OGH vom 30.06.2020, 15Os146/19p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen C***** G***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom , GZ 6 Hv 76/19d47, gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGHGeo 2019 zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Auf diese Entscheidung werden die Staatsanwaltschaft mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und die Angeklagte mit ihrer Berufung verwiesen.
Text
Gründe:
Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde C***** G***** mit dem angefochtenen, im erneut geführten Verfahren (vgl 15 Os 30/19d) ergangenen Urteil – das abermals einen rechtlich verfehlten Subsumtionsfreispruch enthält (siehe dazu schon 15 Os 30/19d [mwN]) – des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Danach hat sie am in G***** vorschriftswidrig Suchtgift besessen, indem sie morphinhältiges Compensan für M***** S***** aufkochte und in eine Spritze aufzog, die sich dieser selbst setzte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die zum Vorteil der Angeklagten erhobene, auf § 281 Abs 1 Z 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Urteil nicht geltend gemachte, der Angeklagten zum Nachteil gereichende Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet.
Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften nach § 27 SMG setzt vorschriftswidriges Handeln voraus. Für die Beurteilung der Vorschriftswidrigkeit sind insbesondere die den Verkehr und die Gebarung mit Suchtmitteln regelnden § 5 bis 8 SMG sowie die zum SMG ergangenen Durchführungsverordnungen (insbesondere die Suchtgiftverordnung [SV] sowie die Psychotropenverordnung [PV]) maßgebend (vgl RISJustiz RS0130720; Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG3§ 27 Rz 3; Schwaighofer in WK2 SMG § 27 Rz 5; Hinterhofer/Tomasits in Hinterhofer SMG2§ 27 Rz 59 ff).
Gemäß § 7 Abs 1 SMG dürfen Apotheken Suchtmittel nach Maßgabe der das Apotheken und Arzneimittelwesen regelnden Vorschriften, hinsichtlich der suchtgifthaltigen Arzneimittel (vgl § 2 SMG und § 1 Abs 1 Z 1 AMG) auch unter den Beschränkungen der zu diesem Bundesgesetz erlassenen Durchführungsverordnungen (soweit gegenständlich relevant) an Personen abgeben, denen solche Arzneimittel verschrieben wurden. Auf den Erwerb und Besitz von Suchtmitteln durch diese Personen findet § 6 Abs 1 SMG keine Anwendung.
Demnach erwirbt und besitzt eine Person ein von einer Apotheke an sie abgegebenes suchtgifthaltiges Arzneimittel im Rahmen einer Substitutionsbehandlung (vgl dazu insbesondere § 8 f SMG; § 21 ff SV) legal, soweit dieser Umgang durch eine entsprechende ärztliche Verschreibung und den dort angeordneten Abgabemodus (vgl insbesondere § 23e SV) gedeckt ist. Ein darüber hinausgehender Umgang mit diesem Suchtmittel wird dadurch nicht gestattet (siehe auch Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG3§ 8 Rz 5).
Wird im Fall einer vorübergehenden Erkrankung eines in Substitutionsbehandlung befindlichen Patienten gemäß § 23e Abs 2 Z 2 und Abs 8 SV die Abgabe der Substitutionsmittel an eine vertrauenswürdige Person angeordnet, so ist auch deren Erwerb und Besitz des Suchtmittels sowie die Übergabe desselben an den Substitutionspatienten legal, soweit der Umgang durch die vom Arzt getroffene Mitgaberegelungen gedeckt ist. Hat die vertrauenswürdige Person dem Substitutionspatienten das ihm zugedachte Medikament überlassen, ist ein neuerlicher Erwerb und Besitz des Substitutionsmittels durch sie nicht mehr von § 23e Abs 2 Z 2 und Abs 8 SV gedeckt.
Nach den Feststellungen (US 2) hielten sich die Angeklagte und M***** S***** „den ganzen Tag über in der gemeinsamen Wohnung auf“. Wegen einer Erkrankung des Letztgenannten erhielt die Angeklagte „aufgrund der Befürwortung des behandelnden Arztes (…) die für M***** S***** vorgesehenen morphinhältigen Compensan-Tabletten um ihm diese verabreichen zu können. Gegen 8:15 Uhr des gab ihm die Angeklagte das von ihr bei der Apotheke geholte morphinhältige Compensan von 300 mg, welches sich M***** S***** aufkochte, in eine Spritze aufzog und intravenös verabreichte. An diesem Tag bat M***** S***** allerdings die Angeklagte darum, das morphinhältige Compensan aufzukochen, damit er dieses mit seiner Spritze injizieren könne, weil er aufgrund seiner Erkrankung dazu nicht in der Lage sei. C***** G***** kam dieser Aufforderung nach, kochte vermutlich in zwei Angriffen, jeweils einmal um 08:15 Uhr und einmal gegen 14:00 Uhr jeweils 300 mg morphinhältiges Compensan auf, obwohl sie wusste, dass diese Verabreichungsart medizinisch nicht indiziert war, reichte die Spritze an M***** S*****, welcher sich das Compensan jeweils in den Arm injizierte“. Weiters führten die Tatrichter aus, dass „die Angeklagte im Zuge der Vorbereitung der Injektion faktisch Mitgewahrsam an dem morphinhältigen Compensan hatte, sodass sie das Suchtgift im Zuge der Ausführungshandlungen des M***** S***** besaß“ (US 4).
Eine auch den Tenor (US 2; arg „sie hat […] vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich morphinhältiges Compensan besessen, […] welches sich M***** S***** selbst injizierte“) in den Blick nehmende Analyse des Urteils (vgl RISJustiz RS0116587 [T2], RS0114639) lässt die Beurteilung zu (vgl US 4: arg „Mitgewahrsam an dem morphinhältigen Compensan hatte, sodass sie das Suchtgift […] besaß“, „im Bewusstsein der Illegalität“), dass die Tatrichter einen auf diese Tatbestandsmerkmale bezogenen Vorsatz der Angeklagten feststellen wollten (RISJustiz RS0117228; Ratz, WKStPO § 281 Rz 19).
Unter Beachtung der obigen Ausführungen bringen die Feststellungen einen vorschriftswidrigen Besitz von Suchtgift nicht zum Ausdruck. Denn anhand dieser lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen (vgl RISJustiz RS0099575 [T6], RS0117228; Ratz, WKStPO § 281 Rz 570), ob die Angeklagte das Suchtgift in Übereinstimmung mit der ärztlichen Anordnung noch aufgrund der (anhand der Konstatierungen zeitlich nicht zuordenbaren) Abholung desselben in der Apotheke und somit schon vor dem Ersuchen S*****s (durchgehend) besaß, oder ihm bereits zuvor gegeben hatte und erst über dessen Bitte abermals (Mit)Gewahrsam erlangte.
Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) machte die Aufhebung des Urteils und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidbar (§ 285e StPO).
Im weiteren Rechtsgang wird zu beachten sein, dass im Fall der Bejahung eines vorschriftswidrigen Besitzes von Suchtgift und der Verneinung von die Anwendung des § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG ausschließenden Umständen (trotz des durch die Tat eingetretenen Todes des S*****) die Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen gegeben wären (vgl RISJustiz RS0124624, RS0131952).
Mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde war die Staatsanwaltschaft ebenso wie die Angeklagte mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00146.19P.0630.000 |
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