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OGH vom 28.10.2016, 9Ob33/16t

OGH vom 28.10.2016, 9Ob33/16t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Antragstellers S***** W*****, geboren *****, vertreten durch Mag. Josef Koller, Rechtsanwalt in Perg, gegen die Antragsgegnerin M***** W*****, vertreten durch Mag. Dr. Franz Hafner und Dr. Karl Bergthaler, Rechtsanwälte in Altmünster, wegen Unterhalt, über die Revisionsrekurse des Antragstellers und der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 294/15h 64, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Freistadt vom , GZ 1 Fam 35/12z 58, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens ist dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung:

Der ***** 1991 geborene Antragsteller ist das eheliche Kind der Antragsgegnerin und des M***** W*****. Gegen den Vater ist beim Bezirksgericht Freistadt zu GZ 1 Fam 34/12b (8 Ob 137/15b) ein Unterhaltsverfahren anhängig. Beide Eltern sind berufstätig.

Der seit besachwaltete Antragsteller ist aufgrund einer geistigen Behinderung und Persönlichkeitsstörung nicht in der Lage, verwertbare Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom wurde dem Antragsteller gemäß § 12 Abs 2 Z 2 Oö. ChG ab die Hauptleistung Wohnen in einem Wohnheim in S***** gewährt. Die Kosten für seine Unterbringung betragen täglich 120,19 EUR, monatlich daher 3.655,77 EUR.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin Unterhalt ab in unterschiedlicher monatlicher Höhe.

Die Antragsgegnerin sprach sich gegen die begehrte Unterhaltsfestsetzung aus, weil ihr Sohn selbsterhaltungsfähig sei. Außerdem habe er einen allfälligen Unterhaltsanspruch verwirkt, weil er sie mehrmals bestohlen habe.

Mit Beschluss verpflichtete das Erstgericht die Antragsgegnerin zur Leistung eines monatlichen Unterhalts an den Antragsteller samt 4 % Zinsen ab jeweils ab Fälligkeitstag wie folgt:

bis 550 EUR

bis 600 EUR

bis 610 EUR

bis 306 EUR

bis 313 EUR

bis 480 EUR

bis 240 EUR

bis laufend 490 EUR

Das Mehrbegehren des Antragstellers wies es ab.

Der Antragsteller habe gegen seine Eltern einen Unterhaltsanspruch nach § 231 ABGB, weil er nicht selbsterhaltungsfähig sei. Der Unterhaltsanspruch der Kinder könne grundsätzlich nicht verwirkt werden. Der Unterhalt des Kindes könne jedoch analog § 795 ABGB auf das notdürftige Ausmaß beschränkt werden, wenn es Handlungen setze, die die Entziehung des Pflichtteils rechtfertigen würden. Dies wäre hier aber im Falle eines Diebstahls des Antragstellers von ca 2.000 EUR nicht der Fall.

Da sich der Antragsteller in Eigenpflege befinde, seien beide Elternteile nach Maßgabe ihrer Lebensverhältnisse zur Zahlung eines Unterhalts verpflichtet, wobei sich der Gesamtunterhaltsbedarf bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen aus dem doppelten Regelbedarfssatz ergebe. Der gegen die Antragsgegnerin bestehende Unterhaltsanspruch berechne sich nach der Formel: Geldunterhaltsbedarf x (Unterhaltsbemessungsgrund-lage Mutter – Unterhaltsexistenzminimum) : ([Unterhalts-

bemessungsgrundlage Vater – Unterhaltsexistenzminimum) + (Unterhaltsbemessungsgrundlage Mutter – Unterhaltsexistenz-minimum]). In jedem Fall dürfe der Unterhalt aber nicht höher festgesetzt werden, als es der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach der Prozentwertmethode entspreche. Weiters sei noch die Anrechnung der Familienbeihilfe sowie der Umstand, dass der Antragsteller im Zeitraum Juni bis August 2014 durch eine Tätigkeit bei der Antragsgegnerin ein Eigeneinkommen erzielt habe, bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen.

Da § 43 Oö. ChG eine (aufgeschobene) Legalzession hinsichtlich von Unterhaltsansprüchen vorsehe, bestehe durch die dem Antragsteller gewährte Leistung des Wohnens nach § 8 Oö. ChG keine Doppelversorgung. Sein Unterhaltsanspruch bleibe daher aufrecht.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Antragsgegnerin teilweise Folge. Es bestätigte zwar die Unterhaltsfestsetzung für den Zeitraum von bis . Hinsichtlich des Zeitraums ab hob es hingegen die Entscheidung auf und verwies die Familienrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Für den Zeitraum bis sei der Unterhalt richtig berechnet worden. Die öffentlich-rechtlichen Leistungen nach dem Oö. ChG seien als Einkommen der behinderten Person einzustufen und würden bei den Eltern eine unterhaltsentlastende Wirkung entfalten. Eltern von volljährigen Behinderten hätten daher nur insoweit Unterhalt zu leisten, als deren Bedürfnisse nicht bereits durch die Leistungen nach dem Oö. ChG gedeckt seien. Vom Erstgericht sei noch der tatsächliche Bedarf des Antragstellers zu erheben.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht – sowohl hinsichtlich des bestätigenden als auch des aufhebenden Teils seiner Entscheidung – zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob § 43 Abs 2 Oö. ChG eine (aufgeschobene) Legalzession zugunsten des Landes Oberösterreich auch für Unterhaltsansprüche von volljährigen Behinderten gegenüber deren Eltern vorsehe, und welche Auswirkung eine (aufgeschobene) Legalzession gegebenenfalls auf die Unterhaltsansprüche im Hinblick auf eine mögliche Doppelversorgung habe.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionsrekurse des Antragstellers und der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller bekämpft den aufhebenden Teil der Entscheidung betreffend die Unterhaltsfestsetzung ab und beantragt die Abänderung dahin, dass der vom Erstgericht für die Zeit von (richtig: ) bis festgesetzte Unterhalt von der Antragsgegnerin unter Berücksichtigung des mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom , AZ *****, bestätigten Sanierungsplans zu bezahlen ist.

Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrem gegen den bestätigenden Teil der erstgerichtlichen Entscheidung gerichteten Revisionsrekurs die Aufhebung und Rückverweisung an das Erstgericht auch hinsichtlich der Entscheidung über die Unterhaltsfestsetzung für die Zeit von bis .

In ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Antragsgegnerin, den Revisionsrekurs des Antragstellers mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Der Antragsteller hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind nicht zulässig.

I. Nach Zustellung der Rekursentscheidung wurde das Verfahren mit Beschluss des Erstgerichts vom gemäß § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG unterbrochen, weil über das Vermögen der Antragsgegnerin mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet worden war. Der Masseverwalter bestritt die vom Antragsteller im Umfang des erstgerichtlichen Zuspruchs angemeldete Unterhaltsforderung.

Mit Beschluss vom , GZ *****, wurde der von den Gläubigern am angenommene Sanierungsplan gerichtlich bestätigt und mit Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses das Sanierungsverfahren aufgehoben.

Am – und damit innerhalb der vom Konkursgericht zur Geltendmachung der bestrittenen Forderung bestimmten Frist – begehrte der Antragsteller die Fortsetzung des Verfahrens und erhob gleichzeitig den ordentlichen Revisionsrekurs.

Mit Beschluss vom setzte das Erstgericht das Verfahren fort.

II. Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) – nicht zulässig. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG ist im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RIS-Justiz RS0112769 [T10]). Eine zur Zeit der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich erhebliche Rechtsfrage fällt daher weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs geklärt ist (RIS-Justiz RS0112769; RS0112921). Dies ist hier der Fall:

Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 8 Ob 137/15b und 8 Ob 6/16i, jeweils vom , die Frage, ob öffentlich-rechtlich gewährte Leistungen des Landes nach dem Oö. ChG aus unterhaltsrechtlicher Sicht als Einkommen der unterhaltsberechtigten behinderten (volljährigen) Person einzustufen sind und daher der unterhaltspflichtige Elternteil diesem nur insoweit Unterhalt zu leisten hat, als die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten nicht bereits durch Leistungen nach dem Oö. ChG gedeckt sind, mit ausführlicher Begründung bejaht. Auf die zutreffenden Ausführungen des 8. Senats, denen sich der 9. Senat anschließt, wird verwiesen.

Zusammengefasst ist e in zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch des bedingt kostenersatzpflichtigen Leistungsempfängers dann zu verneinen, wenn der Gesetzgeber eine Heranziehung des Unterhaltspflichtigen zum Ersatz der Sozialhilfeaufwendungen ausdrücklich ausgeschlossen hat. Der Landesgesetzgeber wollte mit dem Gesetz betreffend die Chancengleichheit von Menschen mit Beeinträchtigungen (Oö. Chancengleichheitsgesetz – Oö. ChG), wie insbesondere die Bestimmungen der § 41 Abs 2, § 20 Abs 1 und 2 Oö. ChG erkennen lassen, die Eltern volljähriger Kinder mit Behinderungen von ihrer weiteren Unterhaltspflicht entlasten. Mit diesem Gesetzeszweck wäre es unvereinbar, wenn das Land auf dem Umweg der Geltendmachung von zivilrechtlichen Unterhaltsansprüchen durch das erwachsene Kind (die für dessen eigenen Beitrag iSd §§ 20 und 40 Oö. ChG heranzuziehen wären), doch wieder uneingeschränkt auf die Eltern zugreifen könnte.

Die vom Antragsteller zitierte Entscheidung 4 Ob 29/14i betrifft das Oö. Mindestsicherungsgesetz. Dessen Regelungen sind – trotz teilweise ähnlichen Wortlauts – nicht vergleichbar, zumal sich der Oö Gesetzgeber in diesem (eine Geldleistung betreffenden) Gesetz – wie gerade aus den im Revisionsrekurs des Antragstellers dazu zitierten Gesetzesmaterialien ersichtlich ist – von anderen Überlegungen leiten ließ, als sie – wie eben dargelegt – für das hier zu beurteilende Gesetz maßgebend waren.

Auch unter dem Blickwinkel des § 43 Abs 2 Oö. ChG ist für den Revisionsrekurswerber nichts gewonnen. Dazu haben die – auch insoweit zutreffenden – vorgenannten Entscheidungen des 8. Senats ausgeführt, dass sich aus dem Wortsinn des § 43 Abs 1 Oö. ChG („Ersatz“ des Aufwands, der „durch Unfall oder ein sonstiges Ereignis entstanden“ ist; „ersatzpflichtige“ Person; Ausnahme des Schmerzengeldes) ergibt, dass sich diese Legalzessionsbestimmung auf Schadenersatzansprüche gegen Dritte bzw sonstige Ansprüche aufgrund eines Schadensereignisses (zB aus einer Unfallversicherung) bezieht, das einen vom Sozialhilfeträger gedeckten Aufwand verursacht hat. Nach den Gesetzesmaterialien sollte sich der nunmehrige § 43 Abs 2 Oö. ChG (in der Fassung der RV noch: § 39 Abs 2) ausdrücklich auf den „Ersatz durch die Sozialversicherungsträger und Pflegegeldträger“ beziehen. Auch wenn die Formulierung dieser Legalzessionsnorm im Zuge der Gesetzwerdung eine allgemeinere Fassung erlangt hat, ist davon auszugehen, dass sie sich nur auf derartige öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Leistungsansprüche gegen dritte Personen im Sinne des § 39 Abs 1 Z 4 ChG bezieht. Jedenfalls setzt die Legalzession nach § 43 Abs 2 Oö. ChG einen bestehenden, gerichtlich oder vertraglich festgesetzten Anspruch zur Deckung eines behinderungsspezifischen Bedarfs („der die Leistung erforderlich gemacht hat“) voraus, vermag aber einen solchen Anspruch nicht selbst zu begründen.

Der Revisionsrekurs des Antragstellers war daher zurückzuweisen.

III. Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist e benfalls nicht zulässig.

Nach Ansicht der Revisionsrekurswerberin fehlten im erstinstanzlichen Beschluss Feststellungen über den Diebstahl des Antragstellers von 2.000 EUR gegenüber der Antragsgegnerin. Damit könne aber nicht abschließend geklärt werden, ob sich der Antragsteller des Erbunwürdigkeitsgrundes des § 540 ABGB schuldig gemacht habe und der Unterhalt nur auf das notdürftige Ausmaß zu beschränken sei.

Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt.

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre können Kinder (auch wenn sie volljährig sind, [5 Ob 503/83]) ihren Unterhaltsanspruch nicht verwirken. Es könnte nur eine Beschränkung des gesetzlichen Unterhalts des Kindes auf das Maß des notdürftigen Unterhalts eintreten, wenn das Kind eine Handlung begeht, die die Entziehung des Pflichtteils rechtfertigt (10 Ob 10/15s; RIS-Justiz RS0047504) .

Gemäß § 540 1. Fall ABGB ist, wer gegen den Erblasser eine gerichtlich strafbare Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, begangen hat, so lange des Erbrechts unwürdig, als sich nicht aus den Umständen entnehmen lässt, dass ihm der Erblasser vergeben hat.

Da der im Revisionsrekurs von der Antragsgegnerin dem Antragsteller vorgeworfene (einmalige) Diebstahl (§ 127 StGB) zu keiner Strafdrohung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe führt, liegt der Erbunwürdigkeitstatbestand des § 540 1. Fall ABGB nicht vor. Die Revisionsrekursbehauptungen erfüllen auch nicht den Enterbungsgrund des § 768 Z 4 ABGB.

Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin war daher mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG ebenfalls zurückzuweisen (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

IV. Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass schon das Erstgericht gemäß § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Hauptsache vorbehielt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0090OB00033.16T.1028.000