OGH vom 17.12.2012, 10Ob32/12x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des 1.) S***** A*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Heribert Kirchmayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Einstellung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des S***** A*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom , GZ 20 R 77/11f, 20 R 78/11b und 20 R 79/11z, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom , GZ 1 Pu 205/10b 54, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss im Umfang der Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über die Einstellung der S***** A***** gewährten Unterhaltsvorschüsse aufgehoben und der Rekurs des S***** A***** als verspätet zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Erstgerichts vom , GZ 2 Pu 186/09i 32, wurden dem (damals noch) minderjährigen, bei der Mutter verbliebenen S***** Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 165 EUR gewährt.
Mit Beschluss des Erstgerichts vom , GZ 1 Pu 205/10b 54, wurden die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG mit Ablauf des März 2011 eingestellt.
Gegen diesen Beschluss erhob die Mutter des S***** in dessen Namen Rekurs, dem das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshaupt-mannschaft Gänserndorf Fachgebiet Jugendwohlfahrt) [im Folgenden nur „Jugendwohlfahrtsträger“] beitrat.
Das Rekursgericht gab diesem Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der am eingebrachte, anwaltlich gefertigte Revisionsrekurs der Mutter, den diese namens ihres Sohnes S***** A***** einbrachte. Zum Zeitpunkt der Rekurserhebung war S***** A***** aber bereits volljährig, sodass ein Verbesserungsverfahren nach den §§ 84, 85 ZPO durchzuführen war. Nach Vorlage der Vollmacht ist nunmehr auch der Revisionsrekurs des S***** A***** als zulässig anzusehen.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass dieses Revisionsrekurses ist der Beschluss des Rekursgerichts als nichtig aufzuheben und der Rekurs zurückzuweisen:
1. Auf die Vorentscheidung des erkennenden Senats vom , GZ 10 Ob 32/12x 94, mit der aus Anlass des unter einem erhobenen Revisionsrekurses der minderjährigen Schwestern des S***** A***** (der mj R***** und der mj M*****) der Beschluss des Rekursgerichts im Umfang der Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über die Einstellung der diesen gewährten Unterhaltsvorschüsse aufgehoben und der Rekurs der beiden Minderjährigen als verspätet zurückgewiesen wurde, wird verwiesen.
2. Auch zum Revisionsrekurs des S***** A***** ist auszuführen:
Gemäß § 9 Abs 2 UVG wird der Jugendwohlfahrtsträger mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem Vorschüsse gewährt werden, alleiniger gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Für die Dauer seiner Minderjährigkeit (also bis ), war der Revisionsrekurswerber somit wirksam durch den Jugendwohlfahrtsträger vertreten.
Aus § 9 Abs 2 UVG folgt, dass die obsorgeberechtigte Person in Bezug auf alle Unterhalts und Unterhaltsvorschussangelegenheiten ihr Vertretungsrecht verliert und ihr auch kein Rekursrecht zukommt (RIS Justiz RS0076463; Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 , § 9 UVG Rz 11 mwN); dies auch nicht gegen einen Einstellungsbeschluss (3 Ob 551/92).
3. Der Jugendwohlfahrtsträger ist aber berechtigt, eine andere Person etwa die bisherige Pflegeperson oder den bisher Obsorgeberechtigten mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Kindes zu beauftragen. Hat diese Person ohne Ermächtigung des Jugendwohlfahrtsträgers als Vertreter der Kinder ein Rechtsmittel erhoben, kann der Jugendwohlfahrtsträger die meritorische Behandlung des Rechtsmittels erreichen, indem er ausdrücklich dem Rechtsmittel „beitritt“. Voraussetzung einer wirksamen Rechtsmittelerhebung ist aber, dass die Erklärung des „Beitritts“ innerhalb der dem Jugendwohlfahrtsträger offenstehenden Rechtsmittelfrist erfolgt (1 Ob 57/01s; RIS Justiz RS0115499).
4. Letztere Voraussetzung ist im vorliegenden Fall in Bezug auf die dem Jugendwohlfahrtsträger offenstehende Rekursfrist nicht erfüllt:
4.1. Der erstinstanzliche Beschluss wurde dem Rechtsvertreter der Mutter (als Zahlungsempfängerin) am zugestellt. An das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger wurde die Zustellung am verfügt; diese Zustellverfügung wurde laut Aktenlage am abgefertigt. Der exakte Zeitpunkt der Zustellung an den Jugendwohlfahrtsträger ist mangels eines Zustellnachweises nicht ersichtlich. Zu ON 56 erliegt im Akt jedoch eine dem Erstgericht zur Kenntnisnahme übermittelte Kopie eines E Mails vom , das ein Vertreter der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf Fachabteilung Jugendwohlfahrt (als Jugendwohlfahrtsträger) an Rechtsanwalt Dr. Lind unter Hinweis auf die beigeschlossenen Einstellungsbeschlüsse und mit dem Ersuchen um Prüfung übersendet hatte, ob dagegen ein Rechtsmittel erfolgversprechend wäre; gegebenenfalls werde Vollmacht zur Rekurserhebung erteilt (ON 56). Diesem E Mail ist als attachment eine Ausfertigung des Einstellungsbeschlusses beigeschlossen, woraus sich ergibt, dass dem Jugendwohlfahrtsträger spätestens an diesem Tag somit dem die erstinstanzlichen Beschlüsse zugegangen sein mussten.
Die urbanek/lind/schmied/reisch Rechtsanwälte OG gab am dem Erstgericht die Vollmachtserteilung bekannt (ON 57).
Am erhob die (rechtsanwaltlich vertretene) Mutter namens des damals noch minderjährigen S***** Rekurs.
Am teilte die urbanek/lind/schmied/reisch Rechtsanwälte OG mittels elektronischem Schriftsatz dem Erstgericht mit, in Vertretung des Landes Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger dem Rekurs der Mutter gegen den Einstellungsbeschluss „beizutreten“ (ON 60). Diese Mitteilung kann nicht anders verstanden werden, als dass der Jugendwohlfahrtsträger die (rechtsanwaltlich vertretene) Mutter mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Minderjährigen beauftragt hat und von der Einbringung einer Rekursschrift durch den von ihm beauftragen Rechtsanwalt absehen wollte.
5. Allerdings erfolgte die Betrauung der Mutter mit der Wahrnehmung der Interessen des (damals noch) Minderjährigen außerhalb der dem Jugendwohlfahrtsträger zustehenden Rechtsmittelfrist:
5.1. Ausgehend vom als spätestem Zustelldatum endete die 14 tägige Rekursfrist des § 46 Abs 1 AußStrG für den Jugendwohlfahrtsträger bereits am .
5.2. Das Rekursgericht hat nicht beachtet, dass die am erfolgte Bekanntgabe, dem Rekurs der Mutter beitreten zu wollen, wegen Ablaufs der hiefür dem Jugendwohlfahrtsträger offenstehenden Rechtsmittelfrist verspätet war. Infolge dieses Versehens traf es anstelle eines Zurückweisungsbeschlusses eine Sacherledigung. Damit hat das Rekursgericht gegen die Rechtskraft des erstinstanzlichen Einstellungbeschlusses (auch) hinsichtlich S***** A***** verstoßen, die mit Ablauf des letzten Tages der 14 tägigen Rekursfrist am eingetreten war.
5.3. Zwar erlaubt der hier gemäß § 207h vierter Satz AußStrG idF des BudgetbegleitG BGBL I 2010/111 noch anwendbare § 46 Abs 3 AußStrG in Verfahren außer Streitsachen eine Bedachtnahme auf verspätete Rekurse, wenn die Abänderung oder Aufhebung des Beschlusses mit keinem Nachteil für eine andere Person verbunden ist. Eine meritorische Entscheidung über das verspätete Rechtsmittel wäre somit (doch) möglich, wenn sie weder die materiell rechtliche noch die verfahrensrechtliche Stellung einer anderen Person nachteilig berührt (7 Ob 27/08h; 2 Ob 102/08a mwN; Klicka in Rechberger , AußStrG § 46 Rz 4). In Unterhaltsvorschussangelegenheiten wurde eine Bedachtnahme auf verspätete Rechtsmittel mangels Erfüllung dieser Voraussetzung jedoch abgelehnt (2 Ob 49/05b, 10 Ob 6/08t, 10 Ob 7/08i; Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 15 UVG Rz 22).
6. Wie bereits ausgeführt ist S***** A***** im Laufe des Verfahrens am somit nach Erhebung des Rekurses, aber vor Ergehen der Rekursentscheidung volljährig geworden. Mit Erreichung der Volljährigkeit war die nach § 9 Abs 2 UVG bestehende Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers erloschen, ohne dass es dafür einer formellen Enthebung bedurfte (RIS Justiz RS0123997). Daraus folgt, dass der Jugendwohlfahrtsträger S***** A***** seit dessen Volljährigkeit im vorliegenden Unterhaltsvorschussverfahren nicht mehr wirksam vertreten konnte. Sollte er durch einen für ihn einschreitenden Rechtsanwalt vertreten sein, bedurfte es des Nachweises einer Vollmachtserteilung.
7. Im Rechtsmittelsystem des AußStrG 2005 wird der Begriff „Nichtigkeit“ vermieden; der Eingriff in die Rechtskraft wird aber ausdrücklich als Revisionsrekursgrund normiert (§ 66 Abs 1 Z 1 iVm § 56 Abs 1 AußStrG). Gelangt das Rechtsmittelgericht aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels zu der Überzeugung, dass der angefochtene Beschluss oder das Verfahren an einem bisher unbeachtet gebliebenen Mangel ua nach dem § 56 Abs 1 AußStrG leidet, so ist dieser wahrzunehmen, auch wenn er von keiner der Parteien geltend gemacht wurde und er die Richtigkeit der Entscheidung nicht berührt (§ 55 Abs 3 AußStrG, Klicka in Rechberger AußStrG § 55 Rz 3). Die Voraussetzung des Vorliegens eines zulässigen Revisionsrekurses des S***** A***** ist nach dem erfolgreichen Verbesserungsverfahren (Vollmachtserteilung) gegeben.
8. Aus Anlass dieses nunmehr zulässigen Revisionsrekurses war daher auch hinsichtlich des S***** A***** der Verstoß des Rekursgerichts gegen § 56 Abs 1 AußStrG amtswegig wahrzunehmen, der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben und der verspätete Rekurs zurückzuweisen.