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VfGH vom 22.09.2011, B1369/10

VfGH vom 22.09.2011, B1369/10

19491

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe über eine deutsche Staatsangehörige wegen einer Geschwindigkeitsübertretung; keine nach der Judikatur des EGMR unzulässige Überwälzung der Beweislast auf die Fahrzeughalterin

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine deutsche Staatsangehörige, wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg (im Folgenden: BH Tamsweg) vom bestraft, weil sie am auf der A 10 Richtung Salzburg die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 33 km/h überschritten habe. Eine Lenkeranfrage gemäß § 103 Abs 2 KFG erfolgte nicht.

2. In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei zwar die Halterin des Kfz, mit dem die Geschwindigkeitsübertretung begangen worden ist, habe das Fahrzeug aber zum fraglichen Zeitpunkt nicht gelenkt. Sie berufe sich auf ihr Recht als Beschuldigte in einem Verwaltungsstrafverfahren schweigen zu dürfen.

Im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Salzburg (im Folgenden: UVS Salzburg) erstattete die Beschwerdeführerin am eine Stellungnahme, in der sie angab, zum fraglichen Zeitpunkt nicht in Österreich gewesen zu sein. Sie könne auch nicht angeben, wer das Fahrzeug gelenkt hat, es stehe nämlich regelmäßig mehreren Familienmitgliedern (außer ihrem Ehemann) zur Verfügung. Auch aus dem Familienkreis könne niemand (mehr) angeben, wer das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt gelenkt habe.

Am fand eine mündliche Berufungsverhandlung vor dem UVS Salzburg statt, an der die Beschwerdeführerin nicht selbst teilnahm, sondern nur ihr rechtsfreundlicher Vertreter. Laut Protokoll dieser Verhandlung wurde weder vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin erkrankt sei, noch eine Vertagung der mündlichen Verhandlung beantragt. Erst in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wird vorgebracht, die Beschwerdeführerin habe auf Grund einer plötzlichen Erkrankung an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen können.

3. Mit Bescheid des UVS Salzburg vom wurde der Berufung gegen den Bescheid der BH Tamsweg keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid vollinhaltlich bestätigt. Begründend führte der UVS Salzburg aus, die Geschwindigkeitsübertretung an sich sei unbestritten geblieben. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, zum fraglichen Zeitpunkt nicht Lenkerin des Fahrzeuges gewesen zu sein, habe aber keine konkreten Beweismittel angeboten, um diese Behauptung nachzuweisen, obwohl sie ausreichend Gelegenheit dazu erhalten habe. Sie sei somit ihrer Mitwirkungspflicht im Verwaltungsstrafverfahren nicht nachgekommen. Nach höchstgerichtlicher Judikatur könne daher ohne weitere amtswegige Ermittlungen davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin als Halterin des Fahrzeuges dieses zum Tatzeitpunkt auch gelenkt habe. Im von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Fall Krumpholz (EGMR , Appl. 13201/05 = ÖJZ 2010, 782) habe der EGMR ausgesprochen, dass die Nichtbeantwortung der Lenkeranfrage alleine nicht ausreicht, um den Fahrzeughalter zu bestrafen. Eine Lenkeranfrage gemäß § 103 Abs 2 KFG sei im vorliegenden Fall aber nicht erfolgt. Weiters habe im Fall Krumpholz keine mündliche Verhandlung stattgefunden. Zur Strafbemessung führt die belangte Behörde aus, es seien keine besonderen Milderungs- oder Erschwerungsgründe bekannt geworden. Mangels näherer Angaben sei von durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen gewesen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere in Art 6 Abs 2 EMRK behauptet wird. Entgegen dieser Bestimmung habe die belangte Behörde die Beweislast völlig auf die Beschwerdeführerin überwälzt. Das VStG sehe zwar Mitwirkungspflichten des Beschuldigten vor, dies könne aber nicht zu einer Überwälzung der Beweislast führen. Außerdem sei die Beschwerdeführerin der mündlichen Verhandlung entschuldigt (wegen einer Erkrankung) ferngeblieben, dennoch sei kein neuer Termin festgelegt worden.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt. Insbesondere weist der UVS Salzburg darauf hin, dass nicht vorgebracht worden sei, die Beschwerdeführerin könne auf Grund einer Erkrankung nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem Bescheid zu Grunde liegenden Bestimmungen wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht und sind auch beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieser Beschwerde nicht entstanden.

Die Beschwerdeführerin ist daher nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

2. In der Beschwerde wird vorgebracht, die Beschwerdeführerin werde durch den angefochtenen Bescheid in den durch Art 6 EMRK garantierten Rechten verletzt. Sie habe sich im Verwaltungsstrafverfahren damit verantwortet, dass sie das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt nicht gelenkt habe und sich zu diesem Zeitpunkt auch nicht in Österreich aufgehalten habe. Dennoch sei sie als Halterin des Fahrzeuges wegen Übertretung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bestraft worden.

3. Die in Art 6 Abs 2 EMRK normierte Unschuldsvermutung gebietet es, dass im Verwaltungsstrafverfahren die Behörde dem Beschuldigten die Begehung der ihm vorgeworfenen Tat nachweist. Eine Überwälzung der Beweislast auf den Beschuldigten in der Form, dass dieser seine Unschuld nachweisen muss, ist demnach unzulässig (vgl. EGMR , Fall Telfner, Appl. 33501/96 = ÖJZ 2001, 613;

, Fall Krumpholz, Appl. 13201/05 = ÖJZ 2010, 782;

VfSlg. 5231/1966, 8111/1977, 11.195/1986, 12.454/1990).

4. Im Fall Krumpholz (aaO) hat der EGMR eine Verletzung von Art 6 Abs 1 und 2 EMRK festgestellt. Der Beschwerdeführer war ebenfalls wegen einer Geschwindigkeitsübertretung bestraft worden. Zu seiner Rechtfertigung hatte er vorgebracht, dass er das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt nicht gelenkt habe. Er habe sich nicht einmal in Österreich aufgehalten und könne auch nicht angeben, wer das Fahrzeug gelenkt hat. Die Berufungsbehörde hatte den Beschwerdeführer ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestraft, weil anzunehmen sei, dass er als Halter das Fahrzeug auch gelenkt habe. Der EGMR erblickte darin eine unzulässige Überwälzung der Beweislast auf den Beschwerdeführer. Nach Ansicht des EGMR wäre die Berufungsbehörde zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen, wenn sie aus der - dargestellten - Verantwortung des Beschwerdeführers den Schluss ziehen möchte, er selbst habe die Verwaltungsübertretung begangen. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung hätte sich die Behörde nämlich ein Bild von der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers machen können.

4.1. Im vorliegenden Fall ist das Ergebnis der Beweiswürdigung durch den UVS Salzburg nicht zu beanstanden, wonach die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens glaubhaft dargelegt habe, dass sie zum fraglichen Zeitpunkt das Fahrzeug nicht gelenkt hatte. Die Beschwerdeführerin hatte mehrmals im Verlauf des Verwaltungsstrafverfahrens die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben, hat aber nie nähere Angaben gemacht oder Beweismittel vorgelegt. Aus diesem Versäumnis hat der UVS Salzburg mit nachvollziehbarer Begründung seine Schlüsse gezogen.

4.2. Überdies hat der UVS Salzburg im Unterschied zum Fall Krumpholz eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der die Beschwerdeführerin aber nicht persönlich erschienen ist. Wie aus dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung ersichtlich, wurde von ihrem rechtsfreundlichen Vertreter vor dem UVS Salzburg nicht vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin erkrankt ist. Ebenso wenig wurde die Vertagung der mündlichen Verhandlung beantragt. Es ist daher der belangten Behörde auch kein Vorwurf zu machen, dass sie die mündliche Verhandlung nicht vertagt hat und ohne weitere amtswegige Ermittlungen davon ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführerin als Halterin des Kfz dieses zum Tatzeitpunkt auch gelenkt hat.

4.3. Die Beschwerdeführerin wurde daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 6 EMRK verletzt.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Fundstelle(n):
SAAAD-82798