Suchen Hilfe
OGH 17.11.2015, 10ObS127/15x

OGH 17.11.2015, 10ObS127/15x

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer und Mag. Dr. Wolfgang Höfle (beide aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in Zell am See, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 82/15f-26, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts zog sich der Kläger, ein Installationsunternehmer, bei Stemmarbeiten am eine kleine Schürfwunde zu, über die ein Staphylokokkus Aureus-Keim in seine Blutbahn gelangte. Dieser eingeschleppte Keim führte in der Folge zu einem Befall der Aortenklappe und der Mitralklappe und den typischen Komplikationen einer Staphylokokken-Sepsis mit peripheren septischen Embolien in Leber, Milz, Niere und Gehirn.

Bei Nachweis der Staphylokokken im Blut (Bakteriämie) kommt es in ca 10 - 15 % der Fälle zum Auftreten von Herzklappenentzündungen (Endokarditis).

Dieses Risiko ist bei Vorliegen von Klappenveränderungen nochmals erhöht. Beim Kläger bestand bereits zuvor eine angeborene - wenn auch bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesene - bikuspid angelegte Aortenklappe, welche einen zusätzlichen Risikofaktor für das Entstehen einer Klappenentzündung (Endokarditis) bei im Blut befindlichen Keimen (Staphylokokken) darstellt. Die Häufigkeit der angeborenen bikuspiden Aortenklappe liegt bei 1 % der Gesamtbevölkerung. Bevölkerungsstudien haben gezeigt, dass die Inzidenz einer Herzklappenentzündung bei bikuspider Aortenklappe bei ca 2 bis 3 % gelegen ist. Ca 30 % aller infektiösen Aortenklappenendokarditiden betreffen Personen mit einer bikuspiden Aortenklappe. Sehr häufig wird eine bikuspide Aortenklappe - wie auch beim Kläger - erst im Zusammenhang mit einer akuten Endokarditis der Aortenklappe oder vor allem bei Älteren mit den Symptomen einer Aortenklappenstenose erkannt.

Wesentliche Ursache für die foudroyante Herzklappenentzündung ist das Einschleppen des Staphylokokkus Aureus-Keimes.

Als Folge dieser Einschleppung des Staphylokokkus Aureus-Keimes in die Blutbahn des Klägers am durch die während seiner Arbeitstätigkeit bei Stemmarbeiten erlittenen Schürfwunden an den Händen findet sich beim Kläger nunmehr ein Zustand nach mechanischem Aortenklappen- und Mitralklappenersatz, eine dadurch notwendige lebenslängliche Blutverdünnung, ferner ein Zustand nach DDD-Schrittmacherimplantation und insgesamt noch reduzierter allgemeiner körperlicher Belastbarkeit.

Das Erstgericht sprach dem Kläger zur Abgeltung der Folgen des am erlittenen Arbeitsunfalls ab eine vorläufige Versehrtenrente zu; ein Mehrbegehren wurde abgewiesen. Der Arbeitsunfall liege darin, dass sich der Kläger bei den Stemmarbeiten eine Schürfwunde zugezogen habe, durch die es in der Folge zu einer weitergehenden Gesundheitsschädigung gekommen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Ersturteil in seinem klagestattgebenden Teil als Teilurteil. In seinem klageabweisenden Teil wurde das Ersturteil infolge Berufung des Klägers zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgehoben. Eine Begründung für die Unzulässigkeit der Revision wurde nicht gegeben.

In ihrer außerordentlichen Revision bestreitet die beklagte Partei das Vorliegen eines Unfallereignisses, das zu den beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt habe. Dem Kläger sei schon der Anscheinsbeweis der Infektion nicht gelungen, da die Verletzung durch Schürfwunden eine genauso abstrakte Möglichkeit darstelle wie eine Verletzung beim Zähneputzen oder bei der Nagelmaniküre. Im Übrigen dürfe die Amtswegigkeit der Beweisaufnahme nicht durch unzulässige Heranziehung des Anscheinsbeweises umgangen werden.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage dargestellt.

1. Aus dem Kontext des erstgerichtlichen Urteils erhellt, dass dieses von einer für die folgenden Gesundheitsbeeinträchtigungen verantwortlichen Schürf-verletzung am ausgeht, auch wenn immer wieder von in den Wochen zuvor erlittenen Schürfverletzungen die Rede ist.

2. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung hält das Erstgericht auf Seite 7 seines Urteils nach Darlegung verschiedener Beweisergebnisse fest: „Es war daher festzustellen, dass über eine dieser durch die Arbeitstätigkeit des Klägers bei Stemmarbeiten erlittenen Schürfwunden an den Händen als Eintrittspforte … ein Staphylokokkus Aureus-Keim in die Blutbahn des Klägers gelangte.“ Weiters verweist das Erstgericht hinsichtlich des kausalen Zusammenhangs zwischen der Einschleppung des Staphylokokkus Aureus-Keims und den festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das eingeholte Sachverständigengutachten. Auch wenn schließlich unter Berufung auf das Sachverständigengutachten noch ausgeführt wird, dass dem Kläger der Anscheinsbeweis gelungen sei, dass die Hautverletzung zur Einschleppung des Keims geführt hat, ist doch davon auszugehen, dass das Erstgericht - beweiswürdigend - Feststellungen zum Zuziehen einer Schürfwunde und die in einem kausalen Zusammenhang stehenden weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen getroffen hat, ohne dass der Anscheinsbeweis bemüht werden musste. Das Berufungsgericht hat die von der beklagten Partei bekämpften Feststellungen zur Schürfwunde und zum Kausalzusammenhang als unbedenklich qualifiziert: „Die von der beklagten Partei ins Treffen geführte Vielzahl von akausalen Faktoren und Theorien vermögen keine Zweifel an den getroffenen Feststellungen herbeizuführen.“

3. Mit ihren Revisionsausführungen, dem Kläger sei schon der Anscheinsbeweis der Infektion nicht gelungen, bekämpft die beklagte Partei daher in Wirklichkeit in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen.

4. In der von der beklagten Partei in der Revision zitierten Entscheidung 10 ObS 5/93 (SSV-NF 7/10) ging es um die Problematik einer „Gelegenheitsursache“. Der Oberste Gerichtshof forderte in diesem Zusammenhang Feststellungen, ob irgendein alltägliches, nicht als Arbeitsunfall zu qualifizierendes Ereignis, das sich im Rahmen des festgestellten Belastungskalküls bewegt (wie beispielsweise das Heben und Tragen einer Mineralwasserkiste), in naher Zukunft tatsächlich vorgekommen wäre und dieselbe Schädigung ausgelöst hätte.

Im vorliegenden Fall gibt es aber keine Anhaltspunkte, dass die Schürfwunde, die sich der Kläger bei seiner Arbeitstätigkeit als Installationsunternehmer zugezogen hat, bloß „Gelegenheitsursache“ für die in der Folge aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen war.

Mangels erheblicher Rechtsfrage ist die außerordentliche Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Sozialrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00127.15X.1117.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAD-83283