zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 06.10.2004, B1390/03

VfGH vom 06.10.2004, B1390/03

Sammlungsnummer

17317

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit insgesamt EUR 39.282,30 bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die beschwerdeführenden Parteien üben das nicht bewilligungspflichtige gebundene (vgl. § 124 Z 12 GewO 1994 idF vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 111/2002) bzw. - seit In-Kraft-Treten des genannten Bundesgesetzes mit - das reglementierte Gewerbe der Masseure (§94 Z 48 GewO 1994) aus.

Die vorliegenden, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden richten sich gegen die im Instanzenzug ergangenen Bescheide der unabhängigen Verwaltungssenate der Länder Oberösterreich und Tirol, mit welchen den beschwerdeführenden Parteien - nach den §§46 bzw. 47 des Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetzes - MMHmG, BGBl. I Nr. 169/2002 - die freiberufliche Ausübung der Tätigkeit eines Heilmasseurs untersagt bzw. ihnen die - durch die Anmeldung erworbene - Berechtigung zur Ausübung dieses Berufes entzogen worden ist: Die beschwerdeführenden Parteien hätten den nach § 46 Abs 1 Z 1 MMHmG vorgeschriebenen Qualifikationsnachweis nicht erbracht, auch seien sie nicht auf Grund der Übergangsbestimmung des § 84 MMHmG unmittelbar berechtigt, die Tätigkeit eines Heilmasseurs auszuüben.

Die Beschwerden behaupten die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (nämlich des Wortes "direkte" in § 84 Abs 7 MMHmG sowie des § 1 Abs 5 MMHmG); darin wird auch der Antrag gestellt, die angefochtenen Bescheide kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangten Behörden haben die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Die - den Qualifikationsnachweis für Heilmasseure betreffende - Übergangsbestimmung des § 84 MMHmG (idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 66/2003) lautet samt Überschrift:

"Gewerbliche Masseure

§84. (1) Personen, die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes

1. die Befähigung für das reglementierte Gewerbe der Massage gemäß der Verordnung über den Befähigungsnachweis für das gebundene Gewerbe der Masseure, BGBl. Nr. 618/1993, auf Grund einer erfolgreich abgelegten Prüfung nach dem nachgewiesen haben und

2. das reglementierte Gewerbe der Massage (§94 Z 48 GewO 1994) tatsächlich und rechtmäßig selbständig über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren ausgeübt haben,

sind berechtigt, bis zum Ablauf des eine Aufschulung zum Heilmasseur gemäß diesem Bundesgesetz zu absolvieren.

(2) Personen, die

1. vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes das reglementierte Gewerbe der Massage tatsächlich und rechtmäßig selbständig über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren ausgeübt haben und

2. die Befähigung für das reglementierte Gewerbe der Massage ohne Absolvierung einer entsprechenden fachlichen Prüfung rechtmäßig erlangt haben und

3. bis zum Ablauf des vierten dem In-Kraft-Treten folgenden Jahres die Befähigungsprüfung gemäß § 2 der Verordnung über den Befähigungsnachweis für das gebundene Gewerbe der Masseure, BGBl. Nr. 618/1993, erfolgreich absolvieren,

sind berechtigt, bis zum Ablauf des eine Aufschulung zum Heilmasseur gemäß diesem Bundesgesetz zu absolvieren.

(3) Die Aufschulung gemäß Abs 1 und 2 besteht aus

1. einer theoretischen Ausbildung in der Dauer von 360 Stunden und einer praktischen Ausbildung in der Dauer von 80 Stunden sowie

2. der kommissionellen Abschlussprüfung (§54).

(4) Personen, die die kommissionelle Abschlussprüfung gemäß Abs 3 Z 2 mit Erfolg abgelegt haben, ist ein Zeugnis, in dem jedenfalls die gesetzliche Grundlage für die Antrittsberechtigung, der Prüfungserfolg sowie die Berufsbezeichnung 'Heilmasseur'/'Heilmasseurin' anzuführen sind, auszustellen.

(5) Die Ausbildung und die kommissionelle Abschlussprüfung gemäß Abs 3 dürfen zweimal wiederholt werden. Wird die zweite Wiederholungsprüfung nicht erfolgreich absolviert, ist die Absolvierung der verkürzten Ausbildung zum medizinischen Masseur gemäß § 26 und in weiterer Folge die Absolvierung des Aufschulungsmoduls zum Heilmasseur zulässig.

(6) Ein Zeugnis gemäß Abs 4 gilt als Qualifikationsnachweis gemäß § 36 Z 4.

(7) Gewerbliche Masseure, deren qualifizierte Leistungserbringung durch direkte Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes nachgewiesen ist, können auch ohne Aufschulung eine Tätigkeit als Heilmasseur ausüben."

Mit Erkenntnis vom , G21/04 ua., hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "durch direkte Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern" in § 84 Abs 7 MMHmG als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Hinsichtlich des Anlassfalles ist daher so vorzugehen, als hätte die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Sachverhaltes nicht mehr der Rechtsordnung angehört. Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, stehen solche Fälle gleich, die zu Beginn der mündlichen Verhandlung (sollte eine solche nicht stattfinden: zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986, 11.711/1988).

3. Die nichtöffentliche Beratung in dem zu G21/04 ua. geführten Verfahren begann am . Die vorliegenden Beschwerden waren vor diesem Zeitpunkt beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Nach dem soeben Gesagten stehen die Fälle daher einem Anlassfall gleich.

4. Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet.

Nach der bereinigten Rechtslage ist der vorgeschriebene Qualifikationsnachweis - auch - erbracht, wenn die Anforderungen des § 84 Abs 1 oder Abs 2 MMHmG erfüllt sind und eine (die in § 84 Abs 3 MMHmG vorgesehene "Aufschulung" entbehrlich machende) "qualifizierte Leistungserbringung" (§84 Abs 7 MMHmG) zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes nachgewiesen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, lässt sich vor Gewährung des Parteiengehörs zur bereinigten Rechtslage nicht abschließend beurteilen. Soweit der belangte Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich dazu in seiner Gegenschrift Stellung genommen hat, vermag dies eine auf Grund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens gegebene nachvollziehbare Bescheidbegründung nicht zu ersetzen (vgl. , VfSlg. 16.797 mwN). Nach Lage des Falles ist es daher nicht ausgeschlossen, dass die Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesstelle für die Rechtsposition der beschwerdeführenden Parteien nachteilig war.

Die beschwerdeführenden Parteien wurden somit durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. Da es dem Beschwerdevertreter möglich und zumutbar gewesen wäre, gegen die zu B1390-1395/03, 1397 und 1398/03, zu B 1419 und 1420/03, zu B1449/03 und 1457-1466/03, zu B1467-1471/03 und 1480/03, zu B1515-1521/03, zu B1560-1565/03, zu B1605-1609/03, zu B1690-1697/03, zu B1751-1757/03, zu B6 und 7/04 sowie zu B 108 und 109/04 bekämpften Bescheide jeweils eine gemeinsame Beschwerde einzubringen, war für die sonach zu verbindenden Beschwerden lediglich jeweils ein Pauschalsatz (zuzüglich des Streitgenossenzuschlages gemäß § 15 RATG) zuzusprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , B953/03 und B954/03).

Die zugesprochenen Kosten enthalten Streitgenossenzuschläge in Höhe von insgesamt EUR 5.150,25, Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt EUR 4.627,05 sowie den Ersatz der für jede Beschwerde entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) in Höhe von insgesamt EUR 11.520,--.

6. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.