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OGH vom 01.02.2022, 10ObS124/21i

OGH vom 01.02.2022, 10ObS124/21i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. EvaMaria BachmannLang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 37/21d11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 56 Cgs 158/20b6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin bezog für ihren am geborenen Sohn im Zeitraum von bis Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 10.626 EUR. Im Zeitraum von bis erzielte die Klägerin keine Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Sie nahm ihre selbständige Erwerbstätigkeit erst nach dem wieder auf. Der Einkommensteuerbescheid der Klägerin weist für das Jahr 2013 Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von 7.674,77 EUR aus. Er wurde der Beklagten am übermittelt.

[2] Auf ein Schreiben der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen vom betreffend die Überprüfung des Zuverdienstes beim Kinderbetreuungsgeld antwortete die Klägerin mit E-Mail vom , in dem sie bestätigte, im Zeitraum von bis keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt zu haben.

[3] Mit Schreiben vom forderte die Beklagte die Klägerin zur Verbesserung ihrer Angaben auf. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise: „Der von Ihrer Seite im Rahmen der Überprüfung des Zuverdienstes für das Kalenderjahr 2013 vorgelegte Nachweis der Abgrenzung der Einkünfte ist aus folgendem Grund mangelhaft: Der Nachweis der Abgrenzung der Einkünfte entspricht nicht den steuerrechtlichen Vorgaben. Bitte übermitteln Sie uns eine Einnahmen-/Ausgabenrechnung (Word-Tabelle oder Excel-Tabelle) inkl. Zahlungsbelege (Kontoauszüge, Saldenlisten, etc.) für den Zeitraum bis . Falls für diese Monate keine Unterlagen vorhanden sind, übermitteln Sie un[s] Zahlungsbelege von den restlichen Monaten, die wir mit der Jahressumme 2013 vergleichen können. Wir fordern Sie unter Verweis auf Ihre Mitwirkungspflichten gemäß § 32 … KBGG auf, uns die fehlenden Unterlagen bzw. Informationen binnen 4 Wochen ab Zustellung dieses Schreibens zu übermitteln. Sollte innerhalb von 4 Wochen keine entsprechende Verbesserung erfolgen, hat ein Rückforderungsbescheid auf Grundlage der Jahreseinkünfte zu ergehen.“

[4] Aufgrund dieses Schreibens rief die Klägerin bei der Beklagten an und erhielt die Auskunft, dass ein Schreiben, in dem sie bestätige, dass sie im maßgeblichen Zeitraum keine Einkünfte erzielt habe, genüge. Mit E-Mail vom bestätigte die Klägerin, dass sie im Zeitraum von bis keine Einkünfte erzielt habe. Neben ihren handschriftlichen Einnahmen-/Ausgabenrechnungen für das erste Quartal 2014, das zweite Quartal 2012, das dritte Quartal 2013 und das vierte Quartal 2013 schloss sie eine im Einzelnen festgestellte Aufschlüsselung ihrer Einkünfte aus selbständiger Arbeit 2013 und die Beilage zur Einkommensteuererklärung 2013 an, aus der sich ein steuerlicher Gewinn von 7.674,77 EUR ergibt.

[5] Im sozialgerichtlichen Verfahren erster Instanz legte die Klägerin zusätzlich eine von ihrem Steuerberater verfasste, in zwei Teile getrennte Einnahmen-/Ausgabenrechnung, die einerseits den Zeitraum von 1. 1. bis und andererseits den Zeitraum von 11. 6. bis umfasst, vor (bei Beil ./C).

[6] Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von bis und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung von 3.876,88 EUR, weil die maßgebliche Zuverdienstgrenze von 6.100 EUR für das Jahr 2013 überschritten worden sei.

[7] Die Klägerin begehrt mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Feststellung, dass die Pflicht zum Rückersatz nicht bestehe. Sie habe in der Zeit des Kinderbetreuungsgeldbezugs keine Einkünfte aus ihrer selbständigen Tätigkeit bezogen. Dies ergebe sich auch aus der dem Gericht vorgelegten Einnahmen-Ausgabenrechnung für die Zeiträume von bis und von bis .

[8] Die Beklagte wandte die Überschreitung der Zuverdienstgrenze für das Jahr 2013 ein. Neue, der Klage beigelegte Belege seien außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist vorgelegt worden und daher nicht zu berücksichtigen.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Beklagten wäre es möglich gewesen, aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen und im Vertrauen auf diese eine Abgrenzung im Sinn des Antrags der Klägerin vorzunehmen. Da die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld keine Einkünfte erzielt habe, habe sie die Zuverdienstgrenze nicht überschritten.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Anders als die im Verwaltungsverfahren von der Klägerin vorgelegten Nachweise seien die von ihr im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen schlüssig und ergeben nachvollziehbar, dass die Klägerin im Anspruchszeitraum keine Einnahmen aus ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit erzielt habe. Die Vorlage dieser Urkunden sei auch nicht verfristet, § 50 Abs 24 KBGG betreffe nur das Verfahren vor der Beklagten. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Überschreitung der gemäß § 50 Abs 24 KBGG vom Versicherungsträger gesetzten Frist ein Zuordnungsnachweis noch im Gerichtsverfahren erbracht werden könne.

[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt. Die Klägerin beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

[12] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RIS-Justiz RS0112769 [T9]; RS0112921). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ist daher nicht mehr als solche zu qualifizieren, wenn diese Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1.1 Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 119/21d vom die auch hier wesentlichen Rechtsfragen mit umfassender Begründung beantwortet. Diese lässt sich zusammengefasst wie folgt wiedergeben:

[14] 1.2 § 50 Abs 24 KBGG richtet sich schon nach seinem Wortlaut an die im Verwaltungsverfahren tätig werdenden Krankenversicherungsträger, die im Rahmen dieses Verfahrens aufgrund einer Verständigung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) Kenntnis davon erlangen, dass die Zuverdienstgrenze überschritten wird. Das durch Klage eines Versicherten angerufene Arbeits und Sozialgericht wird im Rahmen der sukzessiven Kompetenz tätig und hat über den Anspruch eigenständig zu entscheiden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist daher auch nach Inkrafttreten des § 50 Abs 24 KBGG die Frage, ob der von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze – bezogen auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz – zu Recht besteht. Die Rechtsansicht der Beklagten, das sozialgerichtliche Verfahren habe sich auf die Frage der Versäumung der Zweimonatsfrist im Verwaltungsverfahren zu beschränken, liefe auf eine verfassungsrechtlich unzulässige partielle Bindung der Gerichte an Teilergebnisse des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens hinaus.

1.3 Nach § 31 Abs 2 3. Fall KBGG besteht eine Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch dann, wenn die zur Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte (§§ 8, 8b KBGG) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird. Die Rückforderung ist nach dieser Bestimmung auf jene Fälle beschränkt, in denen die Krankenversicherungsträger ohne die entsprechende Mitwirkung zur Feststellung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte nicht in der Lage sind. Ist der Krankenversicherungsträger vom Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte bereits in Kenntnis, weil ihm dieser Betrag durch die Abgabenbehörde mitgeteilt worden war, so folgt aus dem Umstand, dass ein Elternteil von der Wahlmöglichkeit der Abgrenzung seiner Einkünfte (aus selbständiger Erwerbstätigkeit, § 8 Abs 1 Z 2 KBGG) keinen Gebrauch macht, ohne gegenüber dem Krankenversicherungsträger die dafür gegebenen Gründe offen zu legen, keine Verletzung einer verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht, die den Krankenversicherungsträger an der Feststellung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte hindern könnte und aus diesem Grund zur Rückforderung der empfangenen Leistung führt.

[16] 2.1 Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, zeigt die Revisionswerberin keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf:

[17] 2.2 Auf die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin ist im vorliegenden Fall § 24 Abs 1 KBGG in der Fassung BGBl I 2011/139 anzuwenden (§ 50 Abs 3 KBGG), wonach die Zuverdienstgrenze für Bezugszeiträume im Jahr 2013 bis 6.100 EUR lag. Für die Ermittlung der Zuverdienstgrenze sind nur jene Einkünfte maßgeblich, die aus einer während des Anspruchszeitraums ausgeübten selbständigen Tätigkeit stammen (RS0132947).

2.3 Das Berufungsgericht hat begründet dargelegt, dass die Klägerin spätestens im sozialgerichtlichen Verfahren eine den gesetzlichen Anforderungen ausreichend entsprechende und zeitlich differenzierende Abgrenzung ihrer Einkünfte im Jahr 2013 vorgelegt hat, aus der sich ergibt, dass sie im Anspruchszeitraum (Jänner bis Mai 2013) keine Einnahmen aus ihrer selbständigen Tätigkeit erzielte. Die Beklagte hat die inhaltliche Richtigkeit der von der Klägerin vorgelegten Urkunden im Verfahren erster Instanz nicht substantiiert bestritten und auch in ihrer Berufung nicht geltend gemacht, dass die von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Abgrenzungsunterlagen nicht ausreichend wären. Sie zeigt daher mit der Behauptung, die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Abgrenzungsunterlagen bezögen sich nicht auf den gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG relevanten Zeitraum von bis , sondern auf den tatsächlichen Anspruchszeitraum von bis , keine erhebliche Rechtsfrage im Einzelfall auf (RS0043480 [T22]).

2.4 Die Beklagte macht in der Revision geltend, dass die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht gemäß § 32 KBGG verletzt hätte. Im vorliegenden Fall war die Beklagte aber vom Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte der Klägerin bereits seit 2017 in Kenntnis. Schon daher kommt nach den dargelegten Grundsätzen eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin gemäß § 31 Abs 2 3. Fall KBGG, die eine Rückforderung der Leistung durch die Beklagte rechtfertigen könnte, im konkreten Fall nicht in Frage.

[20] 3. Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00124.21I.0201.000

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