OGH vom 28.11.1991, 7Ob629/91
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Siegfried K*****, vertreten durch Dipl.Dolm. Dr. Gertraud Guschlbauer-Lepolt, Rechtsanwältin in Leoben, wider die beklagte Partei Paul R*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom , GZ R 223/91-43, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom , GZ 6 C 996/89w-38, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Beklagte war bis mit Gerlinde R***** verheiratet, die Mieterin eines Reihenhauses in Trofaiach war, das als Ehewohnung diente. Gerlinde R***** kündigte das Bestandverhältnis zum auf. Am vermietete die Eigentümerin das Reihenhaus an den Kläger, der vom Beklagten die Räumung wegen titelloser Benützung begehrt. Den Wert des Streitgegenstandes gab der Kläger mit S 12.000 an.
Das Reihenhaus liegt in einer beliebten Wohngegend und besteht aus einem Wohnzimmer, einer Küche, einem Badezimmer mit Garderobe, einem über einen Stiegenaufgang erreichbaren Schlafzimmer, einem weiteren Zimmer und einer Abstellkammer. Die Nutzfläche ohne Keller beträgt 80 m2. Zum Haus gehört ein ca. 300 m2 großer Hausgarten, an dessen Beginn ein überdachter Autoabstellplatz liegt.
Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht entschied über die Berufung des Klägers trotz eines Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 501 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung im Sinne des Klagebegehrens und sprach aus, daß die ordentliche Revision jedenfalls unzulässig ist. Der Kläger habe gemäß § 56 Abs. 2 JN den Streitwert mit S 12.000 angegeben, und es liege kein Fall einer offensichtlichen Unterbewertung vor. Das Rechtsmittelverfahren sei bei einem S 15.000 an Geld oder Geldeswert nicht übersteigenden Streitgegenstand im § 501 ZPO abschließend geregelt. Es bedürfe auch keines Ausspruchs über den Wert des Streitgegenstandes.
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Beklagten ist zulässig, weil der Ausspruch nach § 500 Abs. 2 Z 2 ZPO weder die Parteien noch die Gerichte bindet und der Wahrnehmung einer Nichtigkeit immer eine erhebliche Bedeutung zur Wahrung der Rechtssicherheit zukommt (RZ 1991/75 mwN).
Die Revision ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, daß nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Rechtsmittelverfahren bei einem S 15.000 nicht übersteigenden Streitwert, vom Fall der offensichtlichen Unterbewertung abgesehen, in § 501 ZPO abschließend geregelt ist (RZ 1984/69; MietSlg. 38.788 ua). Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes liegt jedoch hier eine offensichtliche Unterbewertung durch den Kläger vor.
Die Bemessungsgrundlagen des Rechtsanwaltstarifes gelten nur für die Vertretungskosten und sind, entgegen der Meinung der Revisionsbeantwortung, für den für das Gericht maßgebenden Wert des Streitgegenstandes ohne Bedeutung. Hiefür gelten allein die Streitwertregeln der gerichtlichen Verfahrensvorschriften (JBl. 1980, 103). Klagen auf Räumung von Wohn- oder Geschäftsräumen, die auf titellose Benützung gestützt sind, gehören nicht zu den unter § 49 Abs. 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, für die § 502 Abs. 2 ZPO nicht gilt (MietSlg. 38.788). Sie gehören auch nicht zu den nach § 58 Abs. 2 JN zu bewertenden Streitigkeiten, wonach der Betrag des auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Zinses der Bewertung zugrundezulegen ist. Die Anwendung des § 58 Abs. 2 JN setzt voraus, daß das Vorliegen eines Bestandvertrages mit einer bestimmten Zinshöhe behauptet wird. Fehlt es an einer solchen Behauptung oder ist sie begrifflich nicht möglich, weil etwa auf Feststellung des Nichtbestehens eines Bestandvertrages geklagt wird, dann ist die Bewertung des Streitgegenstandes nach § 56 Abs. 2 JN vom Kläger vorzunehmen. Dies gilt auch für Übergabsbegehren aus titelloser Benützung (JBl. 1980, 103; EvBl. 1973/159). Bei Beurteilung der Frage, ob eine offensichtliche Unterbewertung durch den Kläger vorliegt, kommt den obgenannten Bestimmungen sowie dem letzten Satz des § 56 Abs. 2 JN, wonach bei Unterlassung der Bewertung durch den Kläger der Betrag von S 30.000 als Streitwert gilt, Bedeutung zu, da sich die Entscheidung an den aus dem Gesetz erkennbaren Wertungen des Gesetzgebers zu orientieren hat. Nach den aus den genannten Bestimmungen ersichtlichen Wertungen des Gesetzgebers kann es aber nicht zweifelhaft sein, daß bei Angabe eines Streitwertes einer Klage auf Räumung einer Wohnung der vorliegenden Art wegen titelloser Benützung von unter S 15.000 jedenfalls eine offensichtliche Unterbewertung vorliegt. Auf eine offensichtliche Unterbewertung durch den Kläger ist auch von Amts wegen Bedacht zu nehmen (EvBl. 1979/139; EvBl. 1988/47; 1 Ob 668/84). Die Bewertung des Klägers nach § 56 Abs. 2 JN bindet das Gericht nur für den Bereich der Zuständigkeit und der Gerichtsbesetzung (Fasching I 352 und III 868). Das Berufungsgericht hätte daher die offensichtliche Unterbewertung wahrnehmen und die Berufung des Klägers nicht ungeachtet des Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung und unter Beschränkung auf die Behandlung des Berufungsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nach § 501 ZPO behandeln dürfen. Die Entscheidung über eine Berufung in nichtöffentlicher Sitzung trotz eines Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung und ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 501 ZPO bildet einen Nichtigkeitsgrund nach § 447 Abs. 1 Z 4 ZPO (EFSlg. 57.785).
Demgemäß ist der Revision Folge zu geben und dem Berufungsgericht vorerst eine neue Entscheidung nach Behandlung auch der übrigen Berufungsgründe aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.