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VfGH vom 07.10.1991, B1352/90

VfGH vom 07.10.1991, B1352/90

Sammlungsnummer

12853

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme und Anhaltung; vertretbare Annahme einer Übertretung des Suchtgiftgesetzes

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch ihre am um

2.30 Uhr erfolgte Festnahme durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien und ihre nachfolgende Anhaltung bis , 14.00 Uhr, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 12.500,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, Organe der Bundespolizeidirektion Wien seien am um ca. 3.00 Uhr morgens in der Wohnung des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin in 1120 Wien, Hetzendorfer Straße ... erschienen und hätten die Beschwerdeführerin und ihren Lebensgefährten festgenommen. Hinsichtlich der Person der Beschwerdeführerin habe weder ein gerichtlicher Haftbefehl noch ein Tatverdacht bestanden, die Festnahme der Beschwerdeführerin sei ohne jede Berechtigung erfolgt. Die Beschwerdeführerin beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, daß sie durch ihre am um ca. 3.00 Uhr erfolgte Festnahme und ihre Anhaltung bis um ca. 14.00 Uhr durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

2. Die Bundespolizeidirektion Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, beantragt in einer Gegenschrift, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, in eventu als unzulässig zurückzuweisen. Die Festnahme der Beschwerdeführerin und ihre nachfolgende Anhaltung seien zu Recht erfolgt. Es seien die Haftgründe nach den §§175 Abs 1 Z 1, 2 und 3, 177 Abs 1 Z 1 und 2 StPO vorgelegen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich folgender, für die Beurteilung des vorliegenden Falles relevanter Sachverhalt:

Ein am von Organen der belangten Behörde wegen Verdachtes des Suchtgifthandels festgenommener - namentlich genannter - Mann gab an, er beziehe seit ca. 2 Monaten seinen Bedarf von einem Bekannten mit Vornamen H, wohnhaft an einer ihm nicht näher bekannten Anschrift im 12. Wiener Gemeindebezirk, unter einer näher bezeichneten Telefonnummer. Wenn er Shit brauche, rufe er den H an, welcher ihm auch schon Kokain angeboten habe. Das Telefon bei H werde fallweise von einer englischsprechenden Freundin abgehoben.

Nachforschungen der Kriminalbeamten ergaben, daß diese Telefonnummer - eine Geheimnummer - an den Teilnehmer H Z unter einer bestimmten Anschrift in 1120 Wien, vergeben worden war, der aber an dieser Anschrift nicht polizeilich gemeldet war (er hatte sich am von einer anderen - näher bezeichneten - Anschrift in Wien nach "unbekannt wohin verzogen" polizeilich abgemeldet).

Daraufhin begaben sich Kriminalbeamte zu der genannten Wohnung und trafen dort H Z und die Beschwerdeführerin (nach ihren eigenen Angaben dessen Lebensgefährtin) an. Die Beamten fanden auf dem Tisch im Wohnzimmer in einer Zigarettendose ca. 3 g Canabisharz vor sowie in einer Kassette im Wohnzimmer einen Bargeldbetrag von S 27.760,--. Im WC fanden die Beamten in einem Hohlraum versteckt 2 kg Canabisharz. In der Handtasche der Beschwerdeführerin wurde ein Springmesser vorgefunden. Die Identität der Beschwerdeführerin konnte - wie es in dem Bericht der einschreitenden Beamten heißt - nicht einwandfrei geklärt werden, da sie "nicht im Besitz eines gültigen Dokumentes" gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe nur eine Empfangsbestätigung bei sich gehabt, nach welcher sich ihr philippinischer Reisepaß - die Beschwerdeführerin ist philippinische Staatsangehörige - zwecks Verlängerung des Sichtvermerkes im fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien befand.

Die Beschwerdeführerin wurde daraufhin (ebenso wie H Z) von den Beamten um 2.30 Uhr wegen Verdachtes strafbarer Handlungen nach den §§12 und 16 des Suchtgiftgesetzes festgenommen, zunächst dem Bezirkspolizeikommissariat Hietzing und in der Folge dem Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien überstellt. In der ersten Tageshälfte des führten Kriminalbeamte im hier gegebenen Zusammenhang eine Hausdurchsuchung in einem Kellerlokal durch, nahmen an diesem Tag Erhebungen betreffend eine weitere involvierte - namentlich angeführte - Person auf und führten die erforderlichen Einvernahmen durch. Die Beschwerdeführerin wurde nach ihrer Vernehmung (bei der sie ein strafbares Verhalten in Abrede stellte) um 14.00 Uhr des aus der Haft entlassen.

2.a) Das - gemäß Art 8 Abs 4 des B-VG BGBl. 684/1988 hier noch anzuwendende - Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art 8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art 149 Abs 1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem § 4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen im Sinne des § 4 leg.cit. sind u.a. die §§175 bis 177 StPO.

Der Verfassungsgerichtshof geht bei der rechtlichen Beurteilung der in Beschwerde gezogenen Festnahme und Anhaltung davon aus, daß die Beschwerdeführerin im Dienste der Strafjustiz ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen und verwahrt wurde. Gemäß § 177 Abs 1 StPO dürfen ausnahmsweise auch Organe der Sicherheitsbehörden die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in dem hier von der belangten Behörde ausdrücklich herangezogenen und damit maßgebenden (s. VfSlg. 5232/1966, 10229/1984, 11526/1987 und 11673/1988; vgl. auch VfSlg. 9393/1982, 10975/1986) Fall der Haftgründe nach § 175 Abs 1 Z 1, 2 und 3 StPO zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch ohne schriftliche Anordnung verfügen.

Der Beurteilung der primär zu lösenden Frage, ob der im § 175 Abs 1 StPO für eine Festnahme zwingend vorausgesetzte Tatverdacht (hier: nach § 12 SuchtgiftG) vertretbarerweise angenommen werden durfte, ist - nach der gefestigten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - jener Sachverhalt zugrundezulegen, der sich den einschreitenden Behördenorganen im Zeitpunkt der Amtshandlung darbot (zB VfSlg. 8633/1979, 10976/1986; s. auch VfSlg. 7818/1976, 10547/1985).

b) Die einschreitenden Kriminalbeamten fanden in der Wohnung eine größere Menge Suchtgift (zum geringeren Teil auf dem Tisch im Wohnzimmer) vor, einen höheren Bargeldbetrag und überdies in der Handtasche der Beschwerdeführerin ein Springmesser. Die Beamten konnten mit Recht annehmen, daß sich die Beschwerdeführerin - noch dazu um 2.00 Uhr früh - nicht zufällig und nicht nur kurzfristig in der Wohnung (ihres Lebensgefährten) aufhielt, zumal nach den ihnen zugegangenen Informationen eine "englischsprechende Freundin" fallweise das Telefon in der Wohnung abzuheben pflegte. Angesichts dieser sich den Kriminalbeamten darbietenden Situation konnten sie


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obwohl sich der ursprüngliche Hinweis nur auf "H" bezogen hatte
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vertretbarerweise von der Annahme ausgehen, auch die Beschwerdeführerin sei in den Suchtgifthandel involviert und im Besitz von Gegenständen betreten worden, die vom Verbrechen nach § 12 Suchtgiftgesetz herrührten oder auf eine Beteiligung der Beschwerdeführerin daran hinwiesen (§175 Abs 1 Z 1 StPO). Es war im Zeitpunkt der Festnahme der Beschwerdeführerin nämlich der Verdacht durchaus gerechtfertigt, daß auch die Beschwerdeführerin über das in der Wohnung befindliche Rauschgift verfügte und ihr der in der Kassette im Wohnzimmer liegende Geldbetrag gehörte. Das in der Handtasche der Beschwerdeführerin vorgefundene Springmesser (eine verbotene Waffe nach § 11 Abs 1 Z 7 Waffengesetz) rundete das sich dem Beamten bietende Erscheinungsbild ab.

Da die Beamten hier - im Gegensatz zu jenen bis zu einem gewissen Grad ähnlichen Sachverhalten, welche den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom , B1285-1288/88 und vom , B347/90 zugrundelagen - durchaus vertretbar annehmen konnten, es liege ein hinreichender Verdacht der Beteiligung der Beschwerdeführerin am Verbrechen nach § 12 Suchtgiftgesetz vor und sie sei im Besitz von Gegenständen betreten worden, die von einem solchen Verbrechen herrührten oder auf eine Beteiligung daran hinwiesen, war die Festnahme der Beschwerdeführerin nach den §§175 Abs 1 Z 1, 177 Abs 1 Z 1 StPO gerechtfertigt. Bei diesem Ergebnis braucht nicht geprüft zu werden, ob - wie die belangte Behörde meint - auch die Haftgründe der Z 2 und 3 des § 175 Abs 1 StPO gegeben waren (die Beschwerdeführerin habe keinen Ausweis bei sich gehabt und es habe die Wahrscheinlichkeit bestanden, daß die Beschwerdeführerin weitere Mittäter von der polizeilichen Tätigkeit informieren würde) und ob Gefahr im Verzug im Sinn der Z 2 des § 177 Abs 1 StPO gegeben war.

c) Auch die Dauer der Anhaltung der Beschwerdeführerin war nicht rechtswidrig. Wie oben (unter Pkt. 1.) dargelegt, lösten die Festnahmen der Beschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten weitere Erhebungen der Sicherheitsbehörde noch in der Nacht und am darauffolgenden Tag aus, auch waren weitere Einvernahmen durchzuführen (darunter jene der Beschwerdeführerin). Als sich aufgrund dieser Erhebungsergebnisse herausstellte, daß die Verdachtsgründe gegen die Beschwerdeführerin weggefallen waren, wurde sie freigelassen. Von einer unnötigen, durch die Umstände nicht gerechtfertigten Verzögerung der Einvernahme und Entlassung der Beschwerdeführerin kann daher keinesfalls die Rede sein.

3. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.