Kirche oder Religionsgesellschaft" ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten, oder aber diese Bestimmungen verfassungskonform derart auszulegen, daß sie "eine anerkannte religiöse Bekenntnisgemeinschaft" miterfassen.

Der angefochtene Bescheid verletze die Beschwerdeführer auch in ihrem Recht auf Religionsfreiheit: Wenn die belangte Behörde davon ausgehe, daß die Eintragung des religiösen Bekenntnisses nicht als "ritueller Vorgang", "religiöser Gebrauch" oder als "tatsächliche Übung eines bestimmten Glaubens oder eines Bekenntnisses" angesehen werden könne, irre sie, da die Eintragung des religiösen Bekenntnisses "Jehovas Zeugen" in die Personenstandsurkunden als Ablegung des christlichen Zeugnisses, zu der auch sie verpflichtet seien, Teil der Religionsausübung der Beschwerdeführer sei (Hinweis auf EGMR , Kokkinakis, ÖJZ 1994, 59 - Proselytenmacherei). Die gesetzliche Einschränkung sei nicht durch den Eingriffsvorbehalt des Art 9 Abs 2 EMRK gedeckt, jedenfalls aber eine Verletzung des Art 14 EMRK iVm Art 9 EMRK, wonach der Genuß der in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Benachteiligung zu gewährleisten sei. Der angefochtene Bescheid nehme den Beschwerdeführern die Möglichkeit, wie andere gläubige österreichische Christen auch Zeugnis ihrer religiösen Überzeugung dadurch abzulegen, daß ihr Bekenntnis in die öffentlichen Urkunden aufgenommen wird.

2. Die belangte Behörde tritt der Beschwerde entgegen:

Die Bestimmungen des § 24 Abs 2 Z 1 PStG und § 34 Abs 1 Z 1 PStG über die Eintragung in das Ehebuch bzw. die Heiratsurkunde bezögen sich ebenso wie jene über die Eintragung im Geburtenbuch (§19 PStG) und im Sterbebuch (§28 PStG) und die Eintragungen in den entsprechenden Urkunden auf die Zugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum BekGG erklärten eine Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Status auf alle religiösen Bekenntnisgemeinschaften als unzweckmäßig und rechtspolitisch verfehlt, da den anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zukomme. Der Gesetzgeber sei sich also sehr wohl bewußt gewesen, daß das Personenstandsrecht allein auf den Begriff der "gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften" abstelle; er habe das Personenstandsrecht erklärtermaßen nicht um den Begriff der "religiösen Bekenntnisgemeinschaft" erweitern wollen. Eine Interpretation, wonach auch die Zugehörigkeit zu den religiösen Bekenntnisgemeinschaften in das Ehebuch und in die Heiratsurkunde einzutragen wäre, sei daher nicht möglich.

II. Die Beschwerde ist zulässig (Art103 Abs 4 B-VG), aber nicht begründet.

1. Nach § 24 Abs 2 PStG sind in das Ehebuch unter anderem neben den Namen der Verlobten ihr Wohnort, der Tag, der Ort und die Eintragung ihrer Geburt sowie ihre Zugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft einzutragen (Z1). Diese Eintragungen sind auch in die Heiratsurkunde aufzunehmen ("sowie die Zugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft", § 34 Abs 1 Z 1 letzter Satzteil). Eine Beurkundung ist zu berichtigen, wenn sie bereits zur Zeit der Eintragung unrichtig gewesen ist; u.a. die Angaben über die Zugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft hat die Behörde selbst zu berichtigen (§15 Abs 2 Z 5 PStG).

Die gesetzliche Anerkennung einer Religionsgesellschaft wird - soweit nicht durch besonderes Gesetz geschehen - gemäß § 2 des Gesetzes vom 20. Mai 1874 betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, RGBl. 68/1874 (AnerkennungsG), bei Vorliegen der in diesem Gesetz näher umschriebenen Voraussetzungen von der Kultusbehörde ausgesprochen. Durch diese Anerkennung wird die Religionsgesellschaft aller jener Rechte teilhaftig, welche nach den Gesetzen den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zukommen.

Nach § 1 BekGG sind religiöse Bekenntnisgemeinschaften Vereinigungen von Anhängern einer Religion, die gesetzlich nicht anerkannt sind. Nach § 2 können solche Vereinigungen durch Antrag beim Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten (nunmehr: Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur) gleichwohl Rechtspersönlichkeit erlangen, wenn dies nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Antragstellung aus näher genannten Gründen versagt wird. Der zuständige Bundesminister hat ein öffentliches Register über die religiösen Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit zu führen (§10 BekGG).

§ 11 BekGG ergänzt die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem AnerkennungsG (!) u.a. um den Bestand als Religionsgemeinschaft durch mindestens 20 Jahre, davon mindestens 10 Jahre als religiöse Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit im Sinne des BekGG (vgl. dazu VfSlg. 16.102/2001 und 16.131/2001).

2. Die Unterscheidung zwischen anerkannten und nicht anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften ist durch Art 15 StGG verfassungsrechtlich vorgegeben (vgl. schon VfSlg. 9185/1981). Mit der Anerkennung erlangt die Kirche oder Religionsgesellschaft die im Gesetz näher beschriebene Stellung, kraft der sie an der Gestaltung des staatlichen öffentlichen Lebens teilnimmt. Da dieser Status bei Zutreffen der gesetzlichen Voraussetzungen allen Kirchen und Religionsgesellschaften zuerkannt werden kann - und muß (VfSlg. 10.915/1986) - , begegnet die Differenzierung zwischen gesetzlich anerkannten und anderen Gemeinschaften als solche auch unter dem Blickwinkel des Grundrechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das seit Art 63 des Staatsvertrages von St. Germain 1919 allen Österreichern garantierte Recht, "öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben", ist von der gesetzlichen Anerkennung nicht abhängig und durch deren allfällige Versagung ebensowenig berührt wie die in Art 9 EMRK garantierte Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (VfSlg. 10.915/1986). Die Möglichkeit, im Rechtsverkehr gleich anderen Vereinigungen als organisatorische Einheit aufzutreten, ist nunmehr durch einen dem System des Vereinsrechts nachgebildeten Erwerb der Rechtspersönlichkeit nach dem (der Bedeutung und Eigenart der religiösen Bekenntnisgemeinschaften Rechnung zu tragen suchenden) BekGG gewährleistet (Änderung der Rechtslage gegenüber VfSlg. 13.134/1992).

In der Gestaltung der staatlichen Personenstandsbücher und -urkunden ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei. Keine Verfassungsbestimmung gebietet die Aufnahme eines Hinweises auf das Religionsbekenntnis in einer Geburts-, Heirats- oder Sterbeurkunde. Zwar trifft die These der Beschwerdeführer zu, daß das öffentliche Bekenntnis für die Ausübung einer Religion in der Regel wesentlich und daher auch verfassungsrechtlich mit gewährleistet ist. Ob und in welcher Weise der Staat aber die von ihm ausgestellten Personenstandsurkunden durch die Aufnahme des Religionsbekenntnisses diesem Interesse zumindest im Ergebnis dienstbar macht, ist seine Sache. Seine Entscheidung berührt die durch Art 9 EMRK gewährleistete Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht und ist daher auch nicht unter dem Blickwinkel des (auf die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten bezogenen) Art 14 EMRK zu beurteilen. Er bleibt dabei freilich an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden und darf nicht durch unsachliche Vorgangsweise einzelne Religionsgemeinschaften anderen gegenüber diskriminieren.

Von einer unsachlichen Diskriminierung nicht gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften kann indessen hier nicht die Rede sein. Es stünde dem Gesetzgeber zwar frei, auch die Eintragung registrierter und daher im Rechtsleben identifizierbarer Bekenntnisgemeinschaften vorzusehen. Doch besteht auch ein Sachzusammenhang zwischen der Einräumung einer öffentlich-rechtlichen Stellung und einer Dokumentation der Zugehörigkeit zu einer der solcherart anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften, die diesen Status für die Bekenner den staatlichen Organen gegenüber sichtbar macht. Es ist daher verfassungsrechtlich auch zulässig, die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nur dann in die vffentlichen Urkunden aufzunehmen, wenn diese einen öffentlich-rechtlichen Status genießt.

Da auch sonst keine vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Rechtsverletzungen hervorgekommen sind, ist die Beschwerde abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).