zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 15.12.1993, 7Ob629/93

OGH vom 15.12.1993, 7Ob629/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Rebecca ***** R*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft S***** als bestellter Vormund, infolge außerordentlichen Rekurses des Vaters Johann R*****, vertreten durch Dr.Helmut A.Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 2 b R 101/93-115, womit infolge Rekurses 1) der Großeltern des Kindes, Anna B***** und Albert B*****, beide vertreten durch Dr.Dietmar Ritzberger und Dr.Erich Janovsky, Rechtsanwälte in Schwaz und 2) der Bezirkshauptmannschaft S***** der Beschluß des Bezirksgerichtes Schwaz vom , GZ P 91/91-100, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern der Rebecca R***** wurde am aus dem Verschulden beider Ehegatten geschieden. In dem am geschlossenen und pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vergleich vereinbarten sie, daß die Elternrechte der Mutter Sieglinde R***** zustehen.

Am sprach der Vater Johann R***** beim Erstgericht vor und teilte mit, daß die Mutter psychische Probleme habe und nicht in der Lage sei, die Obsorge für das Kind auszuüben. Die derzeitige Unterbringung des Kindes bei den mütterlichen Großeltern entspreche nicht dem Wohl des Kindes. Er sei bereit, die Obsorge zu übernehmen, stelle derzeit aber keinen konkreten Antrag, weil er eine einvernehmliche Lösung mit der Mutter anstrebe.

Am selben Tag verübte die Mutter Sieglinde R***** Selbstmord. Deshalb stellte der Vater am den Protokollarantrag auf Übertragung der Obsorge an ihn.

Die mütterlichen Großeltern Anna und Albert B***** sprachen sich dagegen aus und beantragten ihrerseits am die Zuteilung der Obsorge. Die ebenfalls am hiezu befragte mj.Rebecca gab an, daß sie bei ihren Großeltern bleiben wolle.

Mit Beschluß vom bestellte das Erstgericht vorläufig den Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft S*****) gemäß § 211 ABGB zum Vormund.

Mit Beschluß vom übertrug das Erstgericht die Obsorge dem Vater und wies den diesbezüglichen Antrag der mütterlichen Großeltern ab. Es ging von folgenden, teils im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen aus:

Nach der Scheidung ihrer Eltern lebte Rebecca mit ihrer Mutter bis 1988 bei den mütterlichen Großeltern. Rebecca fiel im Kindergarten durch ihr introvertiertes Verhalten auf. Im Jahr 1988 übersiedelte die Mutter mit Rebecca nach Wattens und war dort bei der Firma S***** beschäftigt. Rebecca besuchte drei Jahre lang die Volkschule in W*****. 1991 nahmen die mütterlichen Großeltern die mj.Rebecca in ihren Haushalt, um die Mutter, deren psychische Probleme zunahmen, zu entlasten. Vor ihrem Selbstmord äußerte die Mutter die Absicht, Rebecca im Herbst 1992 wieder zu sich zu nehmen. Sie sollte die Hauptschule in W***** besuchen. Obwohl Rebecca in der Volksschule einen sehr guten Schulerfolg erzielte, bestand nicht die Absicht, sie das Gymnasium besuchen zu lassen, weil Rebecca dies nicht wollte.

Im Schuljahr 1992/93 besuchte Rebecca die Hauptschule in S*****. Sie wurde in allen Fächern in die erste Leistungsgruppe eingestuft und hat keine Lernschwierigkeiten. Sie betreibt Sport, verbringt die Freizeit mit Schulfreunden und verhält sich auch in der Klassengemeinschaft umgänglich und hilfsbereit.

Rebecca hat in der Wohnung der Großeltern, die aus vier Zimmern, Küche und Bad besteht, ihr eigenes Zimmer. Im Keller ist für Rebecca eine Spielecke zum Basteln und Bauen eingerichtet. Ihr steht ein großer Garten zur Verfügung. Die am geborene mütterliche Großmutter Anna B***** ist Hausfrau. Der Großvater Albert Braun, geboren am , ist Pensionist.

Rebecca fühlt sich bei den Großeltern wohl. Sie bieten ihr ein geordnetes Familienleben, Geborgenheit und Liebe und bemühen sich auch, das Kind nach Kräften zu fördern.

Die väterlichen Großeltern kommen für die Obsorge nicht in Betracht. Der väterliche Großvater ist bereits verstorben, die väterliche Großmutter ist 82 Jahre alt.

Auch der eheliche Vater "hängt" an seinem Kind und hat sich im Rahmen der Besuchsregelung stets um Rebecca bemüht. Rebecca genießt die Wochenenden, die sie beim Vater verbringt. Dieser gibt ihr die Möglichkeit, ihrem Hobby, dem Reiten, nachzugehen. Sie verbringt auch einen Großteil der Schulferien bei ihm.

Der Vater ist als Erzieher in der Gastgewerbeschule in A***** tätig, wobei er sich als konsequenter und guter Erzieher erweist. Er ist aufgrund seines Berufes besonders geeignet, Rebecca in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu fördern. Er verfügt über eine Eigentumswohnung in V***** in der Größe von 76 m2. Auch dort hat Rebecca ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Sie ist dort bis zur Trennung der Eltern aufgewachsen. Der Vater hat eine sogenannte Blockarbeitszeit, wonach er von Montag Mittag bis zum Dienstag der folgenden Woche Dienst verrichten muß und nur in der Zeit von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr und von 14.30 Uhr bis 17.00 Uhr dienstfrei hat. Die übrige Zeit und auch etwa 10 Wochenenden im Jahr muß er sich im Internat aufhalten. An diesen "Dienstblock" schließen 13 freie Tage an. Während der dienstfreien Zeit kann sich der Vater persönlich um das Kind kümmern. In der Zeit der arbeitsbedingten Abwesenheit hat er die Möglichkeit, Rebecca durch seine Lebensgefährtin Annemarie M***** in seiner Wohnung in V***** betreuen zu lassen. Auch ein Bekannter in W***** stünde notfalls zur Verfügung.

Der Vater und die mütterlichen Großeltern sind verfeindet. Diese Situation belastet Rebecca sehr, zumal Anfeindungen auch vor ihr ausgetragen werden. Sowohl die mütterliche Großmutter als auch der Vater sind zwei dominante Persönlichkeiten. Bei den Großeltern handelt es sich jedoch nicht um psychisch gestörte oder aggressive Personen, die Rebecca völlig unter Druck gesetzt hätten. Es ist auch nicht richtig, daß der Vater eine unerträgliche Person sei, der in der Lage sei, den Mitmenschen die Lebensfreude zu nehmen. Es geht ihm auch nicht nur um die Durchsetzung von Prinzipien.

Die Erziehung der mütterlichen Großeltern verlief nicht immer gewaltfrei. Die Großmutter versetzte Rebecca, als diese 10 Jahre alt war, einmal eine Ohrfeige. Der Großvater gab ihr, als sie vier Jahre alt war, einmal einen Klapps auf das Gesäß. Das Kind war von diesen Schlägen offenbar betroffen.

Daß Rebecca den Wunsch, bei den Großeltern zu bleiben, unter Druck der Großeltern geäußert hätte, kann nicht festgestellt werden.

Den in erster Instanz erhobenen Vorwurf der mütterlichen Großeltern, daß die beigezogene kinder- und jugendpsychologische Sachverständige befangen sei, bezeichnete das Erstgericht als unbegründet. Es erscheine auch die für das Verfahren wesentliche Aussage der Sachverständigen plausibel, daß Rebecca aufgrund der derzeitigen seelischen Streßsituation und der seelischen Belastung durch den Tod ihrer Mutter nicht in der Lage sei, die volle Entscheidung hinsichtlich der Obsorgeregelung zu übernehmen und daß es dem Kind dienlich sei, ihm diese Entscheidung abzunehmen, um Schuldgefühle nicht zu verstärken.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß - mit Ausnahme der gegenseitigen Feindschaft - keine Umstände vorlägen, welche grundsätzlich die mütterlichen Großeltern oder den ehelichen Vater für die Ausübung der Obsorge ungeeignet erscheinen ließen. Für die Großeltern spreche, daß Rebecca nicht aus ihrer bisherigen Umgebung gerissen werden müsse und daß diese in der Lage seien, sich ununterbrochen um das Kind zu kümmern. Für den Vater spreche, daß er aufgrund der Besuchsrechtsausübung mit dem Kind vertraut sei und daß er infolge seines Berufes das Kind besser fördern könne. Er verfüge auch über genügend Freizeit, um das Kind persönlich betreuen zu können. Er sei auch bereit, dem Kind den Wechsel zu ihm dadurch zu erleichtern, daß er es unter Einbeziehung der Großeltern psychologisch betreuen lasse und damit an der Beendigung der Feindschaft zwischen ihm und den Großeltern mitwirke. Das Wohl des Kindes erscheine beim Vater eher gewährleistet. Ihm gebühre als leiblicher Elternteil der Vorrang gegenüber den gemäß § 145 ABGB ebenfalls in Betracht kommenden Großeltern. Der Wunsch des Kindes, bei den mütterlichen Großeltern zu bleiben, sei einerseits durch den Tod der Mutter und andererseits durch die Feindschaft durch die in Frage kommenden Personen belastet, sodaß sich Rebecca in einer Loyalitätskrise befinden müsse. Ihr Wunsch sei daher nicht ausschlaggebend.

Das Gericht zweiter Instanz änderte den erstgerichtlichen Beschluß im Sinne einer Zuteilung der Obsorge an die mütterlichen Großeltern ab. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nach § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei. Das Erstgericht habe zwar "mit gutem Grund" sowohl dem Vater als auch den mütterlichen Großeltern die grundsätzliche Eignung, das Kind zu erziehen, zugebilligt. Der vom Erstgericht genannte Vorzug für den leiblichen Elternteil sei jedoch aus § 145 Abs 1 ABGB nicht ableitbar. Es sei zwar auch der Vater zur Obsorge geeignet. Für die Zuteilung der Obsorge an die Großeltern spreche jedoch, daß sich der Vater infolge seiner beruflichen Umstände über erhebliche Zeiträume nicht selbst um die Betreuung des Kindes kümmern könne. Die persönliche Eignung der vom Vater hiefür in Aussicht genommenen Personen sei in diesem Verfahren nicht zur Debatte gestellt worden. Die Großeltern hätten hingegen die Obsorge bereits faktisch über lange Zeit ohne ernsthaften Grund zur Beanstandung ausgeübt und böten dem Kind ein geordnetes Familienleben. Die Kontinuität der schon bisher bewährten Betreuung sei von maßgeblicher Bedeutung und entspreche sowohl den Vorstellungen des Jugendwohlfahrtsträgers als auch dem ausdrücklichen Wunsch des Kindes. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses lägen nicht vor, weil keine erheblichen Rechtsfragen zu lösen, sondern nur die besonderen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen gewesen seien.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der erheblichen Rechtsfrage fehlt, ob gemäß § 145 ABGB in der seit geltenden Fassung ein Vorrecht des anderen ehelichen Elternteils gegenüber den Großeltern besteht, wenn der bisher allein obsorgeberechtigte eheliche Elternteil im Sinn des § 145 ABGB an der Obsorge gehindert ist.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung der zweiten Instanz berechtigt.

Vor dem Inkrafttreten des Kindrechtsänderungsgesetzes 1989 sahen die §§ 145 und 145 a ABGB vor, daß in einem solchen Fall das Recht auf Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung ex lege auf den anderen ehelichen Elternteil übergehe. Der diesen Übergang feststellende Beschluß (§ 145 Abs 3 ABGB aF) hatte lediglich deklarative Wirkung. (Nur) für den Fall, daß beide ehelichen Eltern betroffen waren, hatte das Gericht unter Beachtung des Kindeswohls zu entscheiden, ob und welchem Großelternpaar (Großelternteil) die Pflege und Erziehung des Kindes zustehen sollten.

Nunmehr steht gemäß § 145 ABGB in der Fassung des Kindrechtsänderungsgesetzes 1989 die Obsorge dem anderen Elternteil ex lege zwar ebenfalls dann zu, wenn beide Elternteile gemeinsam obsorgeberechtigt waren und einer von ihnen aus den in § 145 ABGB angeführten Gründen wegfällt. Ist jedoch der Elternteil, dem die Obsorge allein zukam, betroffen, "so hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden, ob die Obsorge ganz oder teilweise dem anderen Teil oder ob und welchem Großelternpaar (Großelternteil) sie zukommen soll; letzteres gilt auch, wenn beide Elternteile betroffen sind". Der gemäß § 145 Abs 2 ABGB zu fassende Beschluß hat nur mehr in jenem Fall bloß deklarative Bedeutung, in dem derjenige Elternteil, auf den die Obsorge übergeht, ebenfalls obsorgeberechtigt war. In allen anderen Fällen muß das Außerstreitgericht über die Obsorgezuteilung (konstitutiv) entscheiden.

Aus dem Wortlaut des geltenden § 145 ABGB ist ein Vorrecht des anderen, verbleibenden Elternteils gegenüber dem Großelternpaar nicht abzuleiten (Pichler in Rummel2 I, Rz 2 a zu § 145 ABGB;3 Ob 127/93).

Klein-Strauß-Brosch, KindrechtsänderungsG in ÖA 1989, 74, Rz 3 zu § 145 ABGB, vertreten - allerdings ohne nähere Begründung - die Ansicht, daß für die Zuteilung der Obsorge bei Ausfall des alleinigen Erziehungsberechtigten eine Priorität des anderen Elternteiles vor den Großeltern "bei gleichwertigen Voraussetzungen" bestehe.

Pichler (in Rummel aaO und in JBl 1989, 678) meint, daß sich ein solches Vorrecht aus dem in § 198 ABGB aufscheinenden Gedanken der näheren Verwandtschaft, aber auch aus Art 8 Abs 1 EMRK ergebe.

Nach den Materialien zum KindrechtsänderungsG stand bei der Neuregelung des § 145 ABGB im Vordergrund, der Kritik am ursprünglichen Vorhaben (vgl die nicht realisierte RV eines BG über zivilrechtliche Bestimmungen zur Förderung der Jugendwohlfahrt, 677 BlgNR 16.GP, 13, Erl zu Z 9) Rechnung zu tragen, wonach dem unehelichen Vater eines Kindes bei Wegfall der Mutter ex lege die Rechte der Pflege und Erziehung, der Vermögensverwaltung und Vertretung zukommen sollten. Die Kritik führte ins Treffen, daß der uneheliche Vater selbst an einem solchen Rechtsübergang nicht interessiert sei, keinen Kontakt zum Kind habe, dadurch vom Rechtsübergang gar nichts erfahre und hiedurch das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Diese Kritik wurde als überzeugend und schwerwiegend erkannt. Der Inhalt des - damals - geltenden § 170 ABGB und insbesondere dessen Verweisung auf § 145 ABGB führe nämlich dazu, daß ein uneheliches Kind, das mit seiner Mutter und deren Eltern in einem geordneten Familienverband lebe, im Fall des Todes seiner Mutter von Gesetzes wegen zum Vater kommen müßte. Auch der Übergang der Vermögensverwaltung und gesetzlichen Vertretung auf den anderen Elternteil sei nicht immer sinnvoll, vor allem dann, wenn ein entsprechender Kontakt zwischen beiden Eltern - wie häufig bei den Eltern eines unehelichen Kindes - nicht bestehe. Es sei daher nötig gewesen, die den Übergang elterlicher Rechte regelnden §§ 144 ff ABGB in einer solchen Weise anzupassen, daß sie für eheliche Kinder meistens keine wesentliche Abweichung von der bisherigen Rechtslage bringen, für uneheliche Kinder aber ebenfalls anwendbar gemacht werden könnten. Deshalb solle der automatische Übergang von elterlichen Rechten von einem im Sinn des § 145 Abs 1 ABGB behinderten Elternteil auf den anderen Elternteil völlig beseitigt werden (vgl die letztlich in Behandlung gezogene RV 172 BlgNR 17.GP 13 f, Erl zu den Z 1, 2, 6 und 25). Durch die letztlich in Kraft getretene Regelung des § 145 ABGB sollte diese Bestimmung "wieder an das geltende Recht weitgehend herangeführt" werden. Der § 145 Abs 1 erster Satz ABGB sollte diesem Gedanken Rechnung tragen (vgl den AB 887 BlgNR 17.GP, 2, Bem zu Art I Z 1 bis 4 ua). Wenn auch in diesen Materialien auf den Fall des ehelichen Kindes, dessen nach der Scheidung obsorgeberechtigter Elternteil wegfällt, nicht ausdrücklich Bezug genommen wird, läßt sich doch aus den zitierten Formulierungen ableiten, daß der Gesetzgeber an den bisher für die Beziehungen zwischen ehelichen Eltern und ihrem Kind geltenden Rechtsgrundsätzen nichts wesentliches ändern wollte.

Im Unterschied zu jenem - offenbar dem Gesetzgeber vorschwebenden - Prototyp des unehelichen Vaters, der von vorneherein weder am Kind noch an der Ausübung der Obsorge interessiert war und dem es nur recht ist, daß sich jemand anderer um das Kind kümmert, wird bei der Scheidung der auf die Obsorge verzichtende Elternteil im Regelfall entweder durch die gerichtliche Entscheidung zur Aufgabe seiner diesbezüglichen Elternrechte gezwungen oder erklärt sich notgedrungen damit einverstanden, um den betroffenen Personen und insbesondere auch dem Kind weitere Schwierigkeiten zu ersparen. Der Verlust der Obsorge durch Übertragung an den anderen Elternteil beruht im Fall der Scheidung in den überwiegenden Fällen nicht darauf, daß der andere Elternteil das Wohl des Kindes gefährdet hat oder gefährden wird (§ 176 ABGB) oder aus sonstigen Gründen ungeeignet ist.

Die Gleichstellung des anläßlich der Scheidung auf die Obsorge verzichtenden Elternteiles mit den Großelternpaaren hätte zur Konsequenz, daß das Gericht im Fall eines Antrages des nicht obsorgeberechtigten Elternteiles auf Übertragung der Obsorge auf ihn jeweils auch zu prüfen hätte, ob das Wohl des Kindes allenfalls bei den Großeltern gewährleistet wäre, wenn es den die Entziehung der Obsorge umfassenden Antrag im Sinn des § 176 ABGB für grundsätzlich berechtigt hält. Es riskierte daher der in einem solchen Fall antragstellende Elternteil, sein Kind, auf das er unter den durch die Scheidung hervorgerufenen Umständen mehr oder weniger gezwungenermaßen verzichtet hat, trotz seines grundsätzlich berechtigten Antrages an die Großeltern zu "verlieren". Eine derartige Absicht kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Es entspricht auch nicht der Praxis der österreichischen Gerichte, in solchen Fällen sämtliche noch lebende Großelternteile in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen.

Abgesehen davon, daß eine Schlechterstellung des ehelichen Elternteiles gegenüber den Großeltern des Kindes durch die Neufassung des § 145 ABGB offenbar nicht beabsichtigt war und auch alle übrigen, das Verhältnis zwischen ehelichen Eltern und Kindern im weitesten Sinn regelnden Bestimmungen den ehelichen Elternpaaren und Elternteilen das Vorrecht vor den Großeltern einräumen, verbietet auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 145 Abs 1 ABGB eine Gleichstellung der ehelichen Elternteile mit den Großeltern. Art 8 EMRK schützt das Recht auf das Privat- und Familienleben. Da das Familienleben der Eltern nach der Scheidung aufhört, ist es zwar legitim, für die Beziehungen geschiedener Eltern und ihren Kindern andere Regelungen aufzustellen als für intakte Familieneinheiten. Art 8 EMRK räumt aber keinem Elternteil bei Zuspruch der Sorgerechte einen Vorzug auf Kosten des anderen Elternteils ein. Der Zuspruch an den einen Elternteil stellt daher stets einen Eingriff in das Familienleben des anderen Elternteils dar, der nach Art 8 Abs 2 EMRK zu rechtfertigen ist (Golsong ua, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Rz 400 zu Art 8). Das Zusammenleben von Eltern und ihren Kindern ist ein grundlegendes Element der Garantie des Art 8 EMRK. Vorübergehende oder gar dauernde erzwungene Trennungen stellen schwerwiegende Eingriffe in das Familienleben dar. Bei solchen Eingriffen muß zwar dem nationalen Gesetzgeber und den zur Entscheidung berufenen Institutionen ein erheblicher Ermessensspielraum verbleiben; dessen wesentliches Kriterium ist aber stets das Kindeswohl. Eingriffe in das Familienleben müssen im Sinn des Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt sein (Golsong ua aaO Rz 392 und 394; Frowein/Peukert, EMRK Kommentar, Rz 21, 22 zu Art 8).

Ist daher das Wohl des Kindes auch bei jenem Elternteil gewährleistet, der zunächst im Familienverband mit dem Kind gelebt, dann aber aufgrund der Scheidung das ihm bis dahin zustehende Recht zur Obsorge an den anderen, ihm gleichrangig gegenüberstehenden Elternteil verloren hat, ist auch bei einer dem Art 8 EMRK entsprechenden Auslegung dem verbleibenden Elternteil der Vorzug vor allen anderen in Frage kommenden Personen zu geben.

Ob eine Gleichstellung von (mütterlichen) Großeltern mit dem unehelichen Vater anzunehmen ist, wenn die uneheliche Mutter als bisher Obsorgeberechtigte wegfällt (bejahend: 2 Ob 527/93) oder ob (auch) dem leiblichen Vaters eines unehelichen Kindes gegenüber allen anderen Personen primär die Obsorge zukommt (in diesem Sinn 6 Ob 521/93, allerdings in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall in Konkurrenz mit Pflegeeltern), kann hier dahingestellt bleiben.

In Fällen wie dem hier vorliegenden hat jedoch der eheliche Elternteil bei der Zuteilung der Obsorge das Vorrecht vor den Großelternpaaren und Großelternteilen, wenn das Wohl des Kindes bei allen in Betracht kommenden Personen in annähernd gleicher Weise gewährleistet ist. Auf eine bloß nuancierte, zugunsten der Großeltern ausfallende Abwägung kann es hiebei nicht ankommen.

Zu den weiteren Ausführungen im Revisionsrekurs ist zu erwägen:

Es ist richtig, daß die Eignung der Lebensgefährtin des Vaters und der sonstigen, von ihm zur Betreuung des Kindes während seiner berufsbedingten Verhinderung in Aussicht genommenen Personen näher untersucht hätte werden müssen, wenn die Untergerichte gegen diese Art der Unterbringung Bedenken gehabt hätten. Abgesehen davon, daß die kinder- und jugendpsychologische Sachverständige die in Frage kommende Lebensgefährtin in ihre Exploration einbezogen hat (ON 83, AS 337), kann die Frage nach ihrer Eignung und der Eignung allfälliger weiterer Personen nicht damit abgetan werden, daß dies im Verfahren "nicht zur Diskussion" gestanden sei.

Der Umstand, daß eine weitere Prüfung in der aufgezeigten Richtung unterblieben ist, bildet aber entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs keinen Nichtigkeitsgrund. Das Rekursgericht wird sich vielmehr bei seiner neuerlichen Beschlußfassung mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob dem Erstgericht insoweit ein Verfahrensmangel unterlaufen ist.

Aufgrund der vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht, daß von einer Gleichrangigkeit des Vaters und der mütterlichen Großeltern bei der Frage der Zuteilung der Obsorge auszugehen sei, hat es das Rekursgericht unterlassen, auf die im Rekurs der mütterlichen Großeltern gegen die die Eignung des Vaters bejahenden Feststellungen des Erstgerichtes angeführten Argumente einzugehen. Die Großeltern haben insbesondere das dem Erstgericht als wesentliche Entscheidungsgrundlage dienende, eindeutig dem Vater den Vorzug gebende Gutachten der kinder- und jugendpsychologischen Sachverständigen als unrichtig bekämpft. Sie rügen als mangelhaft, daß das Kind nicht neuerlich angehört worden sei. Als (weiteren) Verfahrensmangel machen sie den Umstand geltend, daß das Erstgericht den in ihrem Schriftsatz vom (ON 94) gestellten Antrag auf Beiziehung eines anderen Sachverständigen, und zwar eines Facharztes aus dem Bereich der Kinderpsychologie, nicht entsprochen und auf die gegen die Gutachterin sprechenden Ausführungen nicht eingegangen sei. Das Rekursgericht wird sich mit all diesen im Rekurs enthaltenen Beweis- und Mängelrügen, die in ihrer Gesamtheit primär auf die mangelnde Eignung des Vaters zur Übernahme der Obsorge abzielen, zu befassen haben.

In rechtlicher Hinsicht wird das Rekursgericht bei seiner neuerlichen Entscheidung zu beachten haben, daß die Berufsausübung des Vaters allein noch keinen Grund bilden kann, ihm die Obsorge für das Kind auch nur teilweise zu versagen. Auch die bei Rückstellung eines Kindes an einen Elternteil mit einem Wechsel regelmäßig verbundene vorübergehende Belastung des Kindes kann nicht zu einer Verwehrung der Obsorge führen. Sie ist in Kauf zu nehmen, wenn die Prognose für eine ordnungsgemäße Erziehung durch die Eltern bzw den Elternteil spricht (vgl zu beiden Fragen RZ 1991/80 = EFSlg 65.903 mwN).

Die Meinung eines - noch unmündigen - Kindes kann bei der Obsorgeentscheidung des Gerichtes nicht grundsätzlich ausschlaggebend sein. § 178 b ABGB sagt entgegen seiner Überschrift nichts darüber aus, ob die Meinung des Kindes auch zu berücksichtigen ist. Die Anhörung des Kindes dient in Wahrheit bloß dazu, daß der Richter die entscheidungswesentlichen Umstände auch aus der Sicht des Kindes und dessen Empfindungen erkennen und ins Klare setzen kann. Es entspricht gesicherter psychologischer Erkenntnis, daß die Befragung des Kindes nach seiner Präferenz für den einen oder den anderen Elternteil - abgesehen von der entwicklungspsychologisch erklärbaren Unverläßlichkeit und fehlenden Signifikanz solcher Präferenzäußerungen - die befragten Kinder in hohem Maß überlastet und mit großer Wahrscheinlichkeit in schwere Loyalitätskonflikte und Schuldgefühle oder gar Vergeltungsängste stürzt (EvBl 1993/13). Es müßten daher auch hier gewichtige Umstände ins Treffen geführt werden, warum im vorliegenden Fall dem Wunsch des Kindes überragende Bedeutung zukommt.