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OGH vom 16.09.1993, 8Ob585/93

OGH vom 16.09.1993, 8Ob585/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gunther Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Edgar Huber, Dr.Birgit Jelinek, Dr.Ronald Rohrer und Dr.Ilse Huber als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers und Gegners der gefährdeten Partei Gerhard H*****, vertreten durch Dr.Max Urbanek, Rechtsanwalt in St.Pölten, wider die beklagte und gefährdete Partei Anna-Ida H*****, vertreten durch Dr.Klaus P.Hofmann, Rechtsanwalt in Melk, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens über den einstweiligen Unterhalt, infolge Rekurses des Klägers und Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom , GZ R 119/93-61, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom , GZ 1 C 13/91-58, sowie das diesem Beschluß vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben wurden und der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über den einstweiligen Unterhalt zurückgewiesen wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der angefochtene Beschluß wird ersatzlos aufgehoben.

Dem Rekursgericht wird aufgetragen, unter Abstandnahme vom gebrauchten Nichtigkeits- und Zurückweisungsgrund über den Rekurs des Klägers und Gegners der gefährdeten Partei zu entscheiden.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Zu 1 C 13/91 des Bezirksgerichtes St.Pölten behängt seit Anfang 1991 die Ehescheidungsklage des Klägers gegen die Beklagte. Im Rahmen dieses Verfahrens begehrte die Beklagte als gefährdete Partei einstweiligen Unterhalt, der mit S 9.700 monatlich rechtskräftig festgesetzt wurde.

Am stellte der Kläger einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über den einstweiligen Unterhalt mit der Begründung, daß ihm nunmehr neue Tatsachen und neue Beweismittel bekanntgeworden seien, welche, hätte er sie im Verfahren über den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung benützen können, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden; er hätte dann nämlich bescheinigen können, daß die Beklagte bereits damals ihren Unterhaltsanspruch wegen ihres ehewidrigen Verhältnisses verwirkt gehabt hätte.

Nach Durchführung einer Verhandlung in sinngemäßer Anwendung des § 541 Abs 1 ZPO wies das Erstgericht den Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit Beschluß vom ab. Die vom Kläger geltend gemachten neuen Tatsachen und Beweismittel seien nicht geeignet, eine für ihn günstigere Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren herbeizuführen.

Aus Anlaß des Rekurses des Klägers hob das Rekursgericht diesen Beschluß sowie das diesem vorangegangene Verfahren über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über den einstweiligen Unterhalt als nichtig auf und wies den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über den einstweiligen Unterhalt als unzulässig zurück, ließ aber den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu; die amtswegige Wahrnehmung der Nichtigkeit sei möglich, weil - ausgehend von der Rechtsansicht des Erstgerichtes - ein zulässiges Rechtsmittel vorliege.

Das Verfahren über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei ein Verfahren eigener Art und stellten im Rahmen des Sicherungsverfahrens die Fälle des § 382 Abs 1 Z 8 EO ihrerseits eine Besonderheit dar. Diese einstweiligen Verfügungen gäben einen (vorläufigen) Anspruch ua auf einstweiligen Unterhalt; das Verfahren hiezu richte sich nach der EO. Aus der Nichtaufzählung der Bestimmungen der ZPO über die Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage in der Verweisungsbestimmung des § 78 EO habe die Lehre überwiegend den Schluß gezogen, daß es eine Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage im Provisorialverfahren nicht gebe (Heller-Berger-Stix, KommEO 2891 f; Fasching, Komm IV 481 ua). Nunmehr vertrete Fasching (Lehrbuch2 Rz 2042 unter Zitierung von Rechberger [Exekution 177 f] und Konecny [ÖBA 1988, 1192 f]) die Ansicht, daß - soweit nicht andere Klagen oder Rechtsbehelfe die Aufgabe der Rechtsmittelklagen übernehmen - eine analoge Anwendung der §§ 529, 530 ZPO ausnahmsweise dort in Betracht kommen könne, wo ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis bestehe, einen sacherledigenden Beschluß zu beseitigen. In der Rechtsprechung habe zu diesem Problem in der Nachkriegszeit nur eine rekursgerichtliche Entscheidung aufgefunden werden können (EFSlg 32.333/15), die die Zulässigkeit bejahe. Das Rekursgericht teile diese Ansicht nicht, es läge keine planwidrige Gesetzeslücke vor; das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme widerspreche auch dem Wesen des Provisorialverfahrens, das ein Verfahren summarischer Art sei, das auf besondere Beschleunigung der Erledigung ausgerichtet sei. Zwar mag dies auf den Fall des einstweiligen Unterhalts kraft dessen eingangs erwähnter Sonderstellung nicht uneingeschränkt übertragbar sein, jedoch sei und bleibe die rasche Erledigung auch in diesem Fall oberstes Gebot des Provisorialverfahrens. Es handle sich bei diesen einstweiligen Verfügungen lediglich um vorläufig wirksame Entscheidungen. Wenn sich im Rahmen des Hauptverfahrens tatsächlich erweisen sollte, daß die Beklagte aufgrund ihres Verhaltens vor Erlassung der einstweiligen Verfügung bereits zu diesem Zeitpunkt ihren Unterhaltsanspruch verwirkt gehabt hätte, so wäre sie bei Bezug der Zahlungen aufgrund der einstweiligen Verfügung zweifelsfrei als schlechtgläubig anzusehen, woraus sich ein Rückforderungsrecht des Klägers ergebe. Zusammengefaßt müsse daher der Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des Provisorialverfahrens als nicht zulässig angesehen werden. Deshalb müsse der erstgerichtliche Beschluß und das diesem Beschluß vorausgegangene Verfahren aus Anlaß des Rekurses als nichtig aufgehoben und der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig zurückgewiesen werden.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Klägers im wesentlichen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß des Rekursgerichtes dahingehend abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes zur Gänze aufgehoben und antragsgemäß die Wiederaufnahme des Verfahrens über die einstweilige Verfügung bewilligt werde; hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Zwar umfaßt die Verweisung in der EO (§ 78) auf die ZPO nicht ausdrücklich auch die Rechtsmittelklagen (§§ 529, 530 ZPO) und dies führt zur Annahme, daß in der Regel rechtskräftige Beschlüsse im Exekutionsverfahren nicht analog der Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage mit "Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsanträgen" beseitigt werden können; das schließt aber nicht aus, daß in Fällen, in denen die gleiche Sachlage vorliegt, die im Rahmen der ZPO zur Wiederaufnahme des Verfahrens berechtigt - nämlich, daß ein Verfahren durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist (Einleitung zu § 530 Abs 1 ZPO) -, solche Anträge analog zuzulassen sind, weil in diesen Fällen doch eine planwidrige Gesetzeslücke angenommen werden muß.

Ob eine Wiederaufnahmsklage gegen eine zur Leistung einstweiligen Unterhalts verpflichtende einstweilige Verfügung zulässig ist, hängt daher davon ab, ob es sich um ein Verfahren handelt, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen wurde (§ 530 Abs 1 ZPO). Diese Frage wurde, soweit überschaubar, in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht ausdrücklich erörtert, allerdings wurde, soweit erkennbar, die Zulässigkeit derartiger Anträge zumindest vereinzelt vorausgesetzt (vgl zB 8 Ob 1602/90). Es besteht kein Zweifel darüber, daß es sich bei der Auferlegung eines einstweiligen Unterhalts nicht um eine einstweilige Verfügung im technischen Sinn handelt (ausführlich Heller-Berger-Stix, KommEO 2760 ff mwN), denn es wird dadurch ein vollstreckbarer Exekutionstitel zur Forderungsbefriedigung geschaffen.

Geht man von dieser grundsätzlichen Erwägung aus, ist nicht einzusehen, daß ein Verfahren, in dem über den Unterhalt eines Ehegatten in Urteilsform entschieden wurde, unter den im § 530 ZPO genannten Voraussetzungen wieder aufgenommen werden kann, das mit einem gleichartigen Beschluß beendete Provisorialverfahren unter gleichen Voraussetzungen aber nicht. Nur dann, wenn im Sicherungsverfahren zur Beseitigung einer getroffenen Entscheidung wegen des Vorliegens von Umständen, die sonst einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund darstellen, andere Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden, könnten diese Erwägungen nicht gelten. Dies ist aber nicht der Fall, weil sowohl die Aufhebung (Einschränkung) einer einstweiligen Verfügung nach § 399 EO als auch die Bekämpfung des Exekutionstitels durch Einwendungen gegen den Anspruch oder die Exekutionsbewilligung (§§ 35, 36 EO) eine Änderung der Verhältnisse nach dem Entstehen des Exekutionstitels voraussetzen. Die im § 530 ZPO genannten Wiederaufnahmsgründe zielen aber auf eine Korrektur der Entscheidung wegen solcher Umstände ab, die bereits bei ihrer Erlassung zu berücksichtigen gewesen wären, aber nicht berücksichtigt werden konnten.

Es ist somit, auch wenn die Vorschriften über das Exekutionsverfahren (insb § 78 EO) keine ausdrücklichen gesetzlichen Grundlagen für eine Wiederaufnahmsklage enthalten, für das Sicherungsverfahren jedenfalls, soweit in diesem eine die Sache erledigende Entscheidung ergangen ist, so wie hier bei der Bestimmung eines einstweiligen Unterhalts im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Auflösung der Ehe, davon auszugehen, daß § 530 ZPO analog anzuwenden und Wiederaufnahmsanträge zulässig sind. Es besteht im Sinn Faschings (Lehrbuch2 Rz 2042) ein besonderes Schutzbedürfnis, einen sacherledigenden Beschluß zu beseitigen, weil dieser auf andere Art und Weise nicht beseitigt werden kann, seine Beseitigung aber geboten ist.

Es war deshalb der von anderer Rechtsansicht ausgehende Beschluß des Rekursgerichtes in Stattgebung des Rekurses des Klägers zu beheben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs des Klägers gegen den erstgerichtlichen Beschluß unter Abstandnahme vom gebrauchten Nichtigkeitsgrund aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 402 und 78 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.