OGH vom 18.11.1993, 8Ob591/93
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Huber, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****genossenschaft reg.Gen.mbH, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gustav B*****, vertreten durch Dr.Ruth E.Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 5.694,80 sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 141/93-150, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 35 C 70/88k-96, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird aufgetragen, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund über die Berufung der klagenden Partei sachlich zu entscheiden.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Das Erstgericht hat zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung am seine als "1.Teilurteil" bezeichnete Entscheidung betreffend das Zurechtbestehen der Klageforderung in der Höhe von S 68.590,10 und der Gegenforderung in der Höhe von S 5.694,80, "verkündet und den PV ausgefolgt" (Protokoll ON 98 Seite 341); die Erstrichterin hielt im Protokoll fest: "Hiemit ist es zugestellt!" Die klagende Partei hat, ohne eine Berufungsanmeldung erstattet zu haben, am gegen den Ausspruch über das Zurechtbestehen der Gegenforderung per Post das Rechtsmittel der Berufung eingebracht.
Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Berufungsgericht die Berufung aus folgenden Gründen zurück:
Gemäß § 461 Abs 2 ZPO könne gegen ein in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündetes Urteil nur von einer Partei Berufung erhoben werden, die diese sofort nach der Verkündung des Urteiles mündlich oder binnen einer Woche danach in einem beim Prozeßgericht erster Instanz überreichten Schriftsatz angemeldet habe. Dies gelte auch für ein Teilurteil nach § 391 ZPO. Eine solche Anmeldung sei hier aber nicht erfolgt. Wesentlich im Sinne des § 461 Abs 2 ZPO erscheine, daß das Urteil mündlich verkündet worden sei; ob den Parteien sogleich eine Ausfertigung des Urteiles in dieser Verhandlung ausgefolgt werde oder nicht, sei dagegen ohne Bedeutung. Die Bestimmung des § 417a ZPO besage lediglich, daß ein solches mündlich verkündetes Urteil mangels Einlangen einer Berufungsanmeldung in gekürzter Form ausgefertigt werden könne. Auch im gegenständlichen Fall, in dem die Ausfertigung des Urteiles sogleich nach Verkündung den Parteien ausgefolgt worden sei, hätte der Klagevertreter daher gemäß § 461 Abs 2 ZPO die Berufung anmelden müssen. § 464 Abs 2 ZPO treffe nur eine Regelung über den Beginn der Berufungsfrist, habe jedoch keinen Einfluß auf § 461 Abs 2 ZPO. Zwar stehe der Zweck der Bestimmung des § 461 Abs 2 ZPO im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 417a ZPO (gekürzte Urteilsausfertigung), doch lasse der Gesetzestext des § 461 Abs 2 ZPO keine andere Auslegung zu, zumal dort nicht auf § 417a ZPO sondern nur auf § 414 ZPO (Verkündung des Urteiles) verwiesen werde. § 414 Abs 2 ZPO nehme sogar auf den Fall des Vorliegens des Urteiles in vollständiger schriftlicher Fassung Bezug und fordere dennoch die Ausfolgung einer Belehrung über das Erfordernis der Anmeldung der beabsichtigten Berufung an eine unvertretene Partei. Somit sei die vorliegende Berufung als unzulässig zurückzuweisen.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt die klagende Partei Rekurs mit dem Antrag, den Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die sachliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
Die Rekurswerberin bringt vor, die berufungsgerichtliche Rechtsauffassung sei unrichtig, weil § 461 Abs 2 ZPO nur vom mündlich verkündeten Urteil, nicht aber, wie im vorliegenden Fall, auch von dessen Ausfolgung spreche, die der Zustellung der Urteilsausfertigung gleiche. Der Sinn des § 461 Abs 2 ZPO sei ausschließlich verfahrensökonomisch zu sehen, nämlich dem Erstgericht die Ausfertigung eines "kompletten" Urteiles für den Fall zu ersparen (§ 417a ZPO), daß eine Berufung nicht angemeldet werde. Hier habe das Erstgericht aber eine volle Ausfertigung eines verkündeten Urteiles ausgefolgt. Auf diesen Fall werde in keiner der vom Berufungsgericht bezogenen Gesetzesstellen Bezug genommen. An diesen Fall habe der Gesetzgeber auch nicht gedacht, sodaß eine durch Interpretation bzw Analogie zu schließende Gesetzeslücke vorliege. Erkennbare Absicht des Gesetzgebers bei Erlassung der zitierten Bestimmungen sei es gewesen, dem Gericht die volle Ausfertigung eines mündlich verkündeten Urteiles zu ersparen für den Fall, daß keine Berufung angemeldet werde. Diese Überlegungen träfen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Demgemäß erübrige sich auch die Anmeldung der Berufung, die ja nur zur Folge gehabt hätte, daß das Erstgericht statt einer gekürzten eine volle Urteilsausfertigung herzustellen gehabt hätte, die hier aber ohnehin bereits vorhanden gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig und er ist auch gerechtfertigt.
In dem hier abzuhandelnden Fall hatte die Erstrichterin zu Beginn der fortgesetzten mündlichen Streitverhandlung das von ihr aufgrund der Ergebnisse vorangegangener Verhandlung vorbereitete Teilurteil mündlich verkündet und den Parteienvertretern je eine Ausfertigung davon in ungekürzter Fassung "ausgefolgt", das heißt zugestellt. Durch die Zustellung einer ungekürzten Ausfertigung hat die Erstrichterin aber den einzigen, die Anmeldung der Berufung gegen das in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündete Teilurteil rechtfertigenden Zweck, ihr die Herstellung einer ungekürzten Ausfertigung zu ersparen und die Ausarbeitung einer vereinfachten Ausarbeitung zu ermöglichen (Pkt 5 und 9 der Seiten 20 und 21, 88 der Beilagen XVII.GP), selbst beseitigt, sodaß die sonst vom Gesetz geforderte befristete Berufungsanmeldung im Sinne des § 461 Abs 2 Satz 1 ZPO völlig sinnlos geworden ist und deshalb von den Parteien auch nicht verlangt werden darf. Mit der Zustellung der verkündeten Entscheidung begann im vorliegenden Fall die eigentliche Berufungsfrist zu laufen (§ 464 Abs 2 ZPO); einer Anmeldung der Berufung bedurfte es in diesem Falle als Voraussetzung für ihre Statthaftigkeit und zur Abwehr der Eintritt der Rechtskraft nicht. Da demnach die Berufung der klagenden Partei fristgerecht erhoben wurde, wird das Berufungsgericht darüber unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund sachlich zu entscheiden haben.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.