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OGH vom 24.02.1999, 9Ob324/98g

OGH vom 24.02.1999, 9Ob324/98g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Dr. Richard Josef K*****, Beamter, ***** vertreten durch Dr. Markus Tesar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Eva Elisabeth K*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Manfred Ainedter und Dr. Friedrich Trappel, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 44 R 606/98p-38, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 5 C 43/96h-30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.103,04 (darin S 1.183,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 11.491,04 (darin S 811,84 Umsatzsteuer und S 6.620 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am geheiratet. Der beidseits ersten Ehe entstammt ein am geborener Sohn.

Der Kläger begehrte die Scheidung dieser Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten und brachte vor, die Beklagte habe ihn am grundlos und ohne entsprechende Verständigung verlassen; er wisse nicht einmal, wo sie sich aufhalte. Davor habe sie schon den Haushalt grob vernachlässigt und ihn ab Herbst 1994 überwiegend allein gelassen. Sie habe jeden Kontakt abgelehnt. Zu der Zeit, als er nach einer Knochenmarkstransplantation pflegebedürftig gewesen sei, habe sie ohne wirtschaftliche Notwendigkeit eine unterbezahlte Beschäftigung angenommen, wodurch sie ihre eheliche Beistandspflicht verletzt habe. Sie habe Umbauarbeiten im gemeinsamen Wohnhaus begonnen, die aus ihrem Verschulden bislang nicht fertiggestellt worden seien, sodaß das ursprünglich bewohnbare Haus seit längerer Zeit als Baustelle nicht bewohnbar sei. Die Ehe sei daher aus dem Alleinverschulden der Beklagten so tief zerrüttet, daß eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei.

Die Beklagte wendete ein, daß die gesonderte Wohnungsnahme nicht unbegründet erfolgt sei. Seit 1989 habe sich der Kläger charakterlich verändert, er habe ihr keine Zuneigung entgegengebracht, sie herumkommandiert, beschimpft, herabgewürdigt und gedemütigt. Er sei grundlos aggressiv gewesen und sogar tätlich geworden. Dieses Verhalten habe bei ihr zu gesundheitlichen Problemen geführt, die sie auch in der Berufstätigkeit beeinträchtigten, sodaß ein weiterer Verbleib in der Ehewohnung aufgrund der psychischen Dauerbelastung nicht zumutbar gewesen wäre. Sie habe den Kläger über ihren neuen Aufenthalt nicht ausdrücklich informiert; durch den Nachsendeauftrag müßte er aber Kenntnis von ihrem Aufenthalt gehabt haben, er hätte sie auch an ihrem Arbeitsplatz anrufen können. Der Kläger habe, als sie 1993 nach einem Schlaganfall vom Spital nach Hause gekommen sei, lediglich von ihr die Erfüllung ihrer Haushaltspflichten gefordert. Die Ehe sei zwar tiefgreifend zerrüttet, dies sei jedoch auf das alleinige Verschulden des Klägers zurückzuführen, weshalb die Scheidungsklage abzuweisen sei. Eventualiter beantragte sie, das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

In der Ehe der Streitteile gab es von Anfang an immer wieder Meinungsverschiedenheiten, aus denen sich auch verbale Auseinandersetzungen entwickelten; in grundlegenden Fragen waren sich die Ehegatten bis zur Erkrankung des Klägers jedoch einig. Bei der Heirat war der Kläger voll berufstätig und studierte nebenbei Rechtswissenschaften. Die Beklagte war als Chemotechnikerin beschäftigt. Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes war die Beklagte mit einer Unterbrechung von Oktober 1977 bis April 1978 nicht berufstätig. Danach versuchte sie noch zweimal erfolglos, eine Arbeit zu finden. Der Haushalt wurde von der Beklagten allein geführt. Wenn sie den Kläger um Mithilfe im Haushalt ersuchte, kam er ihrem Wunsch nach; selten bot er von sich aus seine Mithilfe im Haushalt an. In Ausnahmesituationen, wie zB nach der Geburt des Kindes, als es der Beklagten gesundheitlich schlecht ging, übernahm der Kläger die Haushaltsführung. Ebenso versorgte er sich selbst, wenn sich die Beklagte mit dem Kind im Haus in Altenberg, welches die Ehegatten 1981 erwarben, aufhielt.

Ende 1990 traten die ersten Anzeichen der Erkrankung des Klägers auf, er war oft müde und geriet leicht außer Atem; gleichzeitig wurde er immer grantiger und unzufriedener; sein Hang zum Nörgeln und Kritisieren verstärkte sich. Im Jänner 1991 wurde bei ihm Leukämie festgestellt, diese Diagnose war für beide Ehegatten ein einschneidendes Erlebnis. Die Beklagte begleitete den Kläger am Anfang zu den Untersuchungen ins AKH, in der Folge lehnte dieser ihr Mitkommen jedoch mit der Begründung ab, daß sie nur am Gang herumsitzen und auf ihn warten müsse. Damals empfand sich die Beklagte zum ersten Mal als ausgeschlossen. Dennoch zeigte sie weiterhin reges Interesse am Verlauf und der Behandlung der Erkrankung des Klägers. Wenn er sich in stationärer Behandlung befand, besuchte sie ihn täglich, bei der Zubereitung seiner Mahlzeiten stellte sie sich auf seine Bedürfnisse ein. Nicht feststellbar war, daß sie sich durch die Notwendigkeit, für den Kläger, der weiterhin arbeiten ging, nunmehr am Abend eine warme Mahlzeit zubereiten zu müssen, belastet gefühlt oder dies zum Ausdruck gebracht hätte. Der Kläger hingegen zog sich mit der Zeit immer mehr zurück. Statt auch seine Ängste im Gespräch mit der Beklagten aufzuarbeiten, beschäftigte er sich intensiv mit wissenschaftlicher Literatur zum Thema Leukämie und klammerte die psychischen Aspekte seiner Erkrankung zumindest nach außen völlig aus. Für die Beklagte stellte er sich zunehmend als unnahbar und abweisend dar. Dazu kam, daß sich sein Hang zum Kritisieren und Nörgeln verstärkte, er sich bereits über Kleinigkeiten leicht aufregte und laut wurde, sie öfter beschimpfte und ihr von ihr gesetzte Verhaltensweisen, die sie als normal empfand, zum Vorwurf machte. Schließlich wünschte er, von ihr nicht mehr berührt zu werden. Die Beklagte verstand zwar, daß der Kläger in dieser schweren Phase seines Lebens auf seine Person fixiert war, und versuchte am Anfang der Erkrankung auch immer wieder, auf ihn zuzugehen und mit ihm über seine persönliche Situation zu sprechen. Als der Kläger darauf jedoch nicht einging, beschränkte sie sich darauf, für ihn zu kochen und jene Dinge zu erledigen, die er selbst nicht besorgen konnte. Dieser emotionale Rückzug des Beklagten störte unausgesprochen wieder den Kläger, der ihr Verhalten aus seiner Sicht darauf reduzierte, sie fühle sich durch seine krankheitsbedingt gesteigerten Bedürfnisse belastet und kümmere sich ungern um ihn, schließlich sogar meinte, sie freue sich nicht über seine Genesung. Die psychische Situation der Beklagten war zwischen den Ehegatten überhaupt kein Thema.

Am wurde beim Kläger erfolgreich eine Knochenmarktransplantation vorgenommen, die schließlich zu seiner Heilung führte. Bevor er am aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bereitete die Beklagte alles für seine Heimkehr vor; sie machte sein Zimmer staubfrei und reinigte es mit Lysoform, auch erkundigte sie sich bei den Ärzten nach seinem Diätplan. Die Beklagte hielt sich bei der häuslichen Betreuung des Klägers in der Folge strikt an die ihr gegebenen Vorschriften, insbesondere an die isolierenden Maßnahmen. Obwohl die Wohnung im wesentlichen nur aus einem Zimmer, einer Küche und einem Kabinett bestand, war es wegen der Infektionsgefahr notwendig, daß der Kläger allein in einem Zimmer lebte und schlief. Wenn die Beklagte sein Zimmer betrat, mußten beide einen Gesichtsschutz anlegen. Da der Kläger zunächst auch im Bett halb sitzend, halb liegend aß, besorgte die Beklagte eine Schüssel mit einem höheren Rand, um ihm die Einnahme der Mahlzeiten zu erleichtern. Die Körperpflege konnte der Kläger - wie schon im Krankenhaus - alleine verrichten. Im übrigen war der Kläger selbst daran interessiert, sich, soweit möglich, selbst zu versorgen. Auch in der postoperativen Phase kapselte sich der Kläger trotz aller Bemühungen der Beklagten ab. Nachdem er in den ersten Tragen nach seiner Entlassung aus dem Spital kaum mit ihr gesprochen hatte, fragte sie ihn, ob er sie überhaupt als Ansprechpartner für seine persönliche Situation brauche. Die Antworten des Klägers waren nicht eindeutig und verstärkten bei der Beklagten das Gefühl, als Mensch überflüssig zu sein. In der Folge saß die Beklagte, sofern sie nicht Hausarbeit verrichtete oder Einkäufe oder Besorgungen machte, allein in der Küche, vermied es durch das Zimmer des Klägers durchzugehen, um ihn nicht zu stören, und wartete darauf, ob er nicht vielleicht nach ihr rufe und sie brauche. Während es somit für den Kläger im wesentlichen darauf ankam, daß jemand "da" war, die Mahlzeiten zubereitete und die Medikamente besorgte, wollte die Beklagte auch psychischen Beistand leisten, was ihr vom Beklagten aber verwehrt wurde, sodaß sie sich letztlich selbst in einem psychisch angespannten Zustand befand.

Während seiner Rekonvaleszenz bis August 1992, als er wieder öffentliche Verkehrsmittel benutzen durfte, wurde der Kläger zwei bis dreimal in der Woche von zu Hause abgeholt und in das Krankenhaus zu Kontrolluntersuchungen geführt. Am Anfang fuhr die Beklagte mit, später nicht mehr, weil der Kläger es ablehnte.

Am nahm die Beklagte, um sich abzulenken und der angespannten häuslichen Situation zu entrinnen, eine Beschäftigung auf. Bevor sie sich auf die Arbeitssuche begab, fragte sie den Kläger, ob ihm das recht sei. Dieser meinte, es gehe schon, sie solle sich eine Arbeit suchen. Zufällig fand die Beklagte rasch Arbeit. Bevor sie die Stelle annahm, wurde zwischen den Ehegatten nochmals besprochen, ob eine Ganztagsbeschäftigung der Beklagten mit dem Gesundheitszustand und der Betreuung des Klägers vereinbar ist. Fazit war, daß die Beklagte die Stelle annehmen könne; der Kläger sprach sich jedenfalls nicht dezidiert dagegen aus. Das Leben der Streitteile verlief so wie bisher, mit der Ausnahme, daß die warme Mahlzeit im Einvernehmen von mittags auf abends verlegt wurde. Die Ehegatten nahmen diese Mahlzeit getrennt ein, weil der Kläger aus hygienischen Gründen allein in seinem Zimmer essen mußte. Die Beklagte aß allein in der Küche. Im übrigen führte die Beklagte den Haushalt und betreute den Kläger so wie bisher.

Im Sommer 1992 erlitt der Kläger zwei Fieberanfälle. Beim ersten verständigte er zunächst die Rettung, dann rief er die Beklagte an ihrer Dienststelle an, die ihn fragte, ob sie nach Hause kommen solle, was er jedoch mit der Begründung verneinte, daß die Rettung gleich kommen und ihn abholen werde. Nach Dienstschluß fuhr die Beklagte in das Krankenhaus, sie besuchte den Kläger bis zu seiner Entlassung täglich. Die Beklagte sprach den Kläger nachher auch darauf an, ob es nicht besser wäre, wenn sie zu Hause bliebe. Dieser meinte jedoch lediglich, ein solcher Fieberanfall passiere nur einmal, ein weiterer sei nicht vorhersehbar. Da er überdies die Ansicht vertrat, Ursache sei eine nicht sterile Blutabnahme im Krankenhaus gewesen, machte sich die Beklagte keine weiteren Sorgen, ob ihre Anwesenheit zu Hause vielleicht erforderlich sei. Nicht feststellbar war, daß die Beklagte beim zweiten Fieberanfall zu Hause gewesen wäre und sich, ohne das Eintreffen der Rettung abzuwarten, entfernt hätte.

Im August 1992 beendete die Beklagte aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen ihr Dienstverhältnis. Bereits vorher wurde die Arbeitsplatzsituation der Beklagten zwischen den Ehegatten besprochen. Der Kläger meinte hiezu nur, diese Beschäftigung sei nichts für die Beklagte; er äußerte jedoch nicht den Wunsch, sie möge wegen ihm ihre Arbeit aufgeben und zu Hause bleiben. Während ihrer Arbeitslosigkeit im September 1992 bemühte sich die Beklagte verstärkt, den Kläger zum Verlassen der Wohnung zu bewegen. Bereits nach kurzer Zeit fuhr er mit der Straßenbahn in das Krankenhaus zu den Kontrolluntersuchungen, unternahm Spaziergänge und kehrte auswärts ein; gleichzeitig schaute sich die Beklagte mit Wissen des Klägers nach einer neuen Arbeit um, weil dessen Genesung zügig voranschritt. Ab Oktober 1992 war die Beklagte wieder berufstätig. Auch der Kläger nahm seine Arbeit im Dezember 1992 wieder auf. In der Lebensgestaltung der Streitteile änderte sich dadurch nichts, es gab keine Gespräche zwischen ihnen über ihre persönliche Situation. Die Distanz voneinander verfestigte sich immer mehr.

Als der Kläger im Februar 1993 an der Lunge erkrankte und für mehrere Wochen im Spital lag, besuchte die Beklagte ihn täglich.

Im Juli 1993 erlitt die Beklagte ein Blutgerinnsel und war aus diesem Grund vom bis zum im Krankenhaus. Lähmungserscheinungen an der linken Körperhälfte waren bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bereits abgeklungen. Während ihres Spitalsaufenthaltes wurde sie vom Kläger täglich besucht. Der Kläger wußte um die Diagnose der Ärzte; die Beklagte teilte ihm auch mit, daß sie geschwächt sei und schnell müde werde. Nach ihrer Entlassung nach Hause kochte der Kläger zweimal für die Beklagte, er begann seine Hemden und fallweise die Wäsche der Beklagten zu waschen und zu bügeln. Im übrigen änderten sich die Beiträge der Ehegatten zur gemeinsamen Haushaltsführung nicht, allerdings forderte die Beklagte vom Kläger auch nicht ausdrücklich mehr Mitarbeit, obwohl sie sich überfordert und vom Kläger alleingelassen fühlte.

Die Streitteile hielten sich bis November 1991 regelmäßig am Wochenende und im Sommer im Haus in Altenberg auf. Nach der Knochenmarktransplantation hörte sich dies auf; es war zwischen den Streitteilen vereinbart, daß der Kläger der Beklagten bekanntgibt, wann er keine Gefahr für sein Immunsystem mehr sieht und die gemeinsamen Besuche im Haus wieder aufgenommen werden können. Zirka im ersten Halbjahr 1993 gab die Beklagte nach Absprache mit dem Kläger die Sanierung einer bechädigten Stützmauer und des Stiegenaufganges sowie die Eindeckung des Garagenplatzes in Auftrag; weiters wurden Kanalrohre verlegt, das Haus an das Kanal- und Gasnetz angeschlossen und die Veranda erneuert. Im Zuge dieser Arbeiten wurde auch die Toilette oben im Haus angeschlossen, deren Boden nicht verfließt ist und deren Spülung sich aufgrund eines Frostschadens nicht betätigen läßt. 1993 hielten sich die Ehegatten lediglich zu Kontrollbesuchen im Haus auf, es ist jedoch jedenfalls bewohnbar. Vom bis zum bewohnte der Sohn der Streitteile das Haus. Anfangs fuhren beide Ehegatten zu Besuch hinaus, dabei kam es jedoch immer wieder zu Streitigkeiten, weil der Kläger immer wieder nörgelte, sodaß sich die gemeinsamen Besuche schließlich aufhörten. Ab Herbst 1994 verbrachte die Beklagte die meisten Wochenenden allein mit ihrem Sohn im Haus; im Jänner 1995 fuhr sie auch öfter während der Woche hinaus, um nach der Heizung zu sehen, weil der Sohn tagsüber in Wien die Universität besuchte. Die Beklagte erzählte dem Kläger von diesen Ausflügen und fragte ihn anfangs auch, ob er nicht mitkommen wolle, dieser reagierte darauf aber nicht. Ab November/Dezember 1994 äußerte der Kläger der Beklagten gegenüber, daß er ja gar nicht wisse, wo sie sei. Sie riet ihm, draußen anzurufen und sich zu überzeugen, daß sie im Haus sei. Der Kläger befolgte diesen Rat jedoch nicht. Ab Februar 1995 hielt sich die Beklagte bis auf ein paar Tage im September 1994 nach dem Urlaub in Kärnten nicht mehr im Haus auf. Der Kläger fuhr unter anderem auch deshalb nicht mehr mit, weil er sich mit seinem Sohn nicht versteht und es bei Zusammentreffen aufgrund unterschiedlicher Ansichten und Meinungen häufig zu Streitigkeiten kam; die beiden gehen einander aus dem Weg.

Nicht feststellbar war, daß die Beklagte ab Herbst 1994 die Haushaltsführung vernachlässigt hätte. Für das Wochenende wurde teils von ihr, teils vom Beklagten eingekauft. Der Kläger mußte sich lediglich seine Mahlzeiten an den Wochenenden selbst zubereiten.

Ab Herbst 1994 gab es jedenfalls keine gemeinsame Freizeitgestaltung der Ehegatten mehr. Keiner von ihnen versuchte, auf den anderen zuzugehen und wieder Gemeinsamkeiten herzustellen. Die Beklagte lehnte es nicht ab, die Mahlzeiten gemeinsam mit dem Kläger einzunehmen.

Im März 1995 brachte die Beklagte dem Kläger gegenüber erstmals zur Sprache, daß sie so nicht weiterleben könne und wolle; sie schlug vor, sich einvernehmlich scheiden zu lassen. Der Kläger stand einer Scheidung jedoch ablehnend gegenüber. Im Mai 1995 gab es ein Gespräch mit den Ärzten des Klägers, bei dem auch die Eheprobleme der Streitteile zur Sprache kamen und ihnen eine Eheberatung vorgeschlagen wurde. Diese Idee wurde jedoch in der Folge vom Kläger verworfen.

Da die Beklagte die häusliche Situation und ihre Beziehung zum Beklagten als unerträglich und allein nicht mehr bewältigbar empfand, nahm sie im Juli 1995 erstmals psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Es wurde ihr geraten, diese Situation auf welche Weise auch immer zu beenden. Mit der Therapie selbst begann die Beklagte erst im Oktober 1995.

Im August 1995 fuhr die Beklagte mit Wissen des Klägers für ein paar Tage nach Kärnten zu ihrer Mutter. Sie fragte den Kläger nicht, ob er mitfahren wollte, weil ihre Mutter Geburtstag hatte und sie auf dem Standpunkt stand, aus diesem Anlaß müßte eine Einladung an den Kläger von ihrer Mutter kommen. Als sie nach Wien in die Ehewohnung zurückkehrte, das Licht aufdrehte und Türen auf und zu machte, fühlte sich der Kläger hiedurch beim Fernsehen gestört, machte ätzende Bemerkungen und drehte das Licht mit der Begründung, das sei Verschwendung, hinter ihr ab. Dieses Verhalten verstärkte das Gefühl der Beklagten, so könne es nicht weitergehen, sie müsse eine Entscheidung treffen. Dennoch schlug sie dem Kläger vor, im September 1995 gemeinsam nach Kärnten zu fahren, was dieser jedoch mit der Begründung ablehnte, er fahre in die Ramsau. Die Frage der Beklagten, ob sie mitfahren könne oder dürfe, quittierte er lediglich mit einem Achselzucken. Daraufhin fuhr die Beklagte Ende August 1995 für ca 3 Wochen zu ihrer Mutter. Der Kläger war während dieser Zeit allein in der Ramsau. Während des Aufenthaltes in Kärnten entschloß sich die Beklagte, die häusliche Gemeinschaft mit dem Kläger aufzulösen, weil sie die Situation zu Hause endgültig als unerträglich erachtete und keine Aussicht auf Besserung mehr sah. Ihre Entscheidung teilte sie lediglich dem gemeinsamen Sohn mit, nicht jedoch dem Beklagten. Nach der Beendigung ihres Aufenthaltes in Kärnten kehrte sie nicht in die Ehewohnung zurück. Schließlich bezog sie Ende Jänner 1996 eine eigene Wohnung. Die Beklagte nahm keinen Kontakt mit dem Kläger auf, um ihm die Situation und ihren Aufenthalt mitzuteilen. Dieser erfuhr die Adresse der Beklagten, die damals bei ihrem Sohn aufhältig war, durch den Antrag auf gesonderte Wohnungsnahme im Verfahren 5 F 354/95s vom , der ihm am zugestellt wurde. Die Beklagte war sich längere Zeit unsicher, wie sie reagieren sollte, wenn der Kläger sie anrufen und auffordern würde, nach Hause zurückzukehren, dieses Problem stellte sich jedoch gar nicht, weil auch der Kläger keinen Kontakt zur Beklagten suchte.

Im Juli 1994 regte sich der Kläger im Zuge eines Gespräches mit der Beklagten so auf, daß er mit Händen und Füßen zu toben begann. Dabei traf er die Beklagte am Schienbein. Nicht feststellbar war, ob dies ein Zufall war oder mit Vorsatz geschah. Die Beklagte teilte ihm mit, daß sie davon Schmerzen habe; der Kläger ignorierte dies jedoch und entschuldigte sich nicht.

Am kam es zwischen den Ehegatten zu einem Streit wegen des gemeinsamen Sohnes, im Zuge dessen zog der Kläger die Beklagte am linken Ohr, die hiedurch eine leichte Prellung erlitt und sich am nächsten Tag in das Krankenhaus Rudolfsstiftung zur Behandlung begab. Das über Anzeige des Krankenhauses wegen des Vergehens der Körperverletzung gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren endete am mit einem Freispruch des Klägers, weil sich die Beklagte der Aussage entschlug. Nicht feststellbar war, daß der Kläger den Vorsatz hatte, die Beklagte zu verletzen.

Der Kläger kann sich nicht vorstellen, mit der Beklagten wieder als Mann und Frau zusammenzuleben; die Beklagte hingegen möchte sich, obwohl auch sie die Ehe als zerrüttet ansieht, nicht scheiden lassen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß beide Ehegatten zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen hätten, die Eheverfehlungen des Klägers jedoch schwerer zu gewichten seien als die der Beklagten. Dem Kläger seien die seit seiner Erkrankung von ihm ausgehende zunehmende Isolation von der Beklagten, sein Kritisieren, seine Beschimpfungen und seine kränkenden Worte, sein grundsätzlich nicht durch die Beklagte verursachtes aufbrausendes Verhalten sowie seine vereinzelten Tätlichkeiten ihr gegenüber vorzuwerfen, welche für sie ein weiteres Zusammenleben unerträglich gemacht hätten. Obwohl die Beklagte bemüht gewesen sei, dem Kläger während seiner Krankheit beizustehen, habe er sie nicht an seinem (emotionalen) Leben teilhaben lassen, bis auch sie sich zurückgezogen habe und sie sich als Folgeerscheinung ein eigenes berufliches Leben aufgebaut habe, ohne hiebei in irgend einer Form ihre eheliche Beistandspflicht zu verletzen. Die vorübergehende gesonderte Wohnungsnahme sei im Sinne des § 92 Abs 2 ABGB dann berechtigt, wenn ein Ehegatte dem anderen Ehegatten das Zusammenleben unzumutbar mache. Dies sei nicht nur bei massiven und körperlichen Bedrohungen gegeben, sondern könne auch bei anderen Verhaltensweisen im Sinne von schweren Eheverfehlungen, die das weitere Zusammenleben unzumutbar machten, wie etwa bei unleidlichem und schikanösem Verhalten des anderen Ehegatten, der Fall sein. Daß die Beklagte bereits psychotherapeutische Hilfe gebraucht habe, spreche deutlich dafür, daß die gesonderte Wohnungsnahme rechtmäßig gewesen sei. Die Eheverfehlung der Beklagten liege daher lediglich in dem Umstand, daß sie dem Kläger weder vor noch nach ihrem Auszug davon Mitteilung gemacht, noch sonst in irgend einer Weise mit ihm Kontakt aufgenommen habe. Da sich weitere Eheverfehlungen der Beklagten nicht erwiesen hätten, sei die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers zu scheiden gewesen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil, das im Ausspruch der Scheidung unbekämpft blieb, im Verschuldensausspruch iS des Ausspruchs des gleichteiligen Verschuldens der Streitteile ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und vertrat folgende Rechtsauffassung:

Das Erstgericht habe dem Kläger zwar zu Recht sein Nörgeln und Kritisieren, seine Beschimpfungen und kränkenden Worte, sein grundsätzlich nicht durch die Beklagte verursachtes aufbrausendes Verhalten und seine Tätlichkeiten als Verschulden angelastet; die Vorwerfbarkeit dieses Verhaltens sei aber - da es infolge einer lebensbedrohenden Erkrankung aufgetreten sei - zumindest abgeschwächt. Dennoch müsse ihm angelastet werden, daß er völlig übersehen habe, daß eine derartige Erkrankung auch für einen nahen Angehörigen eine enorme psychische Belastung darstelle. Er habe durch sein Verhalten einen auslösenden Beitrag für die Zerrüttung der Ehe geleistet, für die aber in erster Linie die unterschiedliche Bewältigung der Erkrankung des Klägers wesentlich gewesen sei. Während der Kläger sich wissenschaftlich mit seiner Erkrankung auseinandergesetzt habe und sie zu seinem beherrschenden Gesprächsthema geworden sei, habe die Beklagte, die sich eine Aufarbeitung der mit der Krankheit verbundenen Ängste gewünscht habe, den Kläger zunehmend als unnahbar und abweisend empfunden. Sie habe aber in vielen Beispielen auch klar gemacht, ihrerseits die gegenseitige Kommunikation nicht zu fördern. Sie habe immer auf Fragen gewartet - wo sie das Wochenende verbringe, wohin sie auf Urlaub fahre, was der Grund ihres Spitalsaufenhaltes sei, ob sie ausziehe - und habe den Kläger offenbar selbst dann nicht informiert, als er ihren Erwartungen nach entsprechenden Fragen nicht entsprochen habe. Vor allem aber sei aber der Beklagten anzulasten, daß sie - um sich abzulenken und der angespannten häuslichen Situation zu entrinnen - nach einem langjährigen Rückzug aus dem Berufsleben eine Beschäftigung angenommen habe, obwohl der Kläger erst zwei Wochen vorher nach einem wegen der Knochenmarkstransplantation notwendigen Krankenhausaufenthalt von etwa einem Monat entlassen worden sei. Obwohl sich der Kläger nicht dezidiert dagegen ausgesprochen habe, stelle dies eine Mißachtung der Beistandspflicht dar, zumal der Kläger nach der Knochenmarktransplantation wegen der Infektionsgefahr ca drei Monate lang in Isolation habe leben müssen. Die Schwere des Verhaltens der Beklagten trete zwar dadurch etwas zurück, daß ihr der Kläger seine Betreuung nicht gerade leicht gemacht habe; dadurch werde ihre Flucht außer Haus aber nicht entschuldbar. Die mangelnde Kommunikation zwischen den Streitteilen habe schon vor dem Auszug der Beklagten aus der Ehewohnung, der als Folge des Verhaltens des Klägers anzusehen sei, zu einer nahezu gänzlichen Zerrüttung der Ehe geführt. Daß die Beklagte aber vor den Augen des Klägers ihre Sachen packte, ohne ihn jemals in irgend einer Form über den geplanten Auszug zu informieren, bringe eine grobe Mißachtung der Person des bisherigen Lebenspartners zum Ausdruck. Zwar hätte sie mit einer entsprechenden Information des Klägers keine Verbesserung der Ehe bewirken können; ihr Verhalten zeige jedoch ihre fehlende Initiative, einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft zu leisten. Auch wenn daher der Kläger die Zerrüttung ausgelöst habe, trete der Beitrag der Beklagten zur Zerrüttung nicht völlig in den Hintergrund. Da somit kein sehr unterschiedlicher Grad des Verschuldens der beiden Ehegatten hervorgekommen sei, sei das gleichteilige Verschulden der Streitteile auszusprechen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage iS § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es iS der Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die außerordentliche Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Revisionswerberin eine wesentliche Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht aufzeigt; sie ist auch berechtigt.

Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß der Ausspruch des Überwiegens des Verschulden eines Gatten nur zulässig ist, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer ist und das mindere Verschulden des anderen Teiles im Rahmen des maßgeblichen Gesamtverhaltens beider Ehegatten in seinem Zusammenhang fast völlig in den Hintergrund tritt. Dabei kommt es nicht allein auf die Schwere des Fehlverhaltens, sondern vor allem darauf an, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht hat. Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß spätere Eheverfehlungen eines Teiles nur eine Folge der bereits durch Verschulden des anderen Teiles eingetretenen Zerrüttung sein können (Gruber in Schwimann, ABGB I**2 Rz 11 zu § 60 EheG und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist dem Berufungsgericht zwar weiters beizupflichten, daß die Streitteile letztlich an der Bewältigung der Krankheit des Klägers gescheitert sind und daß sein - auch vom Berufungsgericht als Eheverfehlung gewertetes - Verhalten im Hinblick auf diese Krankheit nicht allzu schwer zu gewichten ist. Trotzdem stellt die Gleichsetzung des beiderseitigen Fehlverhaltens gegenüber der Klägerin eine unvertretbare Härte dar.

Es kann überhaupt nicht zweifelhaft sein, daß die Zerrüttung der Ehe vom Kläger eingeleitet wurde, wobei sein Verhalten, das psychische Probleme der Beklagten auslöste, vielleicht erklärbar, aber nicht entschuldbar ist. Dazu kommt, daß er sein Verhalten auch nach Überwindung der Krankheit nicht änderte und sogar gegen die Beklagte tätlich wurde (Vorfall vom ). Demgegenüber erweist sich das Verhalten der Beklagten - soweit darin überhaupt Eheverfehlungen erblickt werden können - als Reaktion auf das für sie überaus belastende Verhalten des Klägers. Sie hat dieses Verhalten hingenommen und den Kläger dessen ungeachtet - soweit er es zuließ - betreut. Vermehrte Zuwendung und Kommunikation, wie sie der Kläger nunmehr in der Revisionsbeantwortung vermißt, hat er selbst unmöglich gemacht bzw. erheblich erschwert. Daß der ohne vorherige Information erfolgte Auszug der Beklagten aus der Ehewohnung eine Eheverfehlung darstellt, trifft zwar zu. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Ehe bereits (zumindest) nahezu völlig zerrüttet, so daß der Klägerin daraus kein die Verschuldensteilung relevant beeinflussender Vorwurf gemacht werden kann.

Entscheidend ist daher die von den Vorinstanzen unterschiedlich beantwortete Frage, ob der Beklagten die Aufnahme der Berufstätigkeit kurz nach der Entlassung des Klägers aus dem Spital als Eheverfehlung anzulasten ist. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes ist dies zu verneinen. Die Beklagte befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer überaus schwierigen Situation, in der sich der Kläger weiterhin abkapselte und in der er Betreuungsleistungen nur in eingeschränktem Umfang zuließ. Dies führte dazu, daß sie - sofern sie nicht Hausarbeit verrichtete oder Besorgungen machte - allein in der Küche saß und wartete, ob der Kläger nach ihr rufe. Ihm psychischen Beistand zu leisten, verwehrte ihr der Kläger, sodaß sie sich selbst in einem sehr angespannten psychischen Zustand befand. Soweit sie in einer derartigen Situation den Kläger fragte, ob es ihm recht sei, daß sie eine Berufstätigkeit aufnehme und dieser sich nicht dagegen aussprach, liegt in der Aufnahme dieser Berufstätigkeit keine Eheverfehlung, zumal sich dadurch an der Betreuung des Klägers mit Ausnahme der (vereinbarten) Verlegung der warmen Mahlzeit auf den Abend nichts änderte. Im übrigen - so die ausdrückliche Feststellung des Erstgerichtes - betreute sie den Kläger wie bisher. Ein Mehr an Betreuung ließ der Kläger - wie den Feststellungen zu entnehmen ist - ohnedies nicht zu. Damit fehlt aber in diesem Zusammenhang für den Vorwurf des Berufungsgerichtes jede Grundlage. Ohne dieses Verhalten als Eheverfehlung ist aber die Auffassung des Berufungsgerichtes, das Verschulden der Beklagten trete hinter jenem des Klägers nicht wesentlich zurück, unvertretbar.

In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.